Bildungsrendite
Prof. Dr. Reinhold Weiß
veröffentlicht am 15.10.2020
Bildungsrenditen bringen den prozentualen Zugewinn an Einkommen zum Ausdruck, der mit einer Bildungsinvestition, sei es in Form von Lebenszeit oder Geld, erzielt werden kann. Bildungsrenditen können für einzelne Personen, Personengruppen oder ganze Volkswirtschaften kalkulatorisch berechnet werden. Eine gesamtwirtschaftliche Bildungsrendite bringt den Zuwachs an Wertschöpfung zum Ausdruck, den eine private und/oder öffentliche Investition in Bildung zur Folge hat.
Überblick
- 1 Zusammenfassung
- 2 Bildung soll sich lohnen
- 3 Bildung: ein Wirtschaftsgut
- 4 Nutzen und Erträge
- 5 Theoretische Basis: Humankapitaltheorie
- 6 Kalkulation von Bildungsrenditen
- 7 Ergebnisse von Renditeberechnungen
- 8 Aussagefähigkeit von Renditeberechnungen
- 9 Quellenangaben
- 10 Literaturhinweise
- 11 Informationen im Internet
1 Zusammenfassung
Bildungsinvestitionen sollen sich auszahlen. Das gilt sowohl für die Teilnehmer*innen an Bildungsmaßnahmen, die Geld und/oder Zeit investieren, als auch für Unternehmen, die ihre Mitarbeiter*innen qualifizieren sowie für die Gesellschaft als Ganzes. Die Bildungsökonomie hat dafür auf der Grundlage der Humankapitaltheorie Modelle für die Berechnung von Bildungsrenditen entwickelt. Die Ergebnisse derartiger Rechnungen zeigen, dass sich mit Investitionen in Bildung gute Renditen erwirtschaften lassen.
2 Bildung soll sich lohnen
Bildung ist ein Wert an sich. Sie schlägt sich in der Persönlichkeit des einzelnen und seinen Kompetenzen, aber auch seiner sozialen Wertschätzung nieder. Aus pädagogischer Sicht steht dieser ökonomisch schwer zu quantifizierende Zugewinn im Mittelpunkt. Bildung kann darüber hinaus aber auch als eine ökonomische Größe betrachtet werden, denn für die Bildung werden erhebliche finanzielle Mittel investiert. Und diese Investitionen stehen unter einer klaren Nutzen- und Ertragsperspektive.
- Der Staat investiert in Bildung, um eine bestmögliche Entfaltung der Kompetenzen in der Bevölkerung sicherzustellen und möglichst gleiche Lebenschancen zu gewährleisten. Die staatlichen Bildungsausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden erreichten im Jahr 2016 rund 160 Mrd. Euro. Das waren 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (Statistisches Bundesamt 2019, S. 18).
- Eltern investieren in die Bildung ihrer Kinder, um ihnen ein Leben in gesicherten Verhältnissen zu ermöglichen. Generell investieren Menschen in Bildung, um damit im Berufsleben attraktive berufliche Positionen zu erreichen, die ihren Vorstellungen entsprechen. Zugleich geht es darum, den Lebensunterhalt in möglichst gut dotierten Arbeitsverhältnissen oder auskömmlichen selbstständigen Tätigkeiten zu finanzieren.
- Unternehmen investieren in die Bildung ihrer Mitarbeiter*innen, um den aktuellen, möglichst auch den künftigen Qualifikationsbedarf zu decken und ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht nur zu erhalten, sondern möglichst gegenüber Mitbewerber*innen zu verbessern. Die betrieblichen Aufwendungen für die Lehrlingsausbildung machten, abzüglich der produktiven Leistungen der Auszubildenden, rund 8 Mrd. Euro im Jahr 2012/2013 aus. Die Ausgaben für Weiterbildung betrugen im Jahr 2016 schätzungsweise rund 11 Mrd. Euro (Statistisches Bundesamt 2019, S. 19).
