Alter
Prof. Dr. habil. Gisela Thiele
veröffentlicht am 18.03.2020
Das Alter ist eine biometrische Messgröße, die die Lebenszeit anzeigt, die von der Geburt bis heute vergangen ist. Es ist eine relative, individuelle, heterogene und multidimensionale Größe, die nur vage bestimmbar ist. In den Sozialwissenschaften wird Alter als ein soziokulturelles Konstrukt aufgefasst, das historisch entsteht und sich im Verlauf der Jahre verändert. Alter wird auch – im Gegensatz zur Jugend – als Bezeichnung für den letzten Lebensabschnitt verwendet und markiert die Position im Lebenszyklus, die durch den physiologischen Prozess der Alterung determiniert ist.
Überblick
- 1 Zusammenfassung
- 2 Begriffsbestimmung
- 3 Messung des Alters
- 4 Einteilung und Differenzierung des Altersbegriffs
- 5 Altersstufen
- 6 Quellenangaben
- 7 Literaturhinweise
1 Zusammenfassung
Der Begriff des „Alters“ ist eine Messgröße, die die Lebenszeit eines Menschen bemisst. Es differenziert sich in unterschiedliche Phasen, die durch bestimmte Charakteristika gekennzeichnet sind (z.B. chronologisches Alter). Trotz erhöhter Verletzlichkeit im Alter sind die Plastizität und die Anpassungsleistungen inter- und intraindividuell äußerst verschiedenartig. Das Alter kann aber auch gestaltet werden, wobei soziale und gesellschaftliche Bedingungen zu beachten sind.
2 Begriffsbestimmung
In Bezug auf den physiologischen Prozess der Alterung ist der Begriff des Alters unbestimmt und entzieht sich einer allgemeingültigen Definition. Eine rechtlich verbindliche Definition, ab wann „das Alter“ beginnt, gibt es nicht. Soweit Rechtsnormen auf das Alter Bezug nehmen, verzichten sie deshalb auf eine genaue Altersangabe.
Auch die europäische Verfassung in Art. II-85 (Läufer 2005, S. 63 ff.) enthält keine Angabe des Alters, sondern beschreibt nur das Recht älterer Menschen auf ein würdiges und unabhängiges Leben sowie auf Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben. Die aufgrund von Art. 13 EG-Vertrag (Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft) erlassene Gleichbehandlungsrichtlinie 2000/78/EG (Sponholz 2017, S. 83 ff.) verweist darauf, dass Alter nicht zur Diskriminierung in der Erwerbsphase missbraucht werden darf.
Was unter Alter zu verstehen ist und welches Lebensalter ein Mensch haben muss, um als alt anerkannt zu werden, definiert deshalb das Europarecht nicht. Ebenso wird im Grundgesetz der Begriff Alter nicht festgelegt. Das Alter findet weder im Grundrechtskatalog noch bei den Staatszielen Erwähnung. Dennoch haben alte Menschen den Schutz der Freiheits- und Gleichheitsgrundrechte und des Sozialstaatsgebots in Art. 20 Abs. 1 GG. Das für alte Menschen besonders wichtige Betreuungsrecht nach den §§ 1896 ff. BGB kennt ebenfalls keine Definition des Altersbegriffs. Ähnlich ist der Befund im Sozialrecht: Die Altenhilfe nach § 71 SGB XII (Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch) etwa setzt ein bestimmtes Altersverständnis voraus, ohne dies selbst zu definieren.
Im Sozialrecht wird das kalendarische Alter zwar bei der Zusage von Leistungen ab einem bestimmten Lebensalter, beispielsweise bei der Altersrente nach dem SGB VI und bei Mehrbedarfszuschlägen nach dem SGB XII sowie bei der bedarfsorientierten Grundsicherung ab dem 65. Lebensjahr relevant. Dennoch orientieren sich Sozialleistungen in der Regel nicht am kalendarischen Alter, sondern an altersbedingten Einschränkungen. So setzt die Pflegeversicherung nicht etwa die Erreichung eines bestimmten Lebensalters voraus, sondern orientiert sich am Grad der altersbedingten Pflegebedürftigkeit.
