Einwilligungsvorbehalt
Prof. Dr. Annegret Lorenz-Ruffini
veröffentlicht am 02.10.2024
Die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts unterstellt Willenserklärungen einer betreuten Person dem Genehmigungserfordernis ihrer Betreuerin bzw. ihres Betreuers.
Überblick
- 1 Zusammenfassung
- 2 Begriff, Bedeutung und Einordnung eines Einwilligungsvorbehalts
- 3 Voraussetzungen eines Einwilligungsvorbehalts
- 4 Folgen eines Einwilligungsvorbehalts
- 5 Änderungen
- 6 Verfahrensrechtliche Hinweise
- 7 Quellenangaben
- 8 Literaturhinweise
- 9 Informationen im Internet
1 Zusammenfassung
Ein Einwilligungsvorbehalt macht die Wirksamkeit von Willenserklärungen Betreuter von der Einwilligung der Betreuerin oder des Betreuers abhängig. Nur ein kleiner Kreis ungefährlicher Rechtsgeschäfte (etwa lediglich rechtlich vorteilhafte oder geringfügige Alltagsgeschäfte) sind der oder dem Betreuten dann noch möglich. Ausgenommen von einem Einwilligungsvorbehalt sind bestimmte höchstpersönliche Geschäfte der oder des Betreuten, deren Wirksamkeit sich allein nach deren bzw. dessen Handlungsfähigkeit richtet.
Die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts kommt sowohl bei geschäftsfähigen als auch bei geschäftsunfähigen Betreuten in Betracht. Er setzt voraus:
- Eine Betreuung sowie
- eine (krankheits- oder behinderungsbedingte) Einschränkung der oder des Betreuten in ihrer oder seiner Selbstbestimmung,
- die eine erhebliche Gefahr für Person oder Vermögen der oder des Betreuten begründet und
- den Einwilligungsvorbehalt zum Schutz der oder des Betreuten erforderlich macht.
Gegen den freien Willen der oder des Betreuten kann ein Einwilligungsvorbehalt nicht angeordnet werden.
2 Begriff, Bedeutung und Einordnung eines Einwilligungsvorbehalts
2.1 Begriff und Bedeutung
Ein Einwilligungsvorbehalt führt dazu, dass die oder der Betreute zu einer Willenserklärung, die einen Aufgabenbereich der Betreuerin oder des Betreuers betrifft, deren bzw. dessen Einwilligung (vorherige Zustimmung, § 183 BGB) zu dem beabsichtigten Rechtsgeschäft benötigt (§ 1825 Abs. 1 BGB). Dadurch wird die oder der Betreute im Rechtsverkehr weitgehend einer oder einem Minderjährigen gleichgestellt (Heitmann und Füchtenkord 2021, BGB § 1903 [a.F.] Rn. 1); eigenständiges Handeln ohne Einwilligung der Betreuerin oder des Betreuers ist ihr bzw. ihm nur noch in Grenzen möglich. Dies unterwirft ihr oder sein Handeln einer sehr weitgehenden Kontrolle durch den Betreuer oder die Betreuerin. Ein Einwilligungsvorbehalt wird durch das Betreuungsgericht angeordnet und stellt einen schwerwiegenden Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der oder des Betreuten dar. Mit Blick darauf wird seine Vereinbarkeit mit der UN-Behindertenrechtskonvention durchaus infrage gestellt (Nachw. bei Schneider 2024, BGB § 1825 Rn. 4).
Von seinem Wesen her kann sich ein Einwilligungsvorbehalt ausschließlich auf Willenserklärungen beziehen. Keinem Einwilligungsvorbehalt zugänglich sind hingegen tatsächliche Handlungen (sog. Realakte; Heitmann und Füchtenkord 2021, BGB § 1903 [a.F.] Rn. 1), etwa die Aufenthaltsbestimmung (relevant bei häufigen Aufenthaltswechseln). Einem Einwilligungsvorbehalt zugänglich sind aber Willenserklärungen im Zusammenhang mit dem Aufenthalt, etwa die Aufhebung und Neubegründung eines Wohnsitzes (Müller-Engels 2024, BGB § 1825 Rn. 7 m.w.Nachw.) oder der Abschluss bzw. die Kündigung von Mietverträgen (Brosey 2023, BGB § 1825 Rn. 14).
Auch Entscheidungen über Maßnahmen der Gesundheitssorge können keinem Einwilligungsvorbehalt unterworfen handeln: Einwilligungen in gesundheitsbezogene Untersuchungen und Eingriffe sind keine Willenserklärungen (Heitmann und Füchtenkord 2021, BGB § 1903 [a.F.] Rn. 17). Anderes gilt für die den gesundheitsbezogenen Entscheidungen zugrunde liegenden Verträge. Das können Behandlungsverträge sein, z.B. zur Durchführung von Schönheitsoperationen, aber auch Verträge im Rahmen alternativer Heilmethoden (Füchtenkord und Heitmann 2021, BGB § 1903 [a.F.] Rn. 17)
2.2 Einwilligungsvorbehalt und Geschäftsfähigkeit
Die Notwendigkeit eines Einwilligungsvorbehalts hängt eng damit zusammen, dass die Bestellung einer Betreuerin oder eines Betreuers die Geschäftsfähigkeit (also die Fähigkeit, im Rechtsverkehr wirksam Willenserklärungen abgeben und damit wirksam handeln zu können) der oder des Betreuten grundsätzlich nicht tangiert (Zimmermann 2023, S. 2). Dementsprechend wird die Geschäftsfähigkeit bei der Bestellung einer Betreuerin oder eines Betreuers auch nicht geprüft (Heitmann und Füchtenkord 2021, BGB § 1903 [a.F.] Rn. 22). Es können sowohl geschäftsfähige als auch geschäftsunfähige Personen eine Betreuerin oder einen Betreuer erhalten.
