Einrichtungsträger
Prof. Dr. Rudolf Bieker
veröffentlicht am 01.06.2022
Einrichtungsträger sind organisatorische Gebilde in unterschiedlicher Rechtsform, die je nach Hilfebedarf einer Person/Personengruppe mithilfe der von ihnen betriebenen Einrichtungen sozialrechtlich geregelte Leistungen in Form von personenbezogenen Dienstleistungen (z.B. Beratung, Behandlung/Therapie, Erziehung, Bildung) und Sachleistungen (z.B. Medikamente und Verbandsmaterial im Krankenhaus, Verpflegung) bereitstellen und sich dazu unterschiedlicher Leistungsformate (ambulant, teilstationär, stationär) bedienen.
Überblick
- 1 Zusammenfassung
- 2 Grundverständnis
- 3 Einrichtungen
- 4 Struktur der Einrichtungsträger
- 5 Rechtliche Stellung der Einrichtungsträger
- 6 Leistungsformate und Finanzierung
- 7 Rechtliche Beziehungen
- 8 Wettbewerb
- 9 Einrichtungsträger als Arbeitgeber
- 10 Einrichtungsträger als politische Akteure
- 11 Anpassung an neue Anforderungen
- 12 Quellenangaben
1 Zusammenfassung
Einrichtungsträger sind im deutschen Wohlfahrtssystem in der Regel außerhalb der staatlichen Sphäre angesiedelt. Ihre Kernfunktion liegt in der Erbringung (meist) sozialrechtlich verbriefter Leistungen. Von dieser Gemeinsamkeit abgesehen, sind sie überaus heterogene Gebilde. Mit den Leistungsberechtigten und den öffentlich-rechtlichen Leistungsträgern (insbesondere den Kommunen und Sozialversicherungen) stehen sie in einem vertraglichen Verhältnis. Die staatliche Erlaubnis, Sozialleistungen auszuführen, sichert noch nicht den Bestand der von den Trägern betriebenen Einrichtungen. Dazu bedarf es einer auskömmlichen Nachfrage und der Anpassung an veränderte Anforderungen des Gesetzgebers und der Adressat:innen. Das Interesse der öffentlichen Kostenträger an effektiver Leistungsbereitstellung bei gleichzeitig sparsamer Wirtschaftsführung zwingt Einrichtungsträger zu einem professionellen Management.
2 Grundverständnis
Im Sozialrecht werden Einrichtungsträger allgemein als Leistungserbringer bezeichnet. Einrichtungsträger führen die Leistungszusagen aus, die der Staat gegenüber seinen Bürger:innen durch Gesetz verbindlich formuliert hat. Das schließt nicht aus, dass Einrichtungsträger aus christlicher oder humanitärer Selbstverpflichtung heraus neben den in den Sozialgesetzbüchern und andernorts verbrieften Leistungen auch freiwillige Leistungen erbringen, um Hilfebedarfe zu berücksichtigen, die die staatliche Sozialpolitik nur lückenhaft erschließt (z.B. Kleiderkammer, Tafeln, Ferienfreizeiten). Häufig werden diese regelmäßig im öffentlichen Interesse liegenden freiwilligen Leistungen und Aktivitäten durch die öffentliche Hand bezuschusst.
In der fachlichen Alltagskommunikation der Sozialen Arbeit werden mit Einrichtungsträgern oft Träger assoziiert, die soziale (steuerfinanzierte) Hilfen erbringen (Sozialhilfe, Jugendhilfe, persönliche Hilfen nach dem SGB II, Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung). Das Sozialgesetzbuch geht in seinem Begriffsverständnis jedoch weiter und bezieht den Begriff auch auf den Sozialversicherungssektor, also das medizinisch-pflegerisch-rehabilitative Versorgungssystem (Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und Rehabilitationseinrichtungen) sowie die Arbeitsförderung und Arbeitsmarktintegration (Merten in BeckOK SozR 2022, SGB I § 17 Rn.). In diesem weiten Verständnis könnte allerdings auch eine einzelne Person, die eine Arztpraxis betreibt, als Träger einer Einrichtung (hier: der medizinischen Versorgung) verstanden werden. Eine solche Zuordnung ist aber nicht nur dem üblichen Sprachgebrauch fremd, auch das Krankenversicherungsrecht legt hier eine begriffliche Differenzierung nahe (u.a. §§ 27b, 293 SGB V). Eine freiberuflich tätige Ärztin ist zwar Leistungserbringerin, aber nicht Trägerin einer Einrichtung. Üblicherweise werden unter Einrichtungsträgern juristische Personen, d.h. Körperschaften des öffentlichen und privaten Rechts verstanden, wie z.B. Gemeinden, eingetragene Vereine, Gesellschaften mit beschränkter Haftung oder Stiftungen.
