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Berufsberatung

Barbara Knickrehm, Rainer Thiel

veröffentlicht am 01.08.2023

Englisch: vocational guidance; career guidance; career counseling; vocational counseling

Als Berufsberatung werden alle Handlungen bezeichnet, die Personen dabei unterstützen, ihre Interessen, Fähigkeiten und Kompetenzen zu erkunden und auf dieser Grundlage tragfähige Entscheidungen treffen zu können, die ihre Berufswahl sowie die dazu notwendigen Aus-, Fort- und Weiterbildungen betreffen.

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Historische Entwicklung
    1. 2.1 Anfang des 20. Jahrhunderts
    2. 2.2 Die Zeit des Nationalsozialismus
    3. 2.3 Bundesrepublik Deutschland
    4. 2.4 Deutsche Demokratische Republik
    5. 2.5 Seit 1990
  3. 3 Rechtliche Grundlagen
  4. 4 Verortung innerhalb der Beratung zu Bildung, Beruf und Beschäftigung
  5. 5 Formate, Arbeitsweisen, Methoden und Ablauf
  6. 6 Trends und Herausforderungen
  7. 7 Fachverbände
  8. 8 Quellenangaben
  9. 9 Informationen im Internet

1 Zusammenfassung

Die professionelle Berufsberatung hat ihre Wurzeln in der Frauenbewegung des späten 19. Jahrhunderts. In der Bundesrepublik ist das Recht auf freie Wahl von Beruf und Ausbildungsstelle in Artikel 12 des Grundgesetzes verankert. Die öffentliche Berufsberatung ist im Sozialgesetzbuch III geregelt und fällt in den Zuständigkeitsbereich der Bundesagentur für Arbeit (BA). Sie umfasst verschiedene Beratungsbereiche wie Berufswahl, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung.

Eine wesentliche definitorische Unklarheit besteht darin, dass die Tätigkeit „Berufsberatung“ im Sprachgebrauch vielfach mit der gleichnamigen Organisationseinheit bzw. Institution bei den Agenturen für Arbeit gleichgesetzt wird (BA 2023). Der Begriff wird auch für Angebote außerhalb der BA und teilweise synonym als zusammenfassende Bezeichnung für das gesamte Beratungsfeld genutzt.

Die Berufsberatung unterstützt Personen dabei, ihre Interessen, Fähigkeiten sowie Kompetenzen zu erkunden und zu entwickeln, um die Gestaltung ihrer beruflichen Laufbahn selbst in die Hand zu nehmen und fundierte Entscheidungen in Bezug auf Bildung, Beruf und Ausbildung zu treffen. Dies gilt für Personen jeden Lebensalters, in jedem Lebensabschnitt und in Bezug auf unterschiedlichste Entscheidungssituationen (OECD 2004, S. 12; Rat der EU 2004, S. 2).

Sie unterstützt den Prozess des lebenslangen Lernens und überschneidet sich in dieser Funktion mit Bildungsberatung, die grundsätzlich Fragen der Allgemein-, Aus- und Weiterbildung fokussiert. Seit den späten 1990er-Jahren wird daher häufig ein zusammenfassender Begriff der Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung benutzt (Thiel 2021a, S. 42).

Berufsberatung findet in vielfältigen Settings statt und nutzt ein breites beratungsmethodisches Spektrum. Daneben kommen Informations- und Reflexionstools zum Einsatz. Im Zuge des lebenslangen Lernens erhält die lebensbegleitende Berufsberatung eine wachsende Bedeutung und die Professionalisierung der Angebote wird wichtiger.

2 Historische Entwicklung

Die professionelle Berufsberatung in Deutschland hat ihre Wurzeln in der Frauenbewegung. Der Begriff wurde 1898 vom „Bund Deutscher Frauenvereine“ geprägt, der bereits 1902 eine erste Beratungsinstitution, die „Auskunftsstelle für Frauenberufe“, einrichtete (Krämer 2001, S. 1097). Deren Leiterin, Josephine Levy-Rathenau, trug bis zu ihrem Tod im Jahr 1921 maßgeblich zur Entwicklung und Institutionalisierung von Beratungsangeboten und -strukturen sowie zur Qualifizierung von Berufsberater:innen bei (Nürnberger und Maier 2013, S. 26–28).

