Antiautoritäre Erziehung
Manfred Berger
veröffentlicht am 25.03.2022
Unter dem Begriff „Antiautoritäre Erziehung“ werden die verschiedenen Erziehungsstile zusammengefasst, die in Deutschland ab Ende der 1960er-Jahre für eine nichtrepressive, möglichst zwangfreie Form der Erziehung von Kindern eintraten, und damit für eine Abkehr von den vorherrschenden traditionell-autoritären Erziehungskonzepten.
Überblick
- 1 Zusammenfassung
- 2 Ursprünge und Entstehungsgeschichte
- 3 Pädagogische Grundsätze
- 4 Antiautoritäre „freie“ Sexualerziehung
- 5 Fazit
- 6 Quellenangaben
- 7 Informationen im Internet
1 Zusammenfassung
Die antiautoritäre Erziehung ist zu verorten in den „Neuen Sozialen Bewegungen“ der 1968er und folgenden Jahre, einer Zeit, die in engem Zusammenhang mit der Studenten-, (zweiten) Frauen- und Kinderladenbewegung steht.
Historisch gesehen gehört die antiautoritäre Erziehung/​Bewegung der Vergangenheit an. Sie verstand sich als Gegenentwurf zu der damaligen Anpassungs-Pädagogik mit ihren verkrusteten bürgerlich traditionellen Erziehungsmethoden. Die von den „Antiautoritären“ propagierte „Reformerziehung“ ist ein Sammelbegriff für die verschiedenen Erziehungsstile (-konzepte), die im Rückgriff auf die sozialistische und psychoanalytische Pädagogik der 1920er-Jahre „und auf der Basis einander widerstrebender Theorien (Marxismus, Reformpädagogik und gleichzeitig antikapitalistische Kritik der Reformpädagogik) entstanden“ (Günther et al. 2018, S. 21).
Die antiautoritäre Erziehung verstand sich als Alternative zu den bis dahin vorrangig in kommunaler und kirchlicher Trägerschaft stehenden vorschulischen Einrichtungen und ist eng mit der Entstehung der „Kinderläden“ verbunden sowie als „Kinderladenbewegung“ integraler Bestandteil der von den „68ern“ ausgelösten (Reform-)Protestbewegungen. Als alternative Erziehung lehnte sie die herkömmliche zwanghafte, eingrenzende, sanktionierende, trieb- und sexualfeindliche Erziehung ab und präferierte eine lustbejahende, Gefühle, Verstand und Autonomie unterstützende pädagogische Praxis.
2 Ursprünge und Entstehungsgeschichte
2.1 Reformpädagogik
Im Gefolge reformpädagogischer Schul- und Unterrichtsversuche entstanden in Deutschland in den 1920er-Jahren Ansätze zu einer Pädagogik mit (teilweise radikalen) sozialistischen Zielsetzungen. Dabei gingen insbesondere von dem im Jahr 1919 gegründeten „Bund Entschiedener Schulreformer“ wegweisende Impulse aus. Zu den Pionier:innen dieser bis 1933 existierenden Bewegung zählten Olga Essig, Clara Grunwald, Franz Hilker, Edwin Hoernle, Otto Felix Kanitz, Fritz Karsen, Paul Oestreich, Otto Rühle, Henny Schumacher, Anna Siemsen, um nur einige der vielen zu nennen (Neuner 1980). Die Erziehungsvorstellungen der Genannten zielten primär nicht nur auf die Behebung der Mängel im (frühpädagogischen) Bildungs- und Erziehungswesen, bspw. der Benachteiligung der Arbeiterkinder, sondern vielmehr auf eine Umformung der kapitalistischen Gesellschaft. Es ging um „Klassenerziehung, nicht aber um eine strikte Verpflichtung auf die Linie einer bestimmten Partei“ (Oelkers 1989, S. 170).
Des Weiteren hatten seit den Anfängen der Psychoanalyse und Psychoanalytischen Pädagogik Pädagog:innen und Psycholog:innen wie Siegfried Bernfeld, Bruno Bettelheim, Anna Freud, Sigmund Freud, Melanie Klein, Wilhelm Reich und Nelly Wolffheim, deren Schriften durch den Nationalsozialismus in Vergessenheit gedrängt worden waren, wichtige Impulse für die Weiterentwicklung reformpädagogischer Denk- und Arbeitsweisen gesetzt.
