Niedrigschwelligkeit
Astrid Konter
veröffentlicht am 20.08.2019
Niedrigschwelligkeit in der Sozialen Arbeit bezeichnet eine Kategorie, gegebenenfalls im Rahmen einer Methode, durch die der Zugang zu einem Hilfsangebot oder zu sozialen Diensten für Menschen, die Unterstützung benötigen, ohne große Hürden oder Anforderungen ermöglicht werden soll.
Überblick
- 1 Zusammenfassung
- 2 Schwellen
- 3 AdressatInnen
- 4 Arbeitsfelder
- 5 Kennzeichen niedrigschwelliger Sozialer Arbeit
- 6 Gesellschaftliche Perspektive: Zweck und Ziel niedrigschwelliger Arbeit
- 7 Anthropologische Perspektive: Möglichkeiten und Grenzen niedrigschwelliger Arbeit
- 8 Konzeptionelle Aspekte und Verfahren
- 9 AkteurInnen
- 10 Quellenangaben
1 Zusammenfassung
Niedrigschwellige Zugänge richten sich an Menschen, die Unterstützung durch Soziale Arbeit ohne diese Zugangsermöglichung nicht in Anspruch nehmen bzw. nehmen können. Sie sind durch die Nichtinanspruchnahme existenziell gefährdet, befinden sich in prekären Lebenssituationen und/oder sie werden aufgrund von Ausgrenzungsstrukturen von gesellschaftlicher Partizipation ausgeschlossen.
Niedrigschwelligkeit fungiert insofern als Kommunikationsstrategie mit dem Ziel, der Nichtinanspruchnahme entgegenzuwirken, also die Kommunikation zu suchen. Dies geschieht vorwiegend über das Verstehen der Problemsituation und über die Beziehungsgestaltung ohne weitere Erwartungen an die AdressatInnen. Sie bezieht sich auf organisatorische und normative Dimensionen, die sich im fortlaufend zu reflektierenden und stets neu zu konzeptionierenden Angebot abbildet.
Die Notwendigkeit niedrigschwelliger Angebote ergibt sich aus (menschen-)rechtlichen Ansprüchen und Garantien z.B. bei Selbstgefährdung, Verwahrlosung, Diskriminierung und Ausgrenzung, Krankheit und Existenzgefährdung.
Gründe für die Nichtinanspruchnahme von Angeboten Sozialer Arbeit sind subjektiv und subjektiv folgerichtig. Um eine Akzeptanz der Angebote zu erreichen, ist das Verstehen dieser Folgerichtigkeit Voraussetzung.
Durch Flexibilisierung, auf die AdressatInnen abgestimmte Erreichbarkeit und durch Kostengünstigkeit bzw. -freiheit wird versucht, Zugänge zur Hilfe zu gewährleisten.
Art und Grad der Niedrigschwelligkeit variieren, den jeweiligen Bedürfnissen entsprechend stark.
Bislang gibt es keine eindeutige Begriffsbestimmung und keine einheitliche theoretische Fundierung für diese Kategorie. Allgemein wird der Begriff der Niedrigschwelligkeit verwendet, wenn konzeptionell die Zugangsermöglichung im Vordergrund steht.
2 Schwellen
Niedrigschwelligkeit als Terminus ist eine Metapher (Mayrhofer 2012, S. 10 ff.), also ein sprachliches Bild, das die Vorstellung über den Sachverhalt der Zugangserschwerung erleichtern soll. Jedoch ergeben sich durch das Assoziative des Begriffs auch vielfältige Interpretationsvarianten.
Als erschwerte Zugänge bzw. Schwellen kommen in Frage:
Art der Schwellen | Beispiele |
---|---|
räumlich | Erreichbarkeit |
zeitlich | Öffnungszeiten |
administrativ | Formulare |
monetär | Kosten |
kompetenzorientiert | Ausbildungsbildungsvoraussetzungen |
lebenslagenorientiert | alleinerziehend |
psychologisch | Angst, Scham, Überforderung |
strukturell und rechtlich | Aufenthaltsstatus, Krankenversicherung |
Zudem baut Ausgrenzung durch Rassismus, Klassismus, Sexismus und Bodyismus gezielt Zugangsschwellen auf, die dann aus dieser Vorurteilshaltung heraus in den davon betroffenen Personen selbst als defizitär verortet werden.