2.1 Anfang des 20. Jahrhunderts

In Zusammenarbeit mit den Frauenorganisationen entstand 1913 der „Deutsche Ausschuss für Berufsberatung“, der das Ziel hatte, eine öffentlich finanzierte Berufsberatung für alle Jugendlichen zu ermöglichen, um diese nach Eignung und Interesse in den Arbeitsmarkt zu integrieren, auf dass „der richtige Mensch an den richtigen Platz gestellt wird“ (Levy-Rathenau 1913, S. 181). Diesem Ziel entsprechend erließ das Land Bayern 1917 eine erste Verordnung „betr. Lehrstellenvermittlung und Berufsberatung“, auf die kurz nach dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918 eine reichsrechtliche Regelung folgte (Müller-Kohlenberg 2006/2007, S. 8). Hiermit konnten öffentliche Stellen geschaffen werden, die die betreffenden Dienstleistungen kostenfrei und unparteiisch anboten.

1927 wurden mit dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) die Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung als gleichberechtigte Pflichtaufgaben neben Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung an die „Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung“ übertragen. Während der Weimarer Republik kam es in der Reichsanstalt zum deutschlandweiten Ausbau von Beratungsangeboten und zur Einführung von psychologisch fundierter Eignungs- und Neigungsdiagnostik für die Berufsberatung (Krämer 2001, S. 1100 f.).

2.2 Die Zeit des Nationalsozialismus

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurde gezielte Berufslenkung zu einer Hauptaufgabe, um einem Fachkräftemangel insbesondere in kriegswichtigen Bereichen entgegenzuwirken. Um eine größtmögliche Kontrolle zu gewährleisten, erhielt die „Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung“ ab 1935 das „Alleinrecht“ auf Arbeits- und Ausbildungsstellenvermittlung sowie die Berufsberatung. Eine freie Berufs- und Arbeitsplatzwahl waren i.d.R. nicht möglich (Krämer 2001, S. 1101 f.).

2.3 Bundesrepublik Deutschland

Gesetzeslage und Praxis änderten sich in der Bundesrepublik mit der Verabschiedung des Grundgesetzes 1949, insbesondere dessen Artikel 12. Das Beratungs- und Vermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit blieb erhalten (aktuelle rechtliche Grundlagen; Krämer 2001, S. 1102).

Eine grundlegende fachliche Ausbildung für Berufsberater:innen gab es nicht, bis 1972 der erste duale Studiengang an der Fachhochschule des Bundes, Fachbereich Arbeitsverwaltung, für die interne Qualifizierung von Berufsberater:innen der BA eingerichtet wurde. Zudem waren berufsbegleitende Qualifizierungen für Quereinsteiger:innen vorgesehen (Müller-Kohlenberg 2006/2007, S. 13).

Mit dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) von 1969 kam es zu Erweiterungen des Arbeitsfeldes der Berufsberatung, indem die Berufsorientierung an Schulen als eigenständige Fachaufgabe eingeführt wurde. Diese stützte sich auf Kooperationsvereinbarungen zur Zusammenarbeit von Schule, Kammern, Hochschulen und der Berufsberatung der Arbeitsämter. In den siebziger und achtziger Jahren kamen neue Formate (Telefonberatung, Gruppenberatung) und Angebote für weitere Zielgruppen (z.B. Menschen mit Behinderungen) hinzu (Krämer 2001, S. 1102 f.).

