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Barrierefreie Kommunikation

Nora Süß, Dr. Isabel Rink

veröffentlicht am 08.04.2025

Englisch: barrier-free communication; accessible communication

Barrierefreie Kommunikation umfasst sämtliche Maßnahmen und Mittel, die den Zugang zu Kommunikation und Information für alle Menschen ermöglichen.

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Barrieretypen
  3. 3 Die Hildesheimer-Treppe
  4. 4 Quellenangaben

1 Zusammenfassung

Barrierefreie Kommunikation ist ein Oberbegriff. Darunter fallen verschiedene Maßnahmen und Mittel, die dazu dienen, Zugänge mit Bezug auf die Verständigung zu ermöglichen (Maaß und Rink 2018). Der Zugang zu Kommunikation und Information zur Verständigung ist die Voraussetzung für Teilhabe in allen Lebensbereichen und dementsprechend als Verpflichtung der unterzeichnenden Staaten in der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) verankert (UN-BRK 2018, Art. 2,9).

„[E]instellungs- und umweltbedingte Barrieren“ (UN-BRK 2018, Präambel, e) verhindern Zugänge. Und auch Kommunikation, d.h. Sprache im weiteren Sinne kann Barrieren bergen. Diese Barrieren tragen je nach Ausprägung dazu bei, dass ein Zugang zum Inhalt oder Thema für verschiedene Nutzende kaum möglich ist. Austausch, d.h. gelingende Information und Interaktion auf Augenhöhe, findet dann nicht oder nur bedingt statt. Um barrierefreie Kommunikation zu ermöglichen, werden die verwendete Sprache und die verwendeten Zeichen so (um-)gestaltet, dass sie möglichst vielen Personen den Zugang zu Informationen ermöglichen. Kommunikationsangebote – ob online, offline, mündlich oder schriftlich – sind also derart aufbereitet, dass sie den individuellen Bedarfen und Zugangsvoraussetzungen einer diversen und vielfältigen Gesellschaft Rechnung tragen (Maaß und Rink 2018; Rink 2020; Schubert 2016).

2 Barrieretypen

Die folgenden zehn Barrieretypen können textseitig den Zugang zum Inhalt erschweren oder verwehren:

