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Angststörung

Dipl. Psychologin Johanna Trittien

veröffentlicht am 01.11.2024

Englisch: anxiety disorder

Medizinischer Disclaimer: Herausgeberin und Autor:innen haften nicht für die Richtigkeit der Angaben. Beiträge zu Gesundheitsthemen ersetzen keine ärztliche Beratung und richten sich nur an Fachleute.

Angststörungen sind eine Gruppe von psychischen Erkrankungen, die durch übermäßige und irrationale Angstreaktionen gekennzeichnet sind. Die Angst kann sich auf spezifische Objekte, Situationen oder allgemein auf das tägliche Leben beziehen. Angststörungen zählen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen weltweit und beeinträchtigen die Lebensqualität der Betroffenen erheblich.

Überblick

  1. 1 Bezeichnungen
  2. 2 Verbreitung
  3. 3 Ursachen
    1. 3.1 Biologische Faktoren
    2. 3.2 Psychologische Faktoren
    3. 3.3 Soziale und soziokulturelle Faktoren
  4. 4 Symptome und Diagnostik
    1. 4.1 Generalisierte Angststörung 
    2. 4.2 Panikstörung
    3. 4.3 Soziale Angststörung
    4. 4.4 Spezifische Phobien
    5. 4.5 Differenzialdiagnostik
    6. 4.6 Diagnostik – geeignete Fragebögen und Tests
      1. 4.6.1 Klinische Tests zur Diagnostik von Angststörungen
      2. 4.6.2 Selbsttests im Internet
  5. 5 Therapie und Prognose
    1. 5.1 Prognose
    2. 5.2 Therapeutische Ansätze
    3. 5.3 Pharmakologische Behandlung
  6. 6 Prävention
  7. 7 Quellenangaben
  8. 8 Literaturhinweise
  9. 9 Informationen im Internet

1 Bezeichnungen

Angststörungen umfassen verschiedene klinische Bilder, die im Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, DSM-5) und der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, ICD-11) unterschieden werden. Zu den bekanntesten Formen zählen:

  • die Generalisierte Angststörung (GAS, englisch: Generalized anxiety disorder [GAD]),
  • die Panikstörung,
  • die Soziale Angststörung und
  • spezifische Phobien.

Angststörungen unterscheiden sich von normalen Angstreaktionen durch ihre Intensität, die Dauer und den Grad der Beeinträchtigung, den sie im täglichen Leben der Betroffenen verursachen.

2 Verbreitung

Angststörungen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen weltweit (Plag, Ströhle und Hoyer 2023). Das Risiko, im Laufe des Lebens an einer der Angststörungen zu erkranken (Lebenszeitprävalenz), liegt nach internationalen Studien zwischen 14 und 29 % (Kessler et al. 2005a; Somers et al. 2006). Für Deutschland wurde in der „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ für alle Angststörungen eine 12-Monats-Prävalenz von 15,3 % der Bevölkerung errechnet (Jacobi et al. 2014). Die Häufigkeit variiert je nach Typ der Angststörung und Altersgruppe, wobei die Symptome oft in der späten Adoleszenz oder im frühen Erwachsenenalter beginnen.

3 Ursachen

Die Entstehung von Angststörungen ist multifaktoriell und umfasst ein Zusammenspiel von biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren (Zubrägel und Linden 2011).

3.1 Biologische Faktoren

Genetische Disposition spielt eine bedeutende Rolle bei der Anfälligkeit für Angststörungen. Studien zeigen, dass nahe Verwandte von Betroffenen ein erhöhtes Risiko haben, ebenfalls an einer Angststörung zu erkranken. Auch neurobiologische Faktoren, wie die Dysregulation von Neurotransmittern (z.B. Serotonin, Noradrenalin), sind von Bedeutung.

3.2 Psychologische Faktoren

Kognitive Theorien betonen die Rolle dysfunktionaler Denkmuster und Überzeugungen, die dazu führen, dass Betroffene harmlose Situationen als bedrohlich wahrnehmen. Lerntheorien betonen die Rolle der klassischen und operanten Konditionierung bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung von Angst.

3.3 Soziale und soziokulturelle Faktoren

Das soziale Umfeld und soziokulturelle Einflüsse tragen ebenfalls zur Entstehung von Angststörungen bei. Traumatische Ereignisse, übermäßiger Stress und ungünstige familiäre Strukturen können das Risiko einer Erkrankung erhöhen. Zudem spielen kulturelle Normen und Erwartungen eine Rolle, insbesondere in Bezug auf soziale Angststörungen.

4 Symptome und Diagnostik

Angststörungen manifestieren sich in verschiedenen Symptombildern, die je nach Typ der Störung variieren (Plag, Ströhle und Hoyer 2023).