2.4 Deutsche Demokratische Republik

Die Berufsberatung in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) nahm eine eigene Entwicklung. Die dortigen Arbeitsämter wurden zu Beginn der 1950er-Jahre aufgelöst, mit ihnen die Berufsberatungseinrichtungen. Die Aufgabe der Nachwuchswerbung übernahmen zunächst die Betriebe selbst. Dies deckte zwar den Fachkräftebedarf kurzfristig, ermöglichte aber keine systematische Orientierung über Bildungs- und Berufswege für junge Menschen. Erst mit der schrittweisen Reform des Schulsystems und Einführung der polytechnischen Bildung wurde Berufswahlvorbereitung für alle Schüler:innen zum festen Programm mit einem eigenen Unterrichtsfach. Zunehmend wurde eine pädagogisch orientierte Beratung favorisiert, die die Erziehung zum Dienst an der Gemeinschaft unterstützte (Meffert 2008, S. 4 ff.).

Mit Verabschiedung der Verfassung der DDR (1968) erhielten Jugendliche das Recht auf Berufsberatung, wobei diese immer als Berufslenkung ausgelegt war, um dem Bedarf der Betriebe und der Wirtschaft im Ganzen Rechnung zu tragen (Krämer 2001, S. 1104). Neben Schule und Betrieb kamen nach und nach in den Kreisen Berufsberatungszentren als Akteure dazu. Ab 1979 gab es ein Weiterbildungsstudium „Berufsberater“ an der Universität Dresden (Meffert 2008, S. 10 f.). Nach der Wiedervereinigung wurden die Strukturen der DDR aufgelöst und durch die in der Bundesrepublik entstandenen Institutionen und Angebote ersetzt.

2.5 Seit 1990

Eine entscheidende Veränderung brachte das SGB III 1998: Das Aufgabenfeld der Berufsberatung wurde damit weiter definiert als zuvor und der Beratung an Hochschulen eine bedeutsame Rolle zugesprochen. Insbesondere aber fiel mit dem Gesetz das Alleinrecht (Beratungsmonopol) der Bundesanstalt für Arbeit (BA) fort, sodass nun ein freier Markt für Berufsberatungsangebote ermöglicht wurde. Qualifikationsanforderungen wurden vom Gesetzgeber nicht formuliert, was einer faktischen Deprofessionalisierung des Feldes gleichkam.

Für die öffentliche Berufsberatung der BA galt weiterhin, dass sie sich im Schwerpunkt Jugendlichen am Übergang Schule – Beruf widmete. Das Angebot einer sogenannten Arbeitsberatung für Arbeitslose und Arbeitssuchende wurde nach 2002 abgeschafft, sodass es offiziell kein lebensbegleitendes Angebot der Berufsberatung in der BA mehr gab. Auch deren Beratungsqualifizierungen wurden zu einem großen Teil eingestellt. Erst ab 2007 fand in der BA allmählich ein Umdenken statt, äußerlich sichtbar durch die Einführung einer neuen fachlichen Beratungskonzeption ab 2008/2009 (Rübner und Sprengard 2011).

Damit trugen u.a. die seit 2002 betriebenen internationalen Initiativen zur Einführung einer lebensbegleitenden Beratung späte Früchte (Lifelong Guidance; z.B. Rat der EU 2004). Angesichts der Bedeutung des lebenslangen Lernens für die sich abzeichnenden umfassenden Veränderungen von Wirtschaft und Gesellschaft war das Konzept einer Berufsberatung allein für Berufsanfänger nicht mehr tragfähig. Ab 2014 wurden Angebote „Lebensbegleitender Berufsberatung“ in den Agenturen für Arbeit geplant; seit 2020/2021 wird eine „Berufsberatung im Erwerbsleben“ schrittweise als Regelangebot eingeführt (Thiel 2021b, S. 269 f.).

