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Der Verlust der Gemeinnützigkeit

15.03.2024    Josef Renner

Inhalt
  1. Verstoß gegen Rechtsvorschriften nach der gemeinnützigen Anerkennung
  2. Aberkennung der Gemeinnützigkeit als Folge des Verstoßes gegen Gemeinnützigkeitsrecht
  3. Bagatellvorbehalt und kein Ermessen des Finanzamtes:
  4. Fazit zur Aberkennung und die Folgen

Wann verliert eine Körperschaft ihre Gemeinnützigkeit und welche Folgen hat dies? Diese Frage ist für gemeinnützige Körperschaften von grundlegender Bedeutung. Um die Gefahr einer Aberkennung der Gemeinnützigkeit einschätzen zu können, sind die möglichen Verstöße gegen Gemeinnützigkeitsvoraussetzungen zu betrachten.

Verstoß gegen Rechtsvorschriften nach der gemeinnützigen Anerkennung

Gemäß den Bestimmungen des allgemeinen Teils des Gemeinnützigkeitsrechts (§§ 51 bis 68 AO) unterliegen gemeinnützige Körperschaften sowohl formellen als auch materiellen Voraussetzungen entsprechend den vorgenannten Vorschriften, welche durch die zuständige Finanzverwaltung geprüft werden. Zu den formellen Voraussetzungen gehören die Vorgaben der Mustersatzung (Anlage 1 zu § 60a AO) und die Benennung von Satzungszwecken und den Zweckverwirklichungsmaßnahmen in der Satzung der Körperschaft. Die materiellen Voraussetzungen sind grundsätzlich die Gebote der Selbstlosigkeit (§ 55 AO), Ausschließlichkeit (§ 56 AO) und Unmittelbarkeit (§ 57 AO). Die Voraussetzungen werden im Zuge der erstmaligen Anerkennung als gemeinnützig und fortgesetzt für jeden Veranlagungszeitraum im Rahmen der Steuerveranlagung geprüft. Bei der Satzungsänderung gilt es zu beachten, dass hierbei formelle Voraussetzungen durch die Körperschaft im Satzungstext geändert und erneut [1] geprüft werden müssen (§ 59 und § 60 AO). Die materiellen Voraussetzungen bezüglich der tatsächlichen Geschäftsführung werden im Rahmen jeder Steuerveranlagung geprüft [2]. Diese fortlaufende Überwachung der formellen und materiellen Aspekte wirft zahlreiche Fragen auf, insbesondere im Hinblick auf das Verständnis der eigenen Satzungszwecke und deren konkreter Umsetzung durch Maßnahmen.

Unsicherheiten ergeben sich auch während der tatsächlichen Geschäftsführung und nach Erteilung des Feststellungsbescheids (§ 60a AO), der die Anerkennung der Gemeinnützigkeit formell nachweist. Es besteht bei organschaftlichen Vertretern häufig ein Defizit im Verständnis der Auslegung und des Tätigkeitsumfangs der gemeinnützigen Zwecke. Diese Unsicherheiten bezüglich der Frage, welche Tätigkeiten gemeinnützigkeitsrechtlich zulässig sind, ergeben sich aus der fehlenden klaren Regelung eines abgestuften und auf ein jeweils mildestes Mittel bezogenes Sanktionssystems für Verstöße gegen formelle und materielle Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit.

Die Ausführungen von Herrn Harald Bott zeigen zutreffend auf, dass in der gegenwärtigen Rechtslage lediglich in Teilbereichen gegelte Sanktionen innerhalb des Gemeinnützigkeitsrechts vorliegen [3]. Ein eindeutiger und umfassender Katalog, vergleichbar mit steuerstrafrechtlichen Strafzumessungstatbeständen, fehlt [4]. Ebenso ist keine gesetzlich und damit konstitutive oder allgemeinverwaltungsrechtlich-deklaratorische Bagatellgrenze normiert. Somit obliegt es der Rechtsprechung im Einzelfall zu prüfen, wann ein "Verstoß" vorliegt und ob dieser punktuell oder umfassend und schwerwiegend ist.

Aberkennung der Gemeinnützigkeit als Folge des Verstoßes gegen Gemeinnützigkeitsrecht

Bei Verstößen gegen formelle und materielle Grundsätze des Gemeinnützigkeitsrechts unterscheidet die Rechtsprechung zwischen zwei Fallgruppen.

Die erste Alternative betrifft Aberkennungen der Gemeinnützigkeit für einen Veranlagungszeitraum oder mehrere Veranlagungszeiträume. Diese Alternative kann so viele Veranlagungszeiträume mit punktuellen Verstößen umfassen, wie es innerhalb der Festsetzungsverjährung möglich ist, d.h. bis zu fünf Veranlagungszeiträume.

