Berufliche Bildung
Prof. Dr. Reinhold Weiß
veröffentlicht am 25.02.2021
Berufliche Bildung umfasst alle Lern- und Bildungsformate, die vorbereitend oder begleitend für die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit qualifizieren. Sie schließt an die allgemeinbildenden Schulen an und erstreckt sich von der Sekundarstufe II über den tertiären Bereich bis zum quartären Bereich des Bildungswesens. Berufliche Bildung ist somit ein lebensbegleitender Prozess.
Überblick
- 1 Zusammenfassung
- 2 Abgrenzungen
- 3 Vielfalt beruflicher Bildung
- 4 Finanzierung beruflicher Bildung
- 5 Quellenangaben
- 6 Literaturhinweise
- 7 Informationen im Internet
1 Zusammenfassung
Berufliche Bildung erfolgt in formalen Bildungsgängen mit einem anerkannten Abschluss, in nicht-formalen Bildungsgängen ohne anerkannten Abschluss sowie auf informelle, pädagogisch nicht geplante und strukturierte Art und Weise. Das berufliche Bildungswesen ist überaus vielgestaltig. Das gilt sowohl für die Rechtsgrundlagen, die Zuständigkeiten und Organisationsformen, die Bildungsgänge und ihre Abschlüsse sowie die Finanzierung. Allen beruflichen Bildungsgängen ist die Ausrichtung auf einen Beruf und eine berufliche Tätigkeit gemeinsam. Neben beruflichen Qualifikationen können teilweise auch allgemeinbildende Abschlüsse erworben werden.
2 Abgrenzungen
Berufliche Bildung umfasst alle Bildungsmaßnahmen oder Bildungsgänge, die darauf abzielen, berufliche Kompetenzen zu entwickeln. Dabei geht es um die Aktualisierung und Erweiterung von Kompetenzen, aber auch um den Erwerb gänzlich neuer Kompetenzen. Berufliche Bildung ist damit auf die sich wechselnden Anforderungen des Arbeitslebens gerichtet. Über die Vermittlung berufsspezifischen Wissens und Könnens hinaus hat berufliche Bildung die Aufgabe, die Persönlichkeitsentwicklung des einzelnen zu fördern.
2.1 Berufliche und allgemeine Bildung
Die Grenze zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung ist nicht immer scharf zu ziehen, denn berufliche Bildungsgänge enthalten zu einem erheblichen Teil allgemeinbildende Inhalte und Fächer. Sie stellen Grundlagen für die Bewältigung beruflicher Handlungsaufgaben bereit. Auch sind allgemeine Kompetenzen und Bildungsabschlüsse von zentraler Bedeutung. Dies gilt sowohl für die Chancen von Schulabgänger*innen auf dem Ausbildungsmarkt als auch für die Chancen von Arbeitnehmer*innen auf dem Arbeitsmarkt. In vielen Bildungsgängen können deshalb neben beruflichen Qualifikationen und Abschlüssen auch allgemeinbildende Abschlüsse bis zur Hochschulreife erworben werden.
2.2 Berufsbildung und berufliche Bildung
Die Begriffe „Berufsbildung“ und „berufliche Bildung“ werden in der Wissenschaft häufig nebeneinander und nahezu synonym verwendet. Auch im amtlichen Sprachgebrauch werden beide Begriffe abwechselnd und ohne Differenzierung verwendet. Das gilt zum Beispiel für den Berufsbildungsbericht der Bundesregierung (BMBF 2020), aber auch für Veröffentlichungen der Bundesländer oder der Kultusministerkonferenz (KMK 2019).
Eine Legaldefinition von Berufsbildung enthält das Berufsbildungsgesetz (BBiG) in § 1 Abs. 1 BBiG. Danach gehören zur Berufsbildung die Berufsausbildungsvorbereitung, die Berufsausbildung, die berufliche Fortbildung sowie die berufliche Umschulung (BMBF 2019a). Das Berufsbildungsgesetz deckt damit einen großen Teil, aber längst nicht die berufliche Bildung in ihrer gesamten Breite ab. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Bund nur für die außerschulische berufliche Bildung eine Regelungskompetenz besitzt. Die Kompetenz für die schulische berufliche Bildung haben hingegen die Bundesländer.
Wenn die Kultusminister*innen der Länder von beruflicher Bildung sprechen, beschreiben sie vor allem den Bildungsauftrag beruflicher Schulen (KMK 2019). Allerdings unterscheiden auch sie nicht scharf zwischen beruflicher Bildung und Berufsbildung. So ist teilweise von beruflichen, teilweise von berufsbildenden Schulen die Rede; in NRW wiederum werden die verschiedenen beruflichen Bildungsgänge unter dem Dach der Kollegschulen angeboten.