3 Rechtliche Grundlagen

Grundlage der Berufsberatung wie auch der Arbeitsvermittlung in Deutschland ist das in Art. 12 GG verbriefte Recht auf freie Wahl von „Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstelle“. Während Bildung sowie die dazugehörige Beratung und Orientierung in Deutschland grundsätzlich Aufgaben der Bundesländer sind und in den Schul- und Hochschulgesetzen, z.T. auch in speziellen Weiterbildungsgesetzen der Länder, geregelt werden, ist die Berufsberatung auf Bundesebene im SGB III verankert und institutionell bei der Bundesagentur für Arbeit angesiedelt (§ 29 SGB III). Diese umfasst gemäß § 30 SGB III: „[…] die Erteilung von Auskunft und Rat

  1. zur Berufswahl, zur beruflichen Entwicklung, zum Berufswechsel sowie zu Möglichkeiten der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse,
  2. zur Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes und der Berufe,
  3. zu den Möglichkeiten der beruflichen Bildung sowie zur Verbesserung der individuellen Beschäftigungsfähigkeit und zur Entwicklung individueller beruflicher Perspektiven,
  4. zur Ausbildungs- und Arbeitsstellensuche,
  5. zu Leistungen der Arbeitsförderung,
  6. zu Fragen der Ausbildungsförderung und der schulischen Bildung, soweit sie für die Berufswahl und die berufliche Bildung von Bedeutung sind.“

Die Berufsberatung ist unentgeltlich und steht grundsätzlich allen Ratsuchenden zur Verfügung, auch Personen aus dem Rechtskreis des SGB II. Die aktuelle Fassung des § 29 SGB III schließt ausdrücklich auch Weiterbildungsberatung in die Berufsberatung mit ein. Die Zusammenarbeit der Bundesbehörde BA mit den Schulen ist in einer Vereinbarung mit der Kultusministerkonferenz und daraus abgeleiteten Ländervereinbarungen mit den Regionaldirektionen geregelt. (KMK 2017). 

4 Verortung innerhalb der Beratung zu Bildung, Beruf und Beschäftigung

Die öffentlichen Angebote der Berufsberatung i.e.S. besitzen in Deutschland einen Schwerpunkt in berufs- und arbeitsplatzbezogenen Fragestellungen, der sich auch institutionell als historisch gewachsene Aufgabe der Agenturen für Arbeit zeigt. Gleichwohl existieren Überschneidungen zu verwandten Beratungsbereichen, insbesondere der Bildungsberatung.

Diese hat sich seit den 1960er-Jahren parallel in ihren unterschiedlichen organisationalen Kontexten aufgrund eigener Rechtsgrundlagen und politischer Initiativen sowie als Angebot verschiedener Akteure entwickelt – z.B. Studienberatung an Hochschulen, Angebotsberatung anderer Bildungsträger, [Weiter-]Bildungsberatung der Kommunen, Kammern, Gewerkschaften und anderer Stakeholder, anliegen- und zielgruppenspezifische Bildungsberatung (Gavin-Kramer 2018, Pöggeler 1964, S. 47–62; Rambøll Management 2007; Schiersmann 2021). Bildungsberatung bezieht dabei ausdrücklich Aspekte der allgemeinen Bildung in ihr Handeln ein. Da jedoch berufliche Entwicklungen i.d.R. auf Bildungswegen fußen, die zu den angestrebten Tätigkeiten führen, ist eine Trennung der Beratungsbereiche in der Praxis kaum möglich. Auch eine Beschränkung auf einzelne Lebensphasen oder bestimmte berufs- und bildungsbezogene Beratungsanlässe (i.d.R. biografische Übergangssituationen) erscheint nicht zielführend.

In der fachlichen Diskussion hat sich als Oberbegriff für dieses Beratungsfeld daher die Bezeichnung „Beratung für [oder in] Bildung, Beruf und Beschäftigung“ eingebürgert (z.B. Bonnaire 2004, S. 7 f.; nfb 2022): Diese betrachtet umfassend die gesamte Laufbahn der Klient:innen und bezieht ggf. auch private Lebensthemen ein. Sie steht lebensbegleitend sowohl in akuten Entscheidungs- und Krisensituationen als auch präventiv zur Reflexion des eingeschlagenen Weges zur Verfügung. Sie unterstützt daher das lebenslange Lernen.