2.2.1 Geschäftsfähigkeit
Das Vorliegen der Geschäftsfähigkeit ist bei Volljährigen grundsätzlich die Regelannahme (Zimmermann 2023, S. 3): Jede:r Volljährige gilt als geschäftsfähig, solange ihre oder seine Geschäftsunfähigkeit nicht nachgewiesen ist (BGH, Beschluss v. 29.7.2020, XII ZB 106/20, NJW [Neue Juristische Wochenschrift] 2021, 74 [1-2], S. 63).
Da die Bestellung einer Betreuerin oder eines Betreuers die Geschäftsfähigkeit der oder des Betreuten nicht tangiert, bleiben geschäftsfähige Betreute uneingeschränkt handlungsfähig und können eigenständig anstelle oder auch neben dem oder der Betreuer:in im Rechtsverkehr auftreten (Heitmann und Füchtenkord 2021, BGB § 1903 [a.F.] Rn. 1) und u.U. auch gegen dessen Handeln agieren. Lediglich soweit die Willensbildung punktuell, etwa in einer bestimmten Phase einer schubweise verlaufenden Erkrankung, gestört ist, sind die in diesem Zustand getätigten Willenserklärungen nichtig (§ 105 Abs. 2 BGB).
Dadurch kann es zu widersprüchlichen Handlungen von Betreuter oder Betreutem und Betreuer:in kommen: Der oder die Betreuer:in mietet der oder dem Betreuten eine Wohnung an, die oder der Betreute kündigt sie wieder, etc. Vor allem mit Blick darauf sieht der Gesetzgeber die Notwendigkeit eines Einwilligungsvorbehalts (BT-Drs. [Bundestags-Drucksache] 11/4528, S. 136).
Bei geschäftsfähigen Betreuten führt die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts faktisch dazu, dass die oder der Betreute seine Handlungsfähigkeit verliert.
2.2.2 Geschäftsunfähigkeit
Geschäftsunfähig sind Personen, die an einer dauerhaften und krankhaften Störung der Geistestätigkeit leiden, die deren freie Willensbestimmung ausschließt (§ 104 Nr. 2 BGB). Die Geschäftsunfähigkeit kann sich auf bestimmte abgrenzbare Bereiche beschränken (sog. partielle Geschäftsunfähigkeit, BGH, Beschluss v. 29.7.2020, XII ZB 106/20, NJW 2021, 74 [1-2], S. 63). Hingegen kennt das Recht keine sog. relative Geschäftsunfähigkeit für schwierige Geschäfte, die den Betroffenen ab einem gewissen Komplexitätsgrad überfordern (BGH, Beschluss v. 29.7.2020, XII ZB 106/20, NJW 2021, 74 [1-2], S. 63). Insoweit gilt für die Geschäftsunfähigkeit das Alles-oder-Nichts-Prinzip.
Willenserklärungen Geschäftsunfähiger sind nichtig (§ 105 Abs. 1 BGB); ihnen kann eine wirksame Willenserklärung nicht zugehen (§ 131 Abs. 1 BGB). Sie sind im Rechtsverkehr – mit Ausnahme kleinerer Geschäfte des Alltagsbedarfs (§ 105a BGB) – „taubstumm“. Für Geschäftsunfähige ist die Bestellung eines Betreuers oder einer Betreuerin daher ein Muss, um ihre rechtliche Handlungsfähigkeit herzustellen (§ 1823 BGB).
Aus diesem Grunde bräuchte es bei Geschäftsunfähigen eigentlich keinen Einwilligungsvorbehalt: Der oder die Betreute kann ohnehin rechtlich nicht wirksam handeln.
Die Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes ist gleichwohl auch bei geschäftsunfähigen Betreuten möglich (BGH, Beschluss v. 24.1.2018, XII ZB 141/17, NJW 2018, 71 [17], S. 1255 Rn. 15; Beschluss v. 9.5.2018, XII ZB 577/17, NJW-RR [Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungs Report] 2018, 33 [18], S. 1091 [1092] Rn. 18).
Dies trägt einem praktischen Bedürfnis des Rechtsverkehrs Rechnung: Wegen der grundsätzlichen rechtlichen Vermutung zugunsten der Geschäftsfähigkeit, muss die oder der Betreute ihre bzw. seine Geschäftsunfähigkeit nachweisen. Dies ist ihr oder ihm oft nur sehr schwer möglich, nicht zuletzt, weil das Recht kein separates Verfahren zur Feststellung der Geschäftsunfähigkeit kennt (Schneider 2024, BGB § 1814 Rn. 73; Zimmermann 2023, S. 3). Vor allem aber mit Blick auf die fließenden Grenzen zwischen Geschäftsfähigkeit und Geschäftsunfähigkeit (etwa bei schubweise verlaufenden psychischen, aber auch bei demenziellen Erkrankungen) stellt die gesetzliche Vermutung Betreuer:innen vor erhebliche Beweisschwierigkeiten, wollen sie das Rechtsgeschäft rückabwickeln (BT-Drs. 11/4528, S. 136 f.; Röchling 2023, S. 175).
Ein Einwilligungsvorbehalt sagt zwar als solcher ebenfalls nichts über die Geschäftsfähigkeit der oder des Betroffenen aus, zerstört aber – auf einer rechtstechnischen Ebene – den Rechtsschein wirksamen Handelns und erlaubt der oder dem Betreuten, sich darauf zurückzuziehen, dass die notwendige Einwilligung des Betreuers bzw. der Betreuerin fehle (Brosey 2023, BGB § 1825 Rn. 9). Die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts trägt so deutlich effektiver zum Rechtsschutz geschäftsunfähiger Betreuter bei als der Mechanismus der §§ 104, 105, 131 BGB.
2.3 Praktische Relevanz
Die praktische Relevanz eines Einwilligungsvorbehalts ist überschaubar. Mit 12.429 Einwilligungsvorbehalten im Jahr 2015 bei ca. 1,3 Mio. Betreuten, wird er nur in sehr wenigen Fällen angeordnet (Müller-Engels 2023, BGB § 1825 Rn. 1).
