Auftragsklärung
Die Auftragsklärung regelt die formalen Rahmenbedingungen und ermittelt und definiert den Inhalt und das Ziel einer aktuell anstehenden Arbeitseinheit im Rahmen beratender, therapeutischer oder psychodramatischen Arbeit.
Überblick
- 1 Grundlagen
- 2 Die vertragliche Auftragsklärung (Kontrakt)
- 3 Der inhaltliche Auftrag zu Beginn einer aktuell anstehenden Arbeitseinheit
- 4 Der innere Arbeitsprozess des bzw. der Auftragsnehmer:in
- 5 Quellenangaben
1 Grundlagen
Es gibt zwei unterschiedliche Formen der Auftragsklärung:
- eine vertragliche Auftragsklärung (Kontrakt). Hier werden die Rahmenbedingungen und -ziele für einen längerfristigen Arbeitsprozess festgelegt;
- eine inhaltliche Auftragsklärung im Sinne von Beratungszielen für die aktuell anstehende Arbeitseinheit.
Für eine angemessene Umsetzung des Auftrags muss die Leitung zusätzlich eine eigene innere Klärung zu den beiden Auftragsformen vornehmen.
Diese Formen der Auftragsklärung gelten unabhängig davon, welches Verfahren angewendet wird.
2 Die vertragliche Auftragsklärung (Kontrakt)
Die vertragliche Auftragsklärung ist insbesondere für freiberuflich Tätige von grundlegender Bedeutung.
2.1 Vorbedingung
Vor einem Kontrakt ist zunächst zu klären, in welchem Rahmen das Anliegen bearbeitet werden kann und ob der bzw. die Auftragnehmer:in der bzw. die richtige Ansprechpartner:in ist.
2.2 Institutionelle Rahmung (Format)
Sodann sind die institutionellen Rahmenbedingungen zu klären (Buer 1999a, S. 88–90):
- Wer erteilt und unterzeichnet den Auftrag?
- Wenn Auftraggeber:in und Klient:in nicht identisch sind: Wer ist innerhalb der Organisation über den Auftrag informiert? Lassen sich heimliche Aufträge identifizieren?
- Wer bezahlt die Dienstleistung?
- Wer nimmt an der Dienstleistung teil? (z.B. gleiche oder unterschiedliche Hierarchieebenen)
- Welche Beratungsform soll geleistet werden (Einzelsupervision, Fallsupervision, Führungscoaching u.a.m.)?
- Welche Ziele sollen erreicht werden?
- Wer wird wann über (Zwischen-)Ergebnisse informiert? (Wenn Auftraggeber:in und Klient:in nicht identisch sind.)
- Über welchen (langfristigen) Zeitraum soll die Dienstleistung erfolgen? Wie lang dauert (bei einer langfristigen Dienstleistung) die einzelne Arbeitseinheit?
- An welchem Ort erfolgt die Dienstleistung?
All dies wird in einem schriftlichen Vertrag festgehalten.
3 Der inhaltliche Auftrag zu Beginn einer aktuell anstehenden Arbeitseinheit
Die folgenden Ausführungen beziehen sich zwar auf das Psychodrama; sie gelten aber komplementär auch für andere Verfahren. Vor Beginn einer jeden psychodramatischen Szene erhält die Leitung von dem bzw. der Protagonist:in (Protagonistenspiel) oder der Gruppe (Soziodrama) einen Auftrag für die anschließende Arbeitseinheit. Entscheidend ist, dass dieser Auftrag nicht zu allgemein gehalten, sondern möglichst konkreten formuliert ist, z.B. „Ich möchte verstehen, warum der Konflikt so eskaliert ist?“ Oder: „Ich möchte gerne eine alternative Handlungsmöglichkeit entwickeln.“ (Ameln und Kramer 2014, S. 126). Diese konkrete Benennung dient
- der Leitung als Orientierung für die Interventionen während der anschließenden Arbeitseinheit;
- der Greifbarkeit des Ergebnisses.