2.3 Grad der Formalisierung
Die Begriffe „Berufsbildung“ und „berufliche Bildung“ haben eine große Schnittmenge, sind aber mit Blick auf die Vielfalt beruflicher Bildungsgänge nicht identisch. Einen Zugang zu einer begrifflichen Unterscheidung liefert die von der EU-Kommission vorgeschlagene Differenzierung zwischen formalem, nicht-formalem und informellem Lernen (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2000, S. 9). Sie liefert Kategorien für eine Systematik beruflicher Bildung (siehe Tabelle 1).
Formale, abschlussbezogene berufliche Bildung (= Berufsbildung) |
Nicht-formale berufliche Bildung |
Informelle berufliche Bildung (= berufliches Lernen) |
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Formale berufliche Bildung vollzieht sich in institutionellen Strukturen und organisierten, pädagogisch gestalteten Prozessen. Sie zielt auf den Erwerb eines staatlich geregelten und somit allgemein anerkannten Bildungsabschlusses. Dieser Bereich kann auch als Berufsbildung im engeren oder eigentlichen Sinne bezeichnet werden. Dazu gehören die
- duale Berufsausbildung in gewerblichen (z.B. Industriemechaniker/in), kaufmännischen (z.B. Bankkaufmann/​Bankkauffrau) und Dienstleistungsberufen (z.B. IT-Fachinformatiker/in),
- vollschulische Berufsausbildung (z.B. in den Assistenzberufen),
- berufliche Umschulung sowie
- die höherqualifizierende Berufsbildung, die zu einem anerkannten Fortbildungsabschluss (z.B. als Meister/in im Kfz-Techniker-Handwerk) führt.
Berufliche Bildung erfolgt daneben zu einem großen Teil in nicht-formalen Kontexten. Gemeint sind damit Bildungsgänge, Kurse und Lehrgänge, die zwar auf explizite Lern- oder Bildungsziele ausgerichtet sind und von pädagogisch qualifiziertem Personal durchgeführt werden, aber zu keinem anerkannten Bildungsabschluss führen. Die Teilnahme wird lediglich durch ein Zeugnis, eine Teilnahmebescheinigung oder ein Trägerzertifikat bestätigt. Dies trifft auf einen großen Teil der Bildungsmaßnahmen im sogenannten Übergangsbereich sowie die Anpassungsweiterbildung während des Arbeitslebens zu. Das gleiche gilt für die betriebliche Weiterbildung sowie den größten Teil der beruflichen Erwachsenenbildung.
Davon zu unterscheiden ist die informelle berufliche Bildung. Sie erfolgt als berufliches Lernen zu einem Großteil unmittelbar in der beruflichen Praxis durch die Ausübung beruflicher Funktionen und die Bewältigung beruflicher Aufgaben, teilweise aber auch im sozialen Umfeld oder im privaten Bereich (z.B. im Rahmen von Hobbys). Informelle berufliche Bildung ist nicht Teil eines geplanten, pädagogisch unterstützten Lernens, sondern erfolgt en passant, im Zuge der Arbeitsausführung sowie in Zusammenarbeit mit Kolleg*innen, Kund*innen, Freund*innen oder Familienangehörigen (Dehnbostel 2016).
Dieses Erfahrungslernen ist von zentraler Bedeutung für den Erwerb beruflicher Kompetenzen. Sie werden allenfalls partiell in Arbeitszeugnissen dokumentiert, können aber bei der Zulassung zu Bildungsgängen oder Prüfungen berücksichtigt werden. So ermöglicht das Berufsbildungsgesetz (siehe § 45 Abs. 2 BBiG) den Zugang zu Abschlussprüfungen auch jenen, die das eineinhalbfache der normalen Ausbildungszeit in einem Beruf tätig gewesen sind oder nachweisen können, dass sie die erforderlichen Kompetenzen auf anderem Wege erworben haben (BMBF 2019a).
2.4 Akademische Bildung als Berufsbildung?
Mit der sogenannten Bologna-Reform wurde an den deutschen Hochschulen das Modell gestufter Studienabschlüsse eingeführt. Der Bachelor-Abschluss gilt als erster, der Master-Abschluss als ein weiterführender berufsqualifizierender Abschluss. Absolvent*innen sind mit diesen Abschlüssen, ebenso wenig mit einem Staatsexamen, für die Ausübung einer konkreten beruflichen Tätigkeit qualifiziert. Dazu sind im Allgemeinen eine Phase der Einarbeitung, ein Referendariat oder eine Zusatzausbildung erforderlich.