Einrichtungsträger verantworten die von ihren Einrichtungen bereitgestellten Leistungen organisatorisch, rechtlich, fachlich und wirtschaftlich. Die organisatorische Verantwortung bezieht sich auf die bedarfsgerechte Beschaffung und Verwaltung des erforderlichen Personals und der benötigten Finanz- und Sachmittel. Die rechtliche Verantwortung beinhaltet zum einen die Beachtung der allgemeinen Gesetze und der spezifischen leistungsrechtlichen Grundlagen; zum anderen umfasst sie die Umsetzung und Einhaltung der Verträge zwischen dem Einrichtungsträger, dem Leistungsberechtigten und dem öffentlichem Leistungsträger. Die fachliche Verantwortung stellt auf die Übereinstimmung der Leistungsausführung mit dem individuellen Bedarf und dem Stand der wissenschaftlichen, ethischen und methodischen Diskussion ab (state of the art). Die wirtschaftliche Verantwortung liegt in dem ordnungsgemäßen, zielgerichteten und kostenbewussten Einsatz der Betriebsmittel (Arbeitskraft, Immobilien, liquide Mittel, Vermögen, Investitionen).
Einrichtungsträger sind heterogene Gebilde. Sie unterscheiden sich nicht nur in der Rechtsform, sondern auch nach Größe (Zahl der Einrichtungen, Plätze, Mitarbeitende), Umsatz (Einnahme-/Ausgabevolumen), räumlicher Verbreitung (bundesweit, regional, lokal), weltanschaulicher Bindung, Leistungsart und -spektrum sowie nach ihren Adressat:innen. Soziologisch handelt es sich bei Einrichtungsträgern um Organisationen. Damit sind arbeitsteilig strukturierte soziale Gebilde gemeint, die unter Einsatz dafür bereitgestellter Ressourcen regelgeleitet nicht nur vorübergehend bestimmte Ziele verfolgen.
3 Einrichtungen
Zur Aufgabenerfüllung bedienen sich Einrichtungsträger organisatorisch, rechtlich und finanzwirtschaftlich mehr oder weniger abgegrenzter betrieblicher Einheiten.
Beispiele:
Der Caritasverband für Stadt X. e.V. betreibt als alleiniger Gesellschafter eine Werkstatt für behinderte Menschen gGmbH. Diese führt die vorgesehenen Eingliederungshilfeleistungen nach §§ 56 ff. SGB IX aus. Rechtlich, wirtschaftlich und organisatorisch ist die WfbM selbstständig.
Der Verein Frauennotruf e.V. in Y. betreibt eine Beratungsstelle, die lediglich organisatorisch-räumlich, nicht aber finanzwirtschaftlich und rechtlich aus dem Verein ausgegliedert ist, also keine eigene Rechtspersönlichkeit darstellt. Der Verein ist Träger der Einrichtung, die ggf. nur aus einem kleinen Hinterhofbüro besteht.
In den betrieblichen Einheiten werden personelle und sachliche Mittel (Mitarbeiter:innen, Gebäude, Einrichtungsgegenstände, Therapie-, Lern- und Spielmaterial) zusammengeführt, entweder an einem festen Ort (z.B. einer Beratungsstelle) oder an wechselnden Orten. Leistungsort kann z.B. ein Haus, ein Platz oder eine Veranstaltung sein.
Als betriebliche Organisationseinheiten sind nicht nur die im Sozialrecht genannten „Einrichtungen“, sondern auch die davon unterschiedenen „Dienste“ zu verstehen. Der Begriff Einrichtungsträger führt beide Organisationstypen, die im Gesetz im Übrigen nicht weiter definiert werden, unter einer dem allgemeinen Verständnis folgenden Kurzformel zusammen.