Der Begriff „Schwelle“ weist darauf hin, dass die Problemursache bei den AdressatInnen gesehen wird, da sie die Schwelle erleben und sie nicht überwinden oder überwinden können. Sie herabzusetzen bedeutet demnach ein aktives Entgegenkommen. Menschen mit Hilfebedarf, die sich der Sozialen Arbeit entziehen bzw. sie nicht in Anspruch nehmen (wollen) und damit nicht zu Fällen werden (wollen), sollen an das Hilfesystem gekoppelt werden (Lindner 2008, S. 578–588). Dass zuvor in den konventionellen Angeboten Hindernisse zur Nutzung eingebettet wurden, wird durch den Begriff verschleiert. Die Metapher definiert eine Differenzbildung zwischen denjenigen, die in der Lage sind, Hilfe in Anspruch zu nehmen und denjenigen, die es nicht tun. Schwellenabbau als Entgegenkommen impliziert „eine Chance geben“. Der Aspekt der die Schwelle bedingende und vorausgehenden Ausgrenzungsbewegung, die die Selektion herstellt, wird mit dieser Bezeichnung umgangen.
3 AdressatInnen
AdressatInnen niedrigschwelliger Arbeit sind Menschen, die aus Situationen, die prekär bis existenzbedrohend sind, nicht allein herausfinden oder die aufgrund gesellschaftlicher Konstruktionen bzw. aufgrund ihrer persönlichen Lebenssituation an garantierten Rechten nicht teilhaben können. Sie können die vorhandenen Strukturen und Maßnahmen – unabhängig davon, wo die Ursache dafür liegt – nicht für sich nutzen, sodass Hindernisse abgebaut werden müssen.
4 Arbeitsfelder
Niedrigschwellige Arbeit konkretisiert sich in Offenen Einrichtungen (Tagestreffs, Jugendhäuser, Kontaktläden, Druckräume), Streetwork, Notübernachtungen, Kältebussen, Tafeln, Aufsuchender Arbeit und Einrichtungen der Gesundheitsversorgung. Betrafen die Arbeitsfelder lange Zeit fast ausschließlich Menschen in Armut, entstehen inzwischen zunehmend niedrigschwellige Zugänge innerhalb eigentlich hochschwelliger Methoden: So gilt beispielsweise Beratung als hochschwelliges Angebot. Kann sie mit Übersetzung ohne Sprachbarrieren innerhalb einer offenen Sprechstunde anonym angeboten werden, ist Niedrigschwelligkeit in die Methode implementiert. Gleiches gilt beispielsweise für die niedrigschwellige Bildungsarbeit, wenn ein Deutsch-Sprachkurs für MigrantInnen organisiert wird, der eine Kinderbetreuung vorhält. Der Einsatz ehrenamtlicher HelferInnen für häusliche Betreuungsdienste oder außerhäusliche Betreuungsgruppen im Pflegebereich wird ebenso aufgrund der Flexibilität und der Kostengünstigkeit als niedrigschwellig bezeichnet.
5 Kennzeichen niedrigschwelliger Sozialer Arbeit
Einige Kennzeichen niedrigschwelliger Arbeit bilden auch die Basis für hochschwellige Konzepte. Hier liegt jedoch das Augenmerk auf folgenden Aspekten:
- größtmögliche Ausrichtung auf die Erfordernisse und Bedürfnisse der AdressatInnen
- Akzeptanz, z.B. bei Sucht oder psychischen Auffälligkeiten
- Freiwilligkeit der Nutzung durch die AdressatInnen ohne Sanktionen bei Nichtinanspruchnahme
- möglichst geringe Erwartungen an NutzerInnen, z.B. wird eine sogenannte Krankheitseinsicht nicht vorausgesetzt
- möglichst wenig Bedingungen, z.B. bezüglich des Aufenthaltsstatus
- Reduktion des strukturellen Rahmens auf ein Minimum mit möglichst wenig Regeln
- Ermöglichung struktureller Angebote wie z.B. die Einrichtung einer Postadresse
- besonderer Schutz der Privat- bzw. Persönlichkeitssphäre bis hin zur Anonymität
- Möglichkeit, die Unterstützung unauffällig in Anspruch zu nehmen
- Sozialraumorientierung, Lebensweltorientierung, Alltagsnähe
- geringstmögliche Verwaltungsintensität
6 Gesellschaftliche Perspektive: Zweck und Ziel niedrigschwelliger Arbeit
Niedrigschwellige Konzeptionen zielen auf die Gewährleistung einer menschenrechtsmotivierten Unterstützung, setzen Partizipationsprozesse in Gang, stoßen Handlungsfähigkeit an, stellen Würde und Autonomie wieder her und wirken der gesellschaftlichen Entsolidarisierung entgegen.
