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Altenbericht

Prof. Dr. Stefan Pohlmann

veröffentlicht am 03.07.2020

Bei dem Begriff Altenbericht handelt es sich zunächst um keinen geschützten Fachterminus. Im Allgemeinen ist damit eine Sammlung von Daten und darauf bezogener Empfehlungen gemeint, die im Hinblick auf eine älter werdende Bevölkerung zusammengefasst sind. In der Regel handelt es sich um mehr oder weniger regelmäßige abgefasste Statusmeldungen für öffentliche Behörden. Sie dienen als Entscheidungsgrundlage für anstehende Sozialplanungsprozesse.

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Originäre Altenberichte auf Bundesebene
  3. 3 Weitere Altenberichte auf Bundesebene
  4. 4 Altenberichte auf Landesebene
  5. 5 Altenberichte auf kommunaler Ebenen
  6. 6 Altenberichte auf internationaler Ebene
  7. 7 Alternative Altenberichte
  8. 8 Kritische Würdigung
  9. 9 Quellenangaben
  10. 10 Literaturhinweise
  11. 11 Informationen im Internet

1 Zusammenfassung

Neben öffentlichen Behörden können auch andere Institutionen der Altenhilfe bezogen auf ihre jeweiligen Verantwortungsbereiche Eigenberichte veröffentlichen. Parallel dazu werden im allgemeinen Berichtswesen noch andere relevante Bevölkerungsgruppen durch separate Darstellungen gewürdigt. Dazu zählen beispielsweise Kinder- und Jugend-, Familien-, Migrations- oder Behindertenberichte, die aktuelle Themen, Trends und Handlungserfordernisse gezielt adressieren. Die Titel und Zuschnitte der jeweiligen Schriften verändern sich insbesondere nach politischen Vorgaben, gesellschaftlichen Dynamiken und fachliche Etikettierungen im Verlauf der Zeit. Allen Berichten gemein ist das Ziel, eine möglichst umfassende und transparente Beschreibung der Ausgangssituation und der Ableitung darauf basierender Schritte für die Zukunft zu liefern. In den klassischen gerontologischen Fachdiskursen werden als Altenberichte indes fast ausschließlich die auf Bundesebene angelegten und fest etablierten Darlegungen verstanden, die spezielle Fachkommissionen im Auftrag des Deutschen Bundestags seit nunmehr fast drei Jahrzehnten erstellen und durch die zuständigen Bundesministerien kommentiert werden. Der vorliegende Beitrag skizziert zunächst ausführlicher die Ziele und das Erstellungsprozedere und grenzt eben diese Altenberichte exemplarisch von ähnlichen Veröffentlichungen ab. Die Abhandlung schließt mit einer kritischen Würdigung.

2 Originäre Altenberichte auf Bundesebene

Im Februar 1989 beauftragte die damalige Bundesfamilienministerin, Ursula Lehr, eine unabhängige Kommission mit der Erstellung eines eigenständigen Gesamtberichts, der fundiert und aus unterschiedlichen Blickwinkeln heraus einen Einblick über die Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland liefern sollte. Als damalige Inhaberin des ersten deutschen Lehrstuhls für Gerontologie war es Lehr auch als Wissenschaftlerin wichtig, den politischen Blick auf die Alterung der Gesellschaft zu schärfen. Zuvor war dieses Thema auf dem Polit-Parkett eher vereinzelt und unsystematisch behandelt worden (Wilbers 1986). Aufgrund der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten verzögerte sich zunächst die Fertigstellung dieses ersten Altenberichts und es erfolgte eine ergänzte Situationsbeschreibung der neuen Bundesländer. Erst 1993 wurde angesichts dieses neuen Zuschnitts der finale erste Altenbericht unter dem Titel „Die Lebenssituation älterer Menschen in Deutschland“ der Öffentlichkeit vorlegt. Erstmals wurde mit diesem Altenbericht für einen bis dato stark vernachlässigten Politikbereich ein wissenschaftsbasiertes Beratungsinstrument auf höchster Ebene zum Einsatz gebracht.