Obwohl ein Studium letztlich ebenfalls in einen Erwerbsberuf einmündet, werden Studiengänge im Allgemeinen nicht dem Bereich der Berufsbildung zugerechnet. Denn Ziel eines wissenschaftlichen Studiums ist die Qualifizierung für und durch wissenschaftliches Denken und Arbeiten, nicht aber die Qualifizierung für bestimmte Segmente des Arbeitsmarktes. Dementsprechend gibt es für Hochschulen und Studiengänge eigene Rechtsgrundlagen und institutionelle Zuständigkeiten.
3 Vielfalt beruflicher Bildung
3.1 Unterschiedliche Rechtsgrundlagen
Die Vielfalt der beruflichen Bildung kommt bereits in den unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen zum Ausdruck. Auf der Bundesebene sind das im Wesentlichen
- das Berufsbildungsgesetz (BBiG),
- die Handwerksordnung (HwO),
- das Sozialgesetzbuch (SGB), insbesondere der Teil III, in dem die Fortbildung und Umschulung geregelt sind, sowie
- verschiedene Berufsgesetze (zum Beispiel das Pflegeberufegesetz – PflBG).
In den Bundesländern wird die berufliche Bildung durch Schulgesetze und spezifische Gesetze für einzelne Berufe (z.B. Erziehergesetz, Sozialberufe-Anerkennungsgesetz) oder bestimmte Bildungsbereiche (z.B. Bildungsfreistellungs-, Weiterbildungs- oder Erwachsenenbildungsgesetze) geregelt. Die Schulgesetze der Bundesländer werden ergänzt durch Rahmenvereinbarungen in der Kultusministerkonferenz. Darin haben sich die Bundesländer zu gemeinsamen Bildungsstandards verpflichtet und damit die Voraussetzung für die gegenseitige Anerkennung von Bildungsgängen und Abschlüssen geschaffen.
Entsprechend den Rechtsgrundlagen sind die ministeriellen Zuständigkeiten sowohl im Bund als auch in den Bundesländern unterschiedlich verteilt. Sie liegen nicht nur in den Schul-, Kultus- und Bildungsministerien, sondern teilweise auch in den Arbeits- und Sozialministerien, den Wirtschafts- und Gesundheitsministerien. Auch sind die Zuständigkeiten für einzelne Teile der beruflichen Bildung in den Bundesländern unterschiedlich geregelt. Zudem tragen vergleichbare Bildungsgänge in den jeweiligen Bundesländern unterschiedliche Bezeichnungen. Umgekehrt können sich unter gleichen Bezeichnungen unterschiedliche Konzepte verbergen. Angesichts dieser Vielfalt gibt es auch keine bundesweite, alle Bildungsbereiche umfassende Statistik der beruflichen Bildung, sondern nur Erhebungen und Statistiken, die einzelne Teile des Gesamtsystems abbilden.
3.2 Berufliche Bildung im Sekundarbereich II
Der Sekundarbereich II umfasst alle Bildungsgänge im Anschluss an die Bildungsgänge der Sekundarstufe I, in denen ein erster allgemeinbildender Bildungsabschluss erworben werden kann (KMK 2019, S. 24). Im Sekundarbereich II sind alle weiterführenden, sowohl allgemeinbildenden als auch beruflichen Bildungsgänge zusammengefasst. Im Bereich der Allgemeinbildung sind das die Oberstufen an Gymnasien und Gesamtschulen. Sie führen zu einem studienqualifizierenden Abschluss.
In der beruflichen Bildung gehören zum Sekundarbereich II die Bildungsgänge des sogenannten Übergangsbereichs (z.B. Berufsvorbereitungsjahr, Berufsgrundbildungsjahr, Berufsfachschulen) sowie die berufsqualifizierenden Bildungsgänge in dualer oder vollschulischer Form. Für junge Menschen, die keinen weiterführenden Bildungsgang im Sekundarbereich II besuchen, gilt im Übrigen die Berufsschulpflicht bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Sie kann in unterschiedlichen Schulformen abgeleistet werden.