Mit diesen Investitionen ist stets eine Ertragserwartung verbunden. Ökonomische Modelle zur Erklärung des Wirtschaftswachstums einer Volkswirtschaft beziehen deshalb Bildungsinvestitionen ein. Sie gelten neben der demografischen Entwicklung der Bevölkerung als wesentlicher Indikator für den Beitrag des Produktionsfaktors Arbeit zum Sozialprodukt.
3 Bildung: ein Wirtschaftsgut
In ökonomischer Betrachtung stellt Bildung ein Wirtschaftsgut dar. Es wird produziert und dabei entstehen private und öffentliche Aufwendungen; Bildungsleistungen haben einen Preis und können gehandelt werden. Den Aufwendungen an Zeit und Geld stehen auf der anderen Seite monetäre wie nicht-monetäre Erträge gegenüber. Allerdings ist Bildung ein Wirtschaftsgut mit besonderen Eigenschaften.
3.1 Gutscharakter
Bildung ist zunächst ein immaterielles Gut. Es kann mit anderen Worten nur mittelbar erschlossen werden. Kompetenzen und Bildungsabschlüsse werden zwar in Form von Zeugnissen und Zertifikaten dokumentiert, damit wird allerdings nur der formelle Teil erfasst. Ihr Wert erschließt sich erst aus dem Verhalten und der Art und Weise, wie die/der Einzelne in der Lage ist, bestimmte Aufgaben zu bewältigen und ihr/sein Leben selbstbestimmt zu gestalten.
Für Ökonom*innen ist Bildung ein sogenanntes meritorisches Gut. Bei diesen Gütern investiert die/der Einzelne weniger als es der gesellschaftlichen Wohlfahrt entsprechen würde. Das liegt daran, dass die/der Einzelne nur einen Teil der Bildungserträge für sich vereinnahmen kann, denn ein anderer Teil der Erträge entfällt auf die Gesellschaft. Sie werden deshalb auch als soziale oder externe Erträge bezeichnet, weil sie dem sozialen Umfeld oder der Gesellschaft als Ganzes zufließen. So steigt nicht nur das Einkommen der/des Einzelnen als Folge einer erfolgreichen Bildungsinvestition, sondern es fallen zugleich höhere Einkommensteuern an. Ebenso sinken die einkommensabhängigen staatlichen Transferausgaben, beispielsweise infolge einer geringeren Arbeitslosigkeit. Da die/der Einzelne die sozialen Erträge nicht für sich verbuchen kann, spielen sie bei ihrer/​seiner Investitionsentscheidung keine Rolle. Sie/Er investiert deshalb, so die bildungsökonomische Theorie, weniger in Bildung als es gesamtwirtschaftlich angemessen wäre. Diese Lücke muss durch staatliche Investitionen in Bildung geschlossen werden. Allerdings vermag die Theorie nicht zu erklären, wie hoch die staatlichen Bildungsinvestitionen sein sollten oder in welchem Verhältnis private und öffentliche Investitionen zueinander stehen sollten.
3.2 Werterhalt oder Wertverlust
Bildung ist ein Gut, dessen Wert durch die Nutzung nicht zwangsläufig abnimmt, wie das bei Wirtschaftsgütern der Fall ist und die deshalb über die Lebensdauer abgeschrieben werden. Der Wert allgemeiner, grundlegender Bildung, wie sie mit dem Erwerb von Schulabschlüssen verbunden ist, behält im Allgemeinen seinen Wert. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die in formalen Bildungsprozessen erworbenen Kompetenzen genutzt werden. Sie werden unter Umständen sogar wertvoller, weil sie durch Erfahrungswissen angereichert werden. Können die in einem Bildungsgang erworbenen Kompetenzen dagegen nicht angewandt werden, verkümmern sie und stiften keinen entsprechenden Nutzen.
