
Das „Pizza-Problem“ des Personalmanagements in der Sozialwirtschaft
08.05.2024 Prof. Dr. Michael Mroß
Inhalt- Von Pizza-Problemen und Nullsummenspielen
- Pizza-Problem in der Personalbeschaffung
- Das Ende des Wachstums
- Ein zweiseitiges Problem auch zweiseitig bearbeiten
- Attraktivere Löhne lösen das Problem nicht
- Personalstrategien bei Nullsummenspielen
- Rationalität
- Wettbewerb
- Kooperationen
Von Pizza-Problemen und Nullsummenspielen
In der ökonomischen Spieltheorie beschreibt ein sogenanntes Nullsummenspiel eine Situation, in der Zuwächse eines Akteurs nur auf Kosten eines anderen erfolgen können, sodass die Gesamtbilanz aller beteiligten Parteien unverändert bleibt.
Anders ausgedrückt: Ich kann nur dann ein größeres Stück Pizza essen, wenn jemand anderes dafür weniger ist – weder lässt sich die Pizza als solche vergrößern, noch besitzen wir die Zutaten, um eine Zweite zu backen.
Pizza-Problem in der Personalbeschaffung
Vieles spricht dafür, dass das Personalmanagement (nicht nur) in der Sozialwirtschaft, was die Verfügbarkeit von Personal angeht, zunehmend einem Nullsummenspiel gleicht. Frei verfügbares Personal ist kaum vorhanden, sodass eine soziale Organisation nur dann neue Beschäftigte einstellen kann, wenn diese Mitarbeiter:innen eine andere soziale Organisation dafür verlassen. An- bzw. Abwerbeprämien („Kopf-Geld“) und Headhunteraktivitäten in der Pflege und nicht erst seit gestern auch im Kita- und Erziehungsbereich zeigen, dass das Nullsummenspiel in der Sozialwirtschaft längst begonnen hat.
Das Ende des Wachstums
In ihrer Studie arbeiten Hohendanner, Rocha und Steinke heraus, dass das stetige Wachstum des sozialen Sektors, ungeachtet des wachsenden Bedarfs, erkennbar an sein Ende gelangt ist. Und sie nennen auch den Grund. Es liegt vorzugsweise weder am Geld noch am politischen Willen. Der Grund ist der flächendeckende Fach- und Arbeitskräftemangel. Mit diesem Problem steht die Sozialwirtschaft nicht allein da; nahezu alle Wirtschaftssektoren klagen über Nachwuchs- und Arbeitskräftemangel. Womit wir wieder bei der Pizza-Problematik wären. Wenn man so will, eine zweiseitige Pizza-Problematik. Der soziale Sektor konkurriert um Arbeitskräfte, speziell um Nachwuchskräfte, mit anderen Sektoren und soziale Organisationen konkurrieren auch untereinander um Arbeitskräfte. Die Headhunteraktivitäten werden schließlich von „irgendwem“ bezahlt.
Ein zweiseitiges Problem auch zweiseitig bearbeiten
Soziale Organisationen sollten diese zweigeteilte Herausforderung auch als solche strategisch angehen.
- Personalakquise anpassen: Arbeitskräfte, deren Qualifikationen auch in anderen Sektoren nachgefragt werden (z. B. Buchhaltung, handwerkliche Berufe) anders angehen,
- Personalakquise nach Qualifikation: auch Strategien der Personalbeschaffung und Personalbindung innerhalb der Sozialwirtschaft müssen zwischen Qualifikation innerhalb oder außerhalb des Sozialbereichs unterscheiden, denn diese Frage verändert die Konkurrenzsituation.
Attraktivere Löhne lösen das Problem nicht
Das Fachkräfteproblem lässt sich nur bedingt mit mehr Geld lösen. Selbst wenn höhere Löhne im Sozialbereich möglich wären, dann würde die Situation I) als ein Pizza-Problem zwischen Sozialwirtschaft und den übrigen Wirtschaftssektoren entstehen. Gleichwohl verändern auch höhere Löhne nicht die Anzahl der verfügbaren Arbeitskräfte – der demographische Wandel lässt grüßen.
Womit wir bei Problem II) wären, der Konkurrenz um Fachkräfte innerhalb der Sozialwirtschaft. Hier kämen höhere Löhne über den TVöD oder vergleichbare AVR-Entlohnung gleichermaßen allen Akteur:innen zugute, was folglich keinem eigenen Vorteil bringen würde.
Personalstrategien bei Nullsummenspielen
Die Spieltheorie hält für Akteur:innen in einem Nullsummenspiel drei Strategien bereit, die sich auf die Personalakquise in Zeiten des Arbeitskräftemangels übertragen lassen:
Rationalität
Soziale Organisation können rational handeln, indem sie bspw. evidenzbasierte Rekrutierungs- und Auswahlverfahren implementieren. Keineswegs ist der Einsatz zum Beispiel strukturierter Interviews oder standardisierter Bewerbungstests in der Sozialwirtschaft bereits flächendeckend verbreitet. Größere Organisationen können über dies hinaus betriebliche Arbeitsmarktforschung betreiben (Stichwort: HR-Analytics), um etwa Daten zur individuellen Fluktuationswahrscheinlichkeit von Bewerber:innen zu generieren.
Wettbewerb
Es bedarf Anreize und Unterscheidungsmerkmale, um die eigene Organisation von anderen positiv abzuheben. Employer Branding-Konzeptionen, die nicht bloß so genannt werden, sondern konsequent auf die Erkenntnisse der Markenbildung und Kundenbindung zurückgreifen, können signifikant dazu beitragen, das eigene Stück von der Pizza zu vergrößern oder zumindest nicht schrumpfen zu lassen.
Kooperationen
Angesichts der komplexen Herausforderung kann es für Organisationen sinnvoll sein, kooperative Strategien zu verfolgen. Zusammenarbeit im Bildungsbereich zur Ausbildung von Fachkräften, gemeinsame Mentoring-Programme, Austausch-Programme oder sozialwirtschaftlich spezifische Rekrutierungsmessen wären exemplarische Beispiele. Kooperationen sparen Ressourcen und können helfen, zumindest gegenüber anderen Wirtschaftszweigen einen angemessenen Anteil an Nachwuchs- und Fachkräften zu erzielen.
Guten Appetit!
Autor
Prof. Dr. Michael Mroß
Professur für Sozialmanagement/ Technische Hochschule Köln
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Quellen
Christian Hohendanner, Jasmin Rocha, Joß Steinke (2024): Vor dem Kollaps!? Beschäftigung im sozialen Sektor. Berlin/Boston: Walter de Gruyter GmbH.