4 Struktur der Einrichtungsträger
Einrichtungen auf dem Gebiet des Sozialrechts können einen öffentlichen oder einen privaten Träger haben. Bei den öffentlichen Einrichtungsträgern dominieren die Kommunen (Städte, Landkreise, Höhere Kommunalverbände), z.B. als Träger von eigenen Jugendeinrichtungen, Altenheimen oder Krankenhäusern, während der Bund und die Länder als unmittelbare Träger von sozialrechtlichen Einrichtungen überhaupt nicht bzw. nur rudimentär in Erscheinung treten (z.B. die Länder als Träger von Universitätskliniken). Als öffentliche Träger kommen neben den Kommunen auch die Sozialversicherungen in Betracht, die ihre Leistungen überwiegend aber nicht selbst ausführen, sondern durch Einrichtungen privater Leistungserbringer ausführen lassen. Diese Selbstbeschränkung der Sozialversicherungsträger ist bei den kommunalen Körperschaften weniger stark ausgeprägt, stellt aber auch hier das vorherrschende Organisationsprinzip dar.
Bei den privaten Trägern, meist „Freie Träger“ genannt, ist grundsätzlich zwischen gemeinnützigen (siehe Gemeinnützigkeit) und gewerblichen Trägern zu unterscheiden. Privatgewerbliche Einrichtungsträger konnten sich nach der Liberalisierung des Wohlfahrtssektors in den 1990er-Jahren größere Anteile an der Leistungserbringung verschaffen (siehe Privatisierung); mit Ausnahmen ist aber das Gros der Einrichtungen und ihrer Träger nach wie vor gemeinnützig (Auernheimer 2021; Pothmann und Schmidt 2022).
Der hohe Anteil privater Einrichtungsträger an der Leistungserbringung ist ein besonderes Kennzeichen des deutschen Sozialstaates, der vom Prinzip der Subsidiarität geprägt ist (Frings und Schweigler 2021, Kries 2017, Pothmann und Schmidt 2022). Danach sollen die privaten Träger bei der Ausführung von Sozialleistungen den Vortritt vor dem öffentlichen Leistungsträger haben (§ 124 SGB IX, § 140 I SGB V). Gibt es einen privaten Träger, der zur Leistungserbringung geeignet und bereit ist, soll der öffentliche Träger auf eigene Angebote verzichten. In den Sozialgesetzbüchern VIII und XII ist der Vorrang auf die privatgemeinnützigen Träger beschränkt.
Die Vorrangstellung der privaten Träger als Leistungserbringer greift ein zentrales Prinzip der katholischen Soziallehre auf und verfolgt verschiedene Ziele:
„Sie soll
- gesellschaftliches, d.h. nicht-staatliches Engagement fördern, auch in der Vorstellung, den Staat finanziell und organisatorisch zu entlasten,
- eine Übermacht öffentlicher Träger verhindern,
- privaten Trägern Betätigungsmöglichkeiten sichern,
- Hilfeadressaten die Möglichkeit geben, zwischen verschiedenen Angeboten bzw. Trägern wählen zu können.
Der Handlungsvorrang gilt jedoch nicht absolut, sondern nur unter bestimmten Bedingungen („bedingter Vorrang“), dazu gehören u.a. die fachliche und personelle Qualität des Angebots („Eignung“), seine rechtzeitige Bereitstellung, die Wirtschaftlichkeit und – in der Jugendhilfe – die Beachtung der Beschlüsse der kommunalen Jugendhilfeplanung. Außerdem ist es dem öffentlichen Träger unbenommen, eigene, weltanschaulich neutrale Angebote bereitzustellen, wenn dies durch die privaten Träger nicht gewährleistet ist. Dies kann z.B. in der Kinder- und Jugendarbeit eine Rolle spielen, wenn im Nahbereich ausschließlich kirchlich geprägte Angebote vorhanden sind“ (Bieker und Niemeyer 2022, S. 51).
