Adult Attachment Projective Picture System
Dr. phil. Janet Langer
veröffentlicht am 04.12.2020
Das Adult Attachment Projective Picture System ist ein Verfahren zur Erhebung der Bindungsmuster im Kindes- und Jugendalter.
Überblick
- 1 Zusammenfassung
- 2 Aufbau und Durchführung
- 3 Auswertung
- 4 Gütekriterien
- 5 Bewertung
- 6 Quellenangaben
1 Zusammenfassung
Das Adult Attachment Projective (auch Adult Attachment Picture System, AAP; George, West und Pettem 1997, George und West 2001) ist ein objektives, zuverlässiges und valides Interviewverfahren, bei dem der interviewten Person Bilder zu bindungsrelevanten Ereignissen vorgelegt werden. Anhand der Erzählung der interviewten Person kann auf das innere Regelsystem, das internale Arbeitsmodell von Bindung, geschlossen werden (George, West und Kißgen 2009). Erfasst werden Bindungserfahrungen mit den primären wie auch sekundären Bezugspersonen. Das AAP stellt eine zeitökonomische Alternative zum Adult Attachment Interview dar. Es lässt sich als Diagnostikinstrument in der Forschung und Therapie einsetzen.
2 Aufbau und Durchführung
Eine Bindungsdiagnostik mit dem AAP kann im Rahmen von Forschung oder Therapie eingesetzt werden. Dabei führt eine geschulte Person das Interview durch. Das Verfahren basiert ähnlich des Separation Anxiety Tests (SAT) auf acht Bildvorlagen, die der interviewten Person vorgelegt werden. Beginnend mit einem neutralen Stimulus, bilden sieben schemenhaften Umrisszeichnungen bindungsrelevante Themen wie Trennung, Verlust, Alleinsein, Bedrohung und Krankheit ab und evozieren so eine zunehmende Aktivierung des Bindungsverhaltenssystems (Buchheim, George und West 2003; siehe auch Bindungstheorie). Beispielsweise zeigt Bild sechs (Krankenwagen) eine ältere Frau und ein Kind, die durch ein Fenster einen Krankenwagen sowie zwei Sanitäter mit einer Trage beobachten, vergleichbar zum Bild zwei im SAT. Ein weiteres Bild zeigt einen Mann allein an einem Grabstein stehend (Friedhof). Nach George, West und Kißgen (2009) spiegeln sich in den Bildern die drei Theoreme der Bindungstheorie wider:
- Das Bindungsverhaltenssystem wird nur in Situationen von bindungsbezogenem Stress aktiviert, die in den Bildern dargestellt sind.
- Die monadische (z.B. das Bild Friedhof, auf dem nur eine Person abgebildet ist) und dyadische Darstellung (z.B. das Bild Krankenwagen, auf dem zwei Personen abgebildet sind) ermöglichen, die Bindungsrepräsentation zu einer realen (abgebildeten) oder internalisierten Bindungsfigur zu erheben (siehe Bindungstheorie).
- Bindung ist ein lebenslanges Thema, was sich durch die Darstellung jüngerer und älterer Personen in den Bildtafeln des AAP widerspiegelt.
Anhand standardisierter Fragen wird exploriert, wie die interviewte Person die Entstehung der Situation erklärt, was die Personen auf den Bildern denken und fühlen und wie die Geschichte ausgehen könnte (George, West und Kißgen 2009). Die Durchführung des AAP dauert ca. 30 Minuten (Buchheim, George und West 2003).
3 Auswertung
Grundlage der Auswertung stellt ein wortwörtliches Transkript der Narration dar. Mit dem AAP können die vier Bindungsmuster sicher-autonom (F), unsicher-distanziert (Ds), unsicher-verstrickt (E) und der unverarbeitete Bindungsstatus (U) ermittelt werden (Buchheim, George und West 2003). Die Auswertung erfolgt nach dem Inhalt der Geschichten, den Abwehrprozessen und der Qualität des Diskurses (Buchheim, George und West 2003; George, West und Kißgen 2009). Der Inhalt der Geschichten spiegelt die Qualität der Beziehung der interviewten Person wider. Durch die unterschiedliche Darstellung kann sowohl die Bindungsqualität zur internalisierten als auch abgebildeten Bindungsfigur ermittelt werden (George, West und Kißgen 2009). Die Beurteilung der Bindungsqualität erfolgt auf der Grundlage von Aussagen zur Selbstwirksamkeit, Verbundenheit und Synchronie. Die Selbstwirksamkeit spiegelt die Fähigkeit der interviewten Person wider, interne oder externe Ressourcen zur Stressbewältigung bzw. zur Bewältigung bedrohlicher Situationen zu nutzen. Der Marker der Verbundenheit wird vergeben, wenn die Absicht erkennbar wird, Nähe zu einer anderen Person herzustellen. Ein weiterer Marker stellt die Abstimmung (Synchronie) der Figuren untereinander dar. Synchrone Beziehungen liegen dann vor, wenn sich das Handeln der Figuren aufeinander bezieht und alle abgebildeten Personen in der Geschichte thematisiert werden (George, West und Kißgen 2009, S. 206).