Ein Wertverlust tritt umso eher ein, je spezifischer das erworbene Wissen ist. Berufliche Kompetenzen, insbesondere in innovativen Berufsfeldern, veralten daher schneller als grundlegende Kompetenzen, die in allgemeinen Bildungsgängen erworben wurden. Deshalb wird bei beruflichen Bildungsinvestitionen im Allgemeinen eine kürzere Nutzungsdauer unterstellt. Besonders hoch ist die Obsoleszenzrate bei Maßnahmen der Anpassungsweiterbildung. Diese Bildungsmaßnahmen sind meist sehr kurz, sie dauern oft nur wenige Stunden oder Tage. Außerdem sind sie sehr spezifisch und auf den beruflichen/​betrieblichen Bedarf abgestellt. Sie sollen sich daher möglichst rasch für die Arbeitgeber*innen amortisieren. Bei Kalkulationen zum (betrieblichen) Humankapital werden deshalb systematisch Abschreibungen auf den Bestand vorgenommen.
3.3 Eingeschränktes Ausschlussprinzip
Eine Besonderheit des Wirtschaftsgutes Bildung besteht auch darin, dass externe Personen, die an der Investition keinen Anteil hatten, von der Nutzung oftmals nicht ausgeschlossen werden können. Das sogenannte Ausschlussprinzip gilt nur eingeschränkt. Denn die/der Gebildete muss ihre/seine Kompetenzen anwenden und somit in ihrem/​seinem Verhalten offenbaren, sollen sie ökonomisch zum Tragen kommen. Damit werden sie aber für Dritte sichtbar. Das Verhalten kann beobachtet und kopiert werden. Kompetenzen werden damit transferierbar, und zwar ohne dafür Zeit und/oder Finanzmittel aufwenden zu müssen.
Diese Annahme der ökonomischen Theorie ist indessen höchst angreifbar, denn ohne eigenen Aufwand, der immer auch mit Zeit verbunden ist, erfolgt kein Lernen. Und komplexe Kompetenzen, die in längeren formalen Bildungsgängen erworben worden sind, lassen sich allein durch Beobachten oder Imitation nicht erlernen. Man denke nur an das Erlernen einer Fremdsprache oder einen Hochschulabschluss. Auch das gemeinsame Lernen in Praxisgemeinschaften ist ein Anwendungsfall, der den theoretischen Annahmen widerspricht. Denn hier werden Kompetenzen in einem kollegialen Austausch ohne ökonomischen Gegenwert weitergegeben. Allerdings funktioniert dies nur dann und solange, wie der Austausch wechselseitig erfolgt und alle daran partizipieren. Alternativ kann eine Gegenleistung auch in Form von sozialer Wertschätzung erfolgen.
4 Nutzen und Erträge
Für Pädagog*innen ist vor allem der nicht-monetäre Nutzen relevant. Bildungsmaßnahmen sollen sich in verbesserten Kompetenzen und der Entwicklung der Persönlichkeit niederschlagen. Die/Der Einzelne soll befähigt werden, ihr/sein Leben kompetent und selbstbestimmt zu gestalten und sich als aktives Mitglied in die Gemeinschaft einzubringen. Auch kann die Teilnahme an Bildungsmaßnahmen zu einer größeren Lebensfreude oder einer höheren sozialen Wertschätzung führen. Ein nicht-monetärer Nutzen ist schließlich auch die Freude am Lernen und die Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand.
Für Ökonom*innen hingegen sind vor allem die monetären Erträge in Form eines höheren Einkommens relevant. Bildung gilt als entscheidender Faktor, um den Produktionsfaktor Arbeit so zu entwickeln und im Beschäftigungssystem so zu platzieren, dass ein höchstmöglicher Ertrag entsteht. Aus individueller Sicht kann es ebenso darum gehen, ein bestimmtes Ziel, zum Beispiel einen Ausbildungsabschluss, mit minimalem Aufwand zu erreichen. Damit sich Bildung für den einzelnen wie für die Gemeinschaft rechnet, ist es erforderlich, dass Absolvent*innen Arbeitsplätze einnehmen, die ihre Kompetenzen ausschöpfen, eine entsprechende Produktivität generieren und letztlich mit einem Einkommen verbunden sind, das den Qualifikationen gerecht wird.