Der Begriff Alter markiert allerdings bestimmte Statuspassagen, die ein Mensch erreichen muss, um beispielsweise wählen oder heiraten zu können und nur deshalb kommt ihm eine bestimmte Bedeutung zu, wenn auch eine relativ marginale.
Das Alter ist eine biometrische Messgröße, die die Lebenszeit anzeigt, die von Geburt an bis heute vergangen ist. Es ist eine relative, äußerst individuelle, heterogene und multidimensionale Größe, sodass sie, wie ausgeführt, nur vage bestimmbar ist. Diese Sichtweisen, aus denen man Alter auffassen und definieren kann, erschwert einen Konsens darüber, was man unter Alter versteht. Insofern wird es sozialwissenschaftlich als ein „soziokulturelles Konstrukt“ aufgefasst, das historisch entsteht und sich im Verlauf der Jahre verändert.
Alter wird auch als Bezeichnung für den letzten Lebensabschnitt Senium verwendet, im Gegensatz zur Jugend. Es markiert damit gleichzeitig die Position im Lebenszyklus, die durch den physiologischen Prozess der Alterung determiniert ist.
„Die größte Energie und höchste Spannung der Geisteskräfte findet, ohne Zweifel, in der Jugend statt, spätestens bis ins 35ste Jahr: von dem an nimmt sie, wiewohl sehr langsam, ab. Jedoch sind die späteren Jahre, selbst das Alter, nicht ohne geistige Kompensation dafür. Erfahrung und Gelehrsamkeit sind erst jetzt eigentlich reich geworden: man hat Zeit und Gelegenheit gehabt, die Dinge von allen Seiten zu betrachten und zu bedenken, hat jedes mit jedem zusammengehalten und ihre Berührungspunkte und Verbindungsglieder herausgefunden; wodurch man sie allererst jetzt so recht im Zusammenhange versteht“ (Schopenhauer 1977, S. 531).
3 Messung des Alters
Das Alter wird als einfacher Zahlenwert in verschiedenen Zeiteinheiten angegeben: In Jahren bei Erwachsenen, bei Neugeborenen und Kleinkindern in Tagen, Wochen oder Monaten. Es ist aber auch die gezählte, gemessene oder ermittelte Zeitspanne einer Sache, eines Gegenstandes oder eines Lebewesens und wird meist synonym für den letzten Lebensabschnitt eines Menschen gebraucht, obgleich damit allgemein alle Lebensalter gemeint sind.
4 Einteilung und Differenzierung des Altersbegriffs
Der Altersbegriff kann weiter differenziert werden in:
- kalendarisches (chronologisches) Alter
- biologisches (körperliches Alter)
- psychologisches Alter
- funktionales Alter und
- soziales Alter.
Am wenigsten individualisiert ist das kalendarische oder chronologische Alter. Es gibt die Lebenszeit seit der Geburt, also die Zahl der gelebten Jahre an. Es ist das Alter eines Individuums als reine Zeitangabe und dient der Organisation von gesellschaftlichen Abläufen, die per Gesetz vorgegeben sind wie z.B. Schuleintritt, Volljährigkeit und Rentenalter. Aus gerontologischer Sicht ist das kalendarische Alter wenig aussagekräftig, weil es zwischen Personen gleichen kalendarischen Alters große interindividuelle Unterschiede gibt.
Das biologische Alter bezieht sich auf körperliche Gegebenheiten, die den altersbedingten Zustand des Menschen charakterisieren. Es setzt bereits mit der vollständigen Entwicklung des Organismus ein und wird nach der statistischen Wahrscheinlichkeit der Alterung bestimmter biologischer bzw. organischer Befunde gekennzeichnet. Aus dieser Sichtweise ist Altern ein lebenslang andauernder Prozess von Abbau und Verlust, der zum natürlichen Tod führt (Thiele 2001, S. 16). Genetische Einflüsse, die Lebensführung und Umweltfaktoren können dazu führen, dass das biologische Alter nach oben oder unten vom chronologischen Alter abweicht.