3 Voraussetzungen eines Einwilligungsvorbehalts
Ein Einwilligungsvorbehalt greift sehr weit in das Selbstbestimmungsrecht der oder des Betreuten ein. Er ist daher an hohe Eingriffsvoraussetzungen geknüpft.
3.1 Betreuung
Ein Einwilligungsvorbehalt ist zwingend akzessorisch zu einer Betreuung (Röchling 2023, S. 173): Er kann zeitgleich mit der Bestellung einer Betreuerin oder eines Betreuers (Röchling 2023, S. 173) oder auch nachträglich (Heitmann und Füchtenkord 2021, BGB § 1903 [a.F.] Rn. 1) angeordnet werden, setzt aber in jedem Fall voraus, dass ein:e Betreuer:in bestellt wurde und darf sich nur auf einen Aufgabenkreis beziehen, für den die Betreuerin oder der Betreuer bestellt wurde (Kemper 2024, BGB § 1825 Rn. 3; Müller-Engels 2024, BGB § 1825 Rn. 3). Wurde eine Vorsorgevollmacht erteilt, scheidet ein Einwilligungsvorbehalt aus (Brosey 2023, BGG § 1825 Rn. 16).
3.2 Krankheits- oder behinderungsbedingte Einschränkung in der Selbstbestimmung
Als weitere – ungeschriebene – Voraussetzung fordert die Rechtsprechung eine erhebliche Einschränkung in der Selbstbestimmung durch die Krankheit oder Behinderung. Der oder die Betreute ist deswegen in dem vom Einwilligungsvorbehalt betroffenen Bereich nicht frei in seiner Willensbildung (Schneider 2024, BGB § 1825 Rn. 9 m.w.Nachw.). Im Umkehrschluss ist ein Einwilligungsvorbehalt bei lediglich körperlichen Behinderungen unzulässig (Schneider 2024, BGB § 1825 Rn. 11).
3.3 Gefahrenabwehr
Die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts erfordert eine erhebliche Gefahr für die Person oder das Vermögen der oder des Betreuten. Leichte Beeinträchtigungen reichen nicht aus (Heitmann und Füchtenkord 2021, BGB § 1903 [a.F.] Rn. 11). Die Gefahr muss sich dabei unmittelbar aus der Krankheit oder Behinderung ergeben, die Anlass für die Bestellung einer Betreuerin oder eines Betreuers war (Kemper 2024, BGB § 1825 Rn. 5).
In der Praxis dominieren Gefahren für das Vermögen der oder des Betreuten (Müller-Engels 2024, BGB § 1825 Rn. 6). Das Gefährdungspotenzial hängt dabei von dem vorhandenen Vermögen ab, das in Bezug zum denkbaren Vermögensschaden zu setzen ist. Dabei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, ob und wie häufig die oder der Betreute sich in der Vergangenheit selbstgefährdend verhalten hat (Röchling 2023, S. 174 m.w.Nachw.).
Die Gefahr muss konkret drohen. Allein die Überforderung mit der Vermögensverwaltung, die Höhe der bei Bestellung einer Betreuerin oder eines Betreuers vorhandenen Schulden und die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens reichen als solche ohne konkrete Anhaltspunkte für ein auch nach Einrichtung der Betreuung selbstschädigendes Verhalten, nicht aus (BGH, Beschluss v. 9.6.2021, XII ZB 545/20, BeckRS [Beck Rechtsprechung] 2021, 21709). Es bedarf konkreter Handlungen, durch die der oder die Betreute die vermögenserhaltenden oder -schützenden Maßnahmen des Betreuers oder der Betreuerin konterkariert oder ihr bzw. sein Vermögen anderweitig schädigt (Kemper 2024, BGB § 1825 Rn. 4).
Typische Anwendungsfälle sind:
- Wirtschaftlich unsinnige Anschaffungen psychisch Kranker oder Behinderter, die zu einem nennenswerten Vermögensschaden bzw. einer weiteren Verschuldung führen (Müller-Engels 2024, BGB § 1825 Rn. 6).
- Vermögensschädigung infolge einer Vielzahl unsinniger und völlig aussichtsloser Rechtsstreitigkeiten (BGH, Beschluss v. 27.1.2016, XII ZB 519/15, NJW-RR 2016, 31 [17], S. 1027; BGH, Beschluss v. 7.1.2021, III ZB 89/20, BeckRS 2021, 1085).
- Schädigung des eigenen Unternehmens durch Maßnahmen, die das Vertrauen in die Unternehmensführung und die Aufrechterhaltung der Geschäftskontakte und Kreditlinien gefährden (BGH, Beschluss v. 20.6.2018, XII ZB 99/18, BeckRS 2018, 14924).
- Das Eingehen erheblicher schuldrechtlicher Verpflichtungen ohne Gegenleistung (Schuldanerkenntnis, BayObLG [Bayerisches Oberstes Landesgericht], Beschluss v. 12. 1. 2000, 3Z BR 345/99, NJWE-FER [Neue Juristische Wochenschrift Entscheidungsdienst – Familien- und Erbrecht] 2000, 5 [8], S. 206).
Einwilligungsvorbehalte zum Schutz der Person der oder des Betreuten sind in der Praxis seltener anzutreffen. Relevanz haben sie bei Vaterschaftsanerkennungen (§ 1596 Abs. 3 BGB) sowie beim Schutz wichtiger personenbezogener Rechtsgüter, wie Gesundheit, Freiheit oder Leben durch das Verhalten der oder des Betreuten. Denkbare Anwendungsfälle sind die Kündigung des Mietvertrags oder psychische Belastungen durch nachteilige Geschäfte (Brosey 2023, BGB § 1825 Rn. 5).
