Babyklappe
Dr. Claudia Krell
veröffentlicht am 02.08.2018
Babyklappen, die es im gesamten Bundesgebiet gibt, sollen Frauen ermöglichen, ihre unerwünschten Neugeborenen in einem geschützten Rahmen anonym abgeben zu können. Babyklappen sind seit ihrer Einführung stark umstritten und beruhen auf keiner rechtlichen Grundlage.
Überblick
- 1 Zusammenfassung
- 2 Entwicklung von Babyklappen in Deutschland
- 3 Aktuelle Situation
- 4 Nutzer*innen von Babyklappen
- 5 Babyklappen in der Diskussion
- 6 Entwicklung der Angebote zur anonymen Kindesabgabe
- 7 Internationale Situation
- 8 Quellenangaben
- 9 Literaturhinweise
1 Zusammenfassung
In Deutschland haben sich seit knapp 20 Jahren verschiedenen Angebote der anonymen Kindesabgabe etabliert. Neben dem vermutlich bekanntesten Angebot, den Babyklappen, sind dies die anonyme Übergabe und die anonyme Geburt. Seit 2014 gibt es zudem, als einzig rechtlich geregelte Alternative, die Möglichkeit, ein Kind im Rahmen einer vertraulichen Geburt auf die Welt zu bringen.
2 Entwicklung von Babyklappen in Deutschland
Babyklappen, auch Babyfenster, Babykörbchen oder Babynest genannt, sind keine modernen Erfindungen. Die erste bekannte Babyklappe (torna ruota = Drehlade) wurde bereits im Jahr 1198 am Hospital Santo Spirito III in Rom auf Geheiß von Papst Innozenz III. angebracht. Europaweit folgten bis ins 15. Jahrhundert weitere Drehladen und Findelhäuser, in denen ungewollte Kinder abgegeben werden konnten. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts kam es zu einem Abrücken vom Findelkinderwesen (Krell 2013).
Der Einrichtung der ersten Babyklappen der Neuzeit ging in Deutschland im September 1999 ein anderes Angebot voran: die anonyme Übergabe. Der Sozialdienst katholischer Frauen eröffnete, unter der Federführung von Maria Geiss-Wittmann und wenig beachtet von der Öffentlichkeit, begleitet von einer Reihe ergänzender Unterstützungsangebote im Rahmen des Amberger Moses-Projektes die sogenannte Arm-zu-Arm-Übergabe (Kuhn 2005). Mütter, die ihre Schwangerschaft verheimlicht oder verdrängt hatten und die sich außer Stande sahen, ihr Neugeborenes zu behalten, konnten nach Kontaktaufnahme zu Mitarbeiter*innen des Vereines ihr Kind anonym, d.h., ohne dass sie ihre Personendaten bekanntgeben mussten, in deren Obhut übergeben. Kurze Zeit später, im Dezember 1999 richtete der Hamburger Verein SterniPark eine bundesweite Notrufnummer ein. Hierdurch hatten Frauen die Möglichkeit, Mitarbeiter*innen zu kontaktieren, wenn sie sich anonym von ihrem neugeborenen Kind trennen wollten (ebd.). Am 8. April 2000 eröffnete SterniPark unter großer medialer Anteilnahme in Hamburg die erste Babyklappe. Sowohl die anonyme Übergabe als auch Babyklappen sollten Müttern ermöglichen, ihre Neugeborenen straffrei und in Sicherheit abzugeben. Der leitende Gedanke war, die Aussetzung und Tötung von Neugeborenen (Neonatizide) zu verhindern.
3 Aktuelle Situation
Speziell in den ersten Jahren nach Einführung der Angebote zur anonymen Kindesabgabe, gab es in Deutschland einen Babyklappen-Boom (Kuhn 2005, S. 120; Coutinho und Krell 2011, S. 109). Dies hatte zur Folge, dass „selbst in Städten, in denen sich niemand mehr an die letzte Kindstötung oder -aussetzung erinnerte“ (Swientek 2007, S. 51) oder in denen es noch nie eine solche gegeben hatte, Babyklappen eröffnet wurden. Die genaue Anzahl von heute in der Bundesrepublik existierenden Babyklappen lässt sich nicht festlegen, als gesichertes Minimum kann davon ausgegangen werden, dass 2009 bundesweit 72 Babyklappen vorhanden waren (Coutinho und Krell 2011).
