Arbeitslosengeld II
Prof. Dr. Judith Dick
veröffentlicht am 09.01.2023
Das hier beschriebene Arbeitslosengeld II ist eine steuerfinanzierte Notfallleistung für den Lebensunterhalt Erwerbsfähiger und ihrer Familien aus dem Sozialgesetzbuch II (SGB II), die zum 01.01.2023 umbenannt wurde in Bürgergeld. Dagegen ist das im SGB III geregelte Arbeitslosengeld I der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung aus Versicherungsbeiträgen finanziert. ALG I ist unabhängig vom individuellen Bedarf und wird von den Arbeitsagenturen ausgezahlt.
Überblick
- 1 Zusammenfassung
- 2 Leistungsberechtigte, Bedarfsgemeinschaft, Mitwirkungspflichten
- 3 Hilfebedürftigkeit und Umfang der Leistung
- 4 Quellenangaben
1 Zusammenfassung
Jobcenter und Optionskommunen verantworten das Arbeitslosengeld II, § 19 Abs. 1 S. 1 SGB II, das seit 01.01.23 in Bürgergeld umbenannt wurde. Seit seiner Einführung 2005 mit der Hartz-IV-Reform war es als wichtigste Leistung der Grundsicherung für Arbeitsuchende politisch umstritten und der Streit wurde auch gerichtlich geführt (Müller 2021, Protest und Rechtsstreit). Die Kritik wirft der Gesetzgebung vor, dass das ALG II, umgangssprachlich Hartz-IV, das Existenzminimum nicht sichere, Betroffene zwinge prekäre Arbeit anzunehmen und mit übermäßigen Mitwirkungspflichten verbunden sei (Tacheles e.V. 2022).
Im SGB II war eine Kürzung des ALG II vorgesehen, um 30 % des Regelbedarfs bei einer ersten Pflichtverletzung. Die weiteren Kürzungsregelungen, die u.a. auch eine vollständige Kürzung des ALG II für die Dauer von 3 Monaten (Totalsanktion) bei Unter-25-Jährigen bereits bei einer 2. Pflichtverletzung innerhalb eines Jahres vorsahen, waren seit einem Bundesverfassungsgerichtsurteil wegen ihres Verstoßes gegen die Verhältnismäßigkeit nicht mehr angewandt worden (BVerfG, 05.11.2019 – 1 BvL 7/16). Das Bürgergeld sieht weiterhin Verpflichtungen vor, bei deren erster Nichterfüllung die Leistung nur noch um 10 % des Regelbedarfs für einen Monat gemindert wird, §§ 31–32 SGB II (Dick 2023, Kap. 14.2).
2 Leistungsberechtigte, Bedarfsgemeinschaft, Mitwirkungspflichten
Arbeitslosengeld II hatte die gleichen Voraussetzungen und wurde im Wesentlichen auf die gleiche Art und Weise wie das Bürgergeld berechnet. Leistungsberechtigte müssen nach § 7 Abs. 1 SGB II
- mindestens 15 Jahre alt und noch nicht im Rentenalter sein,
- nicht wegen einer Krankheit oder Behinderung 6 Monate oder länger nur bis zu 3 Stunden täglich erwerbsfähig sein, § 8 SGB II und
- sich im orts- und zeitnahen Bereich aufhalten, um erreichbar zu sein, § 7 Abs. 4a SGB II bis 31.06.2023, dann § 7b SGB II
Kinder bis 14 Jahren oder Nichterwerbsfähige erhalten dagegen Sozialgeld, wenn sie mit Erwerbsfähigen zusammenwohnen und eine Bedarfsgemeinschaft bilden, § 19 Abs. 1 S. 2 SGB II, § 23 SGB II. Dadurch müssen Haushalts- und Familienmitglieder in der Regel nicht von verschiedenen Behörden Leistungen beziehen. Sozialgeld wurde ebenfalls ab 01.01.23 in Bürgergeld umbenannt.
Studierende und andere Auszubildende können ggf. Leistungen zur Ausbildung nach § 27 SGB II erhalten, z.B. wird der Mehrbedarf für Alleinerziehende berücksichtigt.
Das ALG II konnte wie das Bürgergeld ab 01.01.23 wegen fehlender Mitwirkung versagt oder gekürzt werden. In der Praxis war und ist die Zumutbarkeit der Pflichten entscheidend, z.B. ob ein geringer Lohn ein wichtiger Grund ist, einen Job abzulehnen, § 10 SGB II, siehe SGB II.