Die Autor*innen des Nationalen Bildungsberichts unterscheiden grundlegend zwischen drei Feldern, auf denen Wirkungen und Erträge von Bildungsinvestitionen entstehen. Neben nicht-monetären und monetären Erträgen wirken sich Bildungsinvestitionen auf dem Arbeitsmarkt aus (siehe Abbildung 1). Mit anderen Worten: Der Bildungsstand der Erwerbspersonen hat einen nachhaltigen Einfluss auf Art und Umfang der Erwerbstätigkeit. Mit steigendem Bildungsniveau steigt tendenziell auch die Erwerbsquote, also der Anteil der erwerbstätigen Bevölkerung. Und es sinkt die Arbeitslosigkeit. Entsprechend fallen soziale Erträge in Form steigender Steuereinnahmen und geringerer Transferausgaben an.

Allerdings zeigen sich positive Wirkungen oft erst Jahre oder Jahrzehnte später. Dies gilt vor allem für Investitionen in grundlegende, allgemeine Bildungsmaßnahmen oder den Erwerb höherwertiger Bildungsabschlüsse. Sie schlagen sich in Form höherer Lebenseinkommen während der gesamten Dauer der Berufstätigkeit und sogar noch in höheren Renten oder Pensionen im Ruhestand aus.
Auch betriebliche Investitionen in die Berufsausbildung zahlen sich oftmals erst Jahre später aus. Da die produktiven Leistungen der Auszubildenden in vielen Ausbildungsberufen geringer sind als die Ausbildungskosten, ist eine in der Regel dreijährige Berufsausbildung für die Unternehmen mit Nettokosten verbunden (Schönfeld et al. 2020). Ausbildende Unternehmen haben daher ein Interesse, die Auszubildenden nach einer erfolgreichen Ausbildung in ein Beschäftigungsverhältnis zu übernehmen, weil sie nur auf diesem Wege und über die Abschöpfung der Arbeitsleistung ihrer Mitarbeiter*innen die investierten Kosten wieder erwirtschaften können.
5 Theoretische Basis: Humankapitaltheorie
Als theoretische Basis für die Berechnung von Bildungsrenditen dient die Humankapitaltheorie. Investitionen von Lebenszeit und Geld in Bildung – gleich welcher Art – werden dabei als Investitionen in Humankapital betrachtet. Selbst wenn die Teilnahme, wie beim Besuch öffentlicher Schulen und Hochschulen, weitgehend kostenlos ist, bedeutet dies – ökonomisch betrachtet – immer einen Einkommensverzicht. Mit anderen Worten: Es entstehen sogenannte Opportunitätskosten. Daneben entstehen unter Umständen finanzielle Aufwendungen für Fahrten zur Bildungsstätte, für Lehrbücher und Arbeitsmaterialien. Bei kostenpflichtigen Bildungsmaßnahmen, zum Beispiel bei privaten Schulen, Hochschulen und in der Weiterbildung, kommen Ausgaben in Form von Teilnahme- oder Studiengebühren hinzu.
Motiviert sind Bildungsinvestitionen aus ökonomischer Sicht durch die künftig zu erwartenden höheren Einkommen. Ökonomisch rational handelnde Individuen werden deshalb so lange und so viel in Bildung investieren, wie die erwarteten künftigen Erträge die Kosten übersteigen. Auch sollten diese Erträge über den Erträgen alternativer Verwendungen liegen. Die Höhe der Bildungsrendite entscheidet somit darüber, ob und in welcher Höhe Bildungsinvestitionen getätigt werden. Analog dazu ist der erreichte Bildungsstand für Arbeitgeber*innen ein Signal für das Leistungsvermögen einer Bewerber*in oder Arbeitnehmer*in. Unterstellt wird, dass sich eine höhere Bildung in einer entsprechend höheren Arbeitsproduktivität niederschlägt. Arbeitgeber*innen sind deshalb bereit, eine längere Bildung und höherwertige Abschlüsse durch eine entsprechende Entlohnung zu honorieren.
Allerdings ist die Annahme eines ökonomisch rationalen Handels aufgrund vollständiger Information eine Fiktion. Weder können Individuen verlässlich einschätzen, über welches Einkommen sie im weiteren Lebensverlauf als Folge von Bildungsinvestitionen verfügen werden. Noch verfügen Unternehmen über hinreichend genaue Informationen, um die Produktivität einer Arbeitnehmer*in im Voraus einschätzen zu können. In der Realität sind es somit vor allem Erwartungen und erfahrungsbedingte Einschätzungen, die entscheidungsrelevant werden. Und neben dem ökonomischen Kalkül spielen zahlreiche andere Faktoren eine Rolle.
6 Kalkulation von Bildungsrenditen
Eine Berechnung von Bildungsrenditen ist nur auf der Grundlage von Modellannahmen und Schätzungen näherungsweise möglich. Schon die Berechnung individueller Renditen bereitet erhebliche Probleme. So müsste man den Einkommensverlauf nach einer Bildungsmaßnahme eigentlich bis zum Lebensende verfolgen und zusätzlich mit einer Person mit identischem Profil ohne Teilnahme an dieser Bildungsmaßnahme vergleichen. Das ist natürlich unmöglich. Die Bildungsökonomie arbeitet deshalb mit vereinfachenden Annahmen über die weitere Einkommensentwicklung, die Lebensarbeitszeit, das Risiko des Arbeitsplatzverlustes und die Lebenserwartung. Auch bei der Berechnung gesamtwirtschaftlicher Bildungsrenditen kann immer nur mit Durchschnittswerten aus repräsentativen Erhebungen oder Daten aus der amtlichen Statistik gearbeitet werden. Diese Vergangenheitswerte müssen in die Zukunft verlängert und auf die Gegenwart umgerechnet werden.
Bei der Berechnung von Bildungsrenditen bedient man sich im Allgemeinen eines mathematischen Modells, der sogenannten Mincer-Gleichung. Sie wurde von Jacob A. Mincer (1922–2006), einem der Begründer einer empirischen Bildungs- und Arbeitsmarktökonomie, entwickelt. Das Grundmodell hat folgende mathematische Gleichung:
Ln(y) = β0 + β1 x S + β2 x X + β3 x X2 + u
In der Gleichung stehen die Symbole für folgende Variable:
Y: Arbeitseinkommen
S: Anzahl der Bildungsjahre
X: Berufserfahrung (Anzahl der Berufsjahre)
X2: Quadrierte Anzahl der Berufsjahre
u: Fehlerterm
Bei der Mincer-Gleichung handelt es sich um eine regressionsanalytische Schätzfunktion. Sie beschreibt den Zusammenhang zwischen dem logarithmierten Lohn/Arbeitseinkommen als abhängiger Variable und einem zusätzlichen Bildungsjahr (alternativ dem Erreichen des nächsthöheren Abschlusses) sowie der Berufserfahrung als erklärender Variable. Die Logarithmisierung des Lohnes hat den Effekt, dass auf diesem Wege eine annähernde Normalverteilung entsteht und Veränderungen von Koeffizienten prozentual interpretiert werden können. Die Quadrierung der Berufserfahrung soll der Entwertung von Humankapital mit zunehmendem Alter Rechnung tragen. Das Fehler- oder Störterm schließlich erfasst schwer erfassbare individuelle Faktoren wie die Motivation, die Intelligenz oder das Leistungsvermögen. Von diesem Grundmodell gibt es zahlreiche Varianten, bei denen weitere Einflussfaktoren einbezogen werden.
Die Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2018, S. 217) hat sich im Nationalen Bildungsbericht für ein anderes Modell entschieden. Erträge von Bildung werden den Kosten gegenübergestellt, um Ertragsraten/​Bildungserträge zu berechnen. Die Bildungsrendite wird definiert als der Zinssatz (r), bei dem der Barwert der Erträge (E) gleich dem Barwert der Kosten (K) wird. Die Autorengruppe bedient sich dabei der folgenden Formel:

Ein weiteres Modell wurde von der OECD entwickelt. Es dient zur Berechnung fiskalischer Bildungsrenditen (Buschle und Haider 2013) und berücksichtigt auf der einen Seite die staatlichen Bildungsausgaben, zum anderen das höhere Steueraufkommen und die geringeren Transferleistungen als Folge eines erhöhten Bildungsniveaus in der Bevölkerung.