Beispiele für punktuelle Verstöße gegen das Gemeinnützigkeitsrecht sind [5]:

  • Mittelverwendung für satzungsfremde Zwecke
  • Überwiegende Förderung von Einzelinteressen
  • Überwiegende politische Betätigung.

Beispiele für punktuelle Verstöße gegen die Rechtsordnung als solche sind [6]:

  • Nichtbefolgung polizeiliche Anordnungen
  • Grundrechteverstöße
  • Steuerverkürzung im Veranlagungszeitraum.

Die zweite Alternative, bei besonders schwerwiegenden Verstößen, ist die Aberkennung der Gemeinnützigkeit für einen Zeitraum von elf Veranlagungsjahren. Solche Verstöße liegen vor allem vor, wenn die Vermögensbindungsklausel der Satzung durch Satzungsänderung entfernt wird oder die Geschäftsführung vollständig nicht mehr auf die Verwirklichung gemeinnütziger Zwecke ausgerichtet ist [7]. Der elfjährige Zeitraum umfasst das Veranlagungsjahr des Verstoßes und die vorangegangenen zehn Veranlagungszeiträume. Die Frist der Festsetzungsverjährung bildet hierbei keine Sanktionsgrenze [8], da Steuerfestsetzungen von Amts wegen für die vergangen zehn Veranlagungsjahre zu ändern sind gemäß der Vorschrift des § 61 Abs. 3 S. 1 AO.

Viele punktuelle und oft unbewusste Verstöße gegen das Gemeinnützigkeitsrecht lassen sich bereits durch einfach umzusetzende Compliance-Maßnahmen des geschäftsführenden Organs – also des Vorstands oder der GmbH-Geschäftsführung – vorbeugen.

Beispiele für solche Compliance-Maßnahmen sind:

  • Es sollte ein klares Verständnis samt Maßnahmenkatalog bezüglich des eigenen Satzungszwecks vorliegen und die Mittel sollten nur für diese zweckmäßig eingesetzt werden, soweit nicht sicherheitshalber Rechtsrat eingeholt wurde.
  • Bei Vertragsschluss sollte auf die Fremdüblichkeit der Vergütung geachtet werden. Gemeinnützige Körperschaften dürfen keine Vergütungen bezahlen, die die üblichen Kosten am Markt übersteigen.
  • Bei Aussagen zur Tagespolitik sollte strikte Zurückhaltung herrschen. Politische Aussagen sollten selten und wenn dann nur im Zusammenhang mit dem Satzungszweck erfolgen, z.B. Aussagen zu Gesetzesvorhaben bezogen auf den Naturschutz.

Bagatellvorbehalt und kein Ermessen des Finanzamtes:

Nach der – von dem Bundesfinanzhof bestätigten [9] – Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips wohnt diesem Prinzip für den konkreten Anwendungsfall der Steuervergünstigungsaberkennung stets ein Bagatellvorbehalt als unverzichtbares Korrektiv inne. [10] Dies führt dazu, dass neben den vorgenannten beiden Alternativen zur Qualifizierung eines Verstoßes noch vorgelagert der Bagatellvorbehalt zu beachten ist. Es kann daher leicht Verstöße geben, welche gerade nicht zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit führen sollen, da ansonsten überzogene Reaktionen auf singuläre Verstöße nicht ausgeschlossen wären. [11] Dieser Auffassung hat sich auch die Finanzverwaltung angeschlossen .[12]

Es kann zwischen punktuell-leichten und punktuell-gewichtigen Verstößen unterschieden werden. Leichte Verstöße lösen nicht den Entzug der Gemeinnützigkeit aus. Was genau im Einzelfall unter einem eher leichten Verstoß zu verstehen ist, ist leider völlig unklar. Im Zweifelsfall sollten daher auch kleine Verstöße erst genommen und mit einem spezialisierten Rechtsanwalt besprochen werden, um die möglichen Risiken für den Status als gemeinnützige Körperschaft abschätzen zu können.

Nicht zulässig ist es, für die Finanzverwaltung im Einzelfall eine Ermessenentscheidung bezüglich des Entzugs der Gemeinnützigkeit auszuüben, da es sich bei dieser Entscheidung nach dem Wortlaut der Vorschrift des § 60 Abs. 2 AO i.V.m. § 63 Abs. 1 und 2 AO um eine gebundene Entscheidung aufgrund zwingenden Rechts [13] handelt. [14]

Fazit zur Aberkennung und die Folgen

Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit unterliegt nicht dem Ermessen der Finanzverwaltung, kann verschiedene Gründe haben und wird durch unterschiedliche Verstöße gegen das Gemeinnützigkeitsrecht und die Rechtsordnung als solches ausgelöst. Die Dauer der Aberkennung hängt von der Art und Schwere des Verstoßes ab und kann ein Jahr und bis zu elf Jahre umfassen. Bei kleineren „Bagatellverstößen“ finden keine Aberkennung der Gemeinnützigkeit statt.  

