Doppeln
Doppeln ist eine Grundtechnik des Psychodramas, mit deren Hilfe die Protagonist:innen mit den eigenen Gefühlslagen in Kontakt kommen können. Der bzw. die Durchführende wird als Doppel bezeichnet.
Überblick
1 Grundlagen
Doppeln ist – neben dem Spiegeln und dem Rollentausch – eine der drei Grundtechniken des Psychodramas. Der Begründer des Psychodramas, Moreno, erklärt sie nicht aus seiner Rollentheorie heraus, sondern entwicklungspsychologisch:
„Diese Verfahren im Psychodrama können in plausibler Weise mit drei Stufen in der Entwicklung des Kindes verglichen werden: (a) das Stadium der Identität (oder das Stadium des Doppelns); (b) das Stadium der Selbsterkenntnis (das Stadium des Spiegelns); (c) das Stadium des Erkennens des anderen (das Stadium des Rollentauschs).“ (Hutter und Schwehm 2009, S. 330)
Für das Doppeln gilt, dass
- die von Moreno verwendete Terminologie im wissenschaftlichen Sinne nicht eindeutig ist;
- diese Technik in der heutigen Praxis weiterentwickelt und dementsprechend auch terminologisch ausdifferenziert worden ist.
Terminologisch gibt es bis heute nur kleine gemeinsame Nenner. Die folgenden Ausführungen beschreiben dementsprechend nur diesen Konsens. Für die verschiedenen Anwendungsformen und terminologischen Unterschiede wird auf Fachartikel insbesondere der Fachzeitschrift für Psychodrama und Soziometrie verwiesen.
Grundsätzlich können sowohl die Leitung als auch Gruppenmitglieder doppeln. Die das Doppeln durchführende Person wird als das Doppel bezeichnet.
Das Doppeln vergleicht Moreno mit dem ersten Stadium der Beziehung zwischen Mutter und Kleinkind: Die Mutter
„küsst und zwickt es. Wenn das Baby lacht oder alle möglichen Arten von Geräuschen von sich gib, spricht sie noch mehr zu ihm. Natürlich freut sich das Baby darüber, aber es versteht kein einziges Wort, das sie sagt; das jedoch interessiert die Mutter nicht. Sie spricht für das Baby und für sich selbst und hat ihren Spaß dabei.“ (a.a.O., S. 324 f.)
Diese Erklärung gilt aber nur für das klassische Doppeln.
Das Doppeln erfolgt auf der Basis von zwei grundlegenden Prinzipien:
- Es wird eingesetzt, damit der bzw. die Protagonist:in „Kontakt zu seinem bislang nicht zugänglichen Erleben herstellen, es sich zu eigen machen und weiter entwickeln kann“ (Schacht, unveröffentlichter Vortrag, S. 11). Das Doppel tritt seitlich hinter den bzw. die Protagonist:in, nimmt sich einen Moment Zeit für die Einfühlung in den bzw. die Protagonist:in und formuliert dessen bzw. deren Gefühlslage. Der bzw. die Protagonist:in erfährt so die erhoffte Hilfe unmittelbar, weil das Doppel die eigene Weltsicht zugunsten des bzw. der Protagonist:in aufgibt, indem er bzw. sie sich ganz auf den bzw. die Protagonist:in einlässt.
- Die Inhalte sind immer als eine Hypothese anzusehen, die der bzw. die Protagonist:in variieren oder auch ablehnen kann.
Durch die Vielfalt der Gefühle sind durch das Doppeln auch neue Perspektiven möglich. Dementsprechend gibt es verschiedene Formen des Doppelns (Ameln und Kramer 2014, S. 58–65) z.B.:
- einfühlend/stützend z.B.: „Ich fühle mich missachtet.“ – „Ich bin traurig, dass (weil)…
- explorierend mit Hilfe von Satzanfängen z.B.: „Ich reagiere so, weil…“
- intensivierend, z.B.: Protagonis:tin: „Ich finde es schade, dass…“ – Doppel: „Ich bin ärgerlich und enttäuscht, dass…“
Im Soziodrama können auch kollektive Rollen oder Begriffe (z.B. die Demokratie) gedoppelt werden. Anders als im Protagonistenspiel fließen hier auch die individuellen Erfahrungen des Doppels mit ein.