So wie die öffentlichen Träger sich im Deutschen Städtetag und ähnlichen Organisationen zusammengeschlossen haben, sind auch die privaten Einrichtungsträger Mitglieder übergeordneter Verbände. Die meisten gemeinnützigen Träger sind Mitglied eines der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege. Oft sind sie auch in Fachverbänden organisiert (z.B. Deutsche Krankenhausgesellschaft, Verband katholischer Tageseinrichtungen für Kinder), die ihrerseits korporative Mitglieder eines bundesweiten Wohlfahrtsverbandes sind oder umgekehrt. Viele privatgewerbliche Anbieter gehören dem VPK – Bundesverband privater Träger der freien Kinder-, Jugend- und Sozialhilfe e.V. oder dem Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V. (bpa) an. Der Zusammenschluss in Verbänden bietet nicht nur Möglichkeiten des fachlichen Austausches, sondern erlaubt es auch, gemeinsame Interessen gegenüber den verschiedenen staatlichen Politikebenen zu formulieren.
5 Rechtliche Stellung der Einrichtungsträger
Private Träger genießen nicht nur generell, sondern auch in ihrer Funktion als Leistungserbringer, d.h. bei der Ausführung von gesetzlichen Sozialleistungen, wie z.B. der Erziehung und Förderung von Kindern in einer Kita, das Recht, eigenen Vorstellungen zu folgen. So heißt es in § 17 Abs. 3 SGB I übergreifend für das gesamte Sozialgesetzbuch: „In der Zusammenarbeit mit gemeinnützigen und freien Einrichtungen und Organisationen wirken die Leistungsträger darauf hin, daß sich ihre Tätigkeit und die der genannten Einrichtungen und Organisationen zum Wohl der Leistungsempfänger wirksam ergänzen. Sie haben dabei deren Selbständigkeit in Zielsetzung und Durchführung ihrer Aufgaben zu achten.“
Leistungsträger sind nach § 12 SGB I öffentlich-rechtliche Körperschaften, Anstalten und Behörden, die gesetzlich verpflichtet sind, dafür zu sorgen, dass Anspruchsberechtigte die für sie bestimmten Leistungen (z.B. erzieherische Hilfen, Beratung, Hilfen für Menschen mit Behinderung, Ausbildungsförderung) erhalten, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür erfüllt sind. Ihrer Gewährleistungspflicht kommen die Leistungsträger durch das Tätigwerden von privaten, meist gemeinnützigen Trägern nach.
Ein Einrichtungsträger ist nach diesem Verständnis nicht der verlängerte Arm des öffentlichen Leistungsträgers (z.B. des Jugendamtes einer kreisfreien Stadt) oder dessen weisungsgebundener Auftragnehmer. Da der öffentliche Leistungsträger die Gesamtverantwortung für die korrekte Ausführung der Sozialgesetze trägt, dürfen jedoch vertraglich bestimmte Anforderungen festgelegt werden: „Verlangt werden können Dokumentationen zum Leistungsumfang und Nachweise über die Verwendung von finanziellen Zuwendungen. Bei kirchlichen Trägern gehört dazu eventuell auch die Gewährleistung des Zugangs zu der Leistung für alle Leistungsberechtigten unabhängig von Konfession und Glaubensrichtung“ (Frings und Schweigler 2021, S. 39).
6 Leistungsformate und Finanzierung
Einrichtungsträger bieten Leistungen in ambulanter, teilstationärer oder stationärer Form an. Stationäre Leistungen beinhalten die Aufnahme einer Person in eine Einrichtung über Tag und Nacht; bei teilstationären Leistungen geschieht dies nur für einen Teil des Tages bzw. für die Nacht. Ambulante Leistungen sind zeitlich flexibler, häufig weniger intensiv und beinhalten weder eine Aufnahme in die Einrichtung noch eine Verpflegung. Sie können innerhalb oder außerhalb der Räumlichkeiten des Leistungsanbieters erbracht werden.
Wenn die Abnehmer der Leistungen Inhaber:innen eines Leistungsanspruchs sind, erhalten Einrichtungsträger die für die Leistungserstellung erforderlichen Mittel in der Regel in einem vertraglich zu vereinbarenden Umfang ohne Eigenanteil von den jeweils zuständigen Leistungsträgern, z.B. den Kranken- und Rentenversicherungsträgern oder den Kommunen. Nur ausnahmsweise, z.B. bei der Finanzierung von Kindertagesstätten, werden die Einrichtungsträger selbst an den Leistungskosten beteiligt. Abhängig vom jeweiligen Sozialleistungsbereich kommen als Formen der Finanzierung, z.B. (Fachleistungs-)Stundensätze, Fallpauschalen, aufwandsabhängige Tagessätze (Pauschalen für Grund- und Zusatzleistungen; Pauschalen nach dem typischen Bedarf einer Gruppe von Leistungsberechtigten) und Investitionskostenförderungen durch den Staat in Betracht.
Besteht kein individueller Rechtsanspruch auf eine Leistung, beschränken sich die Leistungsträger in der Regel auf eine anteilige Finanzierung durch sog. Zuwendungen (Subventionierung in Gestalt einer Anteils-, Fehlbedarfs- oder Festbetragsfinanzierung). Anstelle einer Zuwendungsfinanzierung ist auch eine vertragliche Vereinbarung mit oder ohne Selbstbeteiligung des gemeinnützigen Trägers möglich (Bieker 2012).
Bei den Leistungen für behinderte Menschen (SGB IX) können persönliche Budgets (§ 29 SGB IX) die übliche Direktfinanzierung des Leistungserbringers durch den Rehabilitationsträger ersetzen. Das Persönliche Budget beinhaltet einen den gesamten Leistungsbedarf einer Person abdeckenden Geldbetrag, der von der berechtigten Person selbstbestimmt zum „Einkauf“ der benötigten Leistungen bei Leistungsanbietern bzw. Einrichtungsträgern ihrer Wahl eingesetzt werden kann.
Neben den öffentlichen Mitteln können vor allem gemeinnützige Einrichtungsträger ergänzend auch eigene Mittel für ihre Aufgaben nutzen (z.B. Spenden, ehrenamtliche Mitarbeit, Bußgelder, Kirchensteuermittel, Stiftungsmittel). Gewerblichen Trägern stehen solche Zusatzeinnahmen in der Regel nicht zur Verfügung. Daher beschränkt sich ihr Radius auf Pflichtleistungen, für deren Ausführung keine Eigenleistungen erforderlich sind (Hilfen zur Erziehung, stationäre Pflege etc.). Der hohe Anteil öffentlicher Mittel bringt Einrichtungsträger in eine Abhängigkeit vom Staat, die die Autonomie der Träger einschränkt.
7 Rechtliche Beziehungen
Wegen der Komplexität der in den einzelnen Sozialgesetzbüchern getroffenen Regelungen können die rechtlichen Beziehungen der Einrichtungsträger zu den Leistungsempfänger:innen und Leistungsträgern hier nur ausschnitthaft skizziert werden, beschränkt auf den Bereich von Anspruchsleistungen innerhalb der Jugend- und Sozialhilfe (SGB VIII und XII).
Grundlage der Rechtsbeziehungen zu den Leistungsträgern sind vertragliche Vereinbarungen, in denen die jeweilige Leistung (Art der Leistung, Personaleinsatz, sächliche Ausstattung etc.), das dafür zu zahlende Entgelt sowie Regelungen zur Qualitätssicherung und -prüfung enthalten sind. Um eine Leistungsvereinbarung abschließen zu können und damit die Zulassung als Leistungserbringer zu bekommen, müssen Einrichtungsträger leistungsfähig sein und wirtschaftlich und sparsam arbeiten. Die Entgelte sind im Vereinbarungszeitraum fix; Mehrausgaben werden nur in besonderen Ausnahmefällen (§ 77a Abs. 3 SGB XII) nachträglich ausgeglichen. Die Wirtschaftlichkeit des Leistungsanbieters wird verneint, wenn das geforderte Entgelt im Abgleich mit der Vergütung vergleichbarer Leistungserbringer oberhalb des unteren Drittels liegt (§ 75 Abs. 2 SGB XII). Einrichtungsträger stehen damit unter Wettbewerbsdruck.