7 Ergebnisse von Renditeberechnungen
Die auf der Basis derartiger Modelle durchgeführten Renditeberechnungen kommen im Detail zu divergierenden Befunden. Das liegt nicht zuletzt an Unterschieden in den Datengrundlagen, den Untersuchungs- bzw. Beobachtungszeiträumen, den Modellvarianten und den zugrunde gelegten Definitionen. Zusammenfassend lassen sich die folgenden Ergebnisse beschreiben (Steiner und Schmitz 2010; Anger et al. 2010; Friedrich und Horn 2018; Buschle und Haider 2013; Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018):
- Investitionen in Bildung lohnen sich für die/den Einzelne/n wie für die Volkswirtschaft. Bildungsrenditen brauchen einen Vergleich mit den Renditen von Sachanlage- oder Finanzinvestitionen nicht zu scheuen. Die privaten Bildungsrenditen liegen teilweise über denen von Anlageinvestitionen.
- Volkswirtschaften, die in der Vergangenheit mehr in Bildung investiert haben, sind auf längere Sicht erfolgreicher als Volkswirtschaften mit geringeren Bildungsinvestitionen. Sie sind produktiver, innovativer und erzielen ein höheres Volkseinkommen.
- Investitionen in höhere, akademische Bildung machen sich auf Dauer bezahlt. Hochschulabsolvent*innen erzielen im Allgemeinen höhere Bildungsrenditen als Absolvent*innen mit anderen Abschlüssen. In Deutschland erzielen Mediziner*innen die höchsten Bildungsrenditen unter den Hochschulabsolvent*innen.
- Absolvent*innen mit abgeschlossener Berufsausbildung erzielen deutliche Einkommensvorsprünge gegenüber Menschen ohne Berufsabschluss. Auch sind sie seltener und kürzer arbeitslos. Die Investition in eine Berufsausbildung macht sich somit bezahlt.
- Absolvent*innen mit abgeschlossener Berufsausbildung und einem anerkannten Fortbildungsabschluss (z.B. als Techniker*in oder Meister*in) erreichen vergleichbare Einkommen und Renditen wie Hochschulabsolventen mit einem Bachelor-Abschluss.
- Investitionen in Bildung lohnen sich für die/den Einzelne/n umso mehr, je geringer der eigene finanzielle und/oder zeitliche Aufwand für das Erreichen von Bildungszielen/​Bildungsabschlüssen ist und je länger die Nutzungsdauer der Bildungsinvestitionen ist. Die Bildungsrenditen steigen somit mit der Dauer der Erwerbstätigkeit.
Berechnungen von Bildungsrenditen und die ökonomischen wie gesellschaftlichen Wirkungen von Bildungsinvestitionen wurden in den Debatten über Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Entwicklungspolitik weltweit aufgegriffen. Sowohl in Entwicklungs- und Schwellenländern als auch in entwickelten Volkswirtschaften wurden damit Bildungsreformen, längere Bildungszeiten und mehr private wie öffentliche Investitionen in Bildung begründet und in entsprechende Handlungsstrategien umgesetzt. Allerdings stehen Entscheidungen für Bildung immer in Konkurrenz zu anderen wichtigen Aufgabenfeldern.
Aus den Modellrechnungen lassen sich außerdem Handlungsempfehlungen für die Politik ableiten, um höhere Renditen zu generieren. Neben einem Mehr an Finanzmitteln und Bildungszeiten, sind es vor allem eine höhere Erwerbsbeteiligung, insbesondere von Frauen, und eine längere Lebensarbeitszeit, die sich einkommens- und renditesteigernd auswirken. Die Einführung von Studiengebühren hingegen würde die privaten Bildungsrenditen aufgrund der höheren individuellen Kosten sinken lassen. Gelänge es jedoch, die Studienzeiten dadurch nachhaltig zu reduzieren, könnte dies den Effekt von Gebühren kompensieren.
Darüber hinaus weisen empirische Ergebnisse auf eine Reihe nicht-monetärer Erträge hin (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018, S. 218 ff.). So wächst mit steigendem Bildungsniveau das politische Engagement und die Beteiligung an Wahlen, ebenso das ehrenamtliche Engagement. Mit steigendem Bildungsniveau verbessert sich der Gesundheitszustand aufgrund einer gesundheitsbewussten Lebensführung. Es wird mehr Sport getrieben, weniger geraucht und es gibt weniger Übergewichtige. Auch steigt die Lebenszufriedenheit mit steigendem Bildungsniveau.