Drei Abwehrprozesse können in Anlehnung an Bowlby (2006) im AAP kodiert werden: die Deaktivierung, die kognitive Abkopplung und die abgetrennten Systeme. Die Deaktivierung ist typisch für unsicher-distanziert gebundene Personen. Der Abwehrprozess der kognitiven Abtrennung tritt hingegen bei unsicher-verstrickt gebundenen Individuen auf (George, West und Kißgen, 2009 S. 207–208). Abgetrennte Systeme weisen hingegen auf einen unverarbeiteten Bindungsstatus hin (Buchheim, George und West 2003, S. 422). Kodiert werden sie dann, wenn im Interview offenkundig ist, dass die dargestellte Person schutzlos ist und die Person selbst als handlungsunfähig beschrieben wird. Weiterhin sind unerwartete Abbrüche des Interviews Hinweise auf abgetrennte Systeme (George, West und Kißgen 2009, S. 209). Bei dem Vorliegen eines abgetrennten Systems ist die Beurteilung des Verarbeitungszustandes des Traumas als gelöst bzw. ungelöst von entscheidender Bedeutung. Eine Situation gilt dann als gelöst, wenn Schutz hergestellt wird oder die interviewte Person den Einschub selbst wahrnimmt und thematisiert (George, West und Kißgen 2009, S. 209; Buchheim, George und West 2003, S. 422).
Die Diskursqualität stellt eine weitere Auswertungsdimension dar. Hierfür werden die Kohärenz auf inhaltlicher und formaler Ebene sowie das Einbringen autobiografischer Erfahrungen im Interview berücksichtigt (George, West und Kißgen 2009). Beim AAP handelt es sich nicht um ein autobiografisches Interview, weshalb Berichte in Ich-Form nicht intendiert sind und als Verstoß gegen die Kohärenz der Erzählung interpretiert werden (George, West und Kißgen 2009, S. 207).
Beim Auswertungsvorgehen findet zunächst eine Unterscheidung in organisiert oder unverarbeitet statt. Liegt ein organisierter Bindungsstatus vor, wird anhand der drei Dimensionen Inhalt, Diskurs und Abwehr geprüft, ob es sich um die sicher-autonome Bindungsrepräsentanz handelt. Bedrohliche Ereignisse können auch hier genannt werden, werden jedoch gelöst und integriert. Liegt keine sichere Bindungsrepräsentation vor, wird überprüft, ob eine unsicher-distanzierte bzw. unsicher-verstrickte Bindung vorliegt. Dies geschieht anhand der Untersuchung möglicher Abwehrprozesse (George, West und Kißgen 2009, S. 210–214).
4 Gütekriterien
Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Gütekriterien des Diagnostikinstrumentes. Die Objektivität des Verfahrens wird durch ein intensives Training und standardisierte Erhebung abgesichert. Eine gute bis sehr gute Inter-Rater-Reliabilität, d.h. der Übereinstimmung unabhängiger Kodierer*innen wurde in verschiedenen Studien belegt (Buchheim, George und West 2003, George, West und Kißgen 2009, George und West 2012). Die Test-Retest-Reliabilität in den vier Bindungsmustern lag bei einer Übereinstimmung von 84 bis 89 Prozent (sicher vs. unsicher: 91 bis 100 Prozent, Buchheim, George und West 2003, George, West und Kißgen 2009, George und West 2012). Die Konstruktvalidität wurde im Vergleich zum Adult Attachment Interview (AAI, George, Kaplan und Main 1996), mit einer Übereinstimmung von 90 bis 92 bzw. 97 Prozent belegt (Buchheim, George und West 2003, George, West und Kißgen 2009, George und West 2012). Ein gegenteiliges Ergebnis erzielten Jones-Mason et al. (2015), die eine konvergente Validität mit dem AAI nicht ermitteln konnten. Die fehlende Übereinstimmung wird auf die inhaltlichen und methodischen Unterschiede und Auswertungsrichtlinien von AAP und AAI zurückgeführt (George und West, 2012 S. 51). Weiterhin konnten signifikante Zusammenhänge einer unsicheren Bindung im AAP mit dem sozioökonomischen Status festgestellt werden. Das Bindungsmuster der Mutter im AAP war wiederum prädikativ für die Entstehung von Verhaltensauffälligkeiten beim Kind und dessen Bindungsmuster (Buchheim, George und West 2003). In einer Untersuchung zur diskriminanten Validität wurden keine signifikanten Zusammenhänge zwischen dem Bindungsmuster im AAP, der verbalen Intelligenz und sozialen Erwünschtheit (George und West 2012, S. 46) sowie zur Geschichtenlänge und soziodemografischen Angaben von adoleszenten Interviewten festgestellt (Gander et al. 2017). Eine Übersicht über die Gütekriterien findet sich in Tabelle 1.