Zu den Leistungsberechtigten stehen die Einrichtungsträger in einem privatrechtlichen Vertragsverhältnis, das die jeweils beanspruchten Leistungen zum Inhalt hat (Art und Umfang der Hilfen, Unterkunft und Verpflegung, Kosten etc.). Das Vertragsverhältnis ist wie jedes andere Vertragsverhältnis von dem/der Leistungsempfänger:in kündbar und kann ggf. mit einem anderen Einrichtungsträger fortgesetzt werden.
Leistungsträger, Leistungserbringer und Leistungsempfänger:in bilden zusammen das „sozialrechtliche Dreieck“. In diesem Dreieck handelt der Einrichtungsträger zwar nicht als Auftragnehmer des Leistungsträgers, sondern grundsätzlich autonom; die vertraglichen Vereinbarungen sind jedoch in der Praxis durch starke Regulierungen geprägt. Hinzu kommt ein Geflecht von speziellen gesetzlichen Anforderungen; z.B. müssen sich Einrichtungsträger im Bereich der Leistungen für Menschen mit Behinderung zertifizieren lassen und ein internes Qualitätsmanagement nachweisen (§ 37 Abs. 2 und 3 SGB IX). Solche Vorgaben liegen zwar im öffentlichen Interesse bzw. der Leistungsnehmer:innen, setzen der Selbstständigkeit und Freiheit der Leistungserbringer aber auch deutliche Grenzen.
8 Wettbewerb
Einrichtungsträger operieren heute weitgehend in wettbewerblich geprägten Strukturen, in denen gemeinnützige und gewerbliche Träger als Leistungserbringer gleichberechtigt sind. Wettbewerb soll zur Qualitätssteigerung und zur Verminderung des Kostenanstiegs beitragen (Bieker und Niemeyer 2022, S. 52). Da der oder die leistungsberechtigte „Kunde oder Kundin“ in dem sozialrechtlichen Dreicksverhältnis grundsätzlich frei darüber entscheidet, von wem er oder sie die Leistung erhalten möchte – in seiner/ihrer Wahl oft durch professionelle Beratungsangebote unterstützt –, müssen Einrichtungsträger durch die zu erwartende Qualität ihrer Leistung überzeugen können. Daneben kann auch für den oder die Leistungsempfänger:in der Preis der Leistung von großer Bedeutung sein. So hat die Wahl eines teureren Anbieters im Pflegebereich zur Folge, dass der Anteil der Eigenleistungen für die oder den Pflegebedürftige:n steigt. Kommt es im Wettbewerb der Einrichtungsträger zu Überkapazitäten, gehen diese grundsätzlich zulasten der Anbieter (ebd.).
Auf dem Gebiet der Arbeitsmarktintegration (SGB III) ist die Ausschreibung von Leistungen seit langem gang und gäbe; ähnliche Entwicklungen zeigen sich auch im SGB II-Bereich (z.B. bei den Leistungen nach § 16 Abs. 3a SGB II). Einrichtungsträger, die im Auftrag von Arbeitsagentur oder Jobcenter tätig werden wollen bzw. ihr Leistungsangebot fortsetzen wollen, müssen sich einem geregelten Auswahlverfahren stellen, bei dem Preis und Qualität die entscheidenden Bestimmungsgrößen darstellen. Ausschreibungsähnliche „Interessenbekundungsverfahren“ greifen auch in der Jugendhilfe Platz (Bieker und Niemeyer 2022, S. 53).
9 Einrichtungsträger als Arbeitgeber
Wie viele Menschen als Arbeitnehmer:innen von Einrichtungsträgern beschäftigt werden, ist nicht bekannt. Unter dem Dach der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtsverbände und ihrer Mitgliedsorganisationen waren 2016 mehr als 1,9 Mio. Menschen hauptamtlich beschäftigt, davon knapp 60 % in Teilzeitbeschäftigung (BAG FW 2018, S. 6).
Dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen entsprechend gelten in den in kirchlicher Trägerschaft stehenden Einrichtungen bzw. in den von den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden Caritas und Diakonie getragenen Einrichtungen Arbeitnehmer:innenrechte nur mit Einschränkungen. Aus kirchlicher Sicht mangelt es hier am Interessengegensatz von Arbeitgebern und Arbeitnehmer:innen; beide arbeiten demnach als sog. Dienstgeber und Dienstnehmer:innen für dieselben kirchlichen Zielsetzungen. Arbeitsrechtliche Regelungen werden von den Einrichtungsträgern in paritätisch besetzten Arbeitsrechtlichen Kommissionen für die in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden kirchlichen Einrichtungen ausgehandelt. Konflikte sollen im Dialog gelöst werden, ein Streikrecht erscheint deshalb obsolet. Die Gewerkschaften können ihre Positionen zwar vortragen, sind aber nicht Vertragspartei. Sonderregelungen bestehen auch für die Mitbestimmung der Beschäftigten. Je nach Tätigkeit können zudem bestimmte Loyalitätsanforderungen an die Mitarbeiter:innen gestellt werden, die auch die persönliche Lebensführung betreffen (Niemeyer und Bieker 2022, S. 257).
Abweichend von dem Sonderweg der kirchlichen Träger beim kollektiven Arbeitsrecht haben eine Reihe von kirchlichen Arbeitgebern insbesondere in Norddeutschland und Brandenburg inzwischen aber Tarifverträge mit Gewerkschaften abgeschlossen. Der Wettbewerbsdruck in der Branche hat andere Arbeitgeber dagegen veranlasst, aus bestehenden Tarifverträgen auszusteigen oder einzelne Betriebsteile durch Ausgliederung dem üblichen Tarifvertrag zu entziehen.
10 Einrichtungsträger als politische Akteure
Über ihre Spitzenverbände stehen die Einrichtungsträger mit allen Ebenen des föderal organisierten politisch-administrativen Systems in einem engen Austausch. Das gilt vor allem für die gemeinnützigen Einrichtungsträger. In der Kinder- und Jugendhilfe bestehen auf kommunaler Ebene sogar gesetzlich geregelte Beteiligungsformen (§§ 76, 78, 80 Abs. 3 SGB VIII). Aus dem Blickwinkel der Einrichtungsträger liegt der Zweck des Austauschs in der Einflussnahme auf sozialpolitische Entscheidungen und deren Umsetzung in den jeweiligen Politikfeldern, in denen sie tätig sind. Bezugspunkte können unzureichend berücksichtigte Anliegen der Adressaten sein; oft sind es aber die Eigeninteressen der Einrichtungen, die zu politischer Intervention mobilisieren. Bestandsicherung liegt im quasi-natürlichen Interesse der Träger. Interessenkonflikte sind daher nicht ausgeschlossen. Was die Vertretung der Interessen der Adressat:innen- angeht, zeigt das SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen), dass der Gesetzgeber ein Exklusivmandat der Einrichtungsträger (Freie Wohlfahrtsverbände) als Interessenvertreter längst nicht mehr für ausreichend hält (§§ 26 Abs. 6, 36 Abs. 1, 37 Abs. 3, 45 SGB IX).
11 Anpassung an neue Anforderungen
Das Interesse an der Selbsterhaltung, das oft mit einem Interesse an Expansion gepaart ist, verleiht Einrichtungsträgern einen Strukturkonservatismus gegenüber Veränderungen, die „nicht anschlussfähig“ sind, also dem Selbstverständnis, den Zielen und der über Jahre gewachsenen Performanz widersprechen. Deshalb sind von Einrichtungsträgern nur moderate Reformimpulse zu erwarten. Ein Beispiel dafür sind die strukturellen Veränderungen, die durch die UN-Behindertenrechtskonvention angestoßen wurden. Einrichtungsträger, die jahrzehntelang auf gesellschaftlich akzeptierte und politisch gewollte Parallelwelten für Menschen mit Behinderung gesetzt haben, sehen sich heute einer Zeitenwende ausgesetzt, die mit einer grundlegenden Neuorientierung und dem radikalen Umbau etablierter Leistungsangebote verbunden ist. Es sind weniger innere Antriebskräfte als extern gesetzte neue Anforderungen, die Einrichtungsträger unter Veränderungsdruck setzen. Einrichtungsträger, die ihre Existenz als Leistungserbringer dauerhaft gewährleisten wollen, müssen sich immer wieder neu auf ihre gesellschaftliche und politische Umwelt ausrichten. Dabei geht es meist nicht um einen grundlegenden Systemwechsel, sondern um die Anpassung schon vorhandener Angebotsformate an veränderte Bedürfnisse der Adressat:innen (z.B. Partizipation, Schutz, mehr Selbstbestimmung). Veränderte Erwartungen richten sich immer wieder auf die Leistungsqualität, deren beständige Weiterentwicklung von Gesetzgeber und Leistungsträgern verstärkt eingefordert wird. Die kontinuierliche Weiterqualifizierung der Mitarbeitenden, die Anpassung von Angebotsformaten, die Weiterentwicklung der Arbeits- und internen Kontrollprozesse – integriert in ein effektives Qualitätsmanagement – sind deshalb Kernaufgaben aller Einrichtungsträger (Herrmann und Müller 2019).