4.1 Generalisierte Angststörung 

Betroffene der Generalisierten Angststörung leiden unter anhaltender, übermäßiger Sorge in Bezug auf verschiedene Lebensbereiche. Diese Sorgen sind schwer zu kontrollieren und werden oft von körperlichen Symptomen wie Muskelverspannungen, Schlafstörungen und Unruhe begleitet.

4.2 Panikstörung

Die Panikstörung ist durch wiederkehrende, unerwartete Panikattacken gekennzeichnet, die von intensiver Angst und körperlichen Symptomen wie Herzrasen, Schwitzen und Atemnot begleitet werden. Betroffene entwickeln oft eine Angst vor der Angst (Antizipationsangst) und vermeiden Situationen, in denen sie bereits eine Panikattacke erlebt haben.

4.3 Soziale Angststörung

Wird in sozialen oder leistungsbezogenen Situationen übermäßig Angst empfunden, negativ bewertet oder bloßgestellt zu werden, handelt es sich um eine Soziale Angststörung (auch Soziale Phobie genannt). Dies führt oft zu einem ausgeprägten Vermeidungsverhalten, das das soziale und berufliche Leben erheblich einschränkt.

4.4 Spezifische Phobien

Spezifische Phobien beziehen sich auf intensive, irrationale Ängste vor bestimmten Objekten oder Situationen (z.B. Höhen, Tiere, Fliegen). Diese Ängste führen oft zu Vermeidungsverhalten und erheblichem Leidensdruck.

4.5 Differenzialdiagnostik

Differenzialdiagnostisch ist es wichtig, Angststörungen von anderen psychischen Erkrankungen wie Depressionen, posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) und Zwangsstörungen abzugrenzen. Auch somatische Erkrankungen (z.B. Schilddrüsenüberfunktion) können ähnliche Symptome verursachen und müssen ausgeschlossen werden (Becker und Hoyer 2005).

4.6 Diagnostik – geeignete Fragebögen und Tests

Die Diagnostik von Angststörungen erfordert eine sorgfältige Erfassung der Symptome, um eine genaue Differenzierung zwischen verschiedenen Störungsbildern zu ermöglichen. Neben klinischen Interviews spielen standardisierte Fragebögen und Tests eine wichtige Rolle bei der Beurteilung der Schwere der Angst sowie bei der Verlaufskontrolle und Evaluation von Behandlungserfolgen. Im klinischen Setting kommen verschiedene validierte Instrumente zum Einsatz, die auf spezifische Angststörungen zugeschnitten sind.

4.6.1 Klinische Tests zur Diagnostik von Angststörungen

Tabelle 1 gibt einen Überblick über drei häufig eingesetzte klinische Testverfahren zur Diagnostik von Angststörungen. Diese sind international anerkannt und werden in der klinischen Praxis regelmäßig zur Diagnostik und Behandlungsplanung einer Psychotherapie eingesetzt.

Tabelle 1: Überblick klinische Testverfahren zur Diagnostik von Angststörungen (eigene Darstellung)
Testname Beschreibung Autoren
Beck Angst-Inventar (BAI) 21-Item-Fragebogen, der die Intensität von somatischen und kognitiven Angstsymptomen in den letzten Wochen misst Beck et al. (1988)
State-Trait-Angstinventar (STAI) misst Zustandsangst (State) sowie Eigenschaftsangst (Trait) und ermöglicht die Differenzierung zwischen temporärer und anhaltender Angst Spielberger et al. (1970)
Hamilton-Angst-Skala (HAM-A) klinischer Beurteilungsmaßstab zur Erfassung des Schweregrads von Angststörungen anhand von 14 psychischen und somatischen Symptomen Hamilton (1959)

4.6.2 Selbsttests im Internet

Neben den standardisierten klinischen Tests gibt es auch verschiedene Online-Selbsttests, die als erste Orientierung für Betroffene dienen können. Sie können dabei helfen, typische Symptome einer Panikattacke zu erkennen. Diese Selbsttests sollten jedoch nicht als Ersatz für eine professionelle Diagnose gesehen werden, sondern als Hinweis auf mögliche Probleme, die einer ärztlichen bzw. psychotherapeutischen Abklärung bedürfen.

5 Therapie und Prognose

Die Therapie von Angststörungen ist vielfältig und zielt darauf ab, die Symptome zu lindern und den Betroffenen zu helfen, besser mit ihrer Angst umzugehen.

5.1 Prognose

Die Prognose von Angststörungen variiert je nach Schweregrad und Typ sowie der Zugänglichkeit zu geeigneten Behandlungsformen. Unbehandelt können Angststörungen chronisch verlaufen und die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen.

