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Affektpsychose

Prof.em Dr. Alexa Köhler-Offierski

veröffentlicht am 14.02.2018

Synonyme: affektive Psychose; Zyklothymie

Veraltet für: Affektive Störungen

Medizinischer Disclaimer: Herausgeberin und Autor:innen haften nicht für die Richtigkeit der Angaben. Beiträge zu Gesundheitsthemen ersetzen keine ärztliche Beratung und richten sich nur an Fachleute.

Der Begriff der Affektpsychose wurde 1911 eingeführt für Melancholie/endogene Depression bzw. für Manie, da hier eine Affektstörung als das Kennzeichnende der Erkrankung angesehen wurde. Eine andere Bezeichnung ist Zyklothymie. Affektive Psychose beschreibt also die psychotischen Störungen, bei denen die Veränderung der Stimmung im Vordergrund steht. Die Psychose kann sich bei depressiver Stimmung in Verarmungs-, Schuld- und/oder hypochondrischem Wahn äußern, bei manischer Stimmung in Größenwahn.

Sowohl der Begriff Affektpsychose wie der Begriff affektive Psychose wird in den aktuellen diagnostischen Manualen (ICD-10-WHO Version 2016, Kapitel V; DSM-5 2015) nicht mehr verwendet. Stattdessen wird der Begriff Affektive Störungen verwendet.

Eine Psychose wird beschrieben als „komplexe psychische Störung mit gestörtem Selbst- u. Realitätsbezug, die durch Denk-, Wahrnehmungs- u. motorische Störungen, abnorme Erlebnisse u. Erfahrungen eines gesteigerten subjektiven Bedeutungsbewusstseins gekennzeichnet ist.“ (Margraf und Müller-Spahn 2009, S. 649)

Eine Psychose betrifft also die Person und ihr Verhältnis zur Außen- und Mitwelt, zentral ist der Verlust der Realitätsprüfung. Anders formuliert kommt es dadurch zu einem Prozess des Sich-Fremd-Werdens, des Verlustes des Selbstverständlichen. Dies kann von den Betroffenen auch erlebt werden als „[…] tiefe Begegnung mit sich selbst, der Konfrontation mit unbewussten Geschehnissen, die im positiven Sinne eine große Bedeutung bekommen kann – vorausgesetzt, die Auseinandersetzung gelingt konstruktiv.“ (Bock und Heinz 2016, S. 13). „Zugleich waren mit der Nomenklatur Entstehungstheorien verbunden […] Psychosen wurden […] entweder als organisch verursacht (»exogenen Psychose«) oder als Folge eines unbekannten, letztlich biologischen Prozesses (»endogene Psychose«) aufgefasst.“ (Küchenhoff 2012, S. 12–13). Auch Eugen Bleuler sprach davon, dass die Bezeichnung endogen „[…] die Mangelhaftigkeit unseres Wissens elegant verkleidet […]“ (Bleuler 1975, S. 458). In den jetzigen diagnostischen Manualen (ICD-10-WHO Version 2016, Kapitel V; DSM-5 2015) wird der Begriff psychotisch deskriptiv verwendet. Die og. Entstehungstheorien wurden zugunsten eines Verständnisses des Ineinandergreifens von sozialen, psychischen und biologischen Faktoren und Prozessen verlassen.

Kritisch zu fragen ist auch, ob der depressive bzw. manische Affekt die einzigen Affekte sind, die eine Psychose charakterisieren können. Tatsächlich wurde in eine Systematisierung von Karl Kleist der Angstaffekt als das Wesentliche angesehen, bezogen auf Angstpsychose und Angstdepression mit agitierter bzw. stuporöser Form, dies hat sich aber nicht durchgesetzt (Peters 1999, S. 11).

Quellenangaben

Bleuler, Eugen und Manfred Bleuler, 1975. Lehrbuch der Psychiatrie. 13. neu bearbeitete Aufl. Berlin, Heidelberg, New York: Springer. ISBN 978-3-540-07217-1

Bock, Thomas und Andreas Heinz, 2016. Psychosen. Ringen um Selbstverständlichkeit. Köln: Psychiatrie Verlag. ISBN 978-3-88414-602-6 [Rezension bei socialnet]

DIMDI, 2016. ICD-10-WHO Version 2016 [online]. Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme 10. Revision, Version 2016 mit Aktualisierung vom 21.12.2015. Köln: Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information, 21.12.2015 [Zugriff am 14.02.2018]. Verfügbar unter: https://www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-10-who/kodesuche/onlinefassungen/htmlamtl2016/index.htm

Falkai, Peter und Hans-Ulrich Wittchen, Hrsg., 2015. Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen DSM-5. 1. Auflage. Göttingen: Hogrefe. ISBN 978-3-8017-2599-0

Küchenhoff, Joachim, 2012. Psychose. Gießen: Psychosozial Verlag. ISBN 978-3-8379-2110-6 [Rezension bei socialnet]

Margraf, Jürgen und Franz J. Müller-Spahn, Hrsg., 2009. Pschyrembel. Psychiatrie, Klinische Psychologie, Psychotherapie. Berlin, New York: de Gruyter. ISBN 978-3-11-018888-2

Peters, Uwe Henrik, 1999. Wörterbuch der Psychiatrie, Psychotherapie und medizinischen Psychologie. 5., vollst. überarb. und erweiterte Auflage. München, Wien: Urban & Schwarzenberg. ISBN 978-3-541-04965-3

Verfasst von
Prof.em Dr. Alexa Köhler-Offierski
Seniorprofessorin Evangelische Hochschule Darmstadt

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