Die einzelnen Bildungsgänge unterscheiden sich in den fachlichen Profilen, den Aufnahmevoraussetzungen, ihren Bildungszielen, der Unterrichtsorganisation sowie den zu erwerbenden Abschlüssen. Die Organisation erfolgt entweder in beruflichen Schulen (auch berufsbildende Schulen genannt) oder beruflichen Bildungseinrichtungen (z.B. Überbetrieblichen Ausbildungszentren), in dualer Form oder unmittelbar in der beruflichen/​betrieblichen Praxis. Nicht alle Schulformen/​Fachrichtungen gibt es in allen Bundesländern, auch variieren die Bezeichnungen. Ihre Rechtsgrundlage sind die Schulgesetze der Bundesländer. Grob kann zwischen folgenden Bildungsgängen bzw. Schulformen unterschieden werden (u.a. KMK 2019, S. 140 ff.).
- Die Berufsvorbereitung umfasst alle beruflichen Bildungsgänge, die auf eine Berufsausbildung oder die Aufnahme einer Arbeit vorbereiten. Dazu zählen namentlich das Berufsvorbereitungsgsjahr (BVJ), die Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit (BvB) sowie die betriebliche Einstiegsqualifizierung (EQ). In einigen Bundesländern gibt es entsprechende Bildungsgänge unter anderen Bezeichnungen, zum Beispiel die Berufseinstiegsklasse (BEK) in Niedersachsen oder das Berufseinstiegsjahr (BEJ) in Baden-Württemberg.
- Viele berufliche Bildungsgänge vermitteln eine berufliche Grundbildung, aber keinen anerkannten Ausbildungsabschluss. Dazu gehören vor allem das Berufsgrundbildungsjahr (BGJ) sowie ein Teil der Berufsfachschulen (BFS).
- Einige berufliche Bildungsgänge bieten auf der Basis eines beruflichen und allgemeinbildenden Fächerkanons einen mittleren Bildungsabschluss wie die Berufsaufbauschulen (BAS/BAG) oder sie führen zur Fachhochschulreife wie die Fachoberschulen (FOS).
- Berufliche Bildung, die zu einem anerkannten Ausbildungsabschluss führt, wird durchgeführt als duale Berufsausbildung, als vollschulische Berufsausbildung an Berufsfachschulen (Assistentenberufe) sowie als Berufsausbildung an Schulen des Sozial- und Gesundheitswesens. Auch die Ausbildung zum Beamten/zur Beamtin für den mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienst kann darunter subsumiert werden (BMBF 2020, S. 51).
- Doppeltqualifizierende Bildungsgänge bieten sowohl einen allgemeinbildenden als auch einen anerkannten beruflichen Abschluss. Diese Möglichkeit wird in beruflichen Gymnasien oder in Berufsfachschulen angeboten. Auch im Rahmen einer dualen Berufsausbildung besteht die Möglichkeit durch einen zusätzlichen allgemeinbildenden Unterricht eine Hochschulzugangsberechtigung zu erwerben. Die Zahl derartiger Bildungsangebote ist recht gering. Sie wenden sich an besonders leistungsfähige und motivierte junge Menschen. Auch haben diese Bildungsgänge durchweg eine längere reguläre Dauer.
Menschen mit Behinderungen sollen nach Möglichkeit in eine reguläre vollschulische oder duale Berufsausbildung integriert werden. Dazu soll die berufliche Bildung inklusiv gestaltet sein. Daneben gibt es besondere Bildungsgänge und Abschlüsse nach § 66 BBiG auf der Grundlage von Ausbildungsregelungen der zuständigen Stellen. Sie wenden sich an Menschen mit Behinderungen, für die eine Berufsausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf nicht in Frage kommt (BMBF 2019a).
Von der quantitativen Bedeutung aus betrachtet, ist die Berufsausbildung im dualen System nach BBiG oder HwO der gewichtigste Bereich der Sekundarstufe II. Jedes Jahr beginnen etwa 500.000 junge Menschen eine Berufsausbildung in einem der rund 330 anerkannten Ausbildungsberufe (siehe Tabelle 2). Etwa jeder zweite junge Mensch eines Altersjahrgangs erhält einen beruflichen Abschluss auf diesem Wege. Auf die verschiedenen Formen einer schulischen Berufsausbildung entfielen im Jahr 2019 immerhin noch 223.000 Neueintritte. Insgesamt gesehen ist das System der dualen/​vollschulischen Berufsausbildung mit 730.000 Eintritten mehr als doppelt so stark besetzt wie die allgemeinbildenden Bildungsgänge der Sekundarstufe II, die eine Hochschulzugangsberechtigung vermitteln.