Nach diesen ersten positiven Erfahrungen des Wissenschaftstransfers in die Bundespolitik hat der Deutsche Bundestag ein Jahr später der Bundesregierung einen kontinuierlichen Auftrag erteilt. Seither ist für jede Legislaturperiode die Erarbeitung eines solchen Altenberichts vorgesehen. Die Altenberichte der Bundesregierung werden weiterhin über das zuständige Fachministerium koordiniert. Wenn auch seinerzeit mit einem anderen Zuschnitt, handelt es sich dabei um das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), das für die Umsetzung dieser Aufgabe verantwortlich zeichnet. Jeder Altenbericht besteht grundsätzlich aus zwei separaten Teilen:

Den ersten Teil verfasst eine unabhängige Expertenkommission. Diese Gruppe wird vom BMFSFJ berufen und mit einem vordefinierten Themenauftrag betraut. Die Zusammensetzung der ehrenamtlich eingesetzten Sachverständigengruppe ändert sich für jeden neuen Altenbericht. Jedoch bildet ein Name eine konstante Größe: Andreas Kruse war bislang in allen Kommissionen vertreten und hat seit dem dritten Altenbericht auch den Vorsitz für dieses Gremium übernommen. Als Universitätsprofessor der Universität Heidelberg und Direktor des Instituts für Gerontologie hat er die Ausarbeitungen der Altenberichte in besonderer Weise geprägt und vorangebracht. Die Kommission gibt zusätzlich Expertisen an einschlägige Spezialistinnen und Spezialisten in Auftrag, um den bestehenden Sachverstand durch aktuelle Datenerhebungen und Übersichten zu ergänzen. Diese werden neben dem Altenbericht als eigenständige Publikationen veröffentlicht.

In einem zweiten Teil des Altenberichts erfolgt eine Stellungnahme der Bundesregierung zum vorgelegten Sachverständigenbericht. Je nach Thema werden dazu alle Bundesressorts eingebunden. Die Stellungnahme berücksichtigt somit die Perspektive der beteiligten Fachabteilungen sowie ihrer politischen Leitungen.

Beide Teile werden im Bundeskabinett behandelt und dem Deutschen Bundestag zugeleitet. Nach der offiziellen Übergabe an das Parlament sind die Altenberichte öffentlich zugänglich. Logistisch unterstützt wird die Erstellung der Altenberichte seit 1995 durch eine eigene Geschäftsstelle, die am Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA) angesiedelt ist. Vorrangige Aufgabe der Geschäftsstelle ist einerseits eine administrative und organisatorische Hilfestellung, andererseits die redaktionelle und inhaltliche Zuarbeit, die zur Entlastung der Sachverständigen beiträgt. Beide Tätigkeitsbereiche dienen dazu, dass die Kommission in dem gesetzten Zeitfenster von rund zwei Jahren zu dem intendierten Ergebnis kommt. Als weitere Aufgabe kommt die Öffentlichkeitsarbeit hinzu, die vor, während und nach der Berichtlegung erfolgt.

Mittlerweile sind sieben vollständige Altenberichte mit folgenden Titeln erschienen:

  1. Die Lebenssituationen älterer Menschen in Deutschland (1993)
  2. Wohnen im Alter (1998)
  3. Alter und Gesellschaft (2001)
  4. Risiken, Lebensqualität und Versorgung Hochaltriger (2002)
  5. Potenziale des Alters in Wirtschaft und Gesellschaft (2006)
  6. Altersbilder in der Gesellschaft (2010)
  7. Sorge und Mitverantwortung in der Kommune (2016).

Der achte Altenbericht mit dem Titel „Ältere Menschen und Digitalisierung“ wurde im Januar 2020 an die Bundesministerin Franziska Giffey übergeben. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Beitrags liegt die Stellungnahme der Bundesregierung noch nicht vor.

3 Weitere Altenberichte auf Bundesebene

Wie bereits in der Einführung angedeutet finden sich auf Bundesebene noch zusätzliche Publikationen, die eine enge Anbindung und thematische Überschneidung zu den Altenberichten unter dem Dach des DZA aufweisen. Die Berücksichtigung und Dokumentation der demografischen Entwicklung – allerdings ohne einen spezifischen altenpolitischen Zuschnitt – gehört spätestens seit den 1970er Jahren zum festen Aufgabenspektrum der Bundesbehörden. Wichtigster Ansprechpartner ist hier das Statistische Bundesamt, das sämtliche verfügbare amtliche Daten sammelt und auch prognostisch auswertet. Auf dieser statistischen Basis werden auch die Modellrechnungen zur Bevölkerungsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland vorgenommen, auf die die Bundesregierung für ihre diesbezüglichen politischen Entscheidungsprozesse zugreift. Weitere wichtige nachgeordnete Einrichtungen sind das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) und das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR).