Das psychologische Alter ist ein Maß, das sich auf den Anpassungsprozess des Menschen im Zeitablauf bezieht und drückt sich im subjektiven Altersempfinden als Selbsteinschätzung durch Aussagen aus wie: „Man ist so alt, wie man sich fühlt.“
Das funktionale Alter misst, in welchem Maß Fähigkeiten im Alltag erfüllt werden können, die durch körperliche und geistige Leistungsfähigkeit, Unabhängigkeit, Kompetenz und Gedächtnis beeinflusst werden.
Der soziale Altersbegriff umfasst alle genannten Aspekte: das kalendarische, biologische, funktionale und psychologische Alter. Es ist ein gesellschaftlich vermittelter Altersbegriff, der sich mit dem veränderten Status, den Rollen und Positionen im Verhältnis zum mittleren Lebensalter auseinandersetzt.
Neben der Notwendigkeit, Alter zu differenzieren, ist es wichtig, die positive Beeinflussbarkeit von Entwicklungsprozessen, die sogenannte Plastizität im Alter aufzuzeigen (Kruse 2017, S. 22).
Die Verlängerung des Alters im Allgemeinen sowie die Zunahme der Hochaltrigkeit im Besonderen stellt bei gleichzeitigem Bevölkerungsrückgang die sozialen Sicherungssysteme und die moderne Leistungsgesellschaft heute vor neue Herausforderungen.
5 Altersstufen
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO 2002) arbeitet mit der folgenden Definition der Lebensalter:
- Übergang ins Alter: 60- bis 65-Jährige
- junge Alte: 60- bis 74-Jährige
- Betagte und Hochbetagte: 75- bis 89-Jährige
- Höchstbetagte: 90- bis 99-Jährige
- Langlebige: 100-Jährige und älter.
Andere in den Sozialwissenschaften übliche Einteilungen sind die folgenden:
- drittes Lebensalter: ab 60 Jahre bis 80/85 Jahre,
- viertes Lebensalter: ab 80/85 Jahren.
In der Gerontologie hat sich die Differenzierung zwischen dem „dritten“ und „vierten Lebensalter“ etabliert. Während das dritte Lebensalter meist noch von weitgehend erhaltener körperlicher und psychischer Kompetenz bestimmt ist, lässt sich im vierten Lebensalter eine deutliche Zunahme der Verletzlichkeit beobachten (Kruse 2017, S. 29). Insbesondere der Anstieg an chronisch-degenerativen Erkrankungen, an Demenzen, Diabetes etc. verweist auf eine Zunahme der Multimorbidität im Alter. So wird das dritte Lebensalter mit der Hoffnung, das vierte vorwiegend mit dem Trauerflor assoziiert.
„Radikale biologische Unfertigkeit“ nennt Paul Baltes die Tatsache, dass unsere genetische Ausstattung uns nicht wirklich auf das hohe Lebensalter vorbereitet (Baltes 1996, S. 42). „Ich sehe das hohe Alter als das letzte Abenteuer des Lebens. Dieses Abenteuer mit Würde durchstehen zu können wird eine der größten individuellen und gesellschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts sein“ (Schäfer 2007, S. 45).
Im Alter wächst nach Kruse (2017, S. 118) die Furcht
- von anderen Menschen abgelehnt und nicht mehr ebenbürtig respektiert zu werden
- aus dem öffentlichen Raum ausgeschlossen zu werden und damit
- die Bindung zur Welt allmählich zu verlieren, was die eigene Verletzlichkeit weiter erhöht.
Gerade das Engagement für andere, Sorge für Menschen zu tragen, wird als Quelle subjektiv erlebter Zugehörigkeit und Wohlbefinden gedeutet (Kruse und Schmitt 2016, S. 342).
Im Vordergrund der statischen Betrachtung steht das Resultat des Altwerdens des Menschen im Zeitverlauf. Insofern ist das Alter statisch, es gibt die Zeitdauer von der Geburt bis heute an. Der dynamische Aspekt umschreibt dagegen den Prozess der Entwicklung und Reife im Lebensablauf sowie die Prozesse und Mechanismen, die zum Alter führen.