Bildungsgänge im Sekundarbereich II, die auf eine Ausbildung vorbereiten, aber keinen anerkannten Abschluss vermitteln, werden summarisch auch als Übergangsbereich bezeichnet (BMBF 2020, S. 23). Sie bilden ein „Auffangbecken“ für junge Menschen, denen es aus den verschiedensten Gründen (z.B. wegen nicht ausreichender schulischer Leistungen oder eines Mangels an betrieblichen Ausbildungsplätzen) nicht gelungen ist, einen Ausbildungsplatz zu erhalten oder die in ihren Berufswünschen noch unsicher sind. Das Ziel, sie während oder nach dem Abschluss der jeweiligen Bildungsmaßnahme in einen Bildungsgang zu vermitteln, in dem sie eine anerkannte Berufsausbildung erwerben können, gelingt leider nur zum Teil. Viele Absolvent*innen durchlaufen mehrere dieser Bildungsgänge nacheinander und landen schließlich als Ungelernte in einem Arbeitsverhältnis. Jedes Jahr bleiben etwa 14 Prozent eines Altersjahrgangs ohne beruflichen Abschluss (BIBB 2020, S. 279). Für die Betroffenen ist dies oft ein Handicap bei der weiteren beruflichen Entwicklung. Es führt meist zu unsicheren und gering vergüteten (prekären) Beschäftigungsverhältnissen (Solga und Weiß 2015).
3.3 Berufliche Bildung im quartären Bereich
Berufliche Bildung erstreckt sich über die gesamte Lebensspanne. Gerade für Erwerbstätige sind Möglichkeiten des Lebenslangen Lernens wichtig, um mit den Veränderungen der Arbeits- und Berufswelt Schritt halten zu können oder sich auf neue Aufgaben vorzubereiten. Die berufliche Fort- und Weiterbildung repräsentiert einen wesentlichen Anteil des quartären Bereichs des Bildungswesens. Weiterbildungsmaßnahmen werden von zahlreichen öffentlichen und privaten Trägern angeboten. Die Teilnahme ist in der Regel kostenpflichtig.

- Berufliche Bildungsgänge können zu einem anerkannten Fortbildungsabschluss führen. Hierzu zählt zum einen die Fortbildung an Fachschulen (in Bayern Fachakademien) nach Landesrecht. Sie führen zu Abschlüssen, die mit dem Zusatz „staatlich geprüfte/r …“ oder „staatlich anerkannte/r …“ gekennzeichnet sind. Zum anderen ist hierzu die höherqualifizierende Berufsbildung nach BBiG und HwO zu rechnen. Sie umfasst Abschlüsse auf drei Ebenen: Berufsspezialist, Bachelor Professional, Master Professional. Diese im Zuge der BBiG-Reform im Jahr 2019 eingeführten Bezeichnungen ergänzen die bestehenden Abschlüsse, zum Beispiel Fachwirt, Fachkaufmann, Techniker oder Meister und positionieren sie auf den Ebenen fünf, sechs und sieben des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) (siehe unten, „Berufliche Abschlüsse“).
- Berufliche Bildung trägt durch Fortbildung und Umschulung zur Reintegration in eine berufliche Tätigkeit bei. Sie wendet sich vor allem an Arbeitslose oder von Arbeitslosigkeit bedrohte Menschen und wird auf der Grundlage des SGB II und III von den Agenturen für Arbeit finanziell gefördert. Dazu werden entsprechende Lehrgänge ausgeschrieben.
- Berufliche Weiterbildung findet in Form von Kursen, Seminaren und Informationsveranstaltungen zu einem erheblichen Teil in Betrieben oder finanziert von Betrieben bei externen Bildungsdienstleistern statt. Im Jahr 2016 haben immerhin 40 Prozent der Bevölkerung im Alter von 18 bis 64 Jahren an Maßnahmen der betrieblichen Weiterbildung teilgenommen (siehe Abbildung 1). Eine betriebliche Weiterbildung dient vor allem der Aktualisierung und Anpassung von Kompetenzen an veränderte Anforderungen. Die Seminare oder Kurse beschränken sich oft auf wenige Stunden oder Tage. Formale Abschlüsse können damit in der Regel nicht erworben werden.
- Daneben werden Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung auch eigeninitiativ und auf eigene Kosten von den Individuen besucht. Die staatlichen und privaten Weiterbildungseinrichtungen bieten hierfür ein breites Spektrum an Maßnahmen an. Im Jahr 2018 haben 7 Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter an derartigen Maßnahmen teilgenommen (siehe Abbildung 1).