Gleichzeitig werden damit Kontrollaufgaben bei AdressatInnen umgesetzt, die sich ansonsten der Kontrolle entziehen. Eine Zielgruppe in den Fokus der Hilfen zu nehmen bedeutet dann, sie fassbar, sie zum „Fall“ für die Soziale Arbeit zu machen. Damit kann der Zweck einhergehen, sie der Sichtbarkeit zu entziehen, indem ihr ein neuer Ort zugewiesen wird. Das Ziel, Ausgrenzung entgegenzuwirken, umfasst dann gleichzeitig selbst eine Ausgrenzungsrichtung (z.B. Drogenabhängige von der Straße holen und sie damit der Sichtbarkeit zu entziehen), um damit vordergründig die Sicherung der öffentlichen Ordnung zu gewährleisten.
Mayrhofer fokussiert die Anschlussfunktion der niedrigschwelligen Arbeit an die bestehenden Angebote der Sozialen Hilfe (Mayrhofer 2012, S. 147) ebenso wie Lindner, der den Begriff der Kopplung verwendet (Lindner 2008, S. 578–588). Nach Mayrhofer steht das Bemühen um die Sozialisation der AdressatInnen in die KlientInnenrolle im Vordergrund (Mayrhofer 2012, S. 156).
Die Diskussion um Ziel und Zweck niedrigschwelliger Konzepte reflektiert die hinter den Zielen stehenden Haltungen und Absichten kritisch. In niedrigschwelligen Arbeitsfeldern erfährt das Spannungsfeld des Tripelmandats (KlientIn, Staat und Profession) seine besondere Zuspitzung. Der Kontrollauftrag an die Soziale Arbeit verschwindet nicht durch niedrigschwellige Konzeptionierung (Höllmüller 2017, S. 29).
7 Anthropologische Perspektive: Möglichkeiten und Grenzen niedrigschwelliger Arbeit
Idealerweise implizieren niedrigschwellige Konzeptionen ein Verständnis vom Menschen als handlungsfähiges und für sich selbst die beste Lösung suchendes Subjekt. Es wird anerkannt, dass Menschen die üblichen Angebote nicht nutzen, weil die Passung mit vorhandenen Angeboten fehlt, und nicht weil sie nicht handlungsfähig seien (Scheu und Autrata 2017, S. 73).
Transparente Kommunikation legt offen, welche Angebote zu welchen Bedingungen geleistet werden können und welche nicht vorgehalten werden. Transparenz gehört zudem zum Kernverhalten in der kooperativ intendierten Begegnung auf Augenhöhe. Niedrigschwelligkeit gründet über das Medium des Verstehens vor allem auf einem Beziehungsangebot (Scheu und Autrata 2017, S. 68), das als gemeinsame Problemlösungssuche verstanden wird.
Entwicklung und Veränderung braucht Begegnung bzw. die Auseinandersetzung mit Sachverhalten. In niedrigschwelligen Einrichtungen ist es möglich, Erfahrungen mit einem Gegenüber zu machen, das sich möglichst vorurteilsfrei verhält und so eine angstreduzierende Atmosphäre schafft. Vertrauensvolle Beziehungen bieten die Ausgangsbasis für Sicherheit und Stabilität, auf deren Basis der Boden für weitere Hilfen geschaffen werden kann.
Aus anthropologischer Perspektive erhalten sensible Phänomene des Lebens wie Krise, Begegnung, Sinn, Wachstum, Wünsche, Erwartungen oder Not ein besonderes Augenmerk für die Entwicklung von Konzeptionen im niedrigschwelligen Bereich.