Oftmals weiß der bzw. die Protagonist:in zwar, dass der Auftrag zu allgemein ist, kann aber trotzdem nicht gleich benennen, was er bzw. sie erreichen möchte. Deshalb ist es die Aufgabe der Leitung, diesen Auftrag gemeinsam mit dem bzw. der Protagonist:in zu klären. Die Leitung muss dabei sicherstellen, dass der Auftrag
- „für die Leitung und die Gruppe verständlich,
- eindeutig […]
- widerspruchsfrei sowie
- innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit und
- von den Anwesenden, d.h. (weitestgehend) ohne Beteiligung von Dritten erfüllbar ist“ (Ameln und Kramer 2014, S. 126);
- angemessen für die institutionelle Rahmung der Arbeitseinheit ist. Wenn die Gruppe z.B. aus Arbeitskolleg:innen der gleichen Firma besteht, verbietet sich eine Arbeit mit Szenen aus der Biographie des bzw. der Protagonist:in, weil in einer solchen Gruppe die Frage der Konkurrenz immer mitschwingt, die aufgrund der gezeigten Sequenzen nachträglich zu Lasten des bzw. der Protagonist:in ausfallen kann.
Bei einem Auftrag für eine Kurzzeitberatung sind die Abgrenzungen fließend. (Hollstein-Brinkmann und Knab, 2016)
4 Der innere Arbeitsprozess des bzw. der Auftragsnehmer:in
Der Auftragserteilung durch den bzw. die Protagonist:in korrespondiert ein innerer Arbeitsprozess der Leitung. Hierfür sind eine Reihe von Fragen zu beantworten. (Wiener 2005, S. 187–193)
- Welche Gefühle/Erfahrungen weckt das Thema in dem bzw. der Auftragsnehmer:in?
- Welche heimlichen Wünsche, Hoffnungen oder Aufträge des bzw. der Auftraggeber:in/Klient:in sind mit dem Auftrag verbunden? Manches davon offenbart sich auch erst im Laufe des Arbeitsprozesses.
- Welche innere Haltung hat der bzw. die Auftragsnehmer:in zu dem Thema bzw. Auftrag?
- Welche äußeren Faktoren (Behörden, Gesetze, politische Entscheidungen, betriebliche Abläufe) beeinflussen die Arbeit des bzw. der Protagonist:in? Moreno hat immer wieder darauf hingewiesen, dass das Individuum auch von äußeren Faktoren geprägt ist. (Vgl. Soziales Atom) Insofern entspricht es der ureigenen Konzeption des Psychodramas, diese Fragen zu beantworten. Ferdinand Buer hat diese Perspektive vertieft und wiederholt darauf hingewiesen, dass der Einsatz eines Verfahrens wie das Psychodrama unter den Bedingungen des jeweiligen Formats im Sinne einer institutionellen Rahmung umgesetzt wird. Format und Verfahren beeinflussen sich wechselseitig. (Buer 1999a, S. 22–25, 1999b, S. 229–232)
- Welche zusätzliche Rolle – außer der des bzw. der Berater:in – ist mit dem Auftrag verbunden? (z.B. Lehrer:in, analysierender Forscher:in, Elternteil) Dies ist deshalb von Bedeutung, weil alle Rollen, die der bzw. die Auftragsnehmer:in einnimmt, einer Gegenrolle seitens des bzw. der Protagonist:in entspricht. Der Erfolg einer Beratung hängt entscheidend davon ab, dass hier die von dem bzw. der Auftragsnehmer:in wahrgenommene Rolle und die von dem bzw. der Protagonist:in eingenommene Rolle zueinander passen.
5 Quellenangaben
Ameln, Falk und Josef Kramer, 2014. Psychodrama: Grundlagen. Heidelberg: Springer Verlag. ISBN 978-3-6424-4920-8
Buer, Ferdinand, 1999a. Lehrbuch der Supervision. Münster: Votum Verlag. ISBN 978-3-933158-25-3 [Rezension bei socialnet]
Buer, Ferdinand, 1999b. Morenos therapeutische Philosophie. Ihre aktuelle Rezeption und Weiterentwicklung. In Ferdinand Buer. Morenos therapeutische Philosophie. Opladen: Leske+ Budrich Verlag, S. 227–258. ISBN 978-3-8100-2055-0
Hollstein-Brinkmann, Heino und Maria Knab, 2016. Beratung zwischen Tür und Angel. Wiesbaden: Springer VS Verlag. ISBN 978-3-658-03420-7
Wiener, Ron, 2005. Der innere und äußere Arbeitsprozess eines Soziodramatikers. In Thomas Wittinger. Handbuch Soziodrama. Wiesbaden: VS Verlag, S. 187–193. ISBN 978-3-8100-4091-6 [Rezension bei socialnet]
Verfasst von
Thomas Wittinger
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