Altern ist ein langsamer Prozess der Veränderung und der Wandlung innerhalb eines Lebens. Der Übergang von einem Lebensabschnitt in den anderen erfolgt langsam und allmählich, ohne feste Bindung an ein bestimmtes kalendarisches Alter. Erfolgreiches Altern bedeutet, sich immer wieder bewusst zu machen, dass das Leben endlich ist und dass deshalb Achtsamkeit, die Konzentration auf das Hier und Jetzt, umso wichtiger werden.
6 Quellenangaben
Baltes, Paul B., 1996. Über die Zukunft des Alterns. Hoffnung mit Trauerflor. In: Margret M. Baltes und Leo Montada, Hrsg. Produktives Leben im Alter. Frankfurt/Main: Campus Verlag, S. 29–68. ISBN 978-3-593-35456-9
Kruse, Andreas, 2017. Lebensphase Hohes Alter: Verletzlichkeit und Reife. Berlin: Springer. ISBN 978-3-662-50414-7 [Rezension bei socialnet]
Kruse, Andreas und Eric Schmitt, 2016. Sorge um und für andere als zentrales Lebensthema im sehr hohen Alter. In: Johannes Stauder, Ingmar Rapp und Jan Eckhard, Hrsg. Soziale Bedingungen privater Lebensführung. Wiesbaden: Springer VS, S. 325–352. ISBN 978-3-658-10985-1
Läufer, Thomas, Hrsg., 2005. Verfassung der Europäischen Union: Verfassungsvertrag vom 29. Oktober 2004; Protokolle und Erklärungen zum Vertragswerk. Bonn: Bundeszentrale für Politische Bildung. Schriftenreihe Band 474. ISBN 978-3-89331-586-4
Schäfer, Annette, 2007. Sehr alt zu werden ist kein Zuckerschlecken. Portrait Paul Baltes. In: Psychologie heute. 33(2), S. 38–45. ISSN 0340-1677
Schopenhauer, Arthur, 1977. Vom Unterschiede der Lebensalter. Gesammelte Werke Band 8, Kapitel 6. Mainz: Universitätsverlag. ISBN 978-3-518-28264-9
Sponholz, Katharina, 2017. Die unionsrechtlichen Vorgaben zu den Rechtsfolgen von Diskriminierungen im Privatrechtsverkehr. Baden-Baden: Nomos. ISBN 978-3-8487-4145-8
Thiele, Gisela, 2001. Soziale Arbeit mit alten Menschen. Köln: Fortis Verlag. ISBN 978-3-933430-74-8 [Rezension bei socialnet]
Weltgesundheitsorganisation (WHO), Hrsg., 2002. Aktiv Altern: Rahmenbedingungen und Vorschläge für politisches Handeln. Genf: World Health Organisation (WHO), Ageing and Lifecourse.
7 Literaturhinweise
Baltes, Paul B., 1999. Altern und Alter als unvollendete Architektur der Humanontogenese. In: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie. 32(6), S. 433–448. ISSN 0948-6704
Kruse, Andreas und Hans-Werner Wahl, 2010. Zukunft Altern: Individuelle und gesellschaftliche Weichenstellungen. Heidelberg: Spektrum. ISBN 978-3-8274-2058-9
Zimmermann, Harm-Peer, Andreas Kruse und Thomas Rensch, Hrsg., 2016. Kulturen des Alterns: Plädoyers für ein gutes Leben bis ins hohe Alter. Frankfurt: Campus. ISBN 978-3-593-50553-4
Stauder Johannes, Ingmar Rapp und Jan Eckhard, Hrsg. 2016. Soziale Bedingungen privater Lebensführung. Wiesbaden: Springer VS. ISBN 978-3-658-10985-1
Verfasst von
Prof. Dr. habil. Gisela Thiele
Hochschule Zittau/Görlitz (FH)
Berufungsgebiete Soziologie, Empirische
Sozialforschung und Gerontologie
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Es gibt 4 Lexikonartikel von Gisela Thiele.
Zitiervorschlag
Thiele, Gisela,
2020.
Alter [online]. socialnet Lexikon.
Bonn: socialnet, 18.03.2020 [Zugriff am: 03.11.2024].
Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/249
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