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Elternbildung

Dr. Erika Butzmann

veröffentlicht am 01.08.2024

Elternbildung unterstützt Eltern durch Bildungsangebote bei der Bewältigung ihres Familienalltags und der Entwicklung ihrer Elternrolle.

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Formen der Elternbildung
    1. 2.1 Elternbildung in der frühen Familienphase
    2. 2.2 Elternbildung für bildungsgewohnte Eltern
    3. 2.3 Elternbildung für bildungsungewohnte Eltern
  3. 3 Elternbildung als besondere Form der Erwachsenenbildung
  4. 4 Erreichbarkeit von Eltern für Bildungsangebote
  5. 5 Gesellschaftliche Bedeutung der Elternbildung
  6. 6 Bildungspolitischer Einfluss auf die Elternbildung
  7. 7 Quellenangaben
  8. 8 Literaturempfehlungen

1 Zusammenfassung

Elternbildung zielt auf die Vermittlung pädagogischer, psychologischer und sozialwissenschaftlicher Wissensbestände, die auf konkrete Alltagssituationen bezogen sind, um die Beziehungs- und Erziehungsfähigkeit von Eltern nachhaltig zu verbessern und zu fördern. Die angebotenen Themen decken den gesamten Bereich des Familienlebens ab. Neben Erziehungsthemen gehören Partnerschaftsthemen dazu, denn diese beeinflussen das Elternsein besonders stark (Ahnert 2023, S. 108) und spielen bei allen Familienformen eine Rolle. Elternbildung grenzt sich damit ab von Elterntrainingsprogrammen, deren Schwerpunkte auf der Vermittlung von Kompetenzen für den Umgang mit Konfliktsituationen im Familienalltag liegen (Tschöpe-Scheffler 2003, S. 114). Elternbildung geht darüber hinaus, indem sie spezielle Themenangebote macht, wie z.B. Entwicklung von Empathie und sozialem Verstehen, Entwicklung der Selbstständigkeit, Selbstwertgefühl und kindliches Lügen, Demokratieverständnis, entwicklungsbedingte Kinderängste, Geschwisterbeziehungen, Vorbildlernen oder auch die Themen Väter- und Mütterrollen in der heutigen Gesellschaft.

Zentral für die Elternbildung ist es, die Erfahrungen der Eltern aufzugreifen und mit wissenschaftlichen Forschungsergebnissen zu verbinden. Über den Dialog während der Durchführung von Bildungsveranstaltungen sollen tiefgehende Lern- und Bildungