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Beschwerdemanagement

Gisela Meese

veröffentlicht am 03.01.2019

Unter Beschwerdemanagement werden alle systematischen Aktivitäten der Planung, Durchführung und Kontrolle verstanden, die ein Unternehmen oder eine Einrichtung im Zusammenhang mit Beschwerden von sämtlichen Stakeholdern, wie z.B. KundenInnen, LieferantenInnen und MitarbeiterInnen, ergreift (Wimmer 1985; Hansen et al. 1995). In der Regel wird die Bezeichnung „Beschwerdemanagement“ im Zusammenhang mit Kundenbeschwerden verwendet. Den Ausführungen dieses Beitrags liegt diese enge Definition zugrunde. Die beschriebenen Abläufe und Prozesse lassen sich jedoch ohne weiteres auf das Beschwerdemanagement für andere Zielgruppen übertragen.

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Angrenzende Bereiche
  3. 3 Herkunft und Geschichte des Beschwerdemanagements
  4. 4 Externer und interner Beschwerdemanagementprozess
  5. 5 Externes Beschwerdemanagement
    1. 5.1 Beschwerdestimulierung
    2. 5.2 Beschwerdeannahme
    3. 5.3 Beschwerdebearbeitung
    4. 5.4 Beschwerdereaktion
  6. 6 Internes Beschwerdemanagement
    1. 6.1 Beschwerdeauswertung
    2. 6.2 Beschwerdemanagement-Controlling
    3. 6.3 Beschwerdereporting
    4. 6.4 Nutzung der Beschwerdeinformation
  7. 7 Reaktives und aktives Beschwerdemanagement
  8. 8 Verbreitung von Beschwerden und die „Macht der Einzelmeinungen“
  9. 9 Beschwerdemanagement als Instrument der Unternehmensentwicklung und der Kundenbindung
  10. 10 Beschwerdemanagement ist betriebswirtschaftlich sinnvoll
  11. 11 Strukturelle und kulturelle Voraussetzungen für ein professionelles Beschwerdemanagement
  12. 12 Qualifikation des Beschwerdemanagers und der Mitarbeiter
  13. 13 Quellenangaben
  14. 14 Literaturempfehlung
  15. 15 Informationen im Internet

1 Zusammenfassung

Ein professionelles Beschwerdemanagement reagiert systematisch auf Kundenbeschwerden, wertet diese aus und nutzt die gewonnen Informationen zur Qualitätsverbesserung. Somit hat das Beschwerdemanagement sowohl qualitätsrelevante als auch beziehungsrelevante Funktionen: Es trägt einerseits zur Kundenbindung bei und ist andererseits ein Instrument der strategischen Unternehmensentwicklung. Im Unternehmen stehen dafür ein beziehungsrelevanter externer Prozess, der den Kundenkontakt abbildet, und ein qualitätsrelevanter interner Prozess, der zur Qualitätsverbesserung im Unternehmen beiträgt. Idealerweise ergänzen sich beide Prozesse und bilden einen Regelkreis. Beschwerdemanagement ist betriebswirtschaftlich sinnvoll. Es erfordert spezielle strukturelle Voraussetzungen und eine positive Fehlerkultur im lernenden Unternehmen. Beschwerdemanagement wird erst durch die MitarbeiterInnen, die es an ihrem Arbeitsplatz praktizieren, lebendig und greifbar. Dies erfordert spezielle fachliche, soziale und persönliche Kompetenzen des Personals, die ausgebildet und entwickelt werden sollten.

2 Angrenzende Bereiche

Eine zentrale Aufgabe des Beschwerdemanagement ist es, Beschwerden zu deeskalieren und die KundenInnen möglichst wieder an das Unternehmen zu binden. Tatsächlich äußern sich KundInnen nicht nur bei Unzufriedenheit, sondern auch dann, wenn sie mit dem Produkt oder der Dienstleistung besonders zufrieden waren oder wenn sie Verbesserungsvorschläge haben. Das Meinungsmanagement oder Feed-back-Management reagiert auf diese positiven Rückmeldungen ebenso wie auf Kritik. Positive Meinungsäußerungen der KundInnen können für den Imagegewinn des Unternehmens genutzt werden. Eine Möglichkeit ist das Empfehlungsmarketing. Auch das Reputationsmanagement setzt auf die systematische Analyse positiver und negativer Meinungsäußerungen, die ein Unternehmen von Stakeholdern erhält und die relevant sind für den Ruf (Reputation) eines Unternehmens. Diese Analyse versetzt das Unternehmen in die Lage, Reputationschancen zu nutzen und Reputationsrisiken frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden.

Abb. 1: Reputationsmanagement
Abb. 1: Reputationsmanagement

Während die oben beschriebenen Systematiken überwiegend externe Meinungsäußerungen auswerten, setzt das betriebliche Vorschlagswesen (BVW) auf das Ideenpotenzial aller MitarbeiterInnen, die Verbesserungsvorschläge einreichen können. Es ist ein wichtiger Bestandteil des und wird deshalb auch als „Verbesserungsvorschlagswesen“ (VV-Wesen) bezeichnet.

3 Herkunft und Geschichte des Beschwerdemanagements

Ursprünglich entstand das Beschwerdemanagement in kommerziellen Kontexten (Reklamationsmanagement). Betriebswirtschaftlich gesehen steht das Beschwerdemanagement an der Schnittstelle zwischen Marketing und Vertrieb. Firmen erkannten in den 1980er Jahren, dass die professionelle Reaktion auf Kundenbeschwerden ein wichtiges Instrument der Kundenbindung ist. Auch wurde ihnen bewusst, dass sie mit den kritischen Rückmeldungen der KundInnen wertvolle Informationen zu ihren Produkten oder Dienstleistungen erhielten. Sie begannen, Reklamationen und Kundenbeschwerden systematisch auszuwerten und auf dieser Grundlage ihre Dienstleistungen, Produkte und Prozesse weiterzuentwickeln und zu optimieren. Die systematische Auswertung wird durch computerbasierte CRM-Systeme (Customer Relationship Management-Systeme) unterstützt. CRM-Systeme erfassen sämtliche relevanten Informationen zu den KundInnen und ermöglichen es dem Unternehmen, strategische Entscheidungen an den Bedürfnissen der KundInnen auszurichten (CR-Orientierung).

In medizinisch-pflegerischen und sozialen Bereichen hat das Beschwerdemanagement etwa seit der Jahrtausendwende meist durch Verfahren der Qualitätssicherung Einzug gehalten. Diese Verfahren sehen ein Beschwerdemanagement vor. Ebenso wie in kommerziellen Kontexten hat das Beschwerdemanagement auch dort einen zweifachen Nutzen: Es liefert wichtige Daten für die strategische Unternehmensentwicklung und ist ein Instrument für Marketing und Kundenbindung (siehe Abschnitt Beschwerdemanagement als Instrument der Unternehmensentwicklung und der Kundenbindung).

4 Externer und interner Beschwerdemanagementprozess

Das Beschwerdemanagement gliedert sich in zwei Prozesse, die unterschiedliche Funktionen haben: Beim externen Beschwerdemanagementprozess interagiert das Unternehmen mit dem unzufriedenen KundInnen. Dieser Prozess ist beziehungsrelevant und zielt auf die Kundenbindung. Das interne Beschwerdemanagement analysiert die Kundenbeschwerden und generiert daraus Informationen, die für das Unternehmen qualitätsrelevant sind. Beide Prozesse beinhalten je vier Teilschritte (Stauss/Seidel 2014, S. 167 ff.)

Abb. 2: Externer und interner Beschwerdemanagementprozess
Abb. 2: Externer und interner Beschwerdemanagementprozess

5 Externes Beschwerdemanagement

5.1 Beschwerdestimulierung

Die Beschwerdestimulation macht den KundInnen Angebote, ihre Beschwerden möglichst komfortabel und zeitnah mitzuteilen. Die unterschiedlichen Kommunikationskanäle (Beschwerdewege oder Beschwerdekanäle) sollten deshalb für die KundInnen leicht zu nutzen und gut zugänglich sein, beispielsweise als Beschwerdebriefkästen, Beschwerde-Hotlines oder Beschwerdesprechstunden. Damit ein möglichst hoher Anteil der unzufriedenen KundInnen diese Beschwerdewege nutzt, müssen sie vom Unternehmen aktiv kommuniziert werden. Die Beschwerdestimulation trägt zur Deeskalation bei: Je früher die KundInnen ihren Unmut bei der zuständigen Stelle oder Person äußern können und je kompetenter die Beschwerdeannahme ist, umso weniger eskalieren Beschwerdesituationen. Die Beschwerdestimulierung führt möglicherweise zu einem Anstieg der Anzahl von Kundenbeschwerden. Dies ist jedoch kein Indikator für eine mangelhafte Qualität eines Produktes oder einer Dienstleistung. Es geht im Beschwerdemanagement nicht primär darum, die Anzahl von Beschwerden zu reduzieren, sondern darum, deren Ursachen zu identifizieren und zu beseitigen.

5.2 Beschwerdeannahme

Diese Phase betrifft die Abläufe beim Eingang einer Beschwerde. Dabei ist sicherzustellen, dass der Beschwerdeanlass vollständig erfasst wird und die KundInnen eine Eingangsbestätigung erhalten. Viele Unternehmen und Einrichtungen verwenden dafür standardisierte Vorlagen. Mit der Verschriftlichung lässt sich die weitere Beschwerdebearbeitung nachvollziehen. Bei der Beschwerdeannahme ist zu klären, wer der Complaint Owner, also der/die BeschwerdebesitzerIn ist. Die MitarbeiterIn, die die Beschwerde annimmt, ist nicht notwendigerweise für die Beschwerdebearbeitung zuständig. So kann es eine BeschwerdemitarbeiterIn geben, der sich entweder als Task Owner um die weitere Bearbeitung kümmert oder als Process Owner dafür sorgt, dass die Prozesse eingehalten werden.

Ebenso kann eine zentrale Beschwerdestelle sämtliche Funktionen der Beschwerdebearbeitung bis hin zum Controlling und Auswertung übernehmen. Diese Stelle ist direkte Anlaufstelle sowohl für die KundInnen, die sich beschweren wollen, als auch für MitarbeiterInnen, die Kundenbeschwerden weiterleiten.

Welches Modell auch immer gewählt wird, es bedeutet, dass einzelne oder alle MitarbeiterInnen in der Beschwerdeannahme und Beschwerdebearbeitung speziell geschult werden müssen. In jedem Fall sind Abläufe, Prozesse und Zuständigkeiten genau zu definieren.

  1. Die MitarbeiterIn, die die Beschwerde annimmt, ist die BeschwerdebesitzerIn und damit für die weitere Bearbeitung zuständig.
  2. Die MitarbeiterIn, die die Beschwerde annimmt, leitet diese an eine speziell geschulte BeschwerdemitarbeiterIn weiter, die für die Beschwerdebearbeitung zuständig ist.
  3. Es gibt eine zentrale Beschwerdestelle, die sämtliche Funktionen der Beschwerdebearbeitung bis hin zum Controlling und Auswertung übernimmt. Sie ist Anlaufstelle sowohl für die KundInnen und als auch für MitarbeiterInnen, die Kundenbeschwerden weiterleiten.

Die Beschwerdeannahme ist ein weiterer Schritt zur Deeskalation der Beschwerdesituation. Unzufriedene KundInnen, die ihre Beschwerde vortragen, sind meist sehr emotional. Erleben sie eine kompetente und zügige Beschwerdeannahme, die ihnen das Gefühl vermittelt, ernst genommen zu werden, wirkt dies bereits deeskalierend.

5.3 Beschwerdebearbeitung

Die Beschwerdebearbeitung ist ein interner Bearbeitungsprozess, der Zuständigkeiten und Bearbeitungstermine festlegt und die Terminkontrolle beinhaltet. Verärgerte KundInnen sind aufgebracht, persönlich betroffen und erwarten eine zeitnahe Antwort. Eine Studie zeigt, dass bei einer Reaktion innerhalb von zwei bis maximal drei Tagen 70 Prozent der EmpfängerInnen zufrieden sind. Bei mehr als drei Tagen sind es nur noch 30 Prozent (Ament-Rambow 2002).

Je nach Bearbeitungsdauer ist es sinnvoll, die KundenInnen über den Bearbeitungsstatus zu informieren. Bei schriftlichen Beschwerden ist eine Empfangsbestätigung sinnvoll, die ankündigen sollte, bis wann mit einer Antwort zu rechnen ist. Sollte sich zeigen, dass der angegebenen Zeitrahmen nicht eingehalten werden kann, sollten die KundInnen informiert werden.

5.4 Beschwerdereaktion

Grundsätzlich gibt es drei Möglichkeiten auf eine Kundenbeschwerde zu reagieren:

  1. Das Unternehmen kann den KundInnen die Lösung anbieten, die sie einfordern.
  2. Bei unrealistischen oder nicht gerechtfertigten Anliegen der KundInnen kann möglicherweise eine Alternative oder auch eine Perspektive für eine Lösung aufgezeigt werden.
  3. Wenn das Unternehmen eine Mitverantwortung an der Beschwerdeursache trägt, sollte es eine Kompensation anbieten. Die Art der Kompensation ist einzelfallspezifisch. Neben materiellen Kompensationen, etwa bei Erfüllung gesetzlicher Gewährleistungsansprüche, kommen auch immaterielle Reaktionen wie eine Entschuldigung beim Kunden in Betracht.

Es ist empfehlenswert, möglichst lösungsorientiert auf Kundenbeschwerden zu reagieren. Ziel sollte sein, den Konflikt mit den KundInnen niederschwellig zu lösen (siehe Abschnitt Macht der Einzelmeinungen).

6 Internes Beschwerdemanagement

6.1 Beschwerdeauswertung

Kundenbeschwerden liefern dem Unternehmen wertvolle Informationen aus Kundensicht über Produkte, Dienstleistungen, Prozesse und Mitarbeiter. Die Auswertung von Kundenbeschwerden kann sowohl quantitativ (z.B. Anzahl der Beschwerden bezogen auf ein Thema, eine Abteilung) oder qualitativ (z.B. Analyse der Beschwerdeursache) erfolgen.

6.2 Beschwerdemanagement-Controlling

Das Beschwerdemanagement-Controlling erfasst qualitative und quantitative Kennzahlen mit Bezug zum Beschwerdemanagement. Hierzu sind Leistungsindikatoren zu definieren. Betrachtet werden kann zum Beispiel die Anzahl der Beschwerden in einem bestimmten Zeitabschnitt. Das Controlling analysiert auch Kennzahlen zum Funktionieren des Beschwerdemanagements selber. So kann die Dauer einer Beschwerdebearbeitung ermittelt werden oder es kann beispielsweise beziffert werden, für wie viele Kundenbeschwerden eine Lösung gefunden werden konnte.

6.3 Beschwerdereporting

Das Beschwerdereporting stellt die wesentlichen Ergebnisse der Auswertung und des Controllings zusammen. Es generiert empirische Daten, die ein Unternehmen für einen Soll-Ist-Vergleich nutzen kann.

6.4 Nutzung der Beschwerdeinformation

Das Beschwerdereporting wird in regelmäßigen Zeitintervallen dem Führungspersonal zur Verfügung gestellt. Dieses leitet daraus Ziele und Strategien ab, um Produkt- oder Dienstleistungsqualität kontinuierlich zu verbessern und kundengerechter zu gestalten. Die internen und externen Prozesse des Beschwerdemanagements bilden damit einen Regelkreis, der eine kontinuierliche Qualitätsverbesserung bewirkt. Der Regelkreis beginnt mit der Definition unternehmerischer Ziele und endet mit den Erkenntnissen aus dem internen Beschwerdemanagementprozess. Die dort gewonnen empirischen Daten verändern oder modifizieren die Unternehmensziele – und ein neuer Regelkreis beginnt (s.a. Absatz Beschwerdemanagement als Instrument Unternehmensentwicklung).

Abb. 3: Regelkreislauf Beschwerdemanagement
Abb. 3: Regelkreislauf Beschwerdemanagement

7 Reaktives und aktives Beschwerdemanagement

Das Beschwerdemanagement kann auch in ein reaktives und ein aktives Beschwerdemanagement unterteilt werden. Ein reaktives Beschwerdemanagement reagiert auf Kundenbeschwerden, die es bearbeitet und auswertet. Auch wenn Unternehmen Beschwerden stimulieren, ist dies lediglich eine Intensivierung eines reaktiven Beschwerdemanagements. Sobald ein Unternehmen aktiv auf die „KundInnen“ zugeht und deren unerfüllte Erwartungen, Unzufriedenheit und Bedürfnisse kennenlernen möchte, macht es den Schritt zu einem aktiven Beschwerdemanagement. Es stellt die Wünsche und Bedürfnisse der KundInnen in den Vordergrund und steigert damit die Kunden- und Serviceorientierung der MitarbeiterInnen. Aktives Beschwerdemanagement setzt eine positive Fehlerkultur im Unternehmen voraus. Gleichzeitig trägt es dazu bei, diese Kultur zu stärken und zu verbreiten.

Abb. 3: Kernprozesse des Betrieblichen Gesundheitsmanagements
Abb. 3: Kernprozesse des Betrieblichen Gesundheitsmanagements

8 Verbreitung von Beschwerden und die „Macht der Einzelmeinungen“

Unternehmen aller Branchen werden von der „Macht der Einzelmeinungen“ beeinflusst, aber im Gesundheitswesen und bei sozialen Einrichtungen ist dies besonders stark ausgeprägt. Individuelle Erfahrungsberichte haben einen großen Einfluss auf andere potenzielle „KundenInnen“. Persönliche Empfehlungen geben oft den Ausschlag, beispielsweise bei der Auswahl von Klinik, Arztpraxis oder Altenheim. Kommunikative Megatrends zeigen, dass mit der Verbreitung des Internets das Bedürfnis nach persönlichen Empfehlungen sogar zugenommen hat. Keine Hochglanzbroschüre und keine Website können mit dem persönlichen Erfahrungsbericht eines „Kunden“ oder einer „Kundin“ konkurrieren.

Mit dem rasanten Wachstum der Sozialen Medien ist ein viraler Verbreitungsweg entstanden, bei dem Einzelmeinungen mit geringem Aufwand einer großen Öffentlichkeit mitgeteilt werden können. Dabei ist besonders problematisch, dass subjektive Einzelmeinungen ungeprüft veröffentlicht und verallgemeinert werden können. Der Wahrheitsgehalt dieser Äußerungen kann von den EmpfängerInnen nicht beurteilt werden. Aber auch außerhalb des Internets haben „Einzelmeinungen“ einen starken Einfluss: Unzufriedene „KundInnen“ werden in ihrem sozialen Umfeld über ihre negativen Erfahrungen berichten. Untersuchungen aus der Wirtschaft zeigen, dass eine Beschwerde mindestens elf weiteren Personen mitgeteilt wird und doppelt so oft von negativen Erfahrungen gesprochen wird im Vergleich zu positiven Erfahrungen (Gardini 1997). Wie auch immer die Einzelmeinung an die Öffentlichkeit gelangt: Negative Erfahrungsberichte stellen ein Reputationsrisiko dar, denn sie können das Image des Unternehmens nachhaltig schädigen und zum Verlust potenzieller Interessenten führen. Umgekehrt gilt auch: Erfahrungsberichte zufriedener „KundInnen“ tragen zum guten Image eines Unternehmens oder einer Einrichtung bei.

9 Beschwerdemanagement als Instrument der Unternehmensentwicklung und der Kundenbindung

Beschwerden decken Fehlerquellen und Leistungsdefizite aus Sicht der „KundInnen“ auf. Diese werden vom Beschwerdemanagement erfasst, analysiert und bearbeitet. Beispielsweise sind die KundInnen beim Modell des Total Quality Managements die entscheidende Orientierungsgröße einer qualitätsorientierten Unternehmensführung. Das Unternehmen richtet sich grundsätzlich an den Erwartungen der KundInnen aus. Dies soll sowohl Wettbewerbsfähigkeit als auch Kundenzufriedenheit erhöhen.

Eine Unternehmensführung, die das Beschwerdemanagement strategisch nutzt, kann folgende Ziele erreichen:

  • Die Kundenbindung wird verbessert, die Kundenzufriedenheit erhöht.
  • Die Unternehmenssteuerung wird versachlicht, da sie auf empirischen Daten beruht.
  • Die Mitarbeiterzufriedenheit wird gesteigert, da „Problemfelder“ ernst genommen werden.

Der Aspekt der Kundenbindung ist besonders relevant für Unternehmen, die im Wettbewerb um KundInnen stehen. Diese Unternehmen bewegen sich in einem Käufermarkt, bei dem die KäuferInnen verhandlungstechnisch eine stärkere Position haben als die VerkäuferIn oder AnbieterIn. Diese Unternehmen sollten für den Umgang mit Beschwerden sensibilisiert sein und um jede KundIn kämpfen. Sobald sich eine Firma über eine hohe Nachfrage der KundInnen freuen kann, bewegt sie sich in einem Verkäufermarkt. Dort hat die VerkäuferIn (AnbieterIn einer Ware oder Dienstleistung) eine stärkere Position als die KäuferIn. Dennoch ist auch für Unternehmen ohne Wettbewerbsdruck das strategisches Beschwerdemanagement ein wichtiges Instrument einer Unternehmensentwicklung, die sich an den Bedürfnissen der KundInnen ausrichtet.

Kundenbefragungen können die Informationen, die aus Beschwerden gewonnen werden, nicht ersetzen. Kundenbefragungen werden immer aus der Perspektive des Unternehmens konzipiert. Damit einher geht eine gewisse „Systemblindheit“, da einem Unternehmen nicht alle Aspekte bekannt sind, die für die KundInnen relevant sind. So wird das, was dem Unternehmen nicht bekannt oder bewusst ist, nicht abgefragt. Was nicht abgefragt wird, wird auch nicht beantwortet. So können Kundenbefragungen zu falschen Rückschlüssen führen. Beschwerden zeigen hingegen Aspekte auf, die dem Unternehmen nicht bewusst oder nicht bekannt sind, aus Sicht der KundInnen jedoch relevant sind. Nicht selten machen die KundInnen Verbesserungsvorschläge die dazu beitragen, eine Beschwerdeursache zu beseitigen. Während Kundenbefragungen in der Regel kostspielig sind, sind die aus Beschwerden gewonnenen Informationen nahezu kostenfrei.

10 Beschwerdemanagement ist betriebswirtschaftlich sinnvoll

Beschwerdemanagement ist betriebswirtschaftlich sinnvoll, da es Beschwerdesituationen deeskaliert und darauf abzielt, mit den KundInnen eine möglichst einvernehmliche Lösung zu finden. Auch soll vermeiden werden, dass sich negative Einzelmeinungen außerhalb des Unternehmens verbreiten und das Image des Unternehmens nachhaltig schädigen. „KundInnen“, die sich verstanden und akzeptiert fühlen, sind dazu bereit, der Argumentation des Unternehmens oder der Einrichtung zu folgen und zu kooperieren. Beschwerdesituationen, die eskalieren, wirken sich hingegen extrem negativ für das Unternehmen aus. Aufgebrachte KundInnen binden Personal, da sie nicht kooperationsbereit sind. Im Nu ziehen ihre Beschwerden Kreise und weitere MitarbeiterInnen sind damit befasst. Möglicherweise endet die Angelegenheit in einer juristischen Auseinandersetzung. Es liegt im Interesse des Unternehmens, mit einem professionellen Beschwerdemanagement Beschwerdesituationen zu deeskalieren und mit den KundInnen eine möglichst einvernehmliche Lösung zu finden.

KundInnen, die mit der unternehmerischen Reaktion auf ihre Beschwerde zufrieden waren, zeichnen sich durch eine höhere Zufriedenheit aus als die KundInnen, die keinen Anlass für eine Beschwerde hatten. Dieses empirisch belegte Phänomen wird als Beschwerdeparadoxon bezeichnet.

Beschwerdemanagement ist betriebswirtschaftlich sinnvoll, weil es

  • Beschwerdesituationen deeskaliert
  • negative Mundpropaganda vermeiden hilft
  • dafür sorgt, dass die KundInnen wieder kooperieren
  • weil es die KundInnen möglichst zurückgewinnt
  • zurückgewonnene KundInnen eine höhere Zufriedenheit ausweisen als andere KundInnen
  • kostspielige Kundenbefragungen mit kostengünstigen Informationen aus Beschwerden sinnvoll ergänzt.

11 Strukturelle und kulturelle Voraussetzungen für ein professionelles Beschwerdemanagement

Unzureichende oder intransparente Strukturen beim Beschwerdemanagement führen zu vielen Pannen. Die Beschwerde wird schnell zum unliebsamen „Wanderpokal“, der an untere Hierarchieebenen oder andere Abteilungen weitergeleitet wird. Vieles spricht dafür, das Beschwerdemanagement eines Unternehmens zu zentralisieren. Es ist leichter, Transparenz zu schaffen bei Zuständigkeit, Abläufen und Kommunikationswegen. Außerdem entlastet ein zentralisiertes Beschwerdemanagement das Personal in den Abteilungen und ermöglicht eine systematische Auswertung von Beschwerden.

Ein strategisches Beschwerdemanagement erfordert eine positive Fehlerkultur im Unternehmen. Es geht nicht mehr darum, „Schuldige“ zu identifizieren, weder bei den MitarbeiterInnen noch bei den KundenInnen. Fehler werden als Lernchancen bewertet. In einem konstruktiven Dialog werden die Ursachen für eine Störung analysiert und geeignete Maßnahmen ergriffen, um Wiederholungsfehler zu vermeiden. Beschwerden sind wichtige Triebfedern für einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess in einem lernenden Unternehmen.

MitarbeiterInnen in Firmen mit positiver Fehlerkultur,

  • wissen, dass sie offen über Fehlerquellen sprechen dürfen und Fehler nicht vertuschen müssen
  • sind geschult und in der Lage, latente Unzufriedenheit auch dann zu erkennen, wenn sie von KundInnen nicht explizit geäußert werden
  • weichen einer Beschwerde nicht aus, da sie wissen, wie sie sich in einer Beschwerdesituation professionell verhalten
  • begreifen „Kommunikation“ und „Kundenorientierung“ als Teil ihrer Dienstleistung für die KundInnen.

12 Qualifikation der BeschwerdemanagerIn und der MitarbeiterInnen

Eine standardisierte Ausbildung „BeschwerdemanagerIn“ gibt es bislang nicht. Viele Berufs- und Fachverbände setzen sich für die Entwicklung verbindlicher Standards ein, wie beispielsweise der Bundesverband Beschwerdemanagement für Gesundheitseinrichtungen (BBfG) e.V. Abgesehen vom speziellen Fachwissen einer BeschwerdemangerIn erfordert das Beschwerdemanagement von allen MitarbeiterInnen fachliche, soziale und persönliche Kompetenzen im Umgang mit unzufriedenen KundInnen. Zu den fachlichen Voraussetzungen gehört das Wissen über die Funktionsweise des Beschwerdemanagements und dessen Umsetzung, wie etwa die korrekte Beschwerdeannahme und, je nach Aufgabe, auch die Beschwerdebearbeitung. Die MitarbeiterInnen wissen, wie sie sich in einer Beschwerdesituation professionell verhalten und sie erkennen, ob der Anlass der Beschwerde zu juristischen Konsequenzen führen kann oder das Risiko einer negativen Berichterstattung in den Medien besteht. Dieses fachspezifische Wissen kann durch Schulungen vermittelt werden. Die sozialen Kompetenzen beinhalten das Wissen, wie man mit Konflikten umgeht, kundenorientiert agiert und Lösungen anbahnt. Diese Fähigkeit setzt ganz wesentlich kommunikative Kompetenz voraus. Dazu gehört auch die Fähigkeit, „KundInnen“ freundlich und bestimmt die „Grenzen des Machbaren“ aufzuzeigen. Für den Erwerb dieser Kompetenzen eignen sich Trainings. Die persönliche Kompetenz besteht in erster Linie aus der Verinnerlichung einer Kunden- und Serviceorientierung. Dies umfasst die Fähigkeit, latente Unzufriedenheit auch dann zu erkennen, wenn sie von KundInnen nicht explizit geäußert werden. MitarbeiterInnen mit hoher Kunden- und Serviceorientierung verstehen sich als „Agenten“ des „aktiven Beschwerdemanagements“. Persönliche Kompetenzen sind eher formbar als erlernbar, sodass sie am besten im Rahmen von Supervision und Coaching erworben werden können.

Tabelle 1: Erforderliche Kompetenzen im Beschwerdemanagement
Fachliche Kompetenz Soziale Kompetenz Persönliche Kompetenz
  • Wissen über Funktionsweise des Beschwerdemanagements, korrekte Beschwerdeannahme und, je nach Aufgabe, die Beschwerdebearbeitung
  • Professionelles Verhalten in Beschwerdesituationen
  • Einschätzung des Risikopotenzials von Beschwerden
  • Professionelles Agieren bei Konflikten und in eskalierten Beschwerdesituationen
  • Kommunikative Kompetenz, die KundInnen auch die Grenzen des Machbaren aufzeigt
  • Verinnerlichung der Kunden- und Serviceorientierung
  • Fähigkeit, auch latente Unzufriedenheit der KundInnen zu erkennen
→ Schulung → Training → Coaching und Supervision

13 Quellenangaben

Ament-Rambow, Christina, 2002. Jede Beschwerde eine kostenlose Beratung: Organisation und Einführung von Beschwerdemanagement. In: Krankenhaus Umschau. 68(5), S. 409–413. ISSN 0023-4508

Gardini, Marco, 1997. Qualitätsmanagement in Dienstleistungsunternehmen: Dargestellt am Beispiel der Hotellerie. Frankfurt/M.: Peter Lang

Hansen, Ursula, Kurt Jeschke und Peter Schöber, 1995. Beschwerdemanagement: Die Karriere einer kundenorientierten Unternehmensstrategie im Konsumgütersektor. In: Marketing ZFP. 17(2), S. 77–88. ISSN 0344-1369

Stauss, Bernd und Wolfgang Seidel, 2014. Beschwerdemanagement: Unzufriedene Kunden als profitable Zielgruppe. 5. Auflage. München, Wien: Hanser. S. 167 ff. ISBN 978-3-446-43966-5

Wimmer, Frank, 1985. Beschwerdepolitik als Marketinginstrument. In: Ursula Hansen und Ingo Schoenheit, Hrsg. Verbraucherabteilungen in privaten und öffentlichen Unternehmungen. Frankfurt/Main, New York: Campus-Verlag, S. 225–254. ISBN 978-3-593-33526-1

14 Literaturhinweise

Stauss, Bernd, Wolfgang Seidel, 2014: Beschwerdemanagement: Unzufriedene Kunden als profitable Zielgruppe. 5. Auflage. München, Wien: Hanser. ISBN 978-3-446-43966-5
Nach wie vor ist dies das Standardwerk zum Beschwerdemanagement. Es liegt jetzt in fünfter, vollständig überarbeiteter Auflage vor.

Ratajczak, Oliver, Hrsg., 2012. Erfolgreiches Beschwerdemanagement: Wege zu Prozessverbesserungen und Kundenzufriedenheit. Wiesbaden: Gabler Verlag. ISBN 978-3-658-00557-3

Es gibt eine Vielzahl von Veröffentlichungen, die sich mit dem Beschwerdemanagement befassen. Einige Titel stellen das Beschwerdemanagement in speziellen Kontexten oder für bestimmte Berufsgruppen dar. Andere handlungsorientierte Darstellungen widmen sich verschiedenen Techniken für den Umgang mit Kundenbeschwerden. Zum Beschwerdemanagement im Gesundheitswesen und in sozialen Einrichtungen liegen folgende Publikationen vor:

Bahner, Beate, Oliver Gondolatsch, 2019. Erfolgreiches Beschwerdemanagement in Kliniken: Praxishandbuch. Heidelberg: MedizinRechtVerlagHeidelberg

Meese, Gisela, 2018. Schriftliche Patientenbeschwerden professionell beantworten: Erfolgreich kommunizieren und überzeugen! 1. Auflage. Stuttgart: W. Kohlhammer. ISBN 978-3-17-033211-9

Meese, Gisela, 2018. Vom Beschwerdemanagement zur Serviceorientierung. In: BFS-Info. 2016(6), S. 16–19. ISSN 2196–3711. Verfügbar als PDF.

Vergnaud, Monique, 2002. Beschwerdemanagement: Hohe Leistungsfähigkeit durch Kundenkritik. München, Jena: Urban & Fischer. ISBN 978-3-437-46230-6

15 Informationen im Internet

Verfasst von
Gisela Meese
M.A., Organisationsentwicklerin (IHK), Systemischer Business Coach (ECA-zert.)
Offizielle Kooperationspartnerin des Bundesverbands Beschwerdemanagement für Gesundheitseinrichtungen (BBfG) e.V.
Langjährige Verantwortung bei UNICEF Deutschland für Aufbau und Pflege der Spenderkontakte sowie für das professionelle Beschwerdemanagement
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Zitiervorschlag
Meese, Gisela, 2019. Beschwerdemanagement [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 03.01.2019 [Zugriff am: 20.09.2024]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/6110

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