Als Folge der Aberkennung wird in dem betroffenen Zeitraum die Körperschaft der Regelbesteuerung in u.a. der Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer sowie Erbschafts- und Schenkungsteuer unterworfen. Zudem entfallen die steuerlichen Vorteile bei Freibeträgen für Übungsleiter und Ehrenamtliche (§ 3 Nr. 26 und 26a EStG) und bezüglich des ermäßigten Umsatzsteuersatzes (§ 12 Abs. 2 Nr. 8a UStG). Schwerwiegend ist weiter die Haftung für ausgestellte Spendenbescheinigungen im Zeitraum des Verlustes von 30 % der Spendensumme bezüglich der Einkommens- oder Körperschafteuer (§ 10b Abs. 4 S. 1 EStG, § 9 Abs. 3 S. 2 KStG) und 15 % bezüglich der Gewerbesteuer (§ 5 Nr. 9 S. 16 GewStG).

 Verlust der Gemeinnützigkeit

Autor
Josef Renner
Master of Laws (LL.M.) | Taxation
CHP Rechtsanwalt & Steuerberater Partnerschaftsgesellschaft mbB

Weiterführende Quellen:V

  • Hüttemann, Gemeinnützigkeitsrecht und Spendenrecht, 5. Auflage 2021
  • Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung – Finanzgerichtsordnung, 277. Lieferung, Stand: Dezember 2023
  • Kirchhain/Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit
  • Hüttemann, Gutachten G zum 72. DJT
  • Tipke/Kruse/Seer, Kommentar AO/FGO, 179l Lieferung, Stand: Februar 2024
  • Becker, Der Wegfall des gemeinnützigkeitsrechtlichen Status – Eine Bestandsaufnahme und Hilfestellung für die Praxis, DStR 2010, 953
  • Pfirrmann/Rosenke/Wagner, BeckOK AO, Kommentar zur Abgabenordnung, 27 Edition, Stand: 15.01.2024

[1] Hüttemann, Gemeinnützigkeitsrecht und Spendenrecht, 5. Auflage 2021, Rn. 4.184; BFH, Urt. v. 23.7.2020 – V R 40/18, BStBl. II 2021, DStR 2020, 2420.

[2] Musil in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung – Finanzgerichtsordnung, 277. Lieferung, Stand: Dezember 2023, § 63 AO Rn. 4.

[3] Bott in: Kirchhain/Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit, § 10 Rn. 100.

[4] Zu dem fehlenden Katalog auch Bott in: Kirchhain/Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit, § 10 Rn. 100; Hüttemann, Gutachten G zum 72. DJT, S. 85 f.

[5] Bott in: Schauhoff/Kirchhain, Handbuch der Gemeinnützigkeit, § 10 Rn. 89 ff., 100 ff.

[6] Bott in: Schauhoff/Kirchhain, Handbuch der Gemeinnützigkeit, § 10 Rn. 89 ff., 100 ff.

[7] Bott in: Kirchhain/Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit, § 10 Rn. 100.

[8] AEAO Nr. 3 S. 2 zu § 60; Bott in: Kirchhain/Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit, § 10 Rn. 117.

[9] BFH, Urt v. 12.3.2020 – V R 5/17, BStBl. II 2021, 55, npoR 2020, 303 (307).

[10] Hierzu zustimmend Bott in: Kirchhain/Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit, § 10 Rn. 104; Seer in: Tipke/Kruse/Seer, Kommentar AO/FGO, 179l Lieferung, Stand: Februar 2024, § 55 AO Rn. 17; Becker, Der Wegfall des gemeinnützigkeitsrechtlichen Status – Eine Bestandsaufnahme und Hilfestellung für die Praxis, DStR 2010, 953; Hüttemann, Gemeinnützigkeitsrecht und Spendenrecht, 5. Auflage 2021, Rn. 4.231?f.

[11] Hüttemann, Gemeinnützigkeitsrecht und Spendenrecht, 5. Auflage 2021, Rn. 4.231.

[12] AEAO Nr. 6 S. 2 zu § 63 AO.

[13] Zur Auslegung zwingender AO-Normen Wagner in: Pfirrmann/Rosenke/Wagner, BeckOK AO, Kommentar zur Abgabenordnung, 27 Edition, Stand: 15.01.2024, § 5 AO Rn. 16 ff.

[14] BFH, Urt v. 12.3.2020 – V R 5/17, BStBl. II 2021, 55, npoR 2020, 303 (307); AEAO Nr. 6 S. 1 zu § 60.