3.4 Berufliche Abschlüsse
Berufliche Bildung kann sowohl mit anerkannten Abschlüssen verbunden sein als auch lediglich durch Teilnahmebescheinigungen oder Anbieterzertifikate dokumentiert sein. Die beruflichen Bildungsabschlüsse wurden den DQR-Niveaus schwerpunktmäßig zugeordnet:
- Niveau 3: Abschluss in einem zweijährigen Ausbildungsberuf (z.B. Verkäufer/in, Maschinen- und Anlagenführer/in)
- Niveau 4: Abschluss in einem drei- oder dreieinhalbjährigen Ausbildungsberuf (z.B. Einzelhandelskaufmann/​Einzelhandelskauffrau, Industriemechaniker/in)
- Niveau 5: Fortbildung zum Berufsspezialisten (z.B. Fachberater/in, Servicetechniker/in)
- Niveau 6: Fortbildung zum Bachelor Professional (z.B. Techniker/in, Industriemeister/in, Fachwirt/in, ebenso Erzieher/​innen)
- Niveau 7: Fortbildung zum Master Professional (z.B. Master Professional in Betriebswirtschaft – Geprüfte/r Betriebswirt/​inHwO)
Berufliche Bildungsgänge bieten neben beruflichen Abschlüssen häufig auch die Möglichkeit, allgemeinbildende Abschlüsse zu erwerben (KMK 2019, S. 14 ff.). So bieten berufsvorbereitende Bildungsgänge die Möglichkeit, den Hauptschulabschluss nachzuholen oder sogar einen mittleren Bildungsabschluss zu erwerben. Eine duale Berufsausbildung kann, wenn sie mit zusätzlichem Fremdsprachenunterricht verbunden wird, zu einem mittleren Bildungsabschluss führen. Darüber hinaus besteht an beruflichen Schulen, insbesondere denen, die eine Grundbildung vermitteln, die Möglichkeit einen mittleren oder höheren Bildungsabschluss zu erwerben. Berufliche Bildungsgänge tragen deshalb in erheblichem Maße zur Chancengerechtigkeit und Durchlässigkeit im Bildungswesen bei.
Aufgrund von Beschlüssen der Kultusministerkonferenz (KMK 2009) wurde Absolvent*innen einer anerkannten Berufsbildung der Weg zu einem Hochschulstudium eröffnet. Je nach Qualifikation gibt es einen gestuften Hochschulzugang.
- Absolvent*innen einer Berufsausbildung erwerben nach einer mindestens dreijährigen Berufspraxis eine fachgebundene Hochschulzugangsberechtigung.
- Absolvent*innen einer anerkannten Aufstiegsfortbildung nach Bundes- oder Landesrecht erwerben den allgemeinen Hochschulzugang, wenn für den Vorbereitungskurs auf die Prüfung mindestens 400 Unterrichtsstunden erforderlich waren.
Auf der anderen Seite wurden erleichterte Möglichkeiten für Hochschulabsolvent*innen geschaffen, einen anerkannten Fortbildungsabschluss zu erwerben. Dies trägt dem Ziel einer wechselseitigen Durchlässigkeit Rechnung.
3.5 Berufliches Lernen im Prozess der Arbeit
Berufliche Kompetenzen werden nur zum Teil in formalen oder non-formalen Bildungsgängen erworben. Ein erheblicher Teil wird im Laufe des Arbeitslebens informell im Zuge der Arbeitsausführung erworben. In der dualen Berufsausbildung ist der Erwerb von Berufserfahrung systematischer Teil eines formalen, durch Ausbildungsordnungen und Lehrpläne geregelten Bildungsgangs.
Ein Lernen im Prozess der Arbeit ist vor allem dann möglich, wenn der Anteil der Routinetätigkeit gering ist, wenn die Arbeitsaufgaben abwechslungsreich und problemhaltig sind und den Arbeitnehmer*innen Entscheidungskompetenzen zugestanden werden. Dies ist ausgeprägt der Fall im Bereich Forschung und Entwicklung. Es ist aber auch in weiten Teil der industriellen und handwerklichen Produktion sowie in vielen kundenorientierten Dienstleistungstätigkeiten möglich. Die Lernchancen in der Arbeit hängen wesentlich von der Betriebs- und Arbeitsorganisation sowie der Unternehmenskultur ab.
