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Diagnostik

Farina Eggert

veröffentlicht am 27.02.2025

Etymologie: gr. dia durch; gr. gnosis Erkenntnis, Entscheidung

Englisch: diagnostics

Die Diagnostik dient der systematischen Erfassung von Eigenschaften und Zuständen von Individuen oder Systemen, um Prognosen zu erstellen und darauf basierende Interventionen zu planen.

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Zum Begriff
  3. 3 Bedeutung und Erklärung
  4. 4 Anwendungsbereiche
    1. 4.1 Historische Entwicklung
    2. 4.2 Aktuelle Anwendungsfelder
  5. 5 Diagnostische Instrumentenkategorien
  6. 6 Quellenangaben

1 Zusammenfassung

Diagnostik beschreibt im Allgemeinen die „Lehre und Kunst, die das Stellen von Diagnosen zum Gegenstand hat“ (Duden 2024). Sie ist das systematische Bemühen, Eigenschaften und Zustände von Individuen oder Systemen in der jeweils relevanten Disziplin präzise zu erfassen, Entwicklungen möglichst genau vorherzusagen und darauf basierend Entscheidungen für geeignete Maßnahmen zu treffen. Diese Interventionen sollen positive Eigenschaften fördern oder bewahren sowie negative Merkmale verhindern oder reduzieren. Zudem dient die Diagnostik der Evaluation bisheriger Erkenntnisse, um sie gegebenenfalls zu korrigieren und zu optimieren (Richter-Mackenstein 2023, S. 22 f.). Je nach Herangehensweise und Fragestellung können diagnostische Ansätze hinsichtlich ihrer Grunddisziplinen sowohl Ähnlichkeiten als auch grundlegende Unterschiede aufweisen.

2 Zum Begriff

Aus dem Altgriechischen übersetzt bedeutet Diagnostik wörtlich „durch (Dia) Erkennen (Gnosis)“. Demnach versteht der Begriff ein „hineinschauendes Erkennen“ oder auch ein „Durchschauen“ (Richter-Mackenstein 2023, S. 22). Gemäß Heiner beschreibt Diagnostik „sowohl [den] Prozess der Informationsverarbeitung und Erkenntnisgewinnung als auch die Lehre von der Gestaltung dieses Prozesses“ (2015, S. 282).

3 Bedeutung und Erklärung

Im fachlichen Kontext wird Diagnostik verstanden als

„die hypothesengeleitete, systematische Sammlung hochwertiger Informationen über ein diagnostisches Objekt […] mit dem Ziel, relevante Merkmale (Eigenschaften und Zustände) des Objekts möglichst genau zu beschreiben, künftig relevante Merkmale des Objekts möglichst genau vorherzusagen, sowie Maßnahmen zu bestimmen, die bestmöglich geeignet sind, erwünschte Merkmale des Objekts herbeizuführen oder zu bewahren und unerwünschte Merkmale des Objekts zu verhindern oder zu beseitigen“ (Schmitt und Gerstenberg 2014, S. 11).

Mit dem Begriff hypothesengeleitet wird beschrieben, dass Diagnostiker:innen gezielt Hypothesen überprüfen, die sie im Vorfeld zu einem zu analysierenden Sachverhalt formuliert haben; jedoch geschieht dies ohne eine voreingenommene Ausrichtung auf spezifische theoretische Ansätze. Dieses Verständnis ist von großer Bedeutung, da Diagnostik darauf abzielt, Tatsachen darzustellen. Eine theoretische Voreingenommenheit könnte hinderlich sein, wenn es darum geht, das tatsächliche Geschehen zu erfassen (Richter-Mackenstein 2023, S. 22).