Aufgrund der unterschiedlichen und nicht durchgängig trennscharfen Kompetenzen und der sich über die Zeit verändernden Kompetenzzuschnitte wurden in der Vergangenheit verschiedene Bundesministerien im Zusammenhang mit einschlägigen Berichtslegungen aktiv. So erstellte beispielsweise das Bundesinnenministerium 2011 einen „Demografiebericht zur demografischen Lage und künftigen Entwicklung des Landes“. Daraus ist das sogenannte „Demografieportal“ des Bundes und der Länder hervorgegangen, mit dessen Hilfe die Bundesregierung eine dialogisch aufgebaute Demografiestrategie umsetzen will. Befördert wurde diese durch die Einsetzung einer eigenen Enquête-Kommission „Demographischer Wandel“. Diese Kommission legte im Jahr 2002 ihren Schlussbericht „Demographischer Wandel – Herausforderungen unserer älter werdenden Gesellschaft an den Einzelnen und die Politik“ vor (Deutscher Bundestag 2002). Daneben wurde eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie ausgearbeitet, die 2018 zur Veröffentlichung eines zugehörigen Fortschrittsberichts der Bundesregierung geführt hat, der sich u.a. mit Fragen der Generationengerechtigkeit befasst.

Noch andere Bundesressorts legen regelmäßig Berichte auf, die zumindest in Teilen direkte altenpolitische Aspekte einbeziehen und insofern zumindest anteilig als Altenberichte verstanden werden können. Als Beispiele lassen sich hier der „Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen“ vom Bundesministerium der Finanzen, der Rentenversicherungsbericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und der „Bericht zum Umgang mit den Folgen der demografischen Entwicklung für Aus- und Umbau der technischen und sozialen Infrastruktur“ des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung nennen. Hinzu kommen die einschlägigen Publikationen im Förderschwerpunkt Demografischer Wandel des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.

4 Altenberichte auf Landesebene

Die Länder haben ihrerseits in den letzten Jahren zahlreiche Enquête-Kommissionen in den Bereichen Demografie und Gesundheit eingerichtet. Dort werden immer wieder dezidiert Altersfragen behandelt. Bislang existiert allerdings keine einheitliche Strategie, ob und wie Altenberichte auf Landesebene umzusetzen sind. Entsprechend heterogen ist auch die Ausgestaltung. Dazu einige Beispiele:

Im Freistaat Bayern wurde ein entsprechender Gesetzesentwurf noch im Juni 2018 vom Bayerischen Landtag abgelehnt. Darin war ein Bayerisches Seniorinnen- und Seniorenmitwirkungsgesetz vorgesehen, das die Staatsregierung auffordert, dem Landtag und der Öffentlichkeit jährlich einen Bericht zur Situation ihrer älteren Einwohnerinnen und Einwohner vorzulegen. Damit sollte eine Bestandsaufnahme der Lebenswirklichkeit älterer Menschen in Bayern dokumentiert und seniorenpolitische Zielsetzungen abgeleitet werden. Dies entspricht dem oben beschriebenen Grundprinzip eines Altenberichts. Ob sich die Gesetzesinitiative zu einem anderen Zeitpunkt in Bayern wird durchsetzen können, bleibt abzuwarten.

In anderen Bundesländern ist eine entsprechende Berichterstattungspflicht bereits fest etabliert – wenn auch nicht mit einem jährlichen Berichtsturnus. In Nordrhein-Westfalen ist eine solche Landesaltenberichterstattung als gesetzlicher Auftrag in einem eigenständigen Alten- und Pflegegesetz fest verankert (§ 20 APG NRW). 2016 veröffentlichte die Landesregierung dazu einen ersten Altenbericht.

Das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie hat ebenfalls 2019 bereits den zweiten Seniorenbericht (Lebensqualität im Alter – eine Analyse) vorgelegt, der als Diskussionsgrundlage der Seniorenpolitik im Bundesland dient.

Das Saarland hat erst jüngst den Startschuss für eine entsprechende Berichterstattung gegeben. Geplant ist seit 2019 ein sogenannter Masterplan, der als erster saarländischer Seniorenbericht eine Evaluation vorhandener Projekte, sowie Empfehlungen zur Auswahl und Umsetzung geeigneter Maßnahmen im städtischen und ländlichen Raum vornehmen soll. Dieser Masterplan ist als Fortführung der bisherigen Landesseniorenpläne im Saarland angelegt.