Babyklappen sind, ebenso wie die anonyme Übergabe bzw. die anonyme Geburt, gesetzlich nicht geregelt. Es gibt z.B. keine Vorschriften für die bauliche Beschaffenheit oder für das Verfahren nach dem Auffinden eines Kindes. Es existieren lediglich unverbindliche Richtlinien (Deutscher Verein 2013). Mehr als 70 % der Babyklappen in Deutschland sind an einer medizinischen Einrichtung (Klinik oder Krankenhaus) zu finden (Coutinho und Krell 2011, S. 112). Andere sind an Privathäusern oder sozialen Einrichtungen wie Kindergärten, Heimen oder Klöstern installiert. Meist handelt es sich um ein, in die Außenwand eines Gebäudes eingelassenes Fenster oder eine Tür/Klappe, hinter der sich ein Wärmebett befindet. Beim Öffnen der Klappe findet die abgebende Person – es kann nicht davon ausgegangen werden, dass dies immer die leibliche Mutter ist – häufig Informationsmaterial oder Utensilien, die später eine Identifizierung ermöglichen sollen, falls eine Rücknahme des Kindes gewünscht wird (ebd.). Nachdem die Klappe geöffnet und ein Kind eingelegt wurde, ist es zum Schutz der Kinder nicht mehr möglich, diese ein zweites Mal zu öffnen. Über einen verzögert ausgelösten Alarm, welcher der Person die Möglichkeit geben soll, sich unerkannt zu entfernen, wird ein*e Helfer*in darüber informiert, dass die Babyklappe genutzt wurde. Diese nimmt das Kind in Empfang und leitet die weiteren Schritte, wie eine medizinische Untersuchung und die anschließende Unterbringung des Kindes in einer Klinik ein. Wie viel Zeit vom Auffinden des Kindes bis zur ersten ärztlichen Untersuchung vergeht, hängt von den örtlichen Gegebenheiten ab: Durchschnittlich vergehen zwölf Minuten; befindet sich die Babyklappe aber in einer ländlichen Umgebung, kann es bis zur ersten Untersuchung eine knappe Stunde dauern (ebd.).
4 Nutzer*innen von Babyklappen
Sowohl Babyklappen als auch die anonyme Übergabe sehen, aufgrund ihres grundlegenden Konzeptes der absoluten Anonymität, keinerlei medizinische Versorgung der Mutter im Rahmen von Schwangerschaft und Geburt vor. Frauen, die eine Babyklappe oder eine anonyme Übergabe nutzen, müssen somit sowohl die Schwangerschaft, die verdrängt oder verheimlicht wird, ohne (medizinische und soziale) Begleitung überstehen, die Geburt ohne Unterstützung bewältigen und anschließend die Abgabe des Kindes bewerkstelligen, ohne dass es jemand bemerkt. Nach diesen Herausforderungen müssen sie im Alltag weiterhin funktionieren, ohne sich die Strapazen anmerken zu lassen. Psychosoziale Beratung und medizinische Begleitung kann nur erfolgen, wenn sich die Frau aus eigenen Stücken bei den Anbieter*innen der Angebote meldet.