Die Forderung nach einem systematischen Ansatz bedeutet, dass der diagnostische Prozess nach festgelegten Regeln durchgeführt wird. Dabei existieren sowohl allgemeine Richtlinien, die Aspekte wie Prozessgestaltung, Datenerhebung, Auswertung und Interpretation betreffen, als auch spezielle Vorgaben, die sich auf die Anwendung einzelner diagnostischer Instrumente wie Fragebögen oder Tests beziehen. Zu den allgemeinen Regeln gehört beispielsweise, dass Diagnostiker:innen in keiner Weise von anderen Diagnostiker:innen beeinflusst werden dürfen. Die spezifischen Anweisungen für die Durchführung sind in der Regel in den Handbüchern der jeweiligen Instrumente zu finden (Richter-Mackenstein 2023, S. 22).

Diagnostizierbare Merkmale beziehen sich sowohl auf beständige Eigenschaften als auch auf temporäre Zustände, die durch diagnostische Instrumente erfasst werden können. Diese Merkmale können entweder eigenständig betrachtet werden – wie beispielsweise die Größe sozialer Netzwerke – oder sie fungieren als Indikatoren für andere Aspekte – etwa emotionale Unterstützung, die als Teil des Erziehungsverhaltens und der Erziehungskompetenz gilt; letzteres wiederum wird als ein Faktor für das Kindeswohl angesehen (ebd.).

Merkmale werden dann als relevant eingestuft, wenn sie der Prüfung von Hypothesen dienen; in der Zukunft sind sie relevant, wenn sie entweder gefördert oder unterbunden werden sollen (Richter-Mackenstein 2023, S. 23).

Schlussfolgernd sollen diagnostische Erkenntnisse genaue Vorhersagen von Verhalten, Zuständen und ähnlichen Eigenschaften ermöglichen, die wiederum als Prognosen bezeichnet werden. Im Idealfall weichen diese nur geringfügig vom tatsächlich eintretenden bzw. eingetretenen Fall ab.

Im letzten Schritt sollen diese diagnostischen Erkenntnisse und Prognosen dazu dienen, relevante Maßnahmen zu bestimmen, die dazu geeignet sind, erwünschte Merkmale des Objekts herbeizuführen, abzuwenden, zu verhindern oder auch zu bewahren (ebd.).

4 Anwendungsbereiche

4.1 Historische Entwicklung

Der Begriff der Diagnostik wird nach wie vor intensiv erörtert, da er eng mit der ausgeprägten Klassifizierung in der Medizin verknüpft ist. Historisch betrachtet war die Medizin jedoch nicht so stark auf Klassifikationen ausgerichtet. Ursprünglich bezog sich der Begriff auf die systematische Erhebung, Analyse und Interpretation von Daten, wobei die Begriffswahl primär auf den prozessualen Charakter des Vorgangs hinweisen sollte und nicht auf das Endergebnis: die Diagnose (Buttner et al. 2018, S. 21 f.). In Anlehnung an diese Kritik haben sich alternative Begriffe herausgebildet, die entweder eine Abgrenzung vom medizinischen oder psychologischen Bereich darstellen und das Soziale (Beziehungen, Gemeinschaft, Gesellschaft …) in den Mittelpunkt rücken.

4.2 Aktuelle Anwendungsfelder

Diagnostik findet sich mittlerweile in zahlreichen Anwendungsbereichen, die diese zur fundierten Entscheidungsfindung und für gezielte Interventionen nutzen. Dabei sind Überschneidungen der einzelnen Bereiche nicht unüblich. Vielmehr gehen die Bereiche, Methoden und Disziplinen ineinander über.