Eine Besonderheit stellt die Beratung für Rehabilitand:innen und schwerbehinderte Menschen dar. Sie ist gesetzlich eigenständig verortet, was der eigentlich inklusiven Idee der aktuellen Gesetzeslage des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) zuwiderläuft. Eine nähere Darstellung hierzu muss eigenen Artikeln vorbehalten bleiben (z.B. Berufliche Rehabilitation; Schwerbehinderung; Inklusion; Eingliederungshilfe).

5 Formate, Arbeitsweisen, Methoden und Ablauf

Berufsberatung findet in unterschiedlichen Formaten und Settings statt, von der persönlichen Einzelberatung, über Gruppenformate bis zu Onlineberatung und Blended Counseling. Darüber hinaus werden im Rahmen des Prozesses Reflexions- und Informationsangebote eingesetzt wie Online-Self-Assessments (OSA) und Informationsportale (Grüneberg et al. 2021, S. 431–487). Die Beratung kann auf verschiedene Zielgruppen ausgerichtet sein (z.B. junge Menschen vor dem Erwerbsleben, Erwachsene, Menschen mit Behinderungen, Menschen mit Migrationsgeschichte).

Je nach Ausbildung des/r Beratenden kommen in der Berufsberatung Haltungen, Gesprächsführungstechniken und Methodeninventare aus den klassischen Beratungsschulen (z.B. klientenzentrierte Beratung, systemische Beratung) zum Einsatz. Daneben existieren trägerspezifische Prozesse und Methoden: So berät die BA nach einer eigenen Beratungskonzeption (Rübner und Weber 2021), die auf aktuellen, auch internationalen, fachwissenschaftlichen Standards fußt.

Der Ablauf einer Berufsberatung umfasst:

  • eine eingehende Anliegenklärung zwischen Berater:in und Ratsuchendem/​Ratsuchender,
  • eine Standortbestimmung, die i.d.R. eine Klärung von berufs- und bildungsrelevanten Zielen, Werten, Interessen und Stärken umfasst,
  • eine Informationsphase, in der Klient:innen sich mit Bildungs- und Berufswegen zu ihrer Fragestellung beschäftigen sowie
  • eine Entscheidungs- und Umsetzungsphase.

Diese Phasen verlaufen nicht linear und können in mehrfachen Schleifen bearbeitet werden. Der/die Berater:in begleitet und moderiert diesen Prozess und unterstützt die Selbstreflexion des Klienten oder der Klientin durch Methoden und Interventionen, die zu der jeweiligen Situation und Person passen (z.B. Moll 2021, S. 438 f.).

6 Trends und Herausforderungen

Gesellschaftliche Megatrends haben einen großen Einfluss auf die Anlässe und Themen, mit denen Klient:innen Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung suchen. Dazu gehören neben lebenslangem Lernen und Inklusion auch technologische Entwicklungen wie Digitalisierung und künstliche Intelligenz, die die auf dem Arbeitsmarkt benötigten Kompetenzen stark beeinflussen. Die demografische Entwicklung wiederum führt zu einem Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials und damit zu einem Mangel an Fachkräften. Hinzu kommen Krisen wie die Corona-Pandemie, Flüchtlingsbewegungen und der Klimawandel mit ihren jeweiligen Auswirkungen auf die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt.

Um dem Bedarf an Fachkräften und deren Fort- und Weiterbildung gerecht zu werden, führte die BA seit 2019 die lebensbegleitende Berufsberatung als Regelangebot ein und erweitert damit ihr bisher eher auf die Berufsvorbereitung und die Arbeitsvermittlung ausgerichtetes Leistungsspektrum. Im Bereich der Berufsberatung vor dem Erwerbsleben (BBvE) sieht das neue Konzept eine stärkere Unterstützung für Schulen und für besondere Gruppen (Schul- und Studienabbrecher; NEETs) vor. Seit 2021 ist die Berufsberatung im Erwerbsleben (BBiE) ein reguläres Angebot für Menschen mit und ohne Arbeit, die sich beruflich neu orientieren oder weiterentwickeln wollen (BA 2021, S. 43).