Zu guter Letzt sind noch Maria Montessori und Rudolf Steiner zu erwähnen, die mehr oder weniger die Theorie und Praxis der „Pädagogischen Reformbewegung“ der 1920er-Jahre beeinflussten.
Eine reiche Ideenressource fanden die Antiautoritären in Alexander Sutherland Neills Buch „Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung. Das Beispiel Summerhill“ (Neill 1969), zu jener Zeit mit Abstand das erfolgreichste Werk zur antiautoritären Erziehung, sowie in dem Bericht (als Raubdruck erschienen) über das psychoanalytisch orientierte Moskauer „Kinderheim-Laboratorium“ der Psychoanalytikerin W(V)era Fjodorowna Schmidt (Aden-Grossmann 2002, S. 64 f; Autorenkollektiv 1970, S. 46 ff.; Auchter 1973, S. 18 ff.; Berger 2016, S. 160 ff.; Brachers-Chyrek 2021, S. 55 ff; Göddertz 2018, S. 17 ff.).

2.2 Kinderladenbewegung
Die antiautoritäre Erziehung steht in enger Verbindung mit der Kinderladenbewegung. Zeitgleich mit den Protesten gegen den Vietnam-Krieg wurden in West-Berlin, der Hochburg der Kinderladenbewegung, die ersten antiautoritären Kinderkollektive in leerstehenden „Tante-Emma-Läden“ ins Leben gerufen (Breiteneicher et al. 1971, S. 34 ff.). Bereits Anfang 1969 gab es 11 Kinderläden (Sontheimer und Wensierski 2018, S. 95). Die alternativen Einrichtungen fanden Zuspruch und finanzielle Unterstützung seitens der SPD-Regierung. Trotz diffamierender Äußerungen seitens der Presse, wie bspw. in der „Berliner Morgenpost“, die einen Artikel unter dem Titel „Im ‚Kinderladen‘ hat Mao das Rotkäppchen verdrängt“ veröffentlichte, (a.a.O., S. 90) entstand in kürzester Zeit ein dicht gewebtes Netz von weiteren vergleichbaren Einrichtungen in vielen Städten der BRD. Kinderläden und antiautoritäre/repressionsfreie Kindergärten (dabei bewusst die übliche Bezeichnung beibehaltend) wurden von jungen Eltern aus unterschiedlichen Herkunftsfamilien ins Leben gerufen. Die (meisten) der antiautoritären Vorschuleinrichtungen verstanden sich als alternative Reformbewegung, als eine Reaktion auf
- den drastischen Mangel an Kindergartenplätzen, verbunden mit einer geringen Professionalisierung der Fachkräfte
- die Vereinsamung in der bürgerlichen Kleinfamilie (zunehmend Einzelkinder), „in der das Kind durch seine materielle und emotionale Abhängigkeit zum Besitzobjekt seiner Eltern degradiert wird“ (Reißmann 1980, S. 34)
- den in den herkömmlichen Vorschuleinrichtungen vorherrschenden affirmativen Erziehungsstil, der auf Gehorsam, Ordnungssinn, Reinlichkeit, Anpassung, Unterdrückung der kindlichen Sexualität u.dgl.m. abzielte
- die Auseinandersetzung mit tradierten Rollenzuschreibungen, der sich verändernden Rolle der Frauen, die nicht mehr nur für die Erziehung der Kinder verantwortlich sein wollten und schließlich
- die Überzeugung, dass jede Erziehung politische Folgen hat, auch wenn sie sich noch so privat und persönlich versteht.

2.3 Frankfurter Kinderschule

Unabhängig von der Kinderladen- und Studentenbewegung entstand fast zur gleichen Zeit im Frühjahr 1967 in Frankfurt/Main die erste antiautoritäre, auf psychoanalytischer Basis beruhende Vorschuleinrichtung, die sich „Frankfurter Kinderschule“ (Integration von Kindergarten, Vorschule und später evtl. Grundschule) nannte (Werder 2020, S. 49 ff.). Diese wurde von Monika Seifert ins Leben gerufen, ähnlich der „Kirkdale School“, die die Soziologin während ihres einjährigen Studienaufenthalts in London kennengelernt hatte (ebd.). Anlass für die Gründung der alternativen Einrichtung war, dass für die Kinderschulinitiatorin eine vorschulische Betreuung ihrer Tochter in einem „normalen“ Kindergarten nicht in Frage kam, „auch nicht Waldorf oder Montessori. Es sollte ein Kindergarten sein, der auf die Bedürfnisse der Kinder eingeht und nicht einer, der erzieht“ (Finkbeiner 1988, S. 42). Anfänglich sprach Monika Seifert von „repressionsfreier Erziehung“. Etwa ab 1968 verwendete sie zur Charakterisierung ihres pädagogischen Konzeptes die Bezeichnung „antiautoritäre Erziehung“ (Seifert 1971, S. 159 ff.; Seifert 1977, S. 29 ff.).