8 Konzeptionelle Aspekte und Verfahren
Bislang wurde Niedrigschwelligkeit nicht als eigenständige Methode verstanden und ausgearbeitet, obwohl Handlungsfelder wie Streetwork nicht in das konventionelle Methodenrepertoire passen. Konzeptaspekte der Niedrigschwelligkeit können jedoch Bestandteile von Beratung, Quartiermanagement oder Gruppenarbeit sein.
Bestimmte Aspekte werden in offeneren Strukturen Sozialer Arbeit besonders relevant:
- Akzeptanz und Wertschätzung
- die Balance zwischen Versorgung und Selbstversorgung
- Schaffen von Schutz und Sicherheit, um Handlungsfähigkeit anzustoßen
- der Grad und die Art und Weise der Öffnung kommunikativer Räume
- Implementierung von Bildungsaspekten im weitesten Sinne
Im Mittelpunkt steht das Beziehungsangebot, da in vielen Bereichen die AdressatInnen nur noch über diesen Weg erreichbar sind. Beziehungsgestaltung bedeutet dann, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, von der Situation des Klientels auszugehen und möglichst wenig Vorbedingungen zu stellen.
Dabei gibt es Teilverfahren, die spezifisch für den niedrigschwelligen Bereich sind und die in konventionellen Angeboten aufgrund der erforderlichen Verbindlichkeit im Kontrakt der Beteiligten und aufgrund des Settings so nicht dauerhaft möglich und durchhaltbar sind:
- Unverbindlichkeit zulassen
- Hoher Grad an Freiwilligkeit
- aufmerksame Präsenz, Verfügbarkeit, aktives, beobachtendes Nichtstun durch die AkteurInnen
- Akzeptanz als Haltung und gleichzeitig als Mittel
- keine oder wenig Erwartung an Verhalten, abgesehen von Abwesenheit von Gewaltverhalten
- Gewährenlassen
- Nutzen der Unmittelbarkeit im Alltag
- hohe Variabilität zulassen, Spielräume gestalten
- ggf. Szenenähe
- spezifische Kommunikationsstrukturen, z.B. Tür-und-Angel-Gespräche
- spezifischer Umgang mit Grenzen und Entgrenzung
- Primärversorgung (medizinisch, Unterkunft, Verpflegung)
- Schutzraum herstellen
- schnelle Anpassungsfähigkeit und Veränderung in der Konzeption
Gerade die hier beschriebenen Teilverfahren sowie die Lebensweltorientierung geben häufig Anlass dazu, niedrigschwellige Arbeit als weniger professionell aufzufassen als stark strukturierte Maßnahmen.
Weitere allgemein geltende Handlungsmöglichkeiten bzw. Verfahren, die umgesetzt werden können, sind:
- Regeln
- Beziehungssicherheit herstellen
- Ruhe und Sicherheit herstellen
- Psychoedukation
- Information
- Wertschätzung (im professionellen Verhalten, aber auch durch Raumgestaltung etc.)