2 Empfehlungen zum Einsatz
Das Doppeln kommt dann zum Einsatz, „wenn der Protagonist den Kontakt zu sich so sehr verloren hat, dass er in der Szene nicht mehr handlungsfähig ist“ (Hutter 2000, S. 220). Es ist also vorrangig nicht der bzw. die Protagonist:in, sondern das doppelnde Hilfs-Ich aktiv. Deshalb ist das Doppeln grundsätzlich ausgesprochen wohlüberlegt einzusetzen
- weil es sehr intensive Gefühle bei dem bzw. der Protagonist:in auslösen kann, die es aufzufangen gilt;
- weil das Doppeln immer in der Gefahr steht, dem bzw. der Protagonist:in die Ansicht oder Interpretation des doppelnden Hilfs-Ichs zu suggerieren;
- wenn Gruppenmitglieder doppeln. Dies kann einerseits sinnvoll sein, um das therapeutische Potenzial der Gruppe zu nutzen. Andererseits birgt dies zwei Gefahren: Zum einen, dass die Gruppenmitglieder einem persönlich geprägten Bedürfnis, helfen zu wollen folgen, sodass diese Angebote den Protagonisten eher verwirren. Zum zweiten, dass die Gruppenmitglieder eigene Handlungsimpulse und Deutungen an die Stelle der Einfühlung setzen.
Deshalb muss die Leitung
- einen den bzw. die Protagonist:in schützenden Rahmen gewährleisten;
- darauf achten, ob ein eventuell doppelndes Gruppenmitglied über „die gut ausgebildete Kompetenz zum inneren Rollenwechsel mit dem Protagonisten in genau der aktuellen Verfassung“ (Schacht, unveröffentlichter Vortrag, S. 11) verfügt;
- darauf achten, dass nur zwei oder drei Angebote des Doppelns gemacht werden; („Mit dem Doppeln ist es wie beim Salz: zu wenig ist zu fad, und zu viel ist ungenießbar.“ (Schaller 2006, S. 49))
- immer wieder Distanz zu den Aussagen im Doppeln behalten, indem sie zunächst eine Reaktion des bzw. der Protagonist:in abwartet oder den bzw. die Protagonist:in fragt, ob die Aussagen stimmig sind.
Das Doppeln kann auch in einer Aufwärmphase eingesetzt werden. Dabei tritt ein Gruppenmitglied hinter ein anderes Gruppenmitglied und beschreibt dessen bzw. deren momentane emotionale Situation. In dieser Form des Einsatzes sollte jedes Gruppenmitglied einmal doppeln bzw. gedoppelt werden.
Eine andere Möglichkeit ist im Fremdsprachenunterricht. Hier hat das Doppeln eine soufflierende Funktion.
3 Quellenangaben
Ameln, Falk und Josef Kramer, 2014. Psychodrama: Grundlagen. Heidelberg: Springer Verlag. ISBN 978-3-6424-4920-8
Hutter, Christoph, 2000. Psychodrama als Experimentelle Theologie. Münster: Lit-Verlag. ISBN 978-3-8258-4666-4 [Rezension bei socialnet]
Hutter, Christoph und Helmut Schwehm, 2009. J. L. Morenos Werk in Schlüsselbegriffen. Wiesbaden: VS-Verlag. ISBN 978-3-5311-9593-3
Moreno, Jakob L., 1959. Soziometrie als experimentelle Methode. Paderborn: Jungfermann
Schacht, Michael (unveröffentlichter Vortrag). Theorie und entwicklungspsychologische Begründung psychodramatischer Techniken
Schaller, Roger, 2006. Das Große Rollenspielbuch. Weinheim: Beltz-Verlag. ISBN 978-3-4072-9543-9
4 Literaturhinweise
Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie 12(2), 2013. Doppeln. ISSN 1619-5507
Verfasst von
Thomas Wittinger
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- 22.07.2024 Thomas Wittinger [aktuelle Fassung]
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- 06.10.2021 Inge-Marlen Ropers
Zitiervorschlag
Wittinger, Thomas,
2024.
Doppeln [online]. socialnet Lexikon.
Bonn: socialnet, 22.07.2024 [Zugriff am: 10.10.2024].
Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/30237
Link zur jeweils aktuellsten Version: https://www.socialnet.de/lexikon/Doppeln
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