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Lange Straße in Wüste

Bleiben Sie gesund – zehn Tipps für die Selbstfürsorge!

12.09.2024    Ralf Tönnies

Inhalt
  1. Willkommen im Phrasenwunderland!
  2. Was ist jenseits von Phrasen zu tun?

„Ich muss mich mehr um mich kümmern! Ich muss achtsam sein! Ich muss Selbstfürsorge lernen! Ich muss Grenzen setzen! Ich muss Nein-Sagen lernen! Ich muss loslassen lernen!“

Dies sind häufige Aussagen von Menschen, gerade Tätigen in den sozialen Bereichen, die an Supervisionen und Führungsworkshops teilnehmen, zur Behandlung in Kliniken kommen, oder dies so in Therapie oder Ausbildung lernen.

Willkommen im Phrasenwunderland!

Dabei ist es nicht verwunderlich, werden wir doch konstant mit denselben Ratgebern traktiert (Kinder brauchen Grenzen, Loslassen lernen etc). Sie kennen das!

Nur leider verlieren wir uns hier meist in einem Niemandsland des Unpräzisen, oft auch in einer narzisstisch-dysfunktionalen Nabelschau. Dabei ist Selbstfürsorge ein wichtiges Thema zur nachhaltigen Wahrung eigener Ressourcen, nicht nur, aber gerade in sozialen Berufen.

Was ist jenseits von Phrasen zu tun?

  1. Die Realität der Arbeitsbedingungen erkennen
    Innerhalb dieser Realitäten muss zu einem möglichst gesunden Arbeiten gefunden werden. Beispiel: Realität ist häufig, dass ein bestimmter Ausfall von Arbeitskräften, Kolleginnen und Kollegen, ein Dauerzustand ist. Die Arbeit ist deshalb auf diese Realität auszurichten. Diese Tatsache sollte besonders in Kostenverhandlungen berücksichtigt werden.
  2. Lernen, Priorisierungen vorzunehmen
    Die aus der Priorisierung resultierende tatsächliche Arbeit sollte von Fach- und Führungskräften gleichermaßen wertgeschätzt werden. Viele Mitarbeitende hocken in der Perfektionismusfalle, dabei ist Defizitbetrachtung nicht gesundheitsfördernd. (Selbstverständlich sind Defizite trotzdem anzugehen)
  3. Lernen, mit Beschwerden umzugehen
    Beschwerden von Eltern der Kitakinder, Patient:innen, Assistierten etc. werden immer häufiger, manchmal völlig gerechtfertigt, aber auch auf der Grundlage eines nicht zu erfüllenden Anspruchsniveaus. Beispiel: Eine Patientin beschwert sich, dass bei einem Deichspaziergang kein Wasser vorhanden ist (zur Kenntnis: An der Nordsee gibt es Ebbe und Flut). Eine Lösung kann es sein, Beschwerden als normal zu betrachten, sie nicht persönlich, sondern als Ressource wahrzunehmen. So kann im vorangegangenen Beispiel der Fokus auf das Meditative eines Wattspazierganges gelegt werden.
  4. Strukturen und notwendige Vorgaben transparent machen
    Diese sind zu erkennen und von Führungskräften zu vermitteln. Fortbildungen und Supervisionen sind passende Instrumente, um die Kommunikation zu verbessern.
  5. Achtung Dialektik!
    Strukturen sind nicht nur zur „ertragen“. Es gilt beständig mitzugestalten und Veränderungsmöglichkeiten auszuloten. Nur deshalb gibt es z.B. in der Pflege deutlich weniger geteilte Dienste. Also, Arbeit sinnvoll gestalten!
  6. Abwertenden Teamkolleg:innen und Führungskräften entgegentreten
    Teams können ihre Ressourcen nur dann ausschöpfen, wenn Mitarbeitende langfristig eine lösungsorientierte Haltung einnehmen. Auch hier können Supervisionen und teambildende Maßnahmen ein passendes Instrument sein.
  7. Beziehungen gestalten
    Nicht Grenzen setzen, sondern Beziehungen aus einer inneren, klaren, verantwortlichen und entspannten Haltung heraus gestalten. Dies ist wunderbar erlernbar. Hierbei im Auge behalten, dass eine soziale Tätigkeit die Unterstützung eines Menschen in seiner eigenen Geschichte, in seinem Narrativ ist.
  8. Gestaltung des Miteinanders
    Selbstfürsorge ist paradoxerweise auch die Gestaltung des Miteinanders in einem Team, einem Betrieb, die Fürsorge für andere Menschen. Auch hier geht es nicht um Abgrenzung, sondern um sinnvolle, nachhaltige und respektvolle Gestaltung. „Helfen“ wird leider oft diskreditiert. Zumeist falsch abgewertet als „Helfersyndrom“ und nimmt damit auch die Wertschätzung für die enorme professionelle Leistung, die Helfende erbringen. Das Helfen als praktische Handlung sollte somit als positiver Gegenstand der Organisationskultur gehandelt werden.
  9. Erkennen des „Total load“
    Wichtig ist die Anerkennung der Gesamtbelastung, der Tätige unterliegen. Beispielsweise mit Arbeit, Familie, Freizeit- und Beziehungsstress, der Pflege von Angehörigen oder gesundheitlichen Einschränkungen. Auch hier ist die Entwicklung einer intelligenten, umfassenden Strategie notwendig.
  10. Die klassische Selbstfürsorge
    Ja, auch gesunde Ernährung, Bewegung und Entspannung sind wichtige Faktoren der Selbstfürsorge und…die schönste Art der Distanzierung neben der Liebe: Humor.

Und wenn alles nicht hilft, Strukturen unverändert das Grauen sind, die Ethik auf der Strecke bleibt, Körper und Seele aufschreien, dann heißt Selbstfürsorge: Abgang, Veränderung, Stellenwechsel.

Selbstfürsorge ist also nicht nur Yoga und Atemübungen und schon gar nicht Work-Life-Balance, da Arbeit ein wichtiger Teil des „Life“ ist, sondern eine anspruchsvolle Gemeinschaftsaufgabe von Führungskräften und Mitarbeitenden jenseits von Phrasen und Nabelschau.

Viel Freude!

Autor
Ralf Tönnies
Leitender Therapeut der Fachklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der DIAKO NF und Praxis für Supervision und Fortbildung