In anderen Bundesländern wird auf einen umfassenden Gesamtbericht verzichtet. Das Ministerium für Soziales, Integration und Gleichstellung in Mecklenburg-Vorpommern hat 2019 in diesem Zusammenhang einen fokussierten Leitfaden zur nachhaltigen Verbesserung der Lebensqualität von Seniorinnen und Senioren erarbeitet.

In Schleswig-Holstein hat das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Wissenschaft und Gleichstellung eine mehrstufige Publikationsstrategie, in der Altenberichtsanteile ebenfalls auf verschiedene Einzelveröffentlichungen mit thematischen Schwerpunkten verteilt werden. Vielfach gilt das Thema Gesundheit als übergreifende Kategorie der Altenberichtserstattung. Dies trifft etwa für das Land Niedersachsen zu, das 2011 gemeinsam durch das Niedersächsische Landesgesundheitsamt und das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration einen Beitrag zur Gesundheitsberichterstattung (alt werden – aktiv bleiben – selbstbestimmt leben) herausgegebenen hat.

Auch in Bremen ist der Zuschnitt eher gesundheitspolitischer Natur – so etwa im 2015 erschienenen Pflegeinfrastrukturbericht (Gute Pflege als Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben).

Viele Bundesländer beschränken sich darauf, ihre jeweiligen seniorenpolitischen Grundsätze in Form kurzer Broschüren aufzubereiten und in den einzelnen Legislaturperioden zu aktualisieren. Dazu gehört das Land Brandenburg. Das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz hat 2018 seine seniorenpolitischen Leitlinien in dieser Form dokumentiert.

Diese unvollständige Auflistung illustriert, wie uneinheitlich die Berichtslegungen auf Landesebene sowohl bezogen auf den inhaltlichen Zuschnitt als auch auf ihre zeitliche Planung ausfallen. Eine grundsätzliche gesetzliche Berichtspflicht besteht nur in Ausnahmen.

5 Altenberichte auf kommunaler Ebenen

Viele Kommunen haben die Thematiken der Altenberichte aufgegriffen, da sie von den konkreten Auswirkungen einer schrumpfenden und zugleich alternden Gesamtbevölkerung ganz unmittelbar betroffen und für ihre Bearbeitung verantwortlich sind. Ein besonderer Umsetzungsbezug der bundespolitischen Ausarbeitungen besteht durch den in Kapitel 1 genannten siebten Altenbericht. Dazu wurden in sehr vielen Landkreisen, Städten und Gemeinden entsprechende Ausarbeitungen auf lokaler Ebene vorgenommen. Eine Übersicht über die damit verbundenen Initiativen geben zu wollen, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Zur Veranschaulichung seien aber zumindest zwei solcher Altenberichte genannt: Die Stadt Bielefeld hat 2017 einen kommunalen Altenbericht mit dem Titel „Bielefeld im demografischen Wandel – Grundlagen für die gemeinsame Gestaltung“ erstellt. Ein Jahr später hat die Stadt Erfurt einen Seniorenbericht „Zur Situation älter werdender und älterer Menschen in der Landeshauptstadt“ abgefasst.

In Zusammenarbeit mit den Ländern geht es anstelle von Altenberichten häufig um Eckpunktpapiere im Sinne von seniorenpolitischen Konzepten für die zugehörigen Landkreise, die kreisfreien Städte sowie die kreisangehörigen Städte und Gemeinden. Darin werden zumeist knapp die Vorgaben einer möglichst zukunftsorientierten Seniorenpolitik ausformuliert. Auf kommunaler Ebene erfolgen dann Konkretisierungen, die sich mit den jeweiligen Alleinstellungsmerkmalen auseinandersetzen. Umfangreiche Altenberichte stellen hier jedoch eher die Ausnahme als die Regel dar.