Die BA hat vergleichsweise spät mit der Digitalisierung ihrer Beratungsangebote begonnen. Aufgrund des steigenden Bedarfs an Fachkräften und Fortbildungen werden seit Ende 2020 auch Online-Angebote eingeführt. Zunehmend wird aufsuchende Beratung angeboten, z.B. in Bibliotheken oder im mobilen Beratungsbus, und für Migrant:innen gibt es Integration Points als Anlaufstellen. Aufgrund gesetzlicher und politischer Vorgaben (insbesondere im Rahmen der sogenannten Nationalen Weiterbildungsstrategie; BMAS 2022) werden vermehrt Weiterbildungen für Berufstätige durch die Beratungsstellen finanziert.

Mit verbindlichen Qualifizierungswegen für Berater:innen hat die BA einen Schritt zur Professionalisierung der Berufsberatung und Kompetenzentwicklung der Beratenden in den Agenturen für Arbeit unternommen (HdBA 2022a und b). Die Bedeutung der Qualitätsentwicklung und -sicherung von Angeboten beschäftigt auch nach Abschluss des offenen Koordinierungsprozesses zur Beratungsqualität die Fachwelt (nfb und Uni Heidelberg 2014).

Im Rahmen der sogenannten Nationalen Weiterbildungsstrategie der Bundesregierung wird seit 2021 eine bessere Vernetzung der BA-Berufsberatung insbesondere mit den kommunalen Bildungsberatungsstellen angestrebt (BMAS und BMBF 2021, S. 46–55). Wie sich diese Politik in den kommenden Jahren auf die Berufsberatung als Ganzes auswirken wird, ist derzeit (Stand: 2023) Gegenstand politischer Diskussionen.

7 Fachverbände

In Deutschland existieren mehrere Fach-, Berufs- und Dachverbände, die sich als fachliche Netzwerke und Interessenvertretung für Akteure im Feld der Beratung zu Bildung, Beruf und Beschäftigung verstehen (Knickrehm und Thiel 2021).

8 Quellenangaben

BA – Bundesagentur für Arbeit, 2021. Weisung 202107012 vom 22.07.2021 [online]. Lebensbegleitende Berufsberatung – Fachliche Umsetzung. Nürnberg: BA [Zugriff am: 06.07.2023]. Verfügbar unter: https://www.arbeitsagentur.de/datei/​weisung-202107012_ba147119.pdf

BA – Bundesagentur für Arbeit, 2023. Persönliche Berufsberatung [online]. Nürnberg: BA [Zugriff am: 06.07.2023]. Verfügbar unter: https://www.arbeitsagentur.de/bildung/​berufsberatung

BMAS – Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2022. Weiterbildung mit Strategie [online]. Berlin: BMAS, 27.09.2022 [Zugriff am: 06.07.2023]. Verfügbar unter: https://www.bmas.de/DE/Arbeit/​Aus-und-Weiterbildung/​Berufliche-Weiterbildung/​Nationale-Weiterbildungsstrategie/​nationale-weiterbildungsstrategie-art.html

BMAS und BMBF – Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Geschäftsstelle Nationale Weiterbildungsstrategie; Bundesministerium für Bildung und Forschung, Referat 315 – Berufliche Weiterbildung, 2021. Abschlussberichte – Themenlabore [online]. Begleitpublikation zum Umsetzungsbericht der Nationalen Weiterbildungsstrategie. Berlin: BMAS, BMBF, 06/2021 [Zugriff am: 06.07.2023]. Verfügbar unter: https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/​downloads/​files/​nws_themenlabore_onlineversion_barrierefrei.pdf?__blob=publicationFile&v=1

Bonnaire, Isabelle, 2004. Lebensbegleitende Beratung. Vision und Realität. Interview mit den Experten Ursel Sieckendiek und Rainer Thiel. In: Bildung für Europa: Journal der Nationalen Agentur beim BIBB. 2004(2): S. 7–9. ISSN 1616-5837

