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Symbol Straße in der Wüste

Friedenslogisch den aktuellen Konflikten begegnen

03.04.2024    Melanie Hussak & David Scheuing

Inhalt
  1. Konflikttransformation: Verstehen, bearbeiten, gestalten
  2. Die Handlungsoptionen friedenslogischen Denkens
  3. Friedensorientierte Konfliktkompetenzen für die Handlungsfelder der Sozialwirtschaft

Konflikte über den Umgang mit der Klimakrise, der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen, oder auch die Zunahme antidemokratischer Haltungen sind nur einige Beispiele für gegenwärtige gesellschaftliche Konflikte in Deutschland. Die „Mitte-Studien“ der Friedrich-Ebert-Stiftung, die demokratiegefährdende Einstellungen in der deutschen Bevölkerung untersuchen, heben hervor, dass sich rechtspopulistische Einstellungen in den letzten Jahren verfestigt haben und in der Mitte angekommen sind. Die Gefahr einer Normalisierung von nationalistischen und menschenfeindlichen Positionen in der Gesellschaft ist darin klar benannt. Diese Einschätzung wird vom Konfliktbarometer des HIIK, das jährlich Staaten in Bezug auf ihre politischen Konflikte untersucht, unterstützt. Es ordnet Deutschland immerhin mit der Intensität „3“ ein – von gesamt „5“ Formen von „gewaltsamen Krisen“.

Hinzu kommen die innergesellschaftlichen Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine und die Gewalteskalation in Israel und Palästina, die viele Menschen emotional bewegen und auch polarisieren. Insbesondere die historisch begründete Verflechtung und Fortführung des Nahostkonfliktes auf der Mikro- und Meso-Ebene in Deutschland verhandelt auch eigene Bezüge, Identitäten und Zugehörigkeiten sowie Positionierungen. Dies findet vielfach jenseits des betroffenen Konfliktraums statt, etwa an Schulen, in Gemeinden, am Arbeitsplatz oder im Freundeskreis. Es ist wichtig, Konflikte, ihre Treiber und ihre Dynamiken zu verstehen, zu bearbeiten und notwendige Aushandlungsprozesse zu ermöglichen – gerade auch im Handlungsbereich der Sozialwirtschaft.

Konflikttransformation: Verstehen, bearbeiten, gestalten

Konflikte sind Bestandteil unseres menschlichen Zusammenlebens. Nach einer Definition von Friedrich Glasl (2013, S. 17) ist ein sozialer Konflikt eine „Interaktion zwischen Aktoren (Individuen, Gruppen, Organisationen, usw.), wobei wenigstens ein Aktor eine Differenz bzw. Unvereinbarkeit im Wahrnehmen und im Denken bzw. Vorstellen und im Fühlen und im Wollen mit dem anderen Aktor (und den anderen Aktoren)“ erlebt. Das heißt, dass es in Konflikten um mehr als rein rational zu betrachtende Sachthemen geht und sich Konflikte in unterschiedlichen Kommunikationskanälen wie in Gedanken, Gefühlen, Äußerungen und Handlungen zeigen können. Konflikttransformation setzt hier an und versucht, diese Kanäle als ersten Bearbeitungsschritt sichtbar zu machen.

Konflikttransformation nimmt Konflikte als Ausgangspunkt zur Neugestaltung von Beziehungen und Strukturen. In der praktischen Konfliktarbeit werden etwa gesellschaftliche Dialog-, Partizipations- und Artikulationsräume angestoßen, in denen sich Akteur:innen begegnen und mit individuellem und sozialem Verhalten, Einstellungen, Bezügen, Identitäten, Positionen ebenso wie mit gesellschaftspolitischen Strukturen und diskriminierenden Verhältnissen kritisch auseinandersetzen können. Dazu gehört für alle Beteiligten, auch für Fachkräfte selbst, die eigene (persönliche und professionelle) Involviertheit in Konfliktlagen kennenzulernen und zu hinterfragen. Als hilfreicher Dreisatz für jede Konflikttransformation gilt dabei stets: Konflikte müssen verstanden, bearbeitet und gestaltet werden.