Die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts dient allein dem Schutz der oder des Betreuten. Ein Einwilligungsvorbehalt kann daher weder zum Schutz des Rechtsverkehrs vor dem Handeln der oder des Betreuten angeordnet werden (z.B. zugunsten etwaiger Gläubiger des Betreuten, der Schulden macht, die er nicht zurückzahlen kann), noch zum Schutz Dritter (etwa künftiger Erbinnen und Erben [Heitmann und Füchtenkord 2021, BGB § 1903 a.F. Rn. 2; Müller-Engels 2024, BGB § 1825 Rn. 5]), noch zur Arbeitserleichterung der Betreuerin oder des Betreuers (Heitmann und Füchtenkord 2021, BGB § 1903 Rn. 2). Letzteres kann eine Rolle spielen bei Meinungsverschiedenheiten zwischen dem oder der Betreuer:in und (einer oder einem rechthaberischen) Betreuten bzw. Betreutem (zur Unzulässigkeit eines Einwilligungsvorbehalts als „Disziplinarmaßnahme“ gegenüber der oder dem Betreuten vgl. BGH, Beschluss v. 28.9.3016, XII ZB 275/16, NJW-RR 2017, 32 [2], S. 67 Rn. 6).
3.4 Erforderlichkeit des Einwilligungsvorbehalts
Sowohl für die Anordnung als auch für den Umfang des Einwilligungsvorbehalts gilt der Grundsatz der Erforderlichkeit.
Ein Totalvorbehalt, etwa, scheidet im Regelfall aus, weil und soweit es ausreicht, den Einwilligungsvorbehalt nur auf Teilbereiche des Aufgabenkreises der Betreuerin oder des Betreuers, z.B. Rentenangelegenheiten, zu beziehen (Kemper 2024, BGB § 1825 Rn. 6). Es kann sogar ausreichen, nur einzelne Willenserklärungen – etwa ab einer bestimmten Verfügungshöhe – dem Einwilligungsvorbehalt zu unterwerfen (Brosey 2023, BGB § 1825 Rn. 11) bzw. den Einwilligungsvorbehalt auf ein einziges Objekt zu beschränken (z.B. Sanierung und Verwaltung eines Hauses, Schneider 2024, BGB § 1825 Rn. 19).
3.5 Grenzen eines Einwilligungsvorbehalts: Unzulässige Einwilligungsvorbehalte
Nicht zugänglich sind einem Einwilligungsvorbehalt bestimmte höchstpersönliche Rechtsgeschäfte. In diesen Bereichen bleibt es bei dem grundsätzlichen Entweder-Oder: Entweder ist die oder der Betreute für den jeweiligen Bereich handlungsfähig oder sie bzw. er ist es nicht.
Unzulässig ist ein Einwilligungsvorbehalt in folgenden Bereichen (§ 1825 Abs. 2 BGB):
- Willenserklärungen, die auf eine Eheschließung gerichtet sind. Ausschlaggebend ist die Ehefähigkeit, die der Geschäftsfähigkeit folgt (§ 1304 BGB). Einem Einwilligungsvorbehalt zugänglich sind hingegen Eheverträge (§ 1411 Abs. 1 BGB) und Scheidungsvereinbarungen (Müller-Engels 2024, BGB § 1825 Rn. 15).
- Verfügungen von Todes wegen (§ 1825 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Dies betrifft die Errichtung eines Testaments ebenso wie dessen Widerruf (Zimmermann 2023, S. 4) und Erbverträge.
Für die Erstellung eines Testaments muss die oder der Betreute testierfähig sein (§ 2229 Abs. 4 BGB). Dafür muss die oder der Erblasser:in in der Lage sein, zu erkennen, dass sie oder er ein Testament errichtet und welchen Inhalt die darin enthaltenen letztwilligen Verfügungen haben; sie oder er muss sich ein klares Urteil zur Tragweite ihrer bzw. seiner Anordnungen, insbesondere hinsichtlich der Wirkungen auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen, bilden und frei von Einflüssen Dritter handeln können (Krätzschel 2022, S. 54).
Die Erbeinsetzung durch eine:n Betreuten durch Erbvertrag ist ebenfalls möglich, erfordert allerdings Geschäftsfähigkeit (§§ 2275, 1825 Abs. 2 Nr. 5 BGB; Zimmermann 2023, S. 4). - Anfechtung und Aufhebung eines Erbvertrags (§ 1825 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 BGB). Auch dafür muss die oder der Betreute geschäftsfähig sein.
- Willenserklärungen, zu denen ein:e beschränkt Geschäftsfähige:r nach den Vorschriften des 4. (Familienrecht) und 5. Buches (Erbrecht) nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters bedarf (§ 1825 Abs. 2 Nr. 5 BGB). Diese sind insbesondere:
- Die Anfechtung der Vaterschaft (§ 1600a BGB), sie setzt allerdings Geschäftsfähigkeit des Betreuten voraus (§ 1600a Abs. 5 BGB).
- Adoptionsrechtliche Willenserklärungen (§§ 1762 Abs. 1 S. 2, 1768 Abs. 2 BGB).
- Aus dem Erbrecht: Die Aufhebung eines Erbvertrags (§ 2290 Abs. 1 BGB), der Rücktritt vom Erbvertrag (§ 2296 Abs. 1 BGB) und der Abschluss eines Erbverzichtsvertrags (§ 2347 BGB, Zimmermann 2023, S. 4).
Weiterhin sind folgende höchstpersönliche Bereiche von einem Einwilligungsvorbehalt ausgenommen:
- Sterilisation (Sonderregelung in § 1830 BGB) und Schwangerschaftsabbrüche (Heitmann und Füchtenkord 2021, BGB § 1903 [a.F.] Rn. 18).
- Entscheidungen im Bereich des religiösen Bekenntnisses (Religionswechsel, Kirchenaustritt; Kemper 2024, BGB § 1825 Rn. 7).
- Maßnahmen der elterlichen Sorge, z.B. die Vertretung des eigenen Kindes oder die Abgabe von Sorgeerklärungen (h.M., vgl. nur Brosey 2023, BGB § 1825 Rn. 18; Müller-Engels 2024, BGB § 1825 Rn. 21).
3.6 Freier Wille
Gegen den freien Willen der oder des Volljährigen darf ein Einwilligungsvorbehalt nicht angeordnet werden (§ 1825 Abs. 1 S. 2 BGB).