Zu den Anwendungsfeldern der Diagnostik gehören:

  • Medizinische Diagnostik: Sie umfasst Verfahren wie z.B. Anamnese, apparative Untersuchungen sowie Analysen von Ausscheidungen und Körpergewebe (Antwerpes et al. 2024). Ziel ist die Identifizierung von Krankheiten und körperlichen Zuständen.
  • Psychologische Diagnostik: Sie dient der Beschreibung und Prognose menschlichen Verhaltens und Erlebens. Hauptziel ist die empirische Erfassung relevanter Merkmalsausprägungen sowie deren Zustand, Verlauf und Veränderung (Petermann 2024).
  • Sozialarbeitswissenschaftliche Diagnostik: Sie beschreibt den systematischen Prozess des Sammelns, Auswertens und Interpretierens von Informationen über die Chancen, Stärken, Ressourcen sowie Problemlagen von Personen in ihrem sozialen Umfeld. Das übergeordnete Ziel besteht darin, entsprechende Maßnahmen zu identifizieren, die dazu beitragen, (psycho-)soziale Probleme zu verhindern, deren Auswirkungen zu mindern und zukünftige Entwicklungen vorherzusagen sowie die soziale Teilhabe zu fördern. Diese Diagnostik soll sowohl klassifikatorische als auch prognostische Informationen liefern (Richter-Mackenstein 2023, S. 11).
  • Soziale Diagnostik: Sie bezieht sich auf die „ganzheitliche Erfassung von Gegebenheiten [des gesamten Lebensbereichs eines Menschen], die als Ausgangspunkt und Orientierung für Unterstützungsangebote dienen soll“ (Riesenhuber et al. 2009, S. 13). Einen besonderen Fokus nimmt bei diesem Ansatz das professionelle Verstehen der bio-psycho-soziokulturellen Problemstellungen in der sozialen Dimension ein sowie die dialogische Verständigung darüber (Fachhochschule Nordwestschweiz 2024).
  • Erziehungswissenschaftliche bzw. Pädagogische Diagnostik: Sie bezieht sich auf sämtliche diagnostische Aktivitäten, die dazu dienen, bei einzelnen Lernenden sowie innerhalb einer Gruppe die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für systematische Lehr- und Lernprozesse zu identifizieren. Zudem werden Lernprozesse analysiert und Lernergebnisse erfasst, um das individuelle Lernen zu verbessern (Ingenkamp und Lissmann 2008, S. 13).
  • Heil- und sonderpädagogische Diagnostik: Sie beschreibt die Erfassung von Lernvoraussetzungen, -verläufen und -ergebnissen sowie das schulbezogene Verhalten und Erleben von Kindern und Jugendlichen mit Unterstützungsbedarf (Gebhardt 2022, S. 8 ff.).

Darüber hinaus existieren weitere diagnostische Ansätze, wie z.B. Sozialpädagogische Diagnostik, Netzwerkdiagnostik, Sozialraumdiagnostik ohne eindeutige Definition. Vielmehr handelt es sich dabei um Ansätze, die fachlich debattiert werden und sich in einem fortlaufenden Entwicklungsprozess befinden.

5 Diagnostische Instrumentenkategorien

Angelehnt an Pantuczek-Eisenbacher (2019) können folgende Verfahrenskategorien/​Instrumentkategorien unterschieden werden, die bei der Diagnostik Anwendung finden:

  • Beobachtungen/Sichtdiagnosen
  • Diagnostische Gespräche/Befragungen
  • Unterlagenanalysen
  • Grafiken/​Notationssysteme
  • Schriftliche Befragungen
  • Tests
  • Klassifikationssysteme
  • Kooperative und Black-Box-Diagnostik

Dabei ist herauszustellen, dass die Landschaft der diagnostischen Möglichkeiten vielseitig und unübersichtlich ist. Die Auflistung ist daher exemplarisch zu betrachten und kann nicht die bestehenden Möglichkeiten in Gänze abbilden. Unbeachtet bleiben bei dieser Liste beispielsweise auch Verfahren, die Biografien auswerten bzw. diverse hermeneutische Verfahren, die etwa für die Sozialdiagnostik unabdingbar sind.

Je nach Disziplin, in der die Diagnostik Anwendung findet, variieren die Instrumente, Auswertungsmethoden und Verfahren gemäß den jeweiligen Fragestellungen bzw. Anliegen.

