Ambulanter Kinder- und Jugendhospizdienst
Jens Schneider
veröffentlicht am 07.07.2022
Ambulante Kinder- und Jugendhospizdienste ermöglichen – durch hauptamtliche Fachkräfte geleitet und koordiniert – eine bedarfsbezogene, überwiegend ehrenamtlich geleistete Begleitung und Unterstützung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit lebensverkürzenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen sowie der ihnen nahestehenden Menschen in ihrem persönlichen Lebensumfeld. Dies kann ab dem Zeitpunkt der Diagnosestellung und über den Tod hinaus erfolgen.
Überblick
- 1 Anlass, Bedarf und wichtige Arbeitsweisen
- 2 Die Geschichte der Kinderhospizbewegung
- 3 Rechtliche Grundlagen und finanzielle Rahmenbedingungen
- 4 Quellenangaben
- 5 Literaturhinweise
- 6 Informationen im Internet
1 Anlass, Bedarf und wichtige Arbeitsweisen
Statistisch gesehen leben in Deutschland ca. 50.000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit lebensverkürzenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen (eigene Berechnungen; Globisch et al. 2016). Etwa 4.500 bis 5.000 Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren sterben jedes Jahr an unheilbaren Krankheiten, die Hälfte von ihnen vor Ende des ersten Lebensjahres (Zernikow und Hasan 2013, S. 159).
Wenn Kinder, Jugendliche oder junge Erwachsene an einer lebensverkürzenden Erkrankung leiden, stellt dies insbesondere für die Betroffenen selbst, aber auch für ihre Eltern, Geschwister und für ihr weiteres soziales Umfeld eine außergewöhnlich dynamische Situation mit vielen Belastungen dar, weil ab der Bekanntgabe der Diagnose „der Tod nie mehr ganz wegzudenken ist aus dem Leben“ (Getz 2015, S. 27).
Für die betroffenen Kinder, Jugendlichen, jungen Erwachsenen sowie auch für ihre Bezugspersonen ist ab der Diagnosestellung, insbesondere aber auch in der letzten Lebensphase, oftmals eine bedarfsorientierte, umfassende medizinisch-pflegerische und psychosoziale Unterstützung sinnvoll. Diese wird in der ambulanten Arbeit in der Regel durch ein Netzwerk von unterschiedlichen Angeboten sichergestellt (z.B. niedergelassene Kinderärzte, Teams zur spezialisierten ambulanten pädiatrischen Palliativversorgung, ambulante Kinder- und Jugendhospizdienste, andere soziale Dienste mit haupt- und ehrenamtlichen Fach- und Betreuungskräften, Nachbarn und Freunde, Selbsthilfegruppen).
Ambulante Kinder- und Jugendhospizdienste verstehen sich in diesem Gefüge als möglichst weitreichend vernetztes und ergänzendes Angebot zu den Leistungserbringern im Sozial- und Gesundheitssystem.
Die Begleitung durch einen AKHD ist für die Familien kostenfrei. Sie erfolgt unabhängig vom jeweiligen Lebensmittelpunkt der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, also zu Hause, in Wohn- und Pflegeinrichtungen sowie auch während ihrer oft wiederkehrenden Klinikaufenthalte in Kooperation und Absprache mit den jeweiligen Trägern der Einrichtungen. Insbesondere die psychosoziale Unterstützung der erkrankten Kinder und Jugendlichen stellt eine der wichtigsten Aufgaben in der ambulanten Kinder- und Jugendhospizarbeit dar. Prägendes Element ist dabei die ehrenamtliche Begleitung, die professionelle Angebote ergänzen, aber nicht ersetzen kann.
Handlungsleitend in den Begleitungen durch ambulante Kinder- und Jugendhospizdienste ist eine konsequente Bedürfnis- und Ressourcenorientierung in fortlaufender Kommunikation und Interaktion mit den Betroffenen (Jennessen et al. 2011, S. 66). Insbesondere das Ziel der Stärkung von Ressourcen zur Selbsthilfe ist ein wichtiges Wesensmerkmal der Kinder- und Jugendhospizarbeit. Darüber hinaus erfolgt bei Bedarf eine fachlich fundierte, auch palliativ-pflegerische Beratung durch entsprechend ausgebildete Koordinationsfachkräfte. Sie sind in den ambulanten Kinder- und Jugendhospizdiensten außerdem für die Gewinnung, Schulung, Koordination und fachliche Unterstützung der ehrenamtlich tätigen Personen verantwortlich.
Den Kinder- und Jugendhospizdiensten fallen neben der Lebens-, Sterbe- und Trauerbegleitung außerdem eine Reihe von anderen Aufgaben zu, wie zum Beispiel die Öffentlichkeits- und die Netzwerkarbeit.
