Agilität
Prof. Dr. Jan Tietmeyer
veröffentlicht am 13.11.2024
Agilität bezeichnet allgemein eine hohe Geschwindigkeit und Anpassungsfähigkeit an äußere Umstände. Im Kern sind hiermit in Bezug auf (sozialwirtschaftliche) Organisationen schnelle Umsetzungen und die Orientierung an den Bedürfnissen der Kund:innen und Adressat:innen gemeint. Agilität soll durch die Haltung der Beschäftigten, das sogenannte agile Mindset, sowie durch agile Methoden und agile Organisationsformen erreicht werden.
Überblick
1 Begriffsentwicklung
Der Ausgangspunkt der Diskussionen zur Notwendigkeit von Agilität wird häufig in der VUKA-Welt gesehen. Das Akronym beschreibt eine von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität geprägte Umwelt. Diese führt dazu, dass Organisationen in ihren bisherigen Strukturen und Abläufen die hohe Dynamik der Umweltentwicklungen nicht mehr schnell genug abbilden können. Für diese Herausforderung soll Agilität die passende Lösung sein, denn auf Perfektion und Detailliertheit setzende traditionelle Vorgehensweisen stoßen in dieser Umwelt an ihre Grenzen.
Agilität geht dabei grundsätzlich auf drei Quellen zurück, die sich unabhängig voneinander entwickelten (Stock-Homburg und Groß 2019):
- Die agile Produktion hat beispielsweise Kanban als agile Methode hervorgebracht und befasst sich insbesondere mit der Steuerung von industriellen Produktionsprozessen.
- Die agile Softwareentwicklung hat sich seit Beginn des Jahrtausends als Standardvorgehen der Softwareentwicklung etabliert und umfasst neben agilen Methoden wie Scrum insbesondere auch den Ansatz des Prototypings.
- Die letzte Quelle der agilen Unternehmen wiederum ist weniger etabliert; hier wird der Bereich der Aufbauorganisation fokussiert.
Außerdem findet sich auch eine Verbindung von Agilität und New Work. New Work betont bei aller Unbestimmtheit modernisierte und flexiblere Sichtweisen auf die Art und Weise, wie Menschen arbeiten. Es findet eine Konzentration auf die Förderung von Innovation, Kreativität, Selbstbestimmung und die Verbesserung der Work-Life-Balance statt. Das Fraunhofer Institut (Hofman et al. 2019) bezieht daher agile Arbeitsmethoden als Bestandteil von New Work mit ein.
2 Agile Methoden
Konkretisiert wird der Begriff Agilität insbesondere im Bereich der agilen Methoden. Dabei haben die Methoden abstrakt betrachtet gemeinsame Merkmale. Richenhagen und Dick (2022) beschreiben dies sehr passend:
„Das Ziel von Agilität ist, durch Vernetzung (Teams), Offenheit (Austausch) und Nutzung von Partizipation (Einbeziehung der Beteiligten) in der Lage zu sein, schnell die Richtung des Organisationshandelns ändern zu können“. (Richenhagen und Dick 2022, S. 7)
Die Vorgehenslogik wird dabei als Abfolge von „Develop, try, fail, retry, fail again, retry, succeed“ beschrieben. Dies beinhaltet insbesondere den Ansatz des Prototypings – also das schnelle Erstellen einer funktionierenden (aber nicht optimalen) Lösung im Rahmen eines Sprints – sowie ein iteratives Vorgehen.
Konkrete agile Methoden sind z.B.:
- Kanban
- Design Thinking
- Scrum
- Retrospektive
- Dailys
- Barcamp
- Unkonferenz
3 Agiles Mindset
Agilität wird zumeist auch auf der Ebene der individuellen inneren Haltung (häufig englisch: Mindset) beschrieben. Hierbei geht es um die persönliche Ebene der Beschäftigten, die agil handeln sollen. Das entsprechende agile Mindset ist insgesamt deutlich weniger konkretisiert als die agilen Methoden. Darunter wird aber häufig verstanden, dass eine Kollaboration auf Augenhöhe stattfindet, dass eine große Experimentierfreude gegeben ist und dass eine hohe Fehlerfreundlichkeit umgesetzt wird. Außerdem wird zumeist noch ein positiver Umgang mit regelmäßigem Feedback unter einem agilen Mindset verstanden.
4 Kritik
Das Erreichen von Agilität wird häufig im Kontext einer organisationalen Ambidextrie verstanden. Dies meint eine Beidhändigkeit der Organisationen: Mit der einen Hand soll sie agil arbeiten, mit der anderen Hand in den gewohnten Vorgängen bleiben. Dies führt zu massiven Anforderungen an die Beschäftigten, wenn von diesen ebenfalls beide Vorgehensweisen verlangt werden. Daher sind diese Überlegungen bisher eher theoretisch (Seng et al. 2024).