Die Altenberichte auf kommunaler Ebene haben im Idealfall die Aufgabe, verfügbare Haushaltsmittel und Ressourcen bedarfsgerecht zu verteilen (Bäcker et al. 2000). Durch gebiets- und zielgruppenbezogene Entwicklung von Hilfsangeboten sollen vulnerable ältere Menschen Unterstützung finden. Die dazu unerlässliche Altenhilfeplanung (Pohlmann 2011, S. 226 f.) der Kommunen umfasst neben einer aktuellen Bestandsaufnahme der verfügbaren Hilfsangebote in der offenen, ambulanten und teilstationären Altenhilfe auch die Auflistung spezieller Leistungen bezogen auf Wohnformen im Alter, gerontopsychiatrische Angebote bis hin zur Sterbebegleitung und Palliativversorgung. Diese Daten werden einer Bedarfsanalyse gegenübergestellt. Diese muss bei der Identifikation ausstehender Bedarfe mit einem passenden Konzept- und Maßnahmenplanung einhergehen, die eine Neuverteilung bestehender Ressourcen vorsieht und zugleich an bewährten Investitionen festhält. Die Grundlagen für diese Berechnungen und Analysen werden aber nur selten als eigene Berichte veröffentlicht.

6 Altenberichte auf internationaler Ebene

Die Europäische Kommission hat wiederholt im Zuge des demografischen Wandels eigene Berichte aufgesetzt (z.B. den „Europäischen Demografiebericht“ oder das Grünbuch „Angesichts des demografischen Wandels – eine neue Solidarität zwischen den Generationen“). Die Statistikverordnung der Europäischen Union greift im Rahmen ihrer Berechnungen (Eurostat) auf die amtlichen Stellen der Einzelstaaten zurück.

Die Vereinten Nationen haben auf ihren wiederholten Weltbevölkerungskonferenzen ebenfalls eigene Datengrundlagen ermittelt. Die zuständige Stelle (Population Division of the Department of Economic and Social Affairs of the United Nations Secretariat) greift für Europa ebenfalls auf die Datenbasis der EU zurück. Der erste Altenbericht der Vereinten Nationen (International Plan of Action on Ageing) wurde 1982 in Wien in der Sozialentwicklungskommission durch den Völkerbund verabschiedet. Im deutschsprachigen Bereich hat sich für dieses Dokument der Titel „Weltaltenplan“ durchgesetzt. Eine Revision erfolgte zwei Jahrzehnte später in Madrid, gefolgt von weiteren Regionalstrategien verschiedener Staatengruppen (Pohlmann 2003, S. 22 f.). Im Jahr 2011 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen den Follow-Up-Report zur Zweiten Weltversammlung zu Fragen des Alterns (Follow-up to the Second World Assembly on Ageing, A/66/173). Im Folgejahr einigte sich die für Europa zuständige Untergliederung der Vereinten Nationen (United Nations Economic Commission for Europe – UNECE) auf eine Ministererklärung zur Implementierung des Weltenaltenplans. Als Reaktion gab die Bundesregierung am 1. April 2017 den zweiten Nationalbericht zu den im Weltaltenplan empfohlenen Schwerpunkten der globalen Altenpolitik heraus. Zusätzlich hat die Weltgesundheitsorganisation 2016 einen einschlägigen Weltbericht zum Thema „Alter und Gesundheit“ veröffentlicht. Auch dieser entspricht in seiner Ausrichtung einem international ausgerichteten Altenbericht.

7 Alternative Altenberichte

Altenberichte im weitesten Sinne werden von Wissenschaftsseite über die verschiedenen Hochschulen und Universitäten immer wieder erstellt und sofern möglich und sinnvoll durch empirische Datenerhebungen fundiert. Gerade in den angewandten Wissenschaften geht es auch immer wieder um konkrete Empfehlungen an Politik und Gesellschaft und die Ableitung von Zukunftsszenarien. Teile davon haben bereits in den oben beschriebenen Altenberichten Berücksichtigung gefunden. Flankiert werden hochschulbasierte Altenberichte durch weitere Institutionen. Zu nennen sind auch hier stellvertretend für viele andere das „Kuratorium Deutsche Altershilfe“ (KDA) und der „Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge“ (DV). Mitunter sind in den in diesem Umfeld entstandenen Publikationen durchaus ambitioniert Ansprüche formuliert worden. Betrachtet man beispielsweise den Report der Max-Planck-Gesellschaft über die Zukunft des Alterns (Gruss 2007), so wirkt der Untertitel „Die Antwort der Wissenschaft“ als durchaus gewagt.