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich in vielen Unternehmen wesentliche Änderungen in der betrieblichen Arbeitsorganisation vollzogen. Sie sind durch eine Dezentralisierung, eine Verlagerung von Kompetenzen auf die Ebene der Mitarbeiter*innen sowie verstärkte Mitsprache- und Mitgestaltungsmöglichkeiten gekennzeichnet (u.a. Dostal und Kupka 2001). Dem Lernen in den Arbeitsprozessen kommt somit eine zentrale Bedeutung für die Implementation von Innovationen wie auch die Qualitätsentwicklung zu. Dennoch sind die Möglichkeiten einer lernförderlichen Gestaltung der Arbeit noch längst nicht ausgeschöpft.
In der Folge haben sich auch die Formen der betrieblichen Weiterbildung und Personalentwicklung gewandelt. Anstelle von arbeitsfernen Seminaren, in denen fachsystematisches Wissen vermittelt worden ist, haben individuelle und gruppenspezifische Lernprozesse anhand realer Handlungsaufgaben und Geschäftsprozesse an Bedeutung gewonnen.
4 Finanzierung beruflicher Bildung
Für die Finanzierung beruflicher Bildungsgänge in den beruflichen Schulen wie auch der Erwachsenenbildung sind die Bundesländer sowie die kommunalen Schulträger zuständig. Der Bund dagegen hat eine Zuständigkeit für die außerschulische berufliche Bildung. Er fördert die berufliche Aus- und Weiterbildung vor allem durch die Finanzierung überbetrieblicher Ausbildungsstätten, die Förderung der Teilnahme an Lehrgängen der höherqualifizierenden Berufsbildung (Aufstiegs-BaföG), das Schüler-BaföG für Schüler*innen an beruflichen Schulen sowie durch eine Reihe von Initiativen und Programmen (BMBF 2020, S. 84 ff.).
Die Bundesagentur für Arbeit finanziert mit den Beiträgen von Arbeitgebern und Arbeitnehmer*innen sowie aufgrund von Zuschüssen des Bundes Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen. Zielgruppe waren in der Vergangenheit im Wesentlichen Arbeitslose oder von Arbeitslosigkeit Bedrohte. Inzwischen können über das Instrumentarium des SGB unter bestimmten Bedingungen aber auch Beschäftigte gefördert werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie einen beruflichen Abschluss nachholen wollen.
Wichtige Financiers der beruflichen Aus- und Weiterbildung sind daneben die Arbeitgeber. Die Berufsausbildung in den meisten Ausbildungsberufen ist für die Arbeitgeber mit Nettokosten verbunden. Die Berufsausbildung rechnet sich für die Betriebe somit erst dann, wenn die Auszubildenden nach erfolgreicher Abschlussprüfung in ein Arbeitsverhältnis übernommen und über einen längeren Zeitraum beschäftigt werden. Darüber hinaus finanzieren die Arbeitgeber einen erheblichen Teil der beruflichen Weiterbildung.
Die Lernenden selbst tragen in Form von Teilnahmebeiträgen, Ausgaben für Medien sowie Fahrt- und Übernachtungskosten ebenfalls einen beträchtlichen Teil der Finanzierung. Dies gilt vor allem für die Ausbildung in den Gesundheits-, Erziehungs- und Sozialberufen, die zum Teil in privaten Bildungseinrichtungen stattfindet. Auch in der beruflichen Anpassungs- und Aufstiegsfortbildung sind die privaten Aufwendungen erheblich. Sie können teilweise aber in der Einkommensteuererklärung steuerlich geltend gemacht werden und reduzieren somit die Steuerlast.