8 Aussagefähigkeit von Renditeberechnungen
So eindrucksvoll und theoretisch gut begründet die ermittelten Bildungsrenditen auch sind, so haben sie einen entscheidenden Makel: Sie belegen lediglich einen statistischen, aber keinen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang. Denn ebenso möglich ist auch der Umkehrschluss: je höher das individuelle Einkommen und das Sozialprodukt einer Volkswirtschaft sind, umso mehr Bildung kann sich die/der Einzelne und die Gesellschaft leisten. Auch lässt sich ein Einkommenszuwachs niemals allein der Bildungsinvestition zuzuschreiben, sondern er hat eine ganze Reihe von persönlichen und institutionellen Einflussfaktoren.
Grundlage der bestehenden Berechnung sind in der Regel Daten der Vergangenheit. Sie bilden damit bestenfalls Renditen ab, die sich bei Bildungsinvestitionen vor vielen Jahren ergeben haben. Ob sie auch für die Zukunft Bestand haben, lässt sich daraus nicht verlässlich ableiten. Für die Wahl von Bildungsgängen wie auch für politische Entscheidungen wären das jedoch die relevanten Daten.
Für die Politikberatung sind Bildungsrenditen daher nur von begrenztem Wert. Zwar liefern sie Argumente für Investitionen in Bildung. Bei der Frage aber, welche Art von Bildung die höchsten Renditen verspricht, versagt das Instrumentarium. Die vorliegenden Modelle beschränken sich meist auf grobe Quantitäten wie die Anzahl der absolvierten Bildungsjahre oder den Umfang der aufgewendeten Finanzmittel. Zur Art und damit der Qualität der Bildung hingegen können sie in der Regel keine Aussagen machen. Dazu sind die Rechenmodelle zu wenig differenziert und ist die Datenbasis meist zu dünn.
Einschränkend ist ferner darauf hinzuweisen, dass Renditerechnungen auf teilweise sehr vereinfachenden Modellannahmen und Durchschnittswerten beruhen. Sie bilden die Komplexität der Realität in unterschiedlichen Bildungsgängen und Berufen nicht hinreichend ab. Was für die Bildung im Allgemeinen zutrifft, gilt somit noch lange nicht für jede einzelne Bildungsmaßnahme. Positive Bildungsrenditen entlassen den Einzelnen somit nicht aus der Verantwortung, seine Bildungsentscheidungen immer wieder neu zu reflektieren und Vor- und Nachteile, Chancen und Risiken gegeneinander abzuwägen.
9 Quellenangaben
Anger, Christina, Axel Plünnecke und Jörg Schmidt, 2010. Bildungsrenditen in Deutschland [online]. Einflussfaktoren, politische Optionen und ökonomische Effekte.Köln: Institut der deutschen Wirtschaft [Zugriff am: 04.05.2020]. Verfügbar unter: https://www.iwkoeln.de/fileadmin/​user_upload/​Studien/​IW-Analysen/PDF/Bd._65_Bildungsrenditen_in_D.pdf
Autorengruppe Bildungsberichterstattung, Hrsg., 2018. Bildung in Deutschland 2018 [online]. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Wirkungen und Erträgen von Bildung. Bielefeld: wbv [Zugriff am: 14.07.2020]. PDF e-Book. ISBN 978-3-7639-5964-8. Verfügbar unter: https://www.bildungsbericht.de/de/bildungsberichte-seit-2006/​bildungsbericht-2018/​pdf-bildungsbericht-2018/​bildungsbericht-2018.pdf
Buschle, Nicole, und Carsten Haider, 2013. Über den ökonomischen Nutzen der Bildung – Ansätze zur Berechnung von Bildungsrenditen. In: WISTA – Wirtschaft und Statistik [online]. (11), S. 805–817 [Zugriff am: 13.05.2020]. ISSN 1619-2907. Verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/Methoden/​WISTA-Wirtschaft-und-Statistik/2013/11/bildungsrenditen-112013.pdf?__blob=publicationFile
