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Balint-Gruppe

Dr. Dankwart Mattke

veröffentlicht am 09.07.2021

Weitere Schreibweise: Balintgruppe

In einer Balint-Gruppe beschäftigen sich 8–12 Teilnehmende, i.d.R. aus medizinischen Berufen, mit der Arzt-Patient-Beziehung. Dabei wird Supervision mit Selbsterfahrung verbunden.

Überblick

  1. 1 Ursprung
  2. 2 Balintgruppenarbeit
  3. 3 Verbreitung
  4. 4 Literaturhinweise
  5. 5 Informationen im Internet

1 Ursprung

Balint-Gruppen tragen den Namen von Michael Balint (1896–1970), einem ungarischen Arzt, Biochemiker, Psychiater und Psychoanalytiker, der sich gleichermaßen für die technischen Fortschritte der Medizin als auch die Entwicklung der Psychiatrie und Psychoanalyse interessierte. Diese Grundlagen seines Denkens brachten ihn auf die Idee, ÄrztInnen das Zusammenwirken von Technik und Empathie nahezubringen. Zuvor hatte er bereits mit seiner Frau Alice in Budapest Gruppen von SozialarbeiterInnen geleitet, die sich über ihre Arbeit mit ihren KlientInnen austauschten.

Balint experimentierte nach dem Zweiten Weltkrieg mit einer Gruppe von ÄrztInnen in London, die er supervidierte, indem er psychoanalytische Methoden anwandte. Dabei ermunterte er die Teilnehmenden, ihre eigene Wirkung auf die PatientInnen, auf die Diagnose und die Therapie zu untersuchen. Er nannte diese Gruppen „training cum research“-Gruppen. Diese Form der Supervision ärztlichen Wirkens ist erhalten geblieben, wurde weiterentwickelt und ist heute als Fort- und Weiterbildungsmethode anerkannt.

2 Balintgruppenarbeit

Die Balintgruppenarbeit verbindet Supervision mit Selbsterfahrung. Die TeilnehmerInnen entwickeln im Laufe der kontinuierlichen Gruppenarbeit ein besseres Verständnis sowohl für die Symptomatik ihrer PatientInnen als auch für darin möglicherweise bereits enthaltene Beziehungsangebote einerseits und ihre eigene Reaktionsweisen darauf andererseits.

Balint-Gruppen sollen die Empathie und das psychosomatische Denken im medizinischen Alltag schulen. Darüber hinaus wird diese Methode heute in vielen sog. helfenden Berufen erfolgreich angewandt.

Neben einer streng analytischen Arbeitsweise in den Balintgruppen mit freier Assoziation haben sich andere psychotherapeutische Methoden als Ergänzung bewährt. So wird heute beispielsweise der systemische Ansatz als wichtig angesehen. Der Einfluss des sozialen und emotionalen Umfeldes auf die Arzt-Patient-Beziehung rückt zusätzlich in den Fokus. Hier haben sich beispielsweise Methoden wie das Aufstellen einer Skulptur als hilfreich zum Verständnis erwiesen.

Gruppendynamische Aspekte gewinnen ebenso mehr Beachtung. Wurden BalintgruppenleiterInnen zunächst im Stil des „Learning by Doing“ ausgebildet, so sind heute die theoretischen Aspekte der Gruppendynamik ebenfalls wichtig. Insbesondere für die GruppenleiterInnen ist es unabdingbar, die Komplexität des Geschehens in der Gruppe zu verstehen und zu beachten. Nicht alle Beiträge und Einfälle in der Balint-Gruppe sind dem vorgestellten Beziehungsgeflecht des vorgetragenen Falls zuzuordnen. Es gibt innerhalb der Gruppe eine zusätzliche Eigendynamik. Dies trifft insbesondere auf Gruppen innerhalb von Institution zu.

3 Verbreitung

Weltweit findet die Balintarbeit heute immer mehr Beachtung. Die Veränderungen der sozialen Beziehungen in der globalisierten Welt mit dem Zugang zu Wissen über die Medien und mit zunehmender Demokratisierung führen zu – je nach Kontext – gravierenden Veränderungen. Internationale Forschungen geben einen Einblick in das wachsende Interesse daran zu verstehen, wie Balintarbeit wirkt und welchen Nutzen sie in der vor allem medizinischen Fort- und Weiterbildung und in den sozialen Beziehungen hat. Demzufolge bemühen sich nationale Balintgesellschaften, die Balintarbeit als Bestandteil von Aus-, Weiter- und Fortbildungsprogrammen anzusiedeln. In Deutschland beispielsweise ist seit 1987 Balintarbeit praktikando zu erlernen und Teil der Psychosomatischen Grundversorgung in der vertragsärztlichen Versorgung.

4 Literaturhinweise

Balint, Michael, 2001. Der Arzt, sein Patient und die Krankheit. Stuttgart: Klett-Cotta. ISBN 978-3-608-94003-9

Mattke, Dankwart und Heide Otten, 2020. Balintgruppen: Supervision in medizinischen Handlungsfeldern. Kohlhammer. ISBN 978-3-17-033768-8 [Rezension bei socialnet]

Otten, Heide, 2012. Professionelle Beziehungen. Berlin: Springer. ISBN 978-3-642-03609-5

5 Informationen im Internet

Verfasst von
Dr. Dankwart Mattke
Fachärztliche Praxis: Psychosomatische Medizin, Psychiatrie, Neurologie, Psychotherapie, Psychoanalyse
Beratungssozietät „Mattke, Strauß & Partner“: Supervision, Coaching, Training, Organisations- und Teamentwicklung
Website
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Lothar Böhnisch, Heide Funk: Verantwortung - Soziologische und pädagogische Perspektiven. transcript (Bielefeld) 2023.
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