- Vertrauen aufbauen
- Kooperation mit gesamtem Hilfesystem
- Lernräume schaffen
- Ressourcen- statt Defizitorientierung
Mayrhofer (Mayrhofer 2012, S. 159 ff.) erkennt eine Einteilung der Vorgehensweisen in folgende Dimensionen:
- zeitliche Dimension
geringe Voraussetzung an Zeitstruktur und -disziplin, offene Tagesstrukturierung, flexible Gestaltung der Öffnungszeiten u.ä. - räumliche Dimension
Erreichbarkeit, bauliche Gestaltung etc. - inhaltliche Dimension
Offenheit, Akzeptanz, Erkennen der Problemlagen, basal ist immer die Kontaktaufnahme - soziale Dimension
Art der Beziehung, Anonymität, Kontrolle, Angstreduktion
Wünschenswert wäre, einheitliche Konzeptgrundlagen zu entwickeln wie
- Stärkung von Autonomie und Selbstwirksamkeit
- Ermöglichung von neuen interdependenten bzw. kommunikativen Erfahrungen
- Unterstützung der Selbstversorgung
- an die Bedürfnisse der Zielgruppe angepasste Bildungsangebote
- Förderung durch wertschätzende, akzeptierende Haltung und schützende Umgebung
- Unterstützung von individuellen Ressourcen als basale Grundausrichtung
- Reflexion der Weitervermittlung innerhalb des Hilfesystems
(Konter 2008, S. 11–15)
9 AkteurInnen
An die Persönlichkeit der MitarbeiterInnen in der niedrigschwelligen Arbeit werden durch die hohe Komplexität der Aufgabe besondere Anforderungen gestellt. In der Sozialen Arbeit geht man i.d.R. von der Notwendigkeit professioneller Distanz aus, die die berufliche Rolle auszeichnen soll. Im Rahmen niedrigschwelliger Arbeit gilt jedoch, sich der professionellen Nähe in der Interaktion bewusst zu sein, da in den meisten Fällen die Beziehung an sich im Alltag als Mittel eingesetzt wird. Als greifbare Person zu handeln und gleichzeitig das Bewusstsein über den professionellen Rahmen zu bewahren, setzt hohe Kompetenzen voraus, Beziehung und Kommunikation zu gestalten (Dörrlamm 2006, S. 155–160).
Persönliche Einstellungen und Haltungen, die regelmäßig zur Voraussetzung professionellen Handelns gehören wie Akzeptanz oder Wertschätzung, werden im niedrigschwelligen Bereich sehr explizit erforderlich und müssen kontinuierlich reflektiert werden.
Nachdrücklicher als in anderen Bereichen ist die Fähigkeit Voraussetzung, die Lebensrealität der Zielgruppe so anzunehmen wie sie ist und nicht von Anfang an auf Veränderung hinzuarbeiten. Es gilt, den Willen des/der AdressatIn aushalten zu können, auch wenn Situationen schädigend zu sein scheinen oder schädigend sind. Häufig können Problemsymptome lediglich gemildert oder nur ein Stillstand der Entwicklung erreicht werden (harm reduction).
SozialarbeiterInnen sollten sich darüber im Klaren sein, welche Verhaltensweisen für sie angstauslösend sein können oder sie hilflos machen wie beispielsweise die Konfrontation mit (scheinbar) ausweglosen Lebenssituationen.
Empathie, Geduld und Hoffnung, hohe Anpassungsfähigkeit im Wahrnehmen und Handeln, das Spannungsfeld von Containment und Selbstsorge gestalten und gleichzeitig die Fähigkeit zur gesellschaftlichen Analyse sowie zur politischen Positionierung gehören dazu. SozialarbeiterInnen in diesem Handlungsfeld müssen mit Vorurteilen und Ausgrenzung umgehen, mit schwierigen bis gefahrvollen Situationen zurechtkommen, aber auch scheinbar unauffälliges Verhalten verstehen, (vor-)krisenhafte psychische Zustände erkennen und ihre Einordnung und Bewertung – von außen und durch sie selbst – reflektieren.
Gleichsam besteht die Anforderung, Verbindlichkeit der angebotenen Leistungen, reflexive Verlässlichkeit und variable Beziehungsgestaltung im alltagsorientierten Sozialraum zu realisieren und zu koordinieren (Kunstreich 2012, S. 89). Zur Aufgabe gehört ebenso, Menschen zusammenzubringen, die sich gegenseitig unterstützen, Möglichkeiten miteinander zu verknüpfen, kooperativ zu handeln statt wissend, und sich dann ggf. zurückzuziehen und damit die eigene AutorInnenschaft zu kaschieren (Kunstreich 2012, S. 91).
Soziale Arbeit im niedrigschwelligen Bereich umfasst die Parteilichkeit für die AdressatInnen. Sie ist Interessenvertretung für sie und wirkt auf politischer Ebene in Gremien, Arbeitskreisen und bei den sozialpolitisch Verantwortlichen durch verständige Formulierung der entsprechenden Lebenslagen und ihrer Auswirkungen.
Eine Stärkung des niedrigschwelligen Bereichs, der ohne fachspezifische Fortbildungen, Sicherheitsvorkehrungen im Rahmen der Arbeit und besondere Staffcare von Arbeitgeber- bzw. Auftragsseite im Allgemeinen nicht auskommt, ist somit unerlässlich.