Die AKHD sollten möglichst überschaubare Organisationseinheiten sein, um eine persönliche Atmosphäre zu begünstigen. Ein internes Dokument des Deutschen Kinderhospizverein e.V. beschreibt mit etwa 70 ehrenamtlich Mitarbeitenden, rund 30 Begleitungen und maximal drei hauptamtlichen Koordinationsfachkräften Orientierung gebende Kennzahlen für die Größe seiner ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienste. Diese aus der Sicht des Vereins noch überschaubare Größe soll der Intention nach den persönlichen Kontakt und die intensive Begegnung zwischen haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden sowie den betroffenen Familien fördern.
2 Die Geschichte der Kinderhospizbewegung
Im Jahr 1967 entstand mit dem St. Christopher’s Hospice in London das erste Hospiz für Erwachsene mit moderner Prägung. Die Ursprünge der Kinderhospizbewegung werden ebenfalls in Großbritannien, jedoch etwa zehn Jahre später am Ende der 1970er-Jahre verortet. Im Jahr 1982 wurde im britischen Oxford das Helen House als weltweit erstes Kinderhospiz eröffnet (Jennessen et al. 2011, S. 49).
Diese britischen Entwicklungen gelten als Basis und Vorbild für die Entwicklungen in Deutschland. Ab den 1990er-Jahren bildete sich hier resultierend aus den Selbsthilfebestrebungen betroffener Familien als spezieller Zweig der Hospizarbeit eine deutsche Kinderhospizbewegung heraus (Schneider 2020, S. 3). Im Jahr 1990 gründete sich beispielsweise unter Federführung betroffener Familien der Deutsche Kinderhospizverein e.V., der als einer der Urheber und heute als Dachorganisation für die Kinder- und Jugendhospizarbeit in Deutschland gilt. Ergänzend gründete sich im Jahr 2002 als weitere Dachorganisation ein Bundesverband Kinderhospiz.
Das erste stationäre Kinder- und Jugendhospiz Balthasar wurde im Jahr 1998, auch unter Mitwirkung des Deutschen Kinderhospizverein e.V., in Olpe (Sauerland) eröffnet. Als erster eigenständiger ambulanter Kinder- und Jugendhospizdienst nahm 1999 in Baden-Württemberg der Häusliche Kinder- und Jugendhospizdienst Kirchheim/Teck seine Arbeit auf. Weitere Gründungen ambulanter und stationärer Einrichtungen erfolgten im gesamten Bundesgebiet ab Anfang der 2000er-Jahre. Heute, im Jahr 2022, gibt es in Deutschland 17 stationäre Kinder- und Jugendhospize, zwei Tageskinderhospize sowie mehr als 200 ambulante Kinder- und Jugendhospizangebote. Einen guten Überblick zur Situation gibt hier das Suchportal des Deutschen Kinderhospizvereins für Kinder- und Jugendhospizangebote in Deutschland.
3 Rechtliche Grundlagen und finanzielle Rahmenbedingungen
In ihren Anfangsjahren war die Hospizarbeit in Deutschland rein über freiwillige Zuwendungen, insbesondere durch Spenden von Privatpersonen finanziert. Seit dem Jahr 1998 beteiligen sich die Krankenkassen laut § 39a Abs. 1 SGB V an der Förderung der Kosten für stationäre Hospize. Im Jahr 2001 wurde dieser Paragraph um einen Absatz 2 erweitert, der nun auch die finanzielle Förderung der ambulanten Hospizleistungen durch die Krankenkassen sicherstellt (Student et al. 2016, S. 148).
Gefördert werden demnach ambulante (Kinder- und Jugend-) Hospizdienste, die für Versicherte, die keiner stationären Behandlung bedürfen, in ihrem Lebensumfeld eine qualifizierte, ehrenamtliche Sterbebegleitung vorsehen (§ 39a Abs. 2 Satz 1 SGB V). Förderfähig durch die Krankenkassen sind die Personalkosten für hauptamtliche Fachkräfte sowie auch Sachkosten, wie beispielsweise Fahrtkosten, Mietkosten, Kosten für die Ausstattung der Büros und notwendige Versicherungen (§ 39a Abs. 2 Satz 5 SGB V).
Dennoch bleibt bis heute sowohl für die stationäre als auch für die ambulante Hospizarbeit ein erheblicher, überwiegend spendenfinanzierter Anteil offen. So erfahren beispielsweise Angebote der (kinder-) hospizlichen Akademie- und Bildungsarbeit, aber auch die hospizlichen, nichttherapeutischen Angebote zur Trauerbegleitung keine reguläre finanzielle Unterstützung aus öffentlichen Mitteln.
Ergänzend zum § 39a SGB V gibt es entsprechende Rahmenvereinbarungen, die „das Nähere zu den Voraussetzungen der Förderung sowie zu Inhalt, Qualität und Umfang der ambulanten Hospizarbeit“ beschreibt (GKV-Spitzenverband et al. 2002; § 39a Abs. 2 Satz 8 SGB V).