Bei der Einführung der Angebote zur anonymen Kindesabgabe gingen die Initiator*innen davon aus, dass spezielle Gruppen von Frauen auf diese Angebote zurückgreifen würden. Im Fokus standen hier unter anderem substanzabhängige oder minderjährige Frauen, Sexarbeiter*innen und in Deutschland illegal lebende Migrant*innen (Kuhn 2005). Wie sich zeigte, traf diese Annahme nicht zu. Verschiedene Untersuchungen deuten darauf hin, dass es sich keinesfalls um eine homogene Gruppe in einer speziellen Problemlage handelt. Vielmehr zeigt sich eine große biografische, wirtschaftliche, alters- und bildungsabhängige Heterogenität unter den Nutzer*innen. Gemein ist ihnen eine subjektiv als sehr problematisch empfundene Lebenssituation und ein Unvermögen, auf etablierte Unterstützungsangebote zurückzugreifen (ebd.). Angst und Sprachlosigkeit haben zur Folge haben, dass sich die Frauen ihrem (sozialen) Umfeld nicht öffnen und führen dazu, dass sie sich keine adäquaten Lösungsmodelle erarbeiten können (Coutinho und Krell 2011). Sie kämpfen häufig mit multiplen Problemlagen, wie Überforderung, Angst vor Verantwortung, Druck seitens des Partners oder der Familie, problematische Paarbeziehungen oder finanzielle Problemen (ebd.). Einen isolierten Grund, der die anonyme Abgabe eines Kindes notwendig macht, gibt es nicht – es sind immer Konglomerate von Problemen, die zu diesem Schritt führen. Diese heterogene Nutzer*innengruppe ist auch eine besondere Herausforderung für die Präventionsarbeit. Staatlich initiierte Unterstützungsangebote für Frauen bzw. Mütter müssen flächendeckend bekannt gemacht werden, damit alle Frauen darüber informiert sind und in Hilfe- oder Notsituationen darauf zurückgreifen können.
5 Babyklappen in der Diskussion
Das Themenfeld anonyme Kindesabgabe, und hier insbesondere die Babyklappen, ist seit Einführung der Angebote von heftigen Diskussionen begleitet, die häufig weniger sachlich als emotional gefärbt sind (Thürkow 2010). Es gibt einige wesentliche Streitpunkte, die im Zentrum der Debatte stehen (weiterführend Krell 2013):
Ein Argument, das aus Sicht der Befürworter*innen für Babyklappen spricht, ist der Lebensschutz. Der Gründungsgedanke, der zur Einführung der anonymen Angebote geführt hat, war die Hoffnung, auf diesem Weg neugeborene Kinder zu retten, die ansonsten kurz nach der Geburt ausgesetzt oder getötet werden würden. Die Diskussion hätte vermutlich einen anderen Verlauf genommen, wenn sich der Wunsch erfüllt hätte, dass durch die Angebote die Tötungen oder Aussetzungen von Neugeborenen verhindert hätten werden können. Augenscheinlich kann hiervon jedoch nicht ausgegangen werden: Aufgrund fehlender Statistiken ist es zwar nicht möglich, wissenschaftliche Nachweise über die (Un-)Wirksamkeit der anonymen Angebote zu erbringen. Es kann allerdings festgehalten werden, dass es seit der Einführung der Angebote weiterhin Aussetzungen und Tötungen von Neugeborenen gab und die Zahlen, soweit sich diese verfolgen lassen, über die Jahre hinweg stabil geblieben sind (Sommer et al. 2017). Kritiker*innen der anonymen Angebote argumentieren, dass Frauen, die ihre Kinder kurz nach der Geburt töten oder aussetzen, nicht in der Lage sind, Babyklappen zu nutzen (Rohde 2007). Nach der Negierung der Schwangerschaft ist die Aussetzung oder Tötung die „logische Fortführung“ des bis dahin (erfolgreich) gezeigten Verhaltens, welches durch anhaltende Verdrängung, Passivität und mangelnde Problemlösungsfähigkeit gekennzeichnet ist (Höynck et al. 2012).
Ein weiterer Streitpunkt sind rechtliche Aspekte, hier allen voran das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Herkunft. Neben den Kindern, die nach wie vor ausgesetzt oder getötet werden, gibt es durch die Angebote zur anonymen Kindesabgabe inzwischen zusätzlich eine nicht geringe Anzahl von Kindern, die keine Kenntnis über ihre eigene Herkunft haben, weil sie abgegeben wurden, ohne dass Personendaten oder Informationen über die leiblichen Eltern bekannt geworden sind. Aus der Adoptionsforschung und durch Adoptierte selber ist bekannt, wie wichtig es ist, die eigenen Wurzeln und die Gründe, die zur Abgabe geführt haben, zu kennen und welche Konflikte sich ergeben können, wenn dieses Wissen nicht vorhanden ist (Textor 1991). Im Kontext der anonymen Kindesabgabe wird das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, welches sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ableiten lässt (Muscheler und Bloch 2008) wissentlich missachtet. Wie verschiedene Untersuchungen zeigen, besteht der mütterliche Wunsch nach Anonymität eher selten gegenüber dem Kind als vielmehr gegenüber anderen Protagonist*innen wie z.B. der Herkunftsfamilie, dem soziales Umfeld, dem Arbeitgeber, verschiedenen Behörden, dem Partner oder dem Erzeuger des Kindes (Coutinho und Krell 2011, S. 163, 169). Neben diesem Aspekt gibt es noch eine Reihe weiterer konkurrierender und unklarer Rechtspositionen (weiterführend Thürkow 2010; Krell 2013).