  1. Die Wahrnehmungsbarriere behindert die Aufnahme und Verarbeitung von Informationen dann, wenn Inhalte z.B. nur in Schwarzschrift oder als Audiospur vorliegen, wenn sie also nicht multimodal und multicodal aufbereitet sind (Rink 2020, S. 137).
  2. Die Kognitionsbarriere betrifft die „sprachliche oder inhaltliche Komplexität der Mitteilung“. Nutzende verstehen Informationen nicht, wenn „die gedankliche Struktur“ sie kognitiv überstrapaziert (Schubert 2016, S. 18–19).
  3. Eine Motorikbarriere betrifft die Zugangseigenschaften im Sinne des Zugriffs: Im Printbereich meint das z.B. die Grammatur des Papiers, im Online-Bereich ist konkret die Steuerung per Tastatur gemeint. Hier können u.a. technische Hilfsmittel wie Eyetracking und Mund-Maus eingesetzt werden (Rink 2020, S. 138).
  4. Eine Sprachbarriere zielt auf die Ebene des sprachlichen Codes: Wie werden Informationen versprachlicht? Sind die erforderlichen sprachlichen Kompetenzen vorhanden? Wenn Deutsch beispielsweise nicht Erstsprache ist, können Informationen vielleicht nicht oder nicht hinreichend verstanden werden; die Sprache selbst stellt eine Zugangsbarriere dar (ebd.).
  5. Die Kulturbarriere umfasst kulturspezifisches Wissen, das nötig ist für den Zugang zu Informationen: Es zielt auf „länderspezifische Gepflogenheiten“. Was sind bestimmte Textsortenkonventionen? Wie verlaufen Antragsdiskurse (z.B. Anträge im Bürgeramt)? Wie wird innerhalb der Diakultur die Uhrzeit benannt (Dreiviertel vs. Viertel vor)?
  6. Die Fachbarriere betrifft die fachlichen Voraussetzungen, die für das Verständnis von Inhalten notwendig sind: Man denke zum Beispiel an das Arzt-Patientengespräch (ebd.).
  7. Die Fachsprachenbarriere tritt oft gemeinsam mit der Fachbarriere auf. Fachlichkeit entsteht auch durch den Gebrauch von Fachsprache: „die betroffenen Menschen [verstehen] zwar die Sprache, aber nicht die spezielle Fachsprache, in der die Mitteilung formuliert ist“ (Schubert 2016, S. 19).
  8. Die Medienbarriere kann verschiedene Ausprägungen haben. Sind Kommunikationsangebote bzw. Inhalte nur auditiv verfügbar, kann textseitig eine phonische Zugangsbarriere für z.B. hörbehinderte Nutzende bestehen. Sind Kommunikate nur visuell verfügbar, z.B. in Schwarzschrift, kann textseitig eine grafische Zugangsbarriere für z.B. sehbehinderte Nutzende bestehen. Liegen Informationen in einer medialen Realisierung vor, die nicht der präferierten Nutzungsart oder Ausstattung der Rezipierenden entspricht, besteht eine Medienbarriere (Online-Informationen, die z.B. ältere Personen in Einrichtungen adressieren, die möglicherweise nicht mit WLAN oder entsprechenden Endgeräten ausgestattet sind oder nicht ihren medialen Präferenzen entsprechen) (Rink 2020, S. 140–141; Bosse und Hasebrink 2016; Mollenkopf und Doh 2002). Dieser Barrieretyp betrifft also Angebote, die nicht nach dem Mehr-Sinne-Prinzip angelegt sind.
  9. Die Motivationsbarriere zielt auf das „thematische Interesse am Text […], sodass Lektüre als interessant, persönlich bedeutsam und positiv erfahren wird“ (Lang 2021, S. 127). Wenn Inhalte nicht an der Lebenswelt der Nutzenden orientiert sind, können diese als nicht bedeutsam bewertet und ignoriert werden.
  10. Die Emotionsbarriere betrifft das Setting, also die Rezeptionssituation: Es geht hierbei um „vorwiegend situative Faktoren […], die dazu führen, dass bestimmte Texteigenschaften mit der inneren Haltung oder Gemütsverfassung der Lesenden kollidieren und so die kognitive oder normative bzw. konative Akzeptanz beeinträchtigen“ (a.a.O., S. 131). Man denke z.B. an Schreiben in Nachlasssachen.

3 Die Hildesheimer-Treppe

In neueren Forschungsansätzen zur barrierefreien Kommunikation wird davon ausgegangen, dass der Gesamtverstehensprozess mehrstufig ist und gelingende Kommunikation und Interaktion nur möglich sind, wenn alle Verarbeitungsstufen erfolgreich durchlaufen werden:

Hildesheimer-Treppe
Abbildung 1: Hildesheimer-Treppe (Forschungsstelle Leichte Sprache 2020, abgebildet in Kröger und Schulz 2022)

Im Modell wird davon ausgegangen, dass Texte oder Kommunikate (online, offline, mündlich, schriftlich) Barrieren bergen, die die Kapazitäten auf den verschiedenen Verarbeitungsstufen im Gesamtverstehensprozess unterschiedlich stark beanspruchen können:

  • Dabei muss Information zunächst auffindbar sein, damit sie vom Nutzenden aufgefunden werden kann.
  • Sie muss wahrnehmbar sein, um über die verschiedenen Wahrnehmungskanäle aufgenommen werden zu können.
  • Sie muss verständlich sein.
  • Sie darf nicht zu voraussetzungsreich sein, um mit Vorwissensbeständen verknüpft werden zu können.
  • Sie muss akzeptabel sein.
  • Sie muss handlungsorientierend sein, damit Nutzende auf der Basis von Informationen Anschlusshandlungen vollziehen können (Maaß und Rink 2018; Rink 2020).

Damit alle Verarbeitungsstufen erfolgreich durchlaufen werden können, braucht es ausreichend Verarbeitungskapazität, d.h. barrierefreie Kommunikate orientieren sich an den vielfältigen Bedarfen einer heterogenen Nutzerschaft.