Bezugspunkt des freien Willens ist die Notwendigkeit eines Einwilligungsvorbehalts (Brosey 2023, BGB § 1825 Rn. 8). Ausschlaggebend ist, ob die oder der Betreute die Notwendigkeit des Einwilligungsvorbehalts abschätzen und das Für und Wider nach rationalen Gesichtspunkten abwägen kann. Liegt ein freier Wille vor, scheidet ein Einwilligungsvorbehalt aus. Eine freiverantwortete Selbstschädigung ist immer hinzunehmen.
Fehlt der freie Wille hingegen, kann gegen den lediglich natürlichen Willen ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet werden.
4 Folgen eines Einwilligungsvorbehalts
4.1 Folgen bei Geschäftsfähigen
4.1.1 Außenverhältnis: Einwilligung der Betreuerin oder des Betreuers für Willenserklärungen nötig
Ein Einwilligungsvorbehalt stellt die oder den geschäftsfähige:n Betreute:n faktisch einer oder einem Minderjährigen gleich:
Betreute benötigen zu ihren Willenserklärungen grundsätzlich die vorherige Zustimmung (Einwilligung, § 183 BGB) der Betreuerin oder des Betreuers. Der Einwilligungsvorbehalt führt – etwa im Sozialleistungsrecht – grundsätzlich zur Handlung- und Prozessunfähigkeit (§§ 11 Abs. 2 SGB X, § 71 Abs. 1 SGG [Sozialgerichtsgesetz]; Schneider 2024, BGB § 1825 Rn. 49).
In gleicher Weise können an die oder den Betreute:n gerichtete Willenserklärungen wirksam nur dem oder der Betreuer:in zugehen (§ 1825 Abs. 1 S. 3 BGB i.V. mit § 131 Abs. 2 BGB). Auch Verwaltungsakte können einer oder einem Betreuten nicht mehr wirksam bekannt gegeben werden (Heitmann und Füchtenkord 2021, BGB § 1903 Rn. 24).
Eine leistungsbefreiende Erfüllung an die oder den Betreute:n ist nicht mehr möglich (BGH, Urteil v. 21.4.2015, XI ZR 234/14, NJW 2015, 68 [34], S. 2497). Das betrifft etwa Sozialleistungen (Brosey 2023, BGB § 1825 Rn. 24). Ob der Dritte Kenntnis von der Betreuung oder der Existenz des Einwilligungsvorbehalts hat, ist unerheblich (Brosey 2023, BGB § 1825 Rn. 24). Hat die oder der Betreute mithin das Geld verbraucht, ist erneut zu leisten.
Die Einwilligung der Betreuerin oder des Betreuers gilt dabei – entsprechend der Regelungen für Minderjährige (§ 1825 Abs. 1 S. 3 BGB i.V. mit § 110 BGB) – konkludent für diejenigen Geschäfte als erteilt, die der oder die Betreute mit Mitteln tätigt, die der oder die Betreuer:in ihm oder ihr zur freien Verfügung oder zu diesem Zweck überlassen hat, vorausgesetzt, der oder die Betreute erfüllt die Verträge (Heitmann und Füchtenkord 2021, BGB § 1903 [a.F.] Rn. 23).
Der oder die Betreuer:in kann die oder den Betreute:n weiter ermächtigen, ein Dienst- oder Arbeitsverhältnis aufzunehmen (§ 1825 Abs. 1 S. 3 BGB i.V. mit § 113 BGB) bzw. – mit Genehmigung des Betreuungsgerichts (das wird wenig praxisrelevant sein) – ein Erwerbsgeschäft selbstständig zu betreiben (§ 1825 Abs. 1 S. 3 BGB i.V. mit § 112 BGB). Dies hat zur Folge, dass die oder der Betreute in diesem Bereich wirksam Willenserklärungen abgeben kann.
Was die Wirksamkeit der ohne die erforderliche Einwilligung getätigten Rechtsgeschäfte angeht, so ist zu differenzieren:
- Einseitige Rechtsgeschäfte (z.B. Kündigung) sind unwirksam (§ 1825 Abs. 1 S. 3 BGB i.V. mit § 111 BGB).
- Verträge hingegen, sind schwebend unwirksam und können nachträglich vom oder von der Betreuer:in genehmigt werden (§ 1825 Abs. 1 S. 3 BGB i.V. mit § 108 Abs. 1 BGB). Bis zur Genehmigung besitzt der Vertragspartner ein Widerrufsrecht (§ 1825 Abs. 1 S. 3BGB i.V. mit § 109 BGB) bzw. hat das Recht, den oder die Betreuer:in zur Genehmigung des Rechtsgeschäfts aufzufordern. Die Genehmigung führt dazu, dass der oder die Betreuer:in innerhalb einer Frist von 2 Wochen ab Genehmigungsaufforderung eine Entscheidung treffen muss. Schweigen bedeutet eine Verweigerung der Genehmigung (§ 1825 Abs. 1 S. 3 BGB i.V. mit § 108 Abs. 2 BGB).
- Für den Zeitraum, in dem die oder der Betreute keine:n Betreuer:in hat – etwa, weil diese:r verstorben oder entlassen ist – greift eine Ablaufhemmung für eine Verjährungsfrist (§ 1825 Abs. 1 S. 3 BGB i.V. mit § 210 BGB).
Die vom Einwilligungsvorbehalt nicht erfasste Handlungsfähigkeit der oder des Betreuten reduziert sich auf einen überschaubaren Bereich für sie oder ihn ungefährlicher Rechtsgeschäfte. Diese können Betreute trotz Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts ohne Einwilligung der Betreuerin oder des Betreuers wirksam tätigen. Diese sind:
- Lediglich rechtlich vorteilhafte Geschäfte (§ 1825 Abs. 3 S. 1 BGB). Ob ein Geschäft als lediglich rechtlich vorteilhaft anzusehen ist, richtet sich grundsätzlich nach den mit dem Rechtsgeschäft verbundenen rechtlichen Folgen. Auf eine wirtschaftliche Betrachtung kommt es grundsätzlich nicht an (Röchling 2023, S. 177).