Auch im Stiftungsbereich ist das Thema Alter zunehmend als zentrales Aufgabenfeld erkannt worden. Insbesondere die Bertelsmann Stiftung hat sich in diesem Feld stark engagiert und einen als Altenbericht zu interpretierender Band mit dem Titel „Alter neu denken – Gesellschaftliches Altern als Chance begreifen“ (Rothen 2007) herausgegeben. Daneben sind die freie Wohlfahrtspflege und private Träge darum bemüht, Aussagen zu ihren eigenen Angeboten im Altenhilfebereich durch eigene Altenberichte zu bündeln. Hier besteht indes keine übergreifende Systematik oder obligatorische Pflicht in der Berichtslegung.

8 Kritische Würdigung

Mit der Initiative von Ursula Lehr in den unter 2. genannten Altenberichten wurde in der Altenpolitik ein neues Kapitel aufgeschlagen und der Austausch zwischen Wissenschaft und Politik maßgeblich befördert. Mit der Berücksichtigung spezifischer Altersgruppen können seither verschiedene Bedarfslagen herausgearbeitet und differenzierte Handlungsstrategien entwickelt werden. Die gleichzeitig auftretende Herausforderung ist aber die grundsätzliche Verflechtung und Überlappung soziodemografischer Merkmale. Als Querschnittsthema umfasst das Altern der Gesellschaft nahezu alle ministeriellen Ressorts, behördlichen Aufgaben und sämtliche Politikbereiche. Die Hinwendung auf die Interessen und Bedarfe bestimmter Bevölkerungsgruppen darf nicht zu Lasten anderer Gruppierungen gehen oder vernetzte Themen ausblenden. Bei der Deckelung von öffentlichen Haushalten und begrenzten Budgetierungen ist dies keine leicht zu lösende Aufgabe. Erfordernisse der Rationierung und Priorisierung stellen hier besondere Schwierigkeiten dar. Fokussetzungen stehen damit grundsätzlich unter dem Vorbehalt, Unschärfebereiche gegenüber anderen Bereichen zu erzeugen. Genau diese Wechselwirkungen von vorneherein mitzudenken ist damit eine immanente Anforderung der Berichterstattung. Für die Qualität der Altenberichte sind ferner der Entstehungsprozess und die Strukturbedingungen der Berichtslegungen einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Die Auswahl der Gutachter, die Bearbeitung von politischen Vorgaben wie auch die Nähe und Abhängigkeit von ministeriellen Zuwendungen wurden in der Vergangenheit auch immer wieder kritisch hinterfragt (Karl 2000).

Die Beurteilung komplexer Ausgangslagen gehört weder zu den individuellen noch zu den gesellschaftspolitischen Stärken in Entscheidungsprozessen. Dynamiken politischer Entscheidungsfindungen sind nicht nur durch rationale Argumente, sondern zudem durch eine Vielzahl von Kontextvariablen und die notwendige Schaffung von Mehrheiten bestimmt. Umso wichtiger ist daher die pointierte und sachorientierte Aufbereitung von Fakten, die verständliche Aufbereitung vielschichtiger Sachverhalte und die Schaffung einer profunden Basis für Prognosen zum Thema Alter. Dies ist ein Hauptziel der Altenberichte gerade in Zeiten von Fake News und der wachsenden Zahl von verworrenen Verschwörungstheorien (Jaster und Lanius 2019). Trotz der unwidersprochenen Erfolge von Altenberichten auch in dieser Hinsicht ist es aber noch ein weiter Weg, um den darin enthaltenen Botschaften zu ihrer notwendigen Wirkung zu verhelfen. Dies gilt auch für die Einbindung von Verwertungsinteressen der Zielgruppe selbst. Hier mangelt es noch an einer adressatenwirksamen Ansprache (Hüther 2010). Das Ziel der Transparenz für Bürgerinnen und Bürger ist gerade auf lokaler Ebene kaum gegeben. Es bestehen keine einheitlichen Vorgaben, wo verfügbare Informationen gesammelt und abgerufen werden können. Entsprechend mühsam ist die Beschaffung von bestehenden Informationen. Einige Altenberichte sind zudem mittlerweile veraltet oder haben einen unzureichenden inhaltlichen Zuschnitt. Daneben erscheint die Abstimmung zwischen verschiedenen behördlichen Ressorts und die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Verwaltungsebenen optimierbar. Eine durchgängige Dokumentationspflicht für Träger der Altenhilfe ist überdies nicht auszumachen. Vor allem aber die Umsetzung von klar formulierten Empfehlungen bleibt auf politischer Ebene nach wie vor zu unverbindlich. Dies alles ändert allerdings nichts an der Notwendigkeit künftiger Altenberichte. Vielmehr unterstreicht es die Dringlichkeit und die gebotene Durchschlagskraft für solche Dokumentationen umso mehr.