5 Bewertung
Die angegebene Durchführungs- und Auswertungszeit, die im Vergleich zum Adult Attachment Interview deutlich kürzer ausfällt, macht das AAP zu einer zeitökonomischen Alternative zum AAI. Allerdings ist in der Zeitangabe die Transkription der Narration noch nicht inbegriffen. Ein weiterer Unterschied zum AAI ist, dass nicht nur die Bindungsrepräsentationen zu primären Bindungspersonen, sondern auch anderen, sekundären Bindungspersonen erfasst wird (Ravitz et al. 2010). Ein weiterer Unterschied zwischen den Diagnostikinstrumenten besteht in der Sensitivität der Erhebung von Traumata. Während das AAI vor allem Kindheitstraumata erfasst, lassen sich im AAP ebenso Traumata im Lebenslauf erheben (Buchheim, George und West 2003).
6 Quellenangaben
Bowlby, John, 2006. Verlust, Trauer und Depression. München: Ernst Reinhardt. Bindung und Verlust. Band 3. ISBN 978-3-497-01832-1
Buchheim, Anna, Carol George und Malcolm West, 2003. Das Adult Attachment Projective (AAP) – Gütekriterien und neue Forschungsergebnisse. In: PPmP: Psychotherapie Psychosomatik Medizinische Psychologie. 53(9-10), S. 419–427. ISSN 0937-2032
Gander, Manuela, Carol George, Dan Pokorny und Anna Buchheim, 2017. Assessing attachment representations in adolescents: Discriminant validation of the Adult Attachment Projective Picture System. In: Child Psychiatry and Human Development [online]. 48(2), S. 270–282 [Zugriff am: 01.12.2020]. ISSN 1573-3327. Verfügbar unter: doi:10.1007/s10578-016-0639-2
George, Carol und Malcolm L. West, 2001. The development and preliminary validation of a new measure of adult attachment: the Adult Attachment Projective. In: Attachment & Human Development [online]. 3(1), S. 30–61 [Zugriff am: 01.12.2020]. ISSN 1469-2988. Verfügbar unter: doi:10.1080/14616730010024771
George, Carol und Malcolm L. West, 2012. The adult attachment projective picture system: Attachment theory and assessment in adults. New York: Guilford Press. ISBN 978-1-4625-0425-1
George, Carol, Nancy Kaplan und Mary Main, 1996. Adult Attachment Interview. Berkleley: University of Calidornia
George, Carol, Malcolm L. West und Rüdiger Kißgen, 2009. Diagnostik der Bindungsqualität im Jugendalter – Das Adult Attachment Projective (AAP). In: Henri Julius, Barbara Gasteiger-Klicpera und Rüdiger Kißgen, Hrsg. Bindung im Kindesalter: Diagnostik und Interventionen. Göttingen: Hogrefe, S. 199–222. ISBN 978-3-8017-1613-4 [Rezension bei socialnet]
George, Carol, Malcolm L. West und Odette Pettem, 1997. The adult attachment projective. Unpublished attachment measure and coding manual. Oakland
Jones-Mason, Karen, I. Elaine Allen, Steve Hamilton und Sandra J. Weiss, 2015. Comparative validity of the Adult Attachment Interview and the Adult Attachment Projective. In: Attachment & Human Development [online]. 17(5), S. 429–447 [Zugriff am: 01.12.2020]. ISSN 1469-2988. Verfügbar unter: doi:10.1080/14616734.2015.1075562
Ravitz, Paula, Robert Maunder, Jon Hunter, Bhadra Sthankiya und William Lancee, 2010. Adult attachment measures: a 25-year review. Journal of Psychosomatic Research [online]. 69(4), 419–432 [Zugriff am: 01.12.2020]. ISSN 0022-3999. Verfügbar unter: doi:10.1016/j.jpsychores.2009.08.006
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