Schädlich sind vor allem unmittelbar aus dem Rechtsgeschäft resultierende Pflichten (Spickhoff 2021, BGB § 107 Rn. 40). Mittelbare Pflichten, die mit dem Erwerb verbunden sind, hingegen bleiben außer Betracht. Unbeachtlich sind daher etwa Belastungen, die Dritte an das Geschäft knüpfen, etwa Steuern, Versicherungspflichten oder Belastungen des erworbenen Gegenstands wie Wohnrechte oder Grundpfandrechte (für den unentgeltlichen Erwerb eines Grundstücks vgl. BGH, Beschluss v. 25.11.2004, V Z 13/04, NJW 2005, 58 [7], S. 415).
Anwendungsfälle für lediglich rechtlich vorteilhafte Rechtsgeschäfte:
- Die Annahme von Schenkungen, Abtretungen und die Übertragung unbelasteter Gegenstände (Heitmann und Füchtenkord 2021, BGB § 1903 [a.F.] Rn. 32). Auch die Übertragung eines Miteigentums an einem unbelasteten unvermieteten/​-pachteten Grundstück fällt darunter (BGH, Beschluss v. 18.4.2024, V ZB 51/23, NJW 2024, 77 [27], S. 1957 [S. 1958] Rn. 9).
- Der Abschluss von Behandlungsverträgen durch Kassenpatient:innen (Spickhoff 2021, BGB § 107 Rn. 68).
- Die Kündigung eines zinslosen Darlehens (Spickhoff 2021, BGB § 107 Rn. 71).
- Erbverträge mit dem oder der Erblasser:in, die die oder den Betreute:n als Erbin oder Erbe einsetzen, solange die oder der Betreute keine Gegenleistung verspricht (Zimmermann 2023, S. 4).
- Unproblematisch sind auch rechtlich neutrale (sog. indifferente) Geschäfte, die weder mit rechtlichen Vorteilen noch mit Nachteilen verknüpft sind (Brosey 2023, BGB § 1825 Rn. 27).
Anwendungsbeispiele für rechtlich nachteilige Rechtsgeschäfte:
- Schenkung unter Auflage oder einem Rückforderungsvorbehalt (Spickhoff 2021, BGB § 107 Rn. 87).
- Schenkung eines vermieteten oder verpachteten Grundstücks oder einer vermieteten Immobilie (die oder der Betreute tritt automatisch in die Rechte, aber auch Pflichten der Vermieterin oder des Vermieters oder Verpächterin bzw. Verpächters ein; vgl. zum unentgeltlichen Erwerb eines vermieteten Grundstücks BGH, Beschluss v. 3. 2. 2005, V ZB 44/04, NJW 2005, 58 [20], S. 1430 [S. 1431]).
- Auch die Erfüllung eines Vertrages gegenüber der oder dem Betreuten ist für diese:n nachteilig (Kemper 2024, BGB § 1925 Rn. 9; BGH, Urteil v. 21.4.2015, XI ZR 234/14, NJW 2015, 68 [34], S. 2497).
- Mitgliedschaften in sozialen Netzwerken (Spickhoff 2021, BGB § 107 Rn. 85).
- Vereinsbeitritte (Spickhoff 2021, BGB § 107 Rn. 89 m.w.Nachw.).
- Geringfügige Angelegenheiten des täglichen Lebens (§ 1825 Abs. 3 S. 2 BGB). Dies betrifft insbesondere alltägliche Bargeschäfte über geringwertige Gegenstände. Entscheidend ist, ob die Verkehrsauffassung das Rechtsgeschäft als Alltagsgeschäft ansieht.
Das wird insbesondere beim Kauf von zum alsbaldigen Verbrauch bestimmten Lebensmitteln, alltäglichen Kosmetika sowie Kleidung (Kemper 2024, BGB § 1825 Rn. 9) oder einfachen Dienstleistungen (Röchling 2023, S. 177 m.w. Nachw.) angenommen. Auch kleinere Mengen von Alkoholika zählen grundsätzlich dazu (BGH, Beschluss v. 7.12.2016, XII ZB 458/15, NZFam [Neue Zeitschrift für Familienrecht] 4 [4], S. 164 (S. 166] Rn. 27).
Verneint wurde die Geringfügigkeit hingegen für die Inanspruchnahme eines Krankentransports durch einen Rettungsdienst von einem betreuten Rollstuhlfahrer für Fahrten zu Gaststätten und Bars (LG Gießen, Urteil v. 4.12.2002, 1 S 313/02, NJW-RR 2003, 18 [7], S. 439). Auch Dauerschuldverhältnisse sind grundsätzlich nicht geringfügig (Heitmann und Füchtenkord 2021, BGB § 1903 [a.F.] Rn. 33). Das betrifft etwa den Abschluss eines Mobilfunkvertrages mit 2-jähriger Laufzeit (Müller-Engels 2024, BGB § 1825 Rn. 28).
Ob die Mittel noch als geringwertig anzusehen sind, bestimmt sich unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der oder des Betreuten (Röchling 2023, S. 177 m.w. Nachw.). Alle Geschäfte, die das Vermögen der oder des Betreuten nicht gefährden, sind daher grundsätzlich einwilligungsfrei (Heitmann und Füchtenkord 2021, BGB § 1903 [a.F.] Rn. 33).