9 Quellenangaben

Bäcker, Gerhard, Reinhard Bispinck und Gerhard Naegele, 2000. Sozialpolitik und soziale Lage in Deutschland. Band 1 und 2. 6., vollst. Überarb. u. erw. Auflage. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. ISBN 978-3-658-06248-4

Deutscher Bundestag, Referat Öffetntlichkeitsarbeit, 2002. Demographischer Wandel – Herausforderungen unserer älter werdenden Gesellschaft an den Einzelnen und die Politik. Berlin: BT-Drucksache 14/8800. ISBN 978-3-930341-58-0

Gruss, Peter, Hrsg., 2007. Die Zukunft des Alterns: Die Antwort der Wissenschaft. München: Beck. ISBN 978-3-406-55746-0

Hüther, Michael, 2010. Vertrauen im Wandel und Vertrauen in den Wandel – Die Bedeutung des langen Lebens für den politischen Diskurs. In: Andreas Kruse, Hrsg. Leben im Alter: Eigen- und Mitverantwortung in Gesellschaft, Kultur und Politik. Heidelberg: AKA. S. 219–230. ISBN 978-3-89838-637-1 [Rezension bei socialnet]

Jaster, Romy und David Lanius, 2019. Die Wahrheit schafft sich ab: Wie Fake News Politik machen. Stuttgart: Reclam. ISBN 978-3-15-019608-3

Karl, Fred, 2000. Wissenschaft und Praxis. In: Hans-Werner Wahlund Clemens Tesch-Rämer, Hrsg. Angewandte Gerontologie in Schlüsselbegriffen. Stuttgart: Kohlhammer. S. 15–20. ISBN 978-3-17-015568-8 [Rezension bei socialnet]

Pohlmann, Stefan, 2003. Der neue Weltaltenplan – internationale Impulse. In: Uwe Reuter, Hrsg. Zukunft der Altenpflege. Bremen: ESI. S. 17–38. ISBN 978-3-8311-5016-8

Pohlmann, Stefan, 2011. Sozialgerontologie. München: utb. ISBN 978-3-8252-3513-0 [Rezension bei socialnet]

Rothen, Hans Jörg, 2007. Alter neu denken – Gesellschaftliches Altern als Chance begreifen. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. ISBN 978-3-89204-956-2

Wilbers, Joachim, 1986. Die Behandlung von Altersfragen im Deutschen Bundestag 1976–1983. In: Zeitschrift für Gerontologie: europäische Zeitschrift für Altersmedizin und interdiziplinäre Altersforschung. 19(5), S. 358–361. ISSN 0044-281X

10 Literaturhinweise

Amann, Anton, 2013. Ausgangsprobleme einer künftigen Altenpolitik – Diagnose kommt vor Therapie. In: Gerhard Bäckerund Rolf G. Heinze, Hrsg. Soziale Gerontologie in gesellschaftlicher Verantwortung. Wiesbaden: Springer VSS, 69–84. ISBN 978-3-658-01572-5

Kruse, Andreas und Hans-Werner Wahl, 2010. Zukunft Altern: Individuelle und gesellschaftliche Weichenstellungen. Heidelberg: Spektrum. ISBN 978-3-8274-2058-9

Woopen, Christiane, Anna Janhsen, Marcel Mertz und Anna Genske, Hrsg., 2020. Alternde Gesellschaft im Wandel: Zur Gestaltung einer Gesellschaft des langen Lebens. Berlin: Springer. ISBN 978-3-662-60585-1

11 Informationen im Internet

Verfasst von
Prof. Dr. Stefan Pohlmann
Professor für Gerontologie an der Hochschule München (HM); Dekan der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften; Wissenschaftlicher Leiter des HM-Forschungsinstituts Soziales, Gesundheit und Bildung
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Es gibt 1 Lexikonartikel von Stefan Pohlmann.

Zitiervorschlag
Pohlmann, Stefan, 2020. Altenbericht [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 03.07.2020 [Zugriff am: 07.10.2024]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/26611

Link zur jeweils aktuellsten Version: https://www.socialnet.de/lexikon/Altenbericht

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