4 Quellenangaben
Getz, Marion, 2015. Leben dazwischen. Familien mit unheilbar kranken und schwerstbehinderten Kindern in unserer Gesellschaft. Ein Aufruf zu Handeln. Norderstedt: Books on Demand. ISBN 978-3-7347-9495-7
GKV-Spitzenverband et al., 2002.Rahmenvereinbarung nach § 39a Abs. 2 Satz 8 SGB V zu den Voraussetzungen der Förderung sowie zu Inhalt, Qualität und Umfang der ambulanten Hospizarbeit vom 03.09.2002, i.d.F. vom 14.03.2016 [online]. Berlin: Deutscher Hospiz- und PalliativVerband e.V. [Zugriff am: 05.04.2022]. Verfügbar unter: https://www.dhpv.de/files/​public/​themen/​Rahmenvereinbarung_%C2%A7_39a_Abs%20_2_Satz_8_SGB%20V_2016_03_14_.pdf
Jennessen, Sven, Astrid Bungenstock und Eileen Schwarzenberg, 2011. Kinderhospizarbeit: Konzepte, Erkenntnisse, Perspektiven. Stuttgart: Kohlhammer Verlag. ISBN 978-3-17-027838-7
Schneider, Jens, 2020. Theorie und Praxis der Freiwilligenarbeit: Eine Analyse und Reflexion des ehrenamtlichen Engagements in der ambulanten Kinder- und Jugendhospizarbeit. Thesis zur Erlangung des Grades „Master of Arts“, unveröffentlicht. Münster
Student, Johann-Christoph, Albert Mühlum und Ute Student, 2016. Soziale Arbeit in Hospiz und Palliative Care. 3. vollständig überarbeitete Auflage. München und Basel: Ernst Reinhardt Verlag. ISBN 978-3-8252-4715-7 [Rezension bei socialnet]
Zernikow, Boris, Hrsg., 2013. Palliativversorgung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. 2., überarbeitete Auflage. Heidelberg: Springer Verlag. ISBN 978-3-642-29610-9
Zernikow, Boris, Marcel Globisch und Andreas Müller, 2015. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit lebensverkürzender Erkrankung und ihre besondere Berücksichtigung in der Charta. In: Die Hospiz Zeitschrift. 17(66), Seiten. ISSN 1617-3686
5 Literaturhinweise
Globisch, Marcel und Thorsten Hillmann, Hrsg., 2022. Handbuch der Kinder- und Jugendhospizarbeit. Grundlagen und Praxis. Ambulant, Stationär, Bildung. Veröffentlichung geplant im August/​September 2022. ISBN ISBN 978-3-946527-46-6
Hillmann, Thorsten, Marcel Globisch und Deutscher Kinderhospizverein e.V., Hrsg., 2017. Kinder- und Jugendhospizarbeit in der Praxis: Zum Aufbau, zur inhaltlichen Konzeption und zur Arbeitsweise von ambulanten Kinder- und Jugendhospizdiensten. Esslingen: der hospiz verlag. ISBN 978-3-946527-12-1
Fink, Michaela und Oliver Schultz, 2021. Das Ehrenamt in der Sterbebegleitung: Gegenwärtige Herausforderungen und künftige Chancen. Bielefeld: transcript Verlag. ISBN 978-3-8376-5725-8
Heller, Andreas, Sabine Pleschberger, Michaela Fink und Reimer Gronemeyer, 2013. Die Geschichte der Hospizbewegung in Deutschland. Ludwigsburg: der hospiz verlag. ISBN 978-3-941251-53-3 [Rezension bei socialnet]
Klie, Thomas, Werner Schneider, Christine Moeller-Bruker und Christina Greißl, 2019. Ehrenamtliche Hospizarbeit in der Mitte der Gesellschaft? Empirische Befunde zum zivilgesellschaftlichen Engagement in der Begleitung Sterbender. Esslingen: der hospiz verlag. ISBN 978-3-946527-28-2 [Rezension bei socialnet]
6 Informationen im Internet
- Bundesverband Kinderhospiz
- Deutscher Hospiz- und Palliativverband e.V. (DHPV)
- Deutscher Kinderhospizverein e.V.
- Suchportal des Deutschen Kinderhospizvereins für Kinder- und Jugendhospizangebote in Deutschland
Verfasst von
Jens Schneider
Sozialmanager M.A. und Diplom-Sozialpädagoge (FH), Palliative Care-Pflegefachkraft
Jens Schneider engagiert sich seit dem Jahr 1998 in der Hospizbewegung. Hier hat er Erfahrungen als ehrenamtlicher Sterbebegleiter, als Pflegefachkraft in einem stationären Hospiz und in der ambulanten Palliativversorgung gesammelt. Seit dem Jahr 2005 arbeitet Jens Schneider für den Deutschen Kinderhospizverein e.V. und dort ist er heute tätig als Bereichsleitung für die ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienste des Vereins.
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