Das Betreuungsgericht kann allerdings abweichende Anordnungen treffen (§ 1825 Abs. 3 S. 2 BGB) und den Einwilligungsvorbehalt auch auf alltägliche Geschäfte ausdehnen (sog. qualifizierter Einwilligungsvorbehalt). Dies kommt immer dann in Betracht, wenn das Geschäft erhebliche Gefahren für die oder den Betreute:n birgt. Der Gesetzgeber hatte insoweit Alkoholiker:innen im Blick, die sich rechtswirksam kleinere Mengen alkoholischer Getränke verschaffen (BT-Drs. 11/4528, S. 139). Denkbar wäre das aber auch – bei krankhaftem Kaufdrang – beim Kauf der entsprechenden Artikel (Kemper 2024, BGB § 1825 Rn. 9). Der Umstand, dass die oder der Betreute „gerne bestelle“, dass Post (mit Rechnungen und Mahnungen) an der Betreuerin oder am Betreuer vorbeigehe und in der Folge Vollstreckungsbescheide beantragt würden, genügt dafür allerdings nicht (BGH, Beschluss v. 7.12.2016, XII ZB 458/15, NZFam 4 [4], S. 164 [S. 166] Rn. 31).
4.1.2 Innenverhältnis: Maßstab für die Erteilung der Einwilligung
Der Einwilligungsvorbehalt begrenzt zwar im Außenverhältnis die Handlungsfähigkeit der oder des Betreuten. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers soll durch die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts das Selbstbestimmungsrecht der oder des Betreuten grundsätzlich nicht infrage gestellt werden (BT-Drs. 19/24445, S. 257).
Für das Innenverhältnis zwischen Betreuer:in und Betreuter bzw. Betreuten gilt daher die Wunschbefolgungspflicht des § 1821 BGB (BT-Drs. 19/24445, S. 257). Der oder die Betreuer:in hat sich mithin auch bei der Entscheidung über die Zustimmung zu Willenserklärungen der oder des Betreuten grundsätzlich an deren oder dessen Wünschen bzw. mutmaßlichen Willen zu orientieren (Müller-Engels 2024, BGB § 1825 Rn. 26) und nicht an objektiven wirtschaftlichen Kriterien (BT-Drs. 19/24445, S. 257). Auch aus Sicht der Betreuerin oder des Betreuers unvernünftige Entscheidungen sind beachtlich (Brosey 2023, BGB § 1825 Rn. 6).
4.2 Folgen bei Geschäftsunfähigen
Bei Geschäftsunfähigen hat der Einwilligungsvorbehalt nach herrschender Meinung letztlich keine Wirkungen. Es bleibt bei der Nichtigkeit der Willenserklärung (vgl. nur Müller-Engels 2024, BGB § 1825 Rn. 29; Schneider 2024, BGB § 1925 Rn. 47). Die Genehmigung der Betreuerin oder des Betreuers zu einem derartigen Geschäft wird als sog. „Eigenvornahme“ gedeutet, also als Tätigen des Geschäfts durch den oder die Betreuer:in im Rahmen seines bzw. ihres Vertretungsrechts (§ 1823 BGB; vgl. Schneider 2024, BGB § 1825 Rn. 47).
Geschäftsunfähige Betreute können darüber hinaus Geschäfte des täglichen Lebens, die mit geringwertigen Mitteln bewirkt werden können, tätigen, vorausgesetzt sie werden vollständig erfüllt und sind nicht mit einer erheblichen Gefahr für Person oder Vermögen der oder des Geschäftsunfähigen verbunden (§ 105a BGB).
Der Anwendungsbereich „täglicher“ Geschäften richtet sich nach der Verkehrsauffassung. Das Geschäft braucht jedenfalls nicht täglich vorgenommen zu werden. Bejaht wird er etwa beim Erwerb von zum alsbaldigen Verbrauch bestimmten Nahrungs- oder Genussmitteln (insbesondere Lebensmitteln), kosmetischen Artikeln und einfachen medizinischen Produkten, aber auch der Kauf von Presseerzeugnissen, Textilien und die Inanspruchnahme einfacher Dienstleistungen (Friseur, Museumsbesuch, Fahrten mit dem öffentlichen Nahverkehr) sind Alltagsgeschäfte.
Die Leistung selbst muss mit geringen Mitteln, typischerweise als Barzahlung bewirkt werden können. Werden mehrere Artikel oder Dinge in ein und demselben Kauf erworben, so ist die Summe des Gesamtkaufpreises maßgeblich. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der oder des Betreuten spielen im Rahmen dieser Norm keine Rolle (Röchling 2023, S. 181).
5 Änderungen
Die Aufrechterhaltung, Erweiterung oder Aufhebung des Einwilligungsvorbehalts folgt dem jeweiligen Bedarf. Fallen die Voraussetzungen für die Anordnung des Einwilligungsvorbehalts weg, ist er aufzuheben bzw. zu beschränken (§ 1871 Abs. 4 BGB i.V. mit Abs. 1 BGB). In gleicher Weise ist der Einwilligungsvorbehalt zu erweitern, wenn dies erforderlich wird (§ 1871 Abs. 4 BGB i.V. mit Abs. 3 BGB).
Den oder die Betreuer:in treffen entsprechende Mitteilungspflichten gegenüber dem Betreuungsgericht (§ 1864 Abs. 2 BGB).
6 Verfahrensrechtliche Hinweise
Die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts ist Betreuungssache (§ 271 Nr. 2 FamFG [Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit]). Das Verfahren wird von Amts wegen geführt. Ein Antrag ist nicht nötig (Kemper 2024, BGB § 1825 Rn. 12).
Für das Verfahren gelten die gleichen Regeln wie für die Betreuerbestellung. Dazu zählen insbesondere umfangreiche Anhörungspflichten der Beteiligten, vor allem eine persönliche Anhörung der oder des Betroffenen (§ 278 Abs. 1 FamFG) und der sonstigen Beteiligten, der Betreuungsbehörde und des gesetzlichen Vertreters (§ 279 FamFG). Die Notwendigkeit des Einwilligungsvorbehalts ist durch fachärztliches Gutachten nachzuweisen (§ 280 FamFG). Für die Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts gilt der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 26 FamFG). Mit Blick darauf, dass die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts ein gravierender Grundrechtseingriff ist, fordert die Rechtsprechung umfangreiche Ermittlungen (BGH, Beschluss v. 24.1.2018, XII ZB 141/17, NJW 2018, 71 [17], S. 1255 Rn. 11).