Zudem steht zur Debatte, ob die suggerierte Niedrigschwelligkeit von Babyklappen, als Instrument in Notsituationen, dieser tatsächlich gerecht wird. Richtig ist, dass abgebende Personen keine Fragen beantworten müssen und ihren Namen nicht nennen müssen. Das Kind wird gut versorgt und zu Adoptiveltern gegeben, die sich meist schon lange ein Kind gewünscht haben. Übersehen wird hierbei allerdings, dass die Abgabe über eine Babyklappe hohe Anforderungen an Frauen stellt: Sie müssen ihre Schwangerschaft vor dem sozialen Umfeld geheim halten, was auch zur Folge hat, dass sie Gewohnheiten nicht einfach ändern können (z.B. mit dem Rauchen aufzuhören), sie müssen ihren Alltag weiterhin so bewältigen, als ob sie nicht schwanger wären. Die Geburt müssen sie alleine bewerkstelligen: Eine Umgebung schaffen, wo niemand bemerkt, dass sie entbinden, keine medizinische Unterstützung erhalten, in Angst vor Entdeckung alleine ein Kind auf die Welt bringen. Nach der Geburt müssen sie sich und das Neugeborene versorgen, die Spuren der Geburt beseitigen und das Baby unbemerkt zu einer Babyklappe bringen – über die sie sich im besten Fall vor der Geburt bereits informiert haben. Bis zur Abgabe darf das Baby nicht auffallen, es darf z.B. nicht weinen oder schreien. Eine ungewollte Tötung durch Verschließen der Atemwege (um Geräusche zu verhindern) oder durch Unversorgt-lassen des Kindes, weil schlicht „keine Zeit“ ist, kann die Folge dieser Situation sein. Nach der Abgabe über eine Babyklappe darf sich die Mutter weder psychische noch physische Probleme anmerken lassen – sie muss ihren Alltag bewerkstelligen, als hätte es die Schwangerschaft, die Geburt und die Abgabe des Kindes nie gegeben.
„Was diese junge Mutter vor allem nicht brauchte, war eine Babyklappe. Sie brauchte Orientierung, Information, Beratung, Unterstützung. Zu diesem Ergebnis kommen wir im Grunde bei allen Fällen, die wir aufklären konnten: Ungewollt schwangere Frauen, die nicht wußten, ob sie ihr Kind behalten wollen. Mütter in Not- und Krisensituationen brauchen Beratung und Unterstützung, und sie brauchen Schutz vor unbedachten Entscheidungen. Was sie in einer solchen Situation gerade nicht brauchen, ist Anonymität. Ein anonymes Angebot ist geradezu kontraproduktiv, weil es zu überstürzten Handlungen verleitet“ (Herpich-Behrens 2007, S. 153).
Ein weiterer Aspekt in der Debatte um Babyklappen ist die Möglichkeit der missbräuchlichen Nutzung. Zum einen kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden, wer ein Baby in eine Klappe legt, ob dies die Mutter ist oder eine Person, die Zugriff auf das Kind hat, ggf. gegen den Willen der Mutter. Auch wurden wiederholt tote Neugeborene vor bzw. in Babyklappen gefunden (Deutscher Ethikrat 2009; Thürkow 2010), wobei in mindestens einem Fall der Tod darauf zurückzuführen war, dass sich die Babyklappe nicht öffnen ließ. Zudem gab es eine Reihe von Fällen, in denen Kinder, die bereits einige Wochen oder Monate alt, krank oder vernachlässigt waren oder eine Behinderung hatten, abgegeben wurden (Swientek 2007; Coutinho und Krell 2011). Wiederholt wurden im Laufe der Jahre auch Geschwisterkinder abgelegt, was durch DNA-Tests nachgewiesen wurde (Coutinho und Krell 2011). Zudem wurden anonyme Abgaben bekannt, bei denen es den Eltern um eine unbürokratische, unkomplizierte Abgabe eines unerwünschten Kindes ging und die sich vor dem Aufwand eines regulären Adoptionsverfahrens scheuten (Wiener Programm für Frauengesundheit 2004).