Die Handlungsoptionen friedenslogischen Denkens

Für ein gesellschaftlich nachhaltiges und am Wert des „Friedens“ orientiertes Handeln ist in den vergangenen Jahren der Ansatz des „friedenslogischen Handelns“ entwickelt worden (Birckenbach 2023). Im Zentrum des friedenslogischen Handelns steht die Überzeugung, dass durch die bewusst veränderte Adressierung von fünf Dimensionen ein langfristig, verbessertes Miteinander möglich sein kann.

Die Dimensionen sind:

  1. Zielsetzung Gewalt vorbeugen zu wollen, anstatt Gefahren abwehren zu wollen
  2. Weg über umfassendes Konflikt(dynamik)verständnis, anstatt Schuldzuweisung an Dritte
  3. Mittel über deeskalierende Mittel, anstatt über Drohung und Abschreckung
  4. Ethik Normen im Fokus und eigene Interessen veränderbar, anstatt strategischer Unterordnung von Normen unter nicht hinterfragte Interessen)
  5. Lernoffenheit bei Misserfolg Fehlerkultur etablieren und bewusst aufarbeiten, anstatt Selbstbestätigung ohne Selbstkritik

Friedenslogisches Handeln stellt also das Problem der Gewalt – unabhängig davon, wer sie ausübt, wen sie betrifft und in welcher Form sie vorliegt – in den Mittelpunkt. So liegt das Ziel in der Prävention und in der direkten Einhegung von Gewalt. Durch den präventiven Ansatz ist die Friedenslogik ein Ansatz der Konfliktbearbeitung – und stellt sich einer bedrohungslogischen „Versicherheitlichungsidee“ entgegen.

Friedenslogik fragt daher:

  • Wodurch ist das Problem der Gewalt zustande gekommen? (Systemische Konfliktanalyse)
  • Wie kann der zugrundeliegende Konflikt bearbeitet werden und wer muss einbezogen werden? (Zivile Konfliktbearbeitung: Deeskalierende, dialogische, vertrauensbildende, kooperative Mittel)
  • Welche ethischen Grundsätze sind dabei handlungsleitend? (Ethos der Humanität – Menschenrechte und Völkerrecht)
  • Wie wird mit Misserfolg umgegangen? (Konstruktive Fehlerkultur, Schadensvermeidung durch Wirkungsabschätzung)

Friedensorientierte Konfliktkompetenzen für die Handlungsfelder der Sozialwirtschaft

Innergesellschaftliche Konflikttransformation im eigenen Handlungsfeld gelingend zu adressieren, kann von allen Beteiligten als Herausforderung erlebt werden. Dies ist grundsätzlich festzustellen, gilt aber umso mehr vor dem Hintergrund der heutigen, vielfach transnationalen und thematisch verwobenen Konfliktlagen. Friedenslogische Prinzipien können als Haltungseinübung Orientierung in alltäglichen Konflikten geben und Eskalationsdynamiken von Konflikten entschärfen helfen.

Konkret fordert ein solches Vorgehen neben methodischen und handlungsbezogenen Konfliktkompetenzen die bewusst reflektierte Haltung von Fachkräften und eine Stärkung von Kompetenzen der Konfliktfähigkeit im Bereich Ambiguitätstoleranz. In praktischen Situationen, z.B. in der Sozialen Arbeit, tauchen immer wieder identitätsbezogene Konflikte und politische Großkonflikte miteinander verzahnt auf. Hier kann die Frage nach der gemeinsamen Bearbeitbarkeit (welche Foren braucht es dafür in meiner Arbeit?) und die nach der gezielten Beendigung/Prävention von Gewalt (Was können wir tun, um nicht zu einer Eskalation zu kommen? Wie können wir Gewalt beenden?) in den Mittelpunkt rücken.

Zur Unterstützung für Fachkräfte gibt es ein breites Angebot an Materialien (u.a. der Servicestelle Friedensbildung der lpb Baden-Württemberg) und Fortbildungen zu Gewaltbearbeitung und Konflikttransformation – eine Kompetenzsteigerung in diesen Bereichen ist nicht nur in Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Spannungen hilfreich. 

Quellen

Autor:innen
Melanie Hussak
Wiss. Mitarbeiterin Friedensinstitut Freiburg/Evangelische Hochschule Freiburg
Homepage

David Scheuing
verantwortender Redakteur „Wissenschaft und Frieden“
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