Das Betreuungsgericht entscheidet durch Beschluss. Der Beschluss hat den Kreis der einwilligungsbedürftigen Willenserklärungen exakt zu bezeichnen (§ 286 Abs. 2 FamFG) und muss auch Angaben zum Zeitpunkt der Überprüfung des Einwilligungsvorbehalts machen (§ 286 Abs. 3 FamFG). Das Betreuungsgericht hat die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts spätestens nach 7 Jahren zu überprüfen, wurde er gegen den erklärten Willen der oder des Betreuten angeordnet bereits nach 2 Jahren (§§ 294 Abs. 3, 295 Abs. 2 FamFG).
7 Quellenangaben
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Heitmann, Ernst und Niklas Füchtenkord, 2021. BGB § 1903. In: Barbara Dauner-Lieb, Thomas Heidel und Gerhard Ring, Hrsg. NomosKommentar BGB Familienrecht Band 4: §§ 1297–1921. 4. Auflage. Baden-Baden: Nomos. ISBN 978-3-8487-4990-4 [Rezension bei socialnet]
Kemper, Rainer, 2024. BGB § 1825. In: Reiner Schulze, Heinrich Dörner, Ina Ebert, Martin Fries, Siegfried Friesen, Andreas Himmen, Thomas Hoeren, Rainer Kemper, Ingo Saenger, Alexander Scheuchmehr, Christoph Schreiber, Hans Schulte-Nölke, Ansgar Staudinger und Volker Wiese, Hrsg. Bürgerliches Gesetzbuch. 12. Auflage. Baden-Baden: Nomos. ISBN 978-3-7560-0580-2
Krätzschel, Holger, 2022. Teil 1. Materiell-rechtliche Grundlagen des Verfahrens, § 8 Die Errichtung der Verfügung von Todes wegen. In: Holger Krätzschel, Melanie Falkner undChristoph Döbereiner. Nachlassrecht. 12. Auflage. München: C.H.Beck. ISBN 978-3-406-77874-2 [Rezension bei socialnet] [rezension bei socialnet]
Müller-Engels, Gabriele, 2024. BGB § 1825. In: Wolfgang Hau und Roman Poseck, Hrsg. Beck’scher Online-Kommentar BGB [online]. 70. Edition. München: C.H.Beck [Zugriff am: 25.06.2024]. Verfügbar unter: https://beck-online.beck.de/?vpath=bibdata%2fkomm%2fBeckOKBGB_62%2fBGB%2fcont%2fBECKOKBGB%2eBGB%2eP1901%2eglII%2ehtm
Röchling, Walter, 2023. Grundlagen und Schwerpunkte des Betreuungsrechts für die Soziale Arbeit: Die betreuungsrechtliche Praxis nach der Betreuungsrechtsreform. Weinheim: Beltz Juventa. ISBN 978-3-7799-7254-9 [Rezension bei socialnet]
Schneider, Angie, 2024. BGB § 1814. In: Franz Jürgen Säcker, Roland Rixecker, Hartmut Oetker und Bettina Limperg, Hrsg. Münchener Kommentar zum BGB. Band 10 Familienrecht II. §§ 1589–1921 – SGB VIII. 9. Auflage, München: C.H. Beck. ISBN 978-3-406-76670-1
Spickhoff, Andreas, 2021. BGB § 108. In: Franz Jürgen Säcker, Roland Rixecker, Hartmut Oetker und Bettina Limperg, Hrsg. Münchener Kommentar zum BGB. Band 1 Allgemeiner Teil. §§ 1–240 – Allg. PersR – ProstG – AGG. 9. Auflage. München: C.H.Beck. ISBN 978-3-406-76671-8
Zimmermann, Walter, 2023. Betreuung und Erbrecht – Der Betreute als Erbe oder Erblasser. 3. Auflage. Bielefeld: Gieseking. ISBN 978-3-7694-1281-9 [Rezension bei socialnet]
8 Literaturhinweise
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Fröschle Tobias und Katharina Pelkmann, 2022. Studienbuch Betreuungsrecht. 5. Auflage. Köln: Reguvis. ISBN 978-3-846-21327-8
Lorenz, Annegret, 2022. Zivil- und familienrechtliche Grundlagen der Sozialen Arbeit. 4. Auflage. Baden-Baden: Nomos. ISBN 978-3-8487-8692-3
Thar, Jürgen und Wolfgang Raak, 2018. Leitfaden Betreuungsrecht. 7. Auflage. Köln: Reguvis. ISBN 978-3-8462-0934-9 [Rezension bei socialnet]
Zimmermann, Walter, 2020. Ratgeber Betreuungsrecht. 11. Auflage. München: C.H.Beck. ISBN 978-3-406-73913-2
Fachzeitschriften
Betreuungsrecht aktuell (BtR). München: C.H.Beck. ISSN 2750-7289
Betreuungsrechtliche Praxis (BtPrax). Köln: Reguvis. ISSN 0942-2390
Neue Zeitschrift für das Familienrecht (NZFam). München: C.H.Beck. ISSN 2198-2333
Zeitschrift für das gesamte Familienrecht (FamRZ). Bielefeld: Ernst und Werner Gieseking. ISSN 0044-2410
9 Informationen im Internet
- Betreuungsgerichtstag, Online-Lexikon Betreuungsrecht
- Bundesverband der Berufsbetreuer/​innen
- Institut für Betreuungsrecht
Verfasst von
Prof. Dr. Annegret Lorenz-Ruffini
Professorin für Recht mit Schwerpunkt Familien- und Ausländerrecht am Fachbereich Gesundheits- und Sozialwesen der Hochschule Ludwigshafen am Rhein
Ältere Lexikonartikel siehe unter Annegret Lorenz.
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Zitiervorschlag
Lorenz-Ruffini, Annegret,
2024.
Einwilligungsvorbehalt [online]. socialnet Lexikon.
Bonn: socialnet, 02.10.2024 [Zugriff am: 26.01.2025].
Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/26932
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