5 Quellenangaben
BIBB – Bundesinstitut für Berufsbildung, Hrsg., 2020. Datenreport 2020. Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung [online]. Vorabversion, Berlin und Bonn: Bundesinstitut für Berufsbildung [Zugriff am: 08.05.2020]. Verfügbar unter: https://www.bibb.de/dokumente/pdf/bibb_datenreport_2020.pdf
BMBF – Bundesministerium für Bildung und Forschung, Hrsg., 2019a. Das neue Berufsbildungsgesetz [online]. Bonn: Bundesministerium für Bildung und Forschung [Zugriff am: 08.01.2020]. Verfügbar unter: https://www.bmbf.de/upload_filestore/pub/Das_neue_Berufsbildungsgesetz_BBiG.pdf
BMBF – Bundesministerium für Bildung und Forschung, Hrsg., 2019b. Weiterbildungsverhalten in Deutschland 2018. Ergebnisse des Adult Education Survey – AES-Trendbericht [online]. Bonn: Bundesministerium für Bildung und Forschung [Zugriff am: 13.11.2020]. Verfügbar unter: https://www.bmbf.de/upload_filestore/pub/Weiterbildungsverhalten_in_Deutschland_2018.pdf
BMBF – Bundesministerium für Bildung und Forschung, Hrsg., 2020. Berufsbildungsbericht 2020 [online]. Bonn: Bundesministerium für Bildung und Forschung [Zugriff am: 07.05.2020]. Verfügbar unter: https://www.bmbf.de/upload_filestore/pub/Berufsbildungsbericht_2020.pdf
Dehnbostel, Peter, 2016. Informelles Lernen in der betrieblichen Bildungsarbeit. In: Matthias Rohs, Hrsg. Handbuch Informelles Lernen. Wiesbaden: SpringerLink, S. 343–364 [Zugriff am: 06.02.2021]. ISBN 978-3-658-06174-6. Verfügbar unter: https://doi.org/10.1007/978-3-658-06174-6_41-1
Dostal, Werner und ​Peter Kupka, Hrsg., 2001. Globalisierung, veränderte Arbeitsorganisation und Berufswandel. Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (BeitrAB) 240. Nürnberg
KMK – Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, 2009. Hochschulzugang für beruflich qualifizierte Bewerber ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 6.3.2009 [online]. Bonn [Zugriff am: 23.12.2019]. Verfügbar unter: https://www.kmk.org/fileadmin/​veroeffentlichungen_beschluesse/2009/2009_03_06-Hochschulzugang-erful-qualifizierte-Bewerber.pdf
KMK – Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Hrsg., 2019. Das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland 2017/2018. Darstellung der Kompetenzen, Strukturen und bildungspolitischen Entwicklungen für den Informationsaustausch in Europa [online]. Bonn: Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland [Zugriff am: 04.03.2020]. Verfügbar unter: https://www.kmk.org/fileadmin/​Dateien/pdf/Eurydice/​Bildungswesen-dt-pdfs/​dossier_de_ebook.pdf
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, 2000. Memorandum über Lebenslanges Lernen. Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen [online]. Brüssel [Zugriff am: 06.11.2020]. Verfügbar unter: https://www.hrk.de/uploads/​tx_szconvention/​memode.pdf
Kommission Europäischer Gemeinschaften, 2001. Bericht der Kommission. Die konkreten künftigen Ziele der Bildungssysteme [online]. Brüssel [Zugriff am: 22.02.2020]. Verfügbar unter: https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/​LexUriServ.do?uri=COM:2001:0059:FIN:DE:PDF
Solga, Heike und Reinhold Weiß, Hrsg., 2015. Wirkung von Fördermaßnahmen im Übergangssystem. Forschungsstand, Kritik, Desiderata [online]. Berichte zur beruflichen Bildung. Bonn: Bundesinstitut für Berufsbildung [Zugriff am: 06.02.2021]. Verfügbar unter: https://www.bibb.de/de/38867.php
6 Literaturhinweise
Arnold, Rolf, Antonius Lipsmeier und Matthias Rohns, Hrsg., 2020. Handbuch Berufsbildung. 3. Auflage. Wiesbaden: Springer VS. ISBN 978-3-658-19311-9
Gutschow, Karin und Julia Jörgens, 2018. Herausforderungen bei der Einführung von Verfahren zur Validierung nicht formalen und informellen Lernens in Deutschland. Ergebnisse eines Szenario-Delphis. BIBB Report 1/2018 [online], Bonn: Bundesinstitut für Berufsbildung [Zugriff am: 20.03.2020]. Verfügbar unter: https://www.bibb.de/veroeffentlichungen/de/publication/show/8607
Rauner, Felix, 2017. Grundlagen beruflicher Bildung: Mitgestalten der Arbeitswelt. Bielefeld: Bertelsmann Verlag. ISBN 978-3-7639-5776-7 [Rezension bei socialnet]
7 Informationen im Internet
- Ständige Konferenz der Kultusminister in der Bundesrepublik Deutschland (KMK)
- Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
- Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi)
- Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB)
- Forum für AusbilderInnen
- Gewerkschaftliches Online-Magazin zu allen Fragen der Bildungspolitik
- Kuratorium der Deutschen Wirtschaft für Berufsbildung
Verfasst von
Prof. Dr. Reinhold Weiß
ehemaliger Vize-Präsident und Forschungsdirektor im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB)
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Zitiervorschlag
Weiß, Reinhold,
2021.
Berufliche Bildung [online]. socialnet Lexikon.
Bonn: socialnet, 25.02.2021 [Zugriff am: 19.03.2025].
Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/3607
Link zur jeweils aktuellsten Version: https://www.socialnet.de/lexikon/Berufliche-Bildung
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