6 Entwicklung der Angebote zur anonymen Kindesabgabe
Seit der gesetzlichen Regelung zur vertraulichen Geburt im Jahr 2014 gibt es ein weiteres Angebot, über das Kinder (vorerst) anonym abgegeben werden können. Mit der Einführung des Gesetzes wurde nicht festgelegt, wie zukünftig mit den bestehenden, nicht rechtlich legitimierten Angeboten zur anonymen Kindesabgabe verfahren werden soll. Die damals amtierende Ministerin Kristina Schröder sprach sich dafür aus „abzuwarten“ und ließ durch einen Sprecher verlauten, dass darauf zu hoffen sei, dass sich diese Angebote mit der Zeit „nach und nach entbehrlich machen“ (Kamann 2013).
Eine Evaluation der vertraulichen Geburt nach drei Jahren sollte Hinweise darauf geben, wie sich die parallel laufenden Angebote entwickelten. Wie sich zum einen gezeigt hat, wird die vertrauliche Geburt etwa dreimal so häufig genutzt, wie dies aufgrund einer Schätzung im Rahmen des Gesetzentwurfes vorausgesagt worden war (Bundestag-Drucksache 17/12814 2013, S. 11; Clasen et al. 2016). In der Evaluation wurde anhand einer Trendanalyse zum anderen errechnet, dass die Angebote zur anonymen Kindesabgabe aufgrund der Möglichkeit der vertraulichen Geburt weniger genutzt werden (Sommer et al. 2017) – offizielle Zahlen, z.B. seitens der Träger der Angebote gibt es dazu nicht.
Trotz bzw. zusätzlich zur vertraulichen Geburt gibt es somit nach wie vor Kinder, die über anonyme Angebote abgegeben, getötet oder ausgesetzt werden. Eine Stellungnahme der Bundesregierung, wie zukünftig mit den Angeboten zur anonymen Kindesabgabe verfahren werden soll, steht bis zum heutigen Tag aus.
7 Internationale Situation
7.1 Europa
Weltweit existieren heute in vielen Ländern Babyklappen. Teilweise, insbesondere in Europa, sind sie flankiert von Beratungsangeboten oder weiteren Angeboten zur anonymen Kindesabgabe, die in unterschiedlicher Art und Weise gesetzlich geregelt sind – oder eben nicht. Länder, in denen Babyklappen toleriert werden, ohne das eine rechtliche Grundlage dafür besteht sind beispielsweise Deutschland, Österreich, die Schweiz, Italien, Belgien, Polen, die Tschechische Republik und Russland. Ungarn hat, als einziges Land in Europa, rückwirkend eine rechtliche Grundlage für Babyklappen geschaffen – nachdem diese bereits installiert waren (Wiesner-Berg 2009). In der Slowakei ist die Abgabe von Neugeborenen seit 2005 legal (Krell 2017). Nur wenige europäische Länder haben sich dezidiert gegen Babyklappen ausgesprochen: Großbritannien hat Babyklappen verboten. In den Niederlanden wurde deren Einführung nach langer Diskussion abgelehnt, es gibt allerdings sogenannte Vondelingenkamers – sichere Orte, wo Babys anonym übergeben werden können. In Spanien existieren ebenfalls keine Babyklappen. In einigen skandinavischen Ländern wie Finnland oder Norwegen sind Babyklappen unbekannt (ebd.).
Im Jahr 2012 zeigte sich die UN besorgt über die steigende Anzahl von Angeboten zur anonymen Kindesabgabe (Randeep 2012). Insbesondere galt dies für die Verbreitung von Babyklappen, die damals in elf von (zum damaligen Zeitpunkt) 27 EU-Mitgliedsstaaten vorhanden waren (Institute of Work, Health and Organisations 2012).