12 Quellenangaben
Auernheimer, Georg, 2021. Privatisierung [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 05.11.2021 [Zugriff am: 08.04.2022]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/Privatisierung
BAG FW – Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, 2018. Einrichtungen und Dienste der Freien Wohlfahrtspflege [online]. Gesamtstatistik 2016. Berlin: Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege [Zugriff am: 08.04.2022]. Verfügbar unter: https://www.bagfw.de/veroeffentlichungen/statistik
Bieker, Rudolf, 2012. Finanzierung Sozialer Arbeit. In: Rudolf Bieker und Edeltraud Vomberg, Hrsg. Management in der Sozialen Arbeit. Stuttgart: Kohlhammer, S. 199–221. ISBN 978-3-17-023515-1
Bieker, Rudolf und Heike Niemeyer, 2022. Trägerstrukturen in der Sozialen Arbeit – ein Überblick. In: Rudolf Biekerund Heike Niemeyer, Hrsg. Träger, Arbeitsfelder und Zielgruppen der Sozialen Arbeit. 2., überarb. Auflage. Stuttgart: Kohlhammer, S. 13–60. ISBN 978-3-17-041959-9
Frings, Dorothee und Daniela Schweigler, 2021. Sozialrecht für die Soziale Arbeit. 5. überarb. Auflage. Stuttgart: Kohlhammer. ISBN 978-3-17-039814-6
Herrmann, Franz und Bettina Müller, 2019. Qualitätsentwicklung in der Sozialen Arbeit. Stuttgart: Kohlhammer. ISBN 978-3-17-032073-4 [Rezension bei socialnet]
Kries, Caroline von, 2017, Subsidiarität. In: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V., Hrsg. Fachlexikon der Sozialen Arbeit. 8. Auflage. Baden-Baden: Nomos, S. 892–893. ISBN 978-3-8487-2374-4 [Rezension bei socialnet]
Merten, Detlef, 2022, Kommentar zu § 17 Abs. 1 Nr. 2 SGB I, Rn. 9. In: Christian Rolfs, Richard Giesen, Miriam Meßling und Peter Udsching, Hrsg. BeckOK Sozialrecht [online]. 64. Edition, Stand: 01.03.2022. München: Beck [Zugriff am: 08.04.2022]. Verfügbar unter: https://beck-online.beck.de/?vpath=bibdata%2fkomm%2fBeckOKSozR_64%2fcont%2fBECKOKSOZR%2ehtm (kostenpflichtig)
Niemeyer, Heike und Rudolf Bieker, 2022, Beschäftigungsverhältnisse und Arbeitsbedingungen. In: Carola Kuhlmann, Heiko Löwenstein, Heike Niemeyer und Rudolf Bieker, Hrsg. Soziale Arbeit: Das Lehr- und Studienbuch für den Einstieg. Stuttgart: Kohlhammer, S. 251–262, ISBN 978-3-17-039266-3
Pothmann, Jens und Holger Schmidt, 2022. Soziale Arbeit – die Organisationen und Institutionen. Opladen: Barbara Budrich. ISBN 978-3-8252-4780-5
Verfasst von
Prof. Dr. Rudolf Bieker
Hochschule Niederrhein/Fachbereich Sozialwesen
Lehrgebiet: Theorie und Strukturen Sozialer Dienste/Sozialverwaltung
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Zitiervorschlag
Bieker, Rudolf,
2022.
Einrichtungsträger [online]. socialnet Lexikon.
Bonn: socialnet, 01.06.2022 [Zugriff am: 15.02.2025].
Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/2314
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