Friedrich, Anett und Sandra Horn, 2018. Qualifikatorische Bildungsrenditen in verschiedenen Datenquellen [online]. Wissenschaftliches Diskussionspapier. Bonn: Bundesinstitut für Berufsbildung [Zugriff am: 08.05.2020]. PDF e-Book. ISBN 978-3-96208-100-3. Verfügbar unter: https://www.bibb.de/veroeffentlichungen/de/publication/show/9568
Schönfeld, Gudrun, Felix Wenzelmann, Harald Pfeifer, Paula Risius und Caroline Wehner, 2020. Ausbildung in Deutschland. Eine Investition gegen den Fachkräftemangel. Ergebnisse der BIBB-Kosten-Nutzen-Erhebung 2017/2018. In: BIBB-Report. 14(1), S. 1–19 [Zugriff am: 03.08.2020]. ISSN 1865-0821. Verfügbar unter: https://www.bibb.de/veroeffentlichungen/de/publication/show/16551
Statistisches Bundesamt (Destatis), 2019. Bildungsfinanzbericht 2019 [online]. Im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt [Zugriff am: 09.05.2020]. Verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/​Gesellschaft-Umwelt/​Bildung-Forschung-Kultur/​Bildungsfinanzen-Ausbildungsfoerderung/​Publikationen/​_publikationen-innen-bildungsfinanzbericht.html
Steiner, Victor und Sebastian Schmitz, 2010. Hohe Bildungsrenditen durch Vermeidung von Arbeitslosigkeit. In: DIW Wochenbericht [online]. 77(5), S. 2–8 [Zugriff am: 12.05.2020]. ISSN 1860-8787. Verfügbar unter: https://www.econstor.eu/bitstream/​10419/​151908/1/10-05-1.pdf
10 Literaturhinweise
Autorengruppe Bildungsberichterstattung, Hrsg., 2020. Bildung in Deutschland 2020 [online]. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung in einer digitalisierten Welt. Bielefeld: WBV Media [Zugriff am: 23.06.2020]. PDF e-Book. ISBN 978-3-7639-6130-6. Verfügbar unter: https://www.bildungsbericht.de/static_pdfs/​bildungsbericht-2020.pdf
Hummelsheim, Stefan und Dieter Timmermann, 2011. Humankapital und Bildungsrendite – Die Perspektive der Wirtschaftswissenschaften. In: Heiner Barz, Hrsg. Handbuch Bildungsfinanzierung. Wiesbaden: VS-Verlag, S. 123–133. ISBN 978-3-531-16185-3
Pfeiffer, Friedhelm und Holger Stichnoth, 2015. Fiskalische und individuelle Bildungsrenditen – aktuelle Befunde für Deutschland [online]. Discussion Paper No. 15–010. Mannheim: Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) [Zugriff am: 09.05.2020]. Verfügbar unter: http://ftp.zew.de/pub/zew-docs/dp/dp15010.pdf
Scholz, Christian, Volker Stein und Roman Bechtel, 2011. Human Capital Management: Wege aus der Unverbindlichkeit. 3. aktualisierte Auflage. Köln: Luchterhand. ISBN 978-3-472-07624-7
11 Informationen im Internet
- Deutscher Bildungsserver
- FiBS – Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie
- Forschungsstelle für Bildungsökonomie der Universität Bern
- WIB – Wuppertaler Institut für bildungsökonomische Forschung
Verfasst von
Prof. Dr. Reinhold Weiß
ehemaliger Vize-Präsident und Forschungsdirektor im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB)
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Es gibt 17 Lexikonartikel von Reinhold Weiß.
Zitiervorschlag
Weiß, Reinhold,
2020.
Bildungsrendite [online]. socialnet Lexikon.
Bonn: socialnet, 15.10.2020 [Zugriff am: 18.03.2025].
Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/29007
Link zur jeweils aktuellsten Version: https://www.socialnet.de/lexikon/Bildungsrendite
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