Gavin-Kramer, Karin, 2018. Allgemeine Studienberatung nach 1945: Entwicklung Institutionen, Akteure: Ein Beitrag zur deutschen Bildungsgeschichte. Bielefeld: UniversitätsVerlag Webler. ISBN 978-3-946017-15-8

Grüneberg, Tillmann et al., Hrsg., 2021. Handbuch Studienberatung: Berufliche Orientierung und Beratung für akademische Berufswege, Band 1. Bielefeld: utb/wbv Publikation. ISBN 978-3-8252-5724-8

HdBA – Hochschule der Bundesagentur für Arbeit, 2022a. Zertifikatsprogramm Professionelle Beratung [online]. Mannheim/​Schwerin: HdBA [Zugriff am: 06.07.2023]. Verfügbar unter: https://www.hdba.de/studium/​wissenschaftliche-weiterbildung/​zertifikatsprogramme/​professionelle-beratung/

HdBA – Hochschule der Bundesagentur für Arbeit, 2022b. Bachelorstudiengänge [online]. Mannheim/​Schwerin: HdBA [Zugriff am: 06.07.2023]. Verfügbar unter: https://www.hdba.de/studium/​bachelorstudiengaenge/

KMK und BA – Kultusministerkonferenz und Bundesagentur für Arbeit, 2017. Rahmenvereinbarung über die Zusammenarbeit von Schule und Berufsberatung zwischen der Kultusministerkonferenz und der Bundesagentur für Arbeit [online]. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 15.10.2004 i.d.F. vom 01.06.2017. Stuttgart: Kultusministerkonferenz und Bundesagentur für Arbeit, 01.06.2017 [Zugriff am: 25.07.2023]. Verfügbar unter: https://www.kmk.org/fileadmin/​Dateien/pdf/PresseUndAktuelles/2017/2017-10-16_Rahmenvereinbarung_KMK-BA-Anl-ohne_Wasserzeichen.pdf

Knickrehm, Barbara und Rainer Thiel, 2021. Fachliche Netzwerke und Interessenvertretung. In: Grüneberg, Tillmann et al., Hrsg. Handbuch Studienberatung: Berufliche Orientierung und Beratung für akademische Berufswege: Band 1. Bielefeld: utb/wbv Publikation. S. 87–94. ISBN 978-3-8252-5724-8

Krämer, Reinhard, 2001. Die Berufsberatung in Deutschland von den Anfängen bis heute – eine historische Skizze [online]. ibv Publikationen. 2001(16). S. 1097–1105. Nürnberg: IAB [Zugriff am: 06.07.2023]. Verfügbar unter: https://doku.iab.de/ibv/2001/ibv1601_1097.pdf

Levy-Rathenau, Josephine, 1913. Die Konferenz über Berufsberatung und Berufsvermittelung. In: Centralblatt des Bundes deutscher Frauenvereine. 1912/1913 (Nr. 23.), S. 181

Meffert, Frank, 2008. Berufsberatung [online]. Zur Entwicklung auf dem Gebiet der DDR (1945 bis 1989). Schwerte/Düsseldorf: dvb [Zugriff am: 06.07.2023]. Verfügbar unter: https://dvb-fachverband.de/wp-content/​uploads/2020/07/Meffert_08.pdf

Moll, Judith 2021. Persönliche Einzelberatung. In: Grüneberg, Tillmann et al., Hrsg. Handbuch Studienberatung: Berufliche Orientierung und Beratung für akademische Berufswege, Band 1. Bielefeld: utb/wbv Publikation. S. 433–443. ISBN 978-3-8252-5724-8