Der Bereich des agilen Mindsets kann ebenfalls kritisiert werden. Denn hier besteht die Gefahr einer zu großen Verantwortung für die Beschäftigten, die in ihrer Organisation frei über die Verwendung ihres Mindsets entscheiden sollen. Auf der anderen Seite wird insbesondere dieser Anstieg von Verantwortung häufig als positiver Effekt verstanden, der sogar zum Aufbau einer Arbeitgebermarke beitragen kann (Tietmeyer und Seng 2024).
Teilweise wird auch kritisiert, dass die iterativen und fehlerfreundlichen Vorgänge zu Rückgängen in der Qualität führen können. Da das Qualitätsmanagement nicht agil gesteuert wird und demzufolge nur bedingt mit Agilität harmonisieren kann, ist dies besonders bedeutsam.
Für klassische Unternehmen bedeutet Agilität die Aufhebung von geübten Organisationsregeln und einen Anstieg von Freiheitsgraden in der Aufgabenerfüllung. In Bezug auf die Sozialwirtschaft gibt es aber Stimmen, dass die hier angesiedelten Organisationen nicht über diesen hohen Grad an Organisationsregeln verfügen. Deshalb wird angenommen, dass der Einsatz agiler Methoden in der Sozialwirtschaft eher zu einer stärkeren Formalisierung der Arbeitsweisen führen würde, als dies ohne diese Methoden der Fall wäre. Insofern stellt sich grundsätzlich die Frage nach der Vorteilhaftigkeit von Agilität für die Sozialwirtschaft (Burkhalter 2024).
Abschließend sollte aber festgehalten werden, dass Agilität und insbesondere agile Methoden sich in Organisationen insgesamt bewährt haben. Insbesondere im Bereich des Projektmanagements können sie sehr sinnvoll eingesetzt werden. Daher sollten sich auch Organisationen der Sozialwirtschaft mit Agilität befassen.
5 Quellenangaben
Burkhalter, Michael, 2024. Agilität in Organisationen der Sozialen Arbeit. Wiesbaden: Springer. ISBN 978-3-658-46089-1
Hofmann, Josefine, Alexander Piele und Christian Piele, 2019. New Work: Best Practices und Zukunftsmodelle [online]. Stuttgart: Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO [Zugriff am: 08.11.2024]. Verfügbar unter: https://doi.org/10.24406/​publica-fhg-299651
Richenhagen Gottfried und Michael Dick, 2022. Public Management im Wandel. Auf dem Weg zur Agilität in der Öffentlichen Verwaltung. Wiesbaden: Springer. ISBN 978-3-658-36662-9
Seng, Anja, Jan Tietmeyer und Corinna Höffner, 2024. Agilität im Public Management: Experimente mit agilen Settings in obersten Landesbehörden im Kontext des Projekts Reallabor Agiles Arbeiten. ifpm Schriftenreihe der FOM, Band 5. Essen: MA Akademie Verlags- und Druck-Gesellschaft mbH. ISBN 978-3-89275-373-5
Stock-Homburg, Ruth und Matthias Groß, 2019. Personalmanagement. 4. Auflage. Wiesbaden: Springer-Gabler. ISBN 978-3-658-26081-1
Tietmeyer, Jan und Anja Seng, 2024. Change Management in der öffentlichen Verwaltung: empirische Befunde aus einem Reallabor zu agilen Arbeitsweise. In: Verwaltung und Management: Zeitschrift für moderne Verwaltung. 30(2), S. 76–84. ISSN 0947-9856
6 Literaturhinweise
Balz, Hans-Jürgen, 2022. New Work [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 09.02.2022 [Zugriff am: 25.09.2024]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/​29217
Beck, Kent, Mike Beetle, Arie van Bennekum, Alistair Cockburn, Ward Cunningham, Martin Fowler, James Grenning, Jim Hightsmith, Andrew Hunt, Ron Jeffries, Jon Kern, Brian Marick, Robert C. Martin, Steve Mellor, Ken Schwaber, Jeff Sutherland und Dave Thomas, 2001. Manifesto for agile software development [online]. [Zugriff am: 08.11.2024]. Verfügbar unter: http://agilemanifesto.org
Bendel, Oliver, 2019. Agilität [online]. Gabler Wirtschaftslexikon. Wiesbaden: Springer Gabler, 07.01.2019 [Zugriff am: 08.11.2024]. Verfügbar unter: https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/​agilitaet-99882/​version-368852
Hirth, Heiko, 2024. VUCA [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 18.07.2024 [Zugriff am: 25.09.2024]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/​30132
Vahs, Dietmar, 2023. Organisation. 11. aktualisierte und überarbeitete Auflage. Stuttgart: Schäffer-Poeschel. ISBN 978-3-7910-5698-2
Verfasst von
Prof. Dr. Jan Tietmeyer
FOM Hochschule
Professor für Soziale Arbeit
Diplom-Kaufmann und Master Soziale Arbeit
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Zitiervorschlag
Tietmeyer, Jan,
2024.
Agilität [online]. socialnet Lexikon.
Bonn: socialnet, 13.11.2024 [Zugriff am: 10.02.2025].
Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/11165
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