3 Hilfebedürftigkeit und Umfang der Leistung
Für die Ermittlung der Höhe des Arbeitslosengeldes II wird der Bedarf dem anrechenbaren Einkommen und Vermögen gegenübergestellt. Daraus ergibt sich die Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II und damit der Umfang der Leistung.
Bei Einführung des ALG II im Jahr 2005 betrug der pauschalierte Regelbedarf 331 € in den neuen Bundesländern (in den alten Bundesländern einschließlich Berlin Ost 345 €) und stieg bis 31.12.2022 auf 449 € für eine alleinstehende Person, § 20 SGB II, § 28 SGB XII, Regelbedarfsermittlungsgesetz (RBEG). Die Kosten der Unterkunft und Heizung werden zunächst in tatsächlicher Höhe berücksichtigt. Sind sie unangemessen hoch, müssen Sie nach Aufforderung im Rahmen eines Kostensenkungsverfahrens reduziert werden oder werden nach frühestens 6 Monaten nur noch bis zur Angemessenheitsgrenze übernommen. Hier sieht das Bürgergeld eine Karenzzeit von einem Jahr vor.
Den Bedarfen werden Einkommen und Vermögen gegenübergestellt, um den Hilfebedarf zu ermitteln. Was bereits da ist, ist Vermögen. Einkommen ist, was in einem Bedarfsmonat zufließt, egal ob regelmäßig oder einmalig, § 11 SGB II. Kindergeld wird in der Regel bei den Kindern als Einkommen berücksichtigt. Nicht berücksichtigt als Einkommen wird z.B. Pflegegeld, wenn Angehörige Pflegebedürftige pflegen. Eine Erbschaft wird beim ALG II als Einkommen berücksichtigt, im Bürgergeld jedoch nicht mehr. Schülerferienjobs und Jobs bis 520 € neben Schule, Studium oder Ausbildung werden beim Bürgergeld noch stärker als beim ALG II nicht als Einkommen angerechnet.
Vom Brutto-Erwerbseinkommen wird nach § 11b Abs. 1, Abs. 3 SGB II zusätzlich zu Steuern und Sozialversicherungsabgaben abgesetzt:
- mindestens eine Pauschale von 100 € für Ausgaben für die Erwerbstätigkeit (wer mehr als 400 € verdient kann höhere Ausgaben nachweisen und absetzen) und
- ein Freibetrag von 20 % vom Einkommen zwischen 100 bis 1000 € (im Bürgergeld 20 % nur bis 520 € und 30 % von 520 bis 1000 €) und ggf.
- unveränderte weitere 10 % für Einkommen von 1000 bis zu 1500 €.
Vermögen ist, was bereits vor dem Bedarfsmonat da und verwertbar war. Einkommen wird im nächsten Monat Vermögen. Nach den alten Grenzen für geschontes Vermögen war pro Person ein Mindestvermögen von 3.100 € und Rücklagen von 750 € nicht anzurechnen. Pro Lebensjahr wurden 150 € zugestanden, sodass ab einem Alter von 21 Jahren die Vermögensgrenze bei 3.150 € liegt und ansteigt auf maximal pauschal festgelegte 10.050 €, § 12 Abs. 1 SGB II_alt. In der Coronazeit wurde die Vermögensgrenze auf 60.000 € angehoben und mit dem Bürgergeld-Gesetz auf 40.000 € im ersten Jahr und anschließend auf 15.000 € festgelegt, § 12 Abs. 2 bis Abs. 4 SGB II_neu.
4 Quellenangaben
Dick, Judith, Hrsg. 2023. Praxishandbuch Recht für Soziale Beratung. Köln: Reguvis. ISBN 978-3-8462-1245-5
Müller, Ulrike A. C., 2021. Protest und Rechtsstreit: SGB-II-Mobilisierung als Konservierung des Hartz-IV-Konflikts. Baden-Baden: Nomos. ISBN 978-3-8487-6722-9 [Rezension bei socialnet]
Tacheles e.V., 2022. Stellungnahme zum Entwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze – Einführung eines Bürgergeldes (Bürgergeld-Gesetz) [online]. Wuppertal: Tacheles e.V., 22.08.2022 [Zugriff am: 27.11.2022]. Verfügbar unter: https://tacheles-sozialhilfe.de/files/​Aktuelles/2022/Tacheles-Stellungnahme-zum-Buergergeldgesetz-Final-22-08-2022-E.pdf
Verfasst von
Prof. Dr. Judith Dick
Evangelische Hochschule Berlin, Professur für Sozialrecht
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