Müller-Kohlenberg, Lothar, 2006/2007. Berufsberatung: Von den Anfängen bis zur Gegenwart [online]. Eine knappe sozialhistorische Skizze. Schwerte/Düsseldorf: dvb [Zugriff am: 06.07.2023]. Verfügbar unter: https://dvb-fachverband.de/wp-content/​uploads/2020/07/MuellerKohlenberg_0607.pdf

nfb – Nationales Forum Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung, Hrsg. 2022. Lebensbegleitende Bildungs- und Berufsberatung in Deutschland [online]. Strukturen und Angebote. 3. überarb. Aufl. Bielefeld: wbv Publikation [Zugriff am: 06.07.2023]. Verfügbar unter: doi:10.3278/6004926w

nfb und Uni Heidelberg – Nationales Forum Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung e.V.; Forschungsgruppe Beratungsqualität am Institut für Bildungswissenschaft der Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg, Hrsg., 2014. Professionell beraten mit dem BeQu-Konzept [online]. Instrumente zur Qualitätsentwicklung der Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung. Berlin/​Heidelberg/​Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag [Zugriff am: 06.07.2023]. Verfügbar unter: www.forum-beratung.de/cms/upload/BQ/BeQu-Konzept.pdf

Nürnberger, Jürgen und Dieter G. Maier, 2013. Josephine Levy-Rathenau: Frauenemanzipation durch Berufsberatung. Berlin: Hentrich & Hentrich. ISBN 978-3-942271-93-6

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Pöggeler, Franz, 1964. Methoden der Erwachsenenbildung. Freiburg: Herder

Rambøll Management, 2007. Bestandsaufnahme in der Bildungs-, Berufs- und Beschäftigungsberatung und Entwicklung grundlegender Qualitätsstandards [online]. Abschlussbericht. Hamburg: Rambøll Management, Mai 2007 [Zugriff am: 06.07.2023]. Verfügbar unter: https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/​downloads/​files/​berufsbildungsforschung.pdf

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Rübner, Matthias und Peter C. Weber, 2021. Grundlagenpapier zur Weiter­entwicklung der Beratungskonzeption der Bundesagentur für Arbeit (BeKo) [online]. Nürnberg: Bundesagentur für Arbeit [Zugriff am: 06.07.2023]. Verfügbar unter: www.arbeitsagentur.de/datei/​grundlagenpapier-zur-weiterentwicklung-der-beratungskonzeption-der-ba_ba147050.pdf

Schiersmann, Christiane, 2021. Beraten im Kontext Lebenslangen Lernens. Bielefeld: utb/wbv Publikation. ISBN 978-3-8252-5826-9 [Rezension bei socialnet]

Thiel, Rainer, 2021a. Lifelong Guidance. Lebensbegleitende Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung. In: Grüneberg, Tillmann et al., Hrsg. Handbuch Studienberatung: Berufliche Orientierung und Beratung für akademische Berufswege, Band 1. Bielefeld: utb/wbv Publikation. S. 40–49. ISBN 978-3-8252-5724-8

Thiel, Rainer, 2021b. Zur Entwicklung von Lifelong Guidance in Deutschland. In: Scharpf, Michael und Frey, Andreas, Hrsg. Vom Individuum her denken: Berufs- und Bildungsberatung in Wissenschaft und Praxis. Bielefeld: wbv Publikation. S. 263–274. ISBN 978-3-7639-7006-3

9 Informationen im Internet

Verfasst von
Barbara Knickrehm
Berufs- und Bildungsberaterin, Sozialmanagerin, Geschäftsführerin des Deutschen Verbands für Bildungs- und Berufsberatung e. V. (dvb)
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Rainer Thiel
Lehrkraft für Beratungsqualifizierung für die Hochschule der Bundesagentur für Arbeit (HdBA), Berufs- und Bildungsberater, Bundesvorsitzender des Deutschen Verbands für Bildungs- und Berufsberatung e. V. (dvb)
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Es gibt 1 Lexikonartikel von Rainer Thiel.

Zitiervorschlag
Knickrehm, Barbara und Rainer Thiel, 2023. Berufsberatung [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 01.08.2023 [Zugriff am: 13.10.2024]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/308

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