6 Quellenangaben

Antwerpes, Frank, Miriam Dodegge, Maximilian Weiß, Jannik Blaschke, No und Nils Nicolay, 2024. Diagnostik [online]. Köln: DocCheck Community GmbH, 26.08.2024 [Zugriff am: 25.10.2024]. Verfügbar unter: https://flexikon.doccheck.com/de/Diagnostik

Buttner, Peter, Silke Birgitta Gahleitner, Ursula Hochuli-Freund und Dieter Röh, 2018. Soziale Diagnostik: Eine Einführung. In: Peter Buttner, Silke Birgitta Gahleitner, Ursula Hochuli-Freund und Dieter Röh, Hrsg. Handbuch Soziale Diagnostik: Perspektiven und Konzepte für die Soziale Arbeit. Berlin: Verlag des Deutschen Vereins für öffentliche und privater Fürsorge e.V., S. 11–30.ISBN 978-3-7841-3029-3 [Rezension bei socialnet]

Duden, 2024. Diagnostik [online]. Berlin: Cornelsen Verlag GmbH [Zugriff am: 24.10.2024]. Verfügbar unter: https://www.duden.de/rechtschreibung/​Diagnostik

Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW – Hochschule für Soziale Arbeit – Institut Professionsforschung und -entwicklung, 2024. Soziale Diagnostik [online]. Olten: Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW – Hochschule für Soziale Arbeit [Zugriff am: 25.10.2024]. Verfügbar unter: https://www.soziale-diagnostik.ch/.

Gebhardt, Markus, David Scheer und Michael Schurig, 2022. Sonderpädagogische Diagnostik – Eine Einführung [online]. In: Markus Gebhardt, David Scheer und Michael Schurig, Hrsg. Handbuch der sonderpädagogischen Diagnostik: Grundlagen und Konzepte der Statusdiagnostik, Prozessdiagnostik und Förderplanung. Regensburg: Universitätsbibliothek, S. 7‐16. https://doi.org/10.5283/epub.53149

Heiner, Maja, 2015. Diagnostik. In: Hans-Uwe Otto und Hans Thiersch, Hrsg. Handbuch Soziale Arbeit. München, Basel: Ernst Reinhardt Verlag. ISBN 978-3-497-02496-4 [Rezension bei socialnet]

Ingenkamp, Karl-Heinz und Urban Lissmann, 2008. Lehrbuch der Pädagogischen Diagnostik. 6. Auflage. Weinheim/​Basel: Beltz. ISBN 978-3-407-25503-7

Pantuček-Eisenbacher, Peter, 2019. Soziale Diagnostik: Verfahren für die Praxis Sozialer Arbeit. 4. Auflage. Gottingen: Vandenhoeck & Ruprecht. ISBN 978-3-525-71145-3 [Rezension bei socialnet]

Petermann, Franz und Markus Wirtz, 2024. Psychologische Diagnostik [online]. Bern: Hogrefe AG [Zugriff am: 25.10.2024]. Verfügbar unter: https://dorsch.hogrefe.com/gebiet/​psychologische-diagnostik

Richter-Mackenstein, Joseph, 2023. Sozialarbeitswissenschaftliche Diagnostik. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. ISBN 978-3-8252-5961-7

Riesenhuber, Martin, Sabine Riesenhuber und Cornelia Schweiger, 2009. Diagnostik in der Sozialen Arbeit [online]. Die Legende einer Debatte ohne Ende. Graz: Arbeitsmarktservice [Zugriff am: 25.10.2024]. Verfügbar unter: https://forschungsnetzwerk.ams.at/dam/jcr:645d2ac3-8f04-4579-81ba-c64e34736a56/​Paper_Diagnostik_in_der_Sozialen_Arbeit.pdf.

Verfasst von
Farina Eggert
Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin (B.A; M.A), Systemische Beraterin (DGSF)
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