Entsprechend sind Angebote der barrierefreien Kommunikation multimodal und multicodal aufbereitet; hierzu gehören zum Beispiel:

  • Textalternativen für Grafiken
  • Audiodeskription
  • Audioeinführung
  • Großdruck
  • Braille-Druck
  • text-to-speech (akustische Sprachausgabe)
  • barrierefreie Dokumente
  • Steuerung via Maus, Tastatur, Mundjoystick/​Mund-Maus, Eye-Tracking
  • Angebote in Leichter Sprache
  • Angebote in Einfacher Sprache
  • Inhalte in Gebärdensprache
  • Bilder, Piktogramme.

Sie umfassen also verschiedene Realisierungsarten von Kommunikation und schließen technische, sprachliche, konzeptionelle und gestalterische Aspekte mit ein.

4 Quellenangaben

Bosse, Ingo und Uwe Hasebrink, 2016. Mediennutzung von Menschen mit Behinderungen [online]. Berlin: die medienanstalten – ALM GbR [Zugriff am: 13.11.2024]. Verfügbar unter: https://www.die-medienanstalten.de/fileadmin/​user_upload/​die_medienanstalten/​Forschung/​Mediennutzung_Behinderungen/​Studie-Mediennutzung_Menschen_mit_Behinderungen_Langfassung.pdf

Kröger, Janina und Rebecca Schulz, 2022. Der beste Rat nützt nichts, wenn er nicht verstanden wird [online]. Hannover: Wissen hoch N. [Zugriff am: 13.11.2024]. Verfügbar unter: https://www.wissenhochn.de/de/themen/​auswahl-und-uebersicht/​einzelansicht/​der-beste-rat-nuetzt-nichts-wenn-er-nicht-verstanden-wird

Lang, Katrin, 2021. Auffindbarkeit, Wahrnehmbarkeit, Akzeptabilität: Webseiten von Behörden in Leichter Sprache vor dem Hintergrund der rechtlichen Lage. Berlin: Frank & Timme. ISBN 978-3-7329-0804-2

Maaß, Christiane und Isabel Rink, Hrsg., 2018. Handbuch Barrierefreie Kommunikation. Kommunikation – Partizipation – Inklusion. Band 3. Berlin: Frank & Timme. ISBN 978-3-7329-0407-5

Mollenkopf, Heidrun und Michael Doh, 2002. Medienverhalten älterer Menschen – Internet und neue Technologien [online]. Berlin: ResearchGate GmbH [Zugriff am: 13.11.2024]. Verfügbar unter: https://www.researchgate.net/profile/​Michael_Doh/​publication/​239612606_Medienverhalten_alterer_Menschen_Internet_und_neue_Technologien/​links/​53ef49ab0cf23733e812d1cc/​Medienverhalten-aelterer-Menschen-Internet-und-neue-Technologien.pdf

Rink, Isabel, 2018. Kommunikationsbarrieren. In: Christiane Maaß und Isabel Rink, Hrsg. Handbuch Barrierefreie Kommunikation. Kommunikation – Partizipation – Inklusion. Band 3. Berlin: Frank & Timme, S. 29–66. ISBN 978-3-7329-0407-5

Rink, Isabel, 2020. Rechtskommunikation und Barrierefreiheit: Zur Übersetzung juristischer Informations- und Interaktionstexte in Leichte Sprache. Berlin: Frank & Timme. ISBN 978-3-7329-9234-8

Schubert, Klaus, 2016. Barriereabbau durch optimierte Kommunikationsmittel: Versuch einer Systematisierung. In: Nathalie Mälzer, Hrsg. Barrierefreie Kommunikation: Perspektiven aus Theorie und Praxis. Berlin: Frank & Timme, S. 15–33. ISBN 978-3-7329-0231-6 [Rezension bei socialnet]

Verfasst von
Nora Süß
Kinder-, Jugend- und Erwachsenenbildung
Mitarbeiterin der Forschungsstelle Leichte Sprache, Stiftung Universität Hildesheim
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Dr. Isabel Rink
Leitung Landeskompetenzzentrum für Barrierefreiheit Niedersachsen
bei der Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen, Nds. Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, Hannover
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Es gibt 2 Lexikonartikel von Isabel Rink.

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Buchcover

Granger E. Westberg: Gute Trauer. Verlag C.H. Beck (München) 2011.
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