3 Pädagogische Grundsätze
Der Begriff antiautoritäre Erziehung ist vielschichtig. Darunter subsumieren sich unterschiedliche Erziehungsstile (Bezeichnungen). So ist z.B. von der „laissez-fairen“, „freiheitlichen und konsequent demokratischen“, „repressionsfreien“ bzw. „nicht repressiven“, „neuen alternativen“, „triebbejahenden“, „sexualfreundlichen“, „emanzipatorischen“, „psychoanalytischen“, „sozialistischen“ oder „sozialistisch-marxistischen“, „kritisch-antibürgerlichen“, „autoritätsfreien“, „selbstverwaltenden“ sowie „revolutionären“ Erziehung die Rede (Weber 1974, S. 35; Auchter 1973, S. 47).
Die Agitatorinnen und Agitatoren der antiautoritären Erziehung versuchten die zentralen pädagogischen Aussagen ihrer historischen Vorbilder aus den 1920er-Jahren mit den kritischen Studien und Analysen von Vertretern der „Frankfurter Schule“, allen voran Theodor W. Adorno, Erich Fromm, Jürgen Habermas, Max Horkheimer und Herbert Marcuse, zu verbinden. Genannte Philosophen, Sozialpsychologen und Gesellschaftskritiker wiesen in ihren Untersuchungen, welche die gesellschaftlichen Zuständen und deren (historischen) Ursachen mit den Erkenntnissen der Psychoanalyse verknüpften, darauf hin, dass die vorherrschenden autoritären Strukturen in der bürgerlichen Familie auf die Herstellung von gehorsamen Untertanen und folgsamen Massenmenschen ziele, demzufolge die Entstehung eines „autoritären Charakters“ und somit einer „autoritäre Gesellschaft“ begünstige:
„Das Zusammenleben vieler autoritärer Menschen birgt die Gefahr einer aggressiv-militärischen Politik in sich. Besonders dann, wenn es von machtbewußten Personen geschickt angeregt und ausgenutzt wird. HITLER hat diesbezüglich traurige Maßstäbe gesetzt“ (Grigat und Kemmler o.J., S. 19).
Die antiautoritäre Erziehung wollte den glücklichen, freien, kritischen, solidarisch orientierten und Ich-starken Menschen als „Endprodukt“. Darum stand die Förderung der Ich-Stärke und Autonomie, die Respektierung der individuellen Persönlichkeit des Kindes, die Achtung vor ihm sowie die Selbstregulierung seiner Bedürfnisse wie auch die der Kinder im Kollektiv untereinander im Vordergrund des pädagogischen Alltags in den entsprechenden Einrichtungen. Die Kinder sollten von frühester Kindheit an ein kritisches, selbstständiges, friedliebendes, tolerantes, solidarisches und demokratisches Verhalten etc. entwickeln. Summa summarum: „Antiautoritäre Erziehung heißt Partei ergreifen für das Kind, für die Entfaltung seiner Kräfte, für die Befriedigung seiner Bedürfnisse“ (Wolff 1988, S. 53). Monika Seifert, „Ur-Mutter“ der antiautoritären Erziehung bzw. Kinderläden (Negt 1995, S. 298; Werder 2020, S. 49) und (vermutlich) Erfinderin der Wortkreation „antiautoritäre Erziehung“ (Aden-Grossmann 2015, S. 74), fasste ihre pädagogischen Leitlinien unter folgenden drei Punkten zusammen:
„Daß Kind muß sein Bedürfnis frei äußern und selbst regulieren können.
Die Kinder müssen ohne Schuldgefühle – also frei von dem, was wir heute Moral nennen – in funktional begründeter Rücksichtnahme aufwachsen können.