10 Quellenangaben
Arnold, Helmut und Hubert Höllmüller, Hrsg., 2017. Niederschwelligkeit in der Sozialen Arbeit. 1. Auflage. Weinheim: Beltz Juventa. ISBN 978-3-7799-3292-5 [Rezension bei socialnet]
Dörrlamm, Martin, 2006. Professionelle Nähe – auf Distanz zum Status quo. In: Widersprüche. Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich. 26(100), S. 155–160. ISSN 0721-8834
Galuske, Michael und Werner Thole, 1999. „Raus aus den Amtsstuben…“: Niedrigschwellige, aufsuchende und akzeptierende sozialpädagogische Handlungsansätze – Methoden mit Zukunft?. In: Reinhard Fatke, Walter Hornstein, Christian Lüders und Michael Winkler, Hrsg. Erziehung und sozialer Wandel. Brennpunkte sozialpädagogischer Forschung, Theoriebildung und Praxis. Zeitschrift für Pädagogik, Beiheft 39. Weinheim: Beltz, S. 183–202. ISSN 0514-2717
Höllmüller, Hubert, 2017. Niederschwelligkeit und dann? Plädoyer für ein eigenständiges Konzept Sozialer Arbeit. In: Helmut Arnold und Hubert Höllmüller, Hrsg. Niederschwelligkeit in der Sozialen Arbeit. Weinheim: Beltz Juventa, S. 20–31. ISBN 978-3-7799-3292-5 [Rezension bei socialnet]
Hörter, Thomas, 2011. Niedrigschwellige Drogenhilfe zwischen Akzeptanz, Pathologisierung und Mündigkeit. Frankfurt am Main: Protagoras Academicus. ISBN 978-3-94305-902-1
Konter, Astrid, 2008. Niedrigschwellige Erwachsenenbildung in der Arbeit mit Frauen in schwierigen Lebenssituationen. In: Wohnungslos. 50(1), S. 11–15. ISSN 0948-7441
Kunstreich, Timm, 2012. Sozialer Raum als „Ort verlässlicher Begegnung“. Ein Essay über Verbindlichkeit und Verlässlichkeit. In: Widersprüche. Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich. 32(125), S. 87–92. ISSN 0721-8834
Lindner, Ronny, 2008. Hauptsache Kopplung: Eine Definition Niederschwelliger Sozialarbeit. In: Neue Praxis. Zeitschrift für Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Sozialpolitik. 38(6), S. 578–588. ISSN 0342-9857
Mayrhofer, Hemma, 2012. Niederschwelligkeit in der Sozialen Arbeit: Funktionen und Formen aus soziologischer Perspektive. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. ISBN 978-3-65800-192-6
Scheu, Bringfriede und Otger Autrata, 2017. Das Mensch-Sein verstehen: Basis für Niedrigschwelligkeit. In: Helmut Arnold und Hubert Höllmüller, Hrsg. Niederschwelligkeit in der Sozialen Arbeit. Weinheim: Beltz Juventa, S. 62–78. ISBN 978-3-7799-3292-5 [Rezension bei socialnet]
Uhrig, Winfried, 1997. Standards niedrigschwelliger Angebote der Wohnungslosenhilfe. In: Wohnungslos. 39(4), S. 141–144. ISSN 0948-7441
Verfasst von
Astrid Konter
Dipl.-Sozialarbeiterin (FH)
Musikwissenschaft, Pädagogik und Psychologie (M.A.)
Seminare in professionsbezogener Selbstreflexion und prekäre Lebenslagen
Traumaberaterin
TZI-Coach (Themenzentrierte Interaktion)
Langjährig tätig in der sozialen Arbeit mit Menschen in prekären Lebenslagen
Leiterin einer Einrichtung für Menschen mit seelischer Behinderung
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Es gibt 2 Lexikonartikel von Astrid Konter.
Zitiervorschlag
Konter, Astrid,
2019.
Niedrigschwelligkeit [online]. socialnet Lexikon.
Bonn: socialnet, 20.08.2019 [Zugriff am: 10.10.2024].
Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/4960
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