5.2 Therapeutische Ansätze

Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) ist die am besten erforschte und effektivste psychotherapeutische Methode zur Behandlung von Angststörungen. Sie hilft den Betroffenen, dysfunktionale Gedankenmuster zu identifizieren und zu verändern, sowie durch Expositionstherapie ihre Ängste zu überwinden (Bandelow et al. 2021).

5.3 Pharmakologische Behandlung

In einigen Fällen werden Medikamente wie selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) oder Benzodiazepine eingesetzt, um die Symptome zu lindern. Diese sollten jedoch in der Regel nur in Kombination mit Psychotherapie und unter sorgfältiger ärztlicher Aufsicht verwendet werden (Bandelow et al. 2021).

6 Prävention

Präventive Maßnahmen umfassen die Förderung von Resilienz und Bewältigungsstrategien, die Reduzierung von Stressfaktoren und die frühzeitige Intervention bei ersten Anzeichen einer Angststörung. Auch Aufklärung und Sensibilisierung über Angststörungen in der Gesellschaft spielen eine wichtige Rolle.

7 Quellenangaben

Bandelow, Borwin et al., 2021. S3-Leitlinie Behandlung von Angststörungen: Version 2 [online]. Berlin: AWMF, 04.2021 [Zugriff am: 06.09.2024]. Verfügbar unter: https://register.awmf.org/de/leitlinien/​detail/​051-028

Beck, Aaron T., Naomi Epstein, Gary Brown und Robert A. Steer, 1988. An Inventory for Measuring Clinical Anxiety: Psychometric Properties. In: Journal of Consulting and Clinical Psychology. 56(6), S. 893–897. ISSN 0022-006X

Becker, Eni S. und Jürgen Hoyer, 2005. Generalisierte Angststörung. Göttingen: Hogrefe Verlag. ISBN 978-3-8409-1426-3

Hamilton, Max, 1959. The Assessment of Anxiety States by Rating. In: The British Journal of Medical Psychology. 32(1), S. 50–55. ISSN 0007-1129

Jacobi, Frank, Michael Höfler, Jens Strehle, Simon Mack, Anja Gerschler, Lucie Scholl, Markus Busch, Ulrike Maske, Ulfert Hapke, Wolfgang Gaebel, Wolfgang Maier, Michael Wagner, Jürgen Zielasek und Hans-Ulrich Wittchen, 2014. Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung: Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul Psychische Gesundheit (DEGS1-MH). In: Nervenarzt. 85(1), S. 77–87. ISSN 0028-2804

Kessler, Ronald C., Patricia Berglund, Olga Demler, Robert Jin, Kathleen R. Merikangas und Ellen E. Walters, 2005a. Lifetime prevalence and age-of-onset distributions of DSM-IV disorders in the National Comorbidity Survey Replication. In: Archives of General Psychiatry. 62(6), S. 593–602. ISSN 0375-8532

Plag, Jens, Andreas Ströhle und Jürgen Hoyer, Hrsg., 2023. Praxishandbuch Angststörungen. München: Urban & Fischer Verlag/​Elsevier GmbH. ISBN 978-3-437-21372-4

Somers, Julian M., Elliot M. Goldner, Paul Waraich und Lorena Hsu, 2006. Prevalence and incidence studies of anxiety disorders: a systematic review of the literature. In: Canadian journal of Psychiatry. 51(2), S. 100–13. ISSN 0706-7437

Spielberger, Charles D., Richard L. Gorsuch und Robert Lushene, 1970. STAI manual for the State-Trait Anxiety Inventory: self-evaluation questionnaire. Palo Alto: Consulting Psychologists Press

Zubrägel, Dietmar und Michael Linden, 2011. Generalisierte Angststörung. In: Michael Linden und Martin Hautzinger, Hrsg. Verhaltenstherapiemanual. Berlin, Heidelberg: Springer. ISBN 978-3-642-16197-1

8 Literaturhinweise

Becker, Eni S. und Jürgen Margraf, 2016. Generalisierte Angststörung: Ein Therapieprogramm: mit E-Book inside und Arbeitsmaterial. Göttingen: Beltz Verlag. ISBN 978-3-621-28308-3

Schmidt-Traub, Sigrun, 2020. Angst bewältigen: Selbsthilfe bei Panik und Agoraphobie. 7., vollständig überarbeitete Auflage. Berlin: Springer. ISBN 978-3-662-61121-0

9 Informationen im Internet

Verfasst von
Dipl. Psychologin Johanna Trittien
Psychologische Psychotherapeutin für Verhaltenstherapie
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