7.2 USA und Kanada
In den USA sorgt das Safe Haven Law dafür, dass Kinder an sicheren Orten wie Polizei- oder Feuerwehrstationen, medizinischen Notfallzentren bzw. Krankenhäusern anonym abgegeben werden können. Das Gesetz unterscheidet sich abhängig von den Bundesstaaten sehr stark, z.B. im Hinblick auf die Altersgrenze für abgegebene Kinder (Gruss 2006). Private Initiativen haben in zwei Bundesstaaten Babyklappen installiert – wie mit diesen weiter verfahren wird, bleibt fraglich. In Kanada wurden seit 2010 ebenfalls einige Babyklappen eröffnet, auch für diese gib es keine rechtliche Grundlage.
7.3 Asien
Auch in verschiedenen Ländern Asiens existieren Babyklappen, die im Vergleich zu Europa mitunter sehr zahlreich sind und auch deutlich häufiger genutzt werden. Im asiatischen Raum wurde die erste Jhoola (Babywiege) im Jahr 1970 in der pakistanischen Stadt Karachi aufgestellt. Die Mitarbeiter des Trägers, der Edhi Foundation, machten die Beobachtung, dass bei der Abholung und Bestattung der Toten in Karachi, auffällig viele Leichen neugeborener Babys zu verzeichnen waren. Dabei handelte es sich bei mehr als 94 % um ausgesetzte oder getötete neugeborene Mädchen (Hibbert 2006).
Um die Tötung dieser Kinder zu verhindern und Frauen bzw. Familien die Abgabe ihrer Neugeborenen zu ermöglichen, gibt es landesweit etwa 300 bis 350 Jhoolas, 40 davon alleine in Karachi. In China wurde 2011 die erste Babyklappe eröffnet, landesweit existieren etwa 30 Babyklappen. Nach ihrer Einführung wurden die ersten Klappen so stark genutzt, dass sie vorläufig wieder geschlossen werden mussten (Krell 2017). In China werden sie von der staatlichen Wohlfahrtsbehörde betrieben, die plant, in jeder größeren Stadt in allen chinesischen Provinzen eine Babyklappe zu errichten. In Japan, Malaysia, Südkorea und auf den Philippinen gibt es ebenfalls Babyklappen, wobei deren Eröffnung zum Teil von heftiger Kritik begleitet war. Babyklappen sind auch ein Versuch, dem in vielen Teilen Asiens seit Jahrzehnten stattfindendem Femizid entgegenzuwirken. Die systematische Abtreibung von weiblichen Föten sowie die Tötung weiblicher Neugeborener, Mädchen und Frauen führt bereits heute in verschiedenen Landstrichen zu einem problematischen Ungleichgewicht im Geschlechterverhältnis zwischen Männern und Frauen (Jha et al. 2006). Die daraus resultierenden Folgen treffen wiederum Frauen und Mädchen, durch eine massive Zunahme sexueller Gewalt und Menschenhandel.
8 Quellenangaben
Clasen, Sarah, Sabine Fähndrich, Hannelore Geier, Regine Hölscher-Mulzer, Franziska Pabst und Angelika Wolff, 2016. Vertrauliche Geburt: Eine Zwischenbilanz aus Sicht der Schwangerschaftsberatung. In: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins (NDV), 96(4), S. 179–184. ISSN 0012-1185
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Bundestag-Drucksache 17/12814, 2013. Drucksache des Deutschen Bundestages 17/12814 vom 19.03.2013: Entwurf eines Gesetzes zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt [online]. Köln: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH [Zugriff am 01.05.2018] PDF e-Book. Verfügbar unter: dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/128/1712814.pdf
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9 Literaturhinweise
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terre des hommes, Hrsg. Babyklappe und anonyme Geburt – ohne Alternative? Osnabrück: terre des hommes. ISBN 978-3-924493-53-0
Verfasst von
Dr. Claudia Krell
Psychologin, arbeitet seit 2009 am Deutschen Jugendinstitut. Sie hat dort zu anonymer Geburt und Babyklappen geforscht und zum Thema anonyme Kindesabgabe promoviert. Seit 2012 befasst sie sich am DJI mit den Lebenssituationen von LSBT*Q Jugendlichen.
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