Das Lernen muß primär von den Fragen des Kindes ausgehen und nicht auf einem für das Kind notwendig abstrakt erscheinenden und
Programm beruhen“ (Aden-Grossmann 2011, S. 144 f.).
4 Antiautoritäre „freie“ Sexualerziehung
Die Bejahung der kindlichen Sexualität, die von den Genitalien ausgehenden Lustempfindungen, die Natürlichkeit gegenüber allem Leiblichen sowie des eigenen Geschlechts waren besonders wichtige Eckpfeiler der antiautoritären Erziehung. Dies lag darin begründet, dass die vorherrschende autoritär-repressive frühkindliche dressurhafte Sauberkeitserziehung sowie Sexualunterdrückung respektive -leugnung, für die Reproduktion eines autoritären Verhaltens (Horkheimer und Adorno), die Produktion des sadomasochistischen Charakters (Fromm), der Ausformung der autoritären Persönlichkeit (Adorno und Fromm) verantwortlich zeichnete (Auchter 1973, S. 56).
Sexuelle kindliche Handlungen wurden in den antiautoritären Einrichtungen nicht unterdrückt, abgelehnt oder übergangen, vielmehr akzeptiert bis ausdrücklich gefördert: „Triebbefriedigung in jedem Fall, aber ein Optimum. Sie muß den Weg finden zwischen größtmöglichen Gewährenlassen und minimalen Versagen“ (Buche und Buche 1970, S. 187). Die antiautoritäre Sexualerziehung betreffend sind „teilweise sexuelle Grenzüberschreitungen aufgetreten“ (Sager 2015, S. 179), „überschwamm […] den Unterschied zwischen Kind und Erwachsenem“ (Heider 2014, S. 108), wie beispielsweise in der Berliner „Kommune 2“. Diese vertrat die Meinung, dass sich die sexuelle Wissbegier der Kinder auch auf die Genitalien der Erwachsenen richten, jedoch deren eigenen Hemmungen dem kindlichen sexuellen Interesse eine Grenze setzen (Kommune 2 1969, S. 91 f.).

Doktorspiele der Kinder untereinander wurden auch im „Kinderhaus Neuenheim“ in Heidelberg nicht unterbunden, wenn die Erzieher:innen kindliche Formen von Geschlechtsverkehr registrierten (Protokolle dazu finden sich z.B. bei Billau et al. 1980, S. 86).
Diese Form propagierter Sexualerziehung trug dazu bei, dass die gesamte antiautoritäre Erziehung/​Bewegung diskreditiert wurde. Dabei sorgten antiautoritäre „Sexspiele“ von Anfang an für Entsetzen und Empörung, wobei „damals kaum ein Linker […] an die Möglichkeit […] dachte, dass Sexualtoleranz zum Schaden der Kinder ausgenutzt werden könnte“ (Heider 2014, S. 108).
Doch es gab auch überzeugte Befürworter solcher „sexueller Spielformen“, wie beispielsweise der Berliner „Sexologe“ Helmut Kentler, der zunächst hohes wissenschaftliches und öffentliches Ansehen genoss, später aber wegen seiner Verharmlosung von Pädosexualität in Misskredit geriet und inzwischen als Hauptakteur pädophiler Netzwerke entlarvt wurde (Göttinger Institut für Demokratieforschung 2016). Dieser kommentierte die in der „Kommune 2“ gehandhabten „sexuellen Spiele“ wie folgt:
„Die Kinder brauchen ihre Triebwünsche, die sie an Erwachsene stellen, nicht unter dem Druck von Verboten zu verdrängen […] Die Kinder machen vielmehr die Erfahrung, daß Erwachsene ungeeignet sind, um ihre Triebwünsche zu erfüllen, und diese Einsicht wird ihnen zum Antrieb, eine realitätsgerechte Befriedigung ihrer erwachenden genitalen Sexualität bei Gleichaltrigen zu suchen“ (Meves 1971, S. 94 f.).
Die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Christa Meves hielt dagegen, dass Kinder, die von Erwachsenen zu solchen sexuellen Spielereien animiert werden, schwere psychische Schäden erleiden:
„In der psychagogischen Praxis lassen sich immer wieder einmal Fälle konstatieren, bei denen sich frühe Kindesverführungen als Ursache psychosomatischer Erkrankungen, schwerer Hysterien oder sexueller Verwahrlosung nachweisen lassen“ (Meves 1975, S. 95).
Der Psychotherapeut Günther Bittner missbilligte diese Art der Sexualpädagogik als „Verstoß […] im Namen einer aufklärerischen, das andere Mal im Namen einer curricularen Anforderung; das dritte Mal im Namen dessen, was man für Triebbedürfnisse des Kindes hielt“ (Berger 2016, S. 161). Auch der „Deutsche Ärztinnenbund“ verwahrte sich auf dem Vorschulkongress 1970 vehement gegen diese „Form der Kindesverführung“ (o.V. 1970a, S. 63).
5 Fazit
Der antiautoritären Erziehung, die heute Geschichte ist, liegt kein gemeinsames Erziehungskonzept zugrunde, weder auf theoretischer, organisatorischer noch auf praktischer Ebene. Gleichwohl ergibt sich ein Konsens als erklärtes Ziel, nämlich „eine repressionsfreie Erziehung jenseits der öffentlich organisierten, autoritär ausgerichteten Erziehungsarrangements zu installieren, um darüber eine Gesellschaftsveränderung herbeizuführen“ (Bocket al. 2018, S. 228). Die propagierte „Reformerziehung“ hat trotz mancher Unkenrufe, Mängel, Fehler und sexueller Entgleisungen die damalige rückständige Vorschuldiskussion belebt, innovative Denkanstöße gegeben und produktiv beflügelt. Karen Silvester kommt in ihrer Dissertation „Die besseren Eltern?! oder Die Entdeckung der Kinderläden. Eltern-Kind-Initiativen im zeitgeschichtlichen Vergleich 1967–2004. Eltern-Erwartungen und -Erfahrungen“ zu folgendem positiven Fazit:
„Die heutige Vorschulpädagogik [beinhaltet] im Wesentlichen alle Merkmale der Kinderladenpädagogik [(antiautoritären Erziehung)] […] Oft werden die damaligen Versuche, Kinder antiautoritär zu erziehen, als Gewährung absoluter Freiheit und Absenz jeglicher Grenzen missverstanden. Ein Klischeebild […] Die Kinderladen-Pädagogik war und ist eine unverzichtbare Ressource der Vorschulerziehung, die es wiederzuentdecken gilt […] Alles in Allem birgt die Kinderladen-Pädagogik die Chance, Kinder zu widerständigen Persönlichkeiten reifen zu lassen, die sich ein eigenständiges Bild von der Welt machen können und bereit sind, für ihr eigenes Glück und das Wohl der Gemeinschaft einzustehen“ (Silvester 2009, S. 269 ff.).
Wie seinerzeit die antiautoritäre Erziehung begreifen die heutigen gängigen frühpädagogischen Konzepte das Kind als aktives Individuum in der Gemeinschaft und plädieren für Emanzipation und Mündigkeit, für eine von Repressionen und machtvollen Ordnungsvorstellungen freie Erziehung, „auch wenn dies oft nicht explizit ausgewiesen ist […] Das pädagogische Handlungskonzept ‚antiautoritäre Erziehung‘ hat die Frühpädagogik also nicht unmaßgeblich beeinflusst“ (Bock und Göddertz 2021, S. 211).
6 Quellenangaben
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7 Informationen im Internet
- Feinde des Sozialismus. Ein Kinderladen-Experiment in der DDR. DeutschlandRadio Berlin, Pascal Fischer, 15.03.2004
- Berger, Manfred, 2019, Kinderläden und antiautoritäre Erziehung
- Jetzt reden die Kinder FOCUS Magazin, Nr. 22 (2013)
Verfasst von
Manfred Berger
Mitbegründer (1993) und Leiter des „Ida-Seele-Archivs zur Erforschung der Geschichte des Kindergartens“
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Es gibt 20 Lexikonartikel von Manfred Berger.
Zitiervorschlag
Berger, Manfred,
2022.
Antiautoritäre Erziehung [online]. socialnet Lexikon.
Bonn: socialnet, 25.03.2022 [Zugriff am: 17.02.2025].
Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/1270
Link zur jeweils aktuellsten Version: https://www.socialnet.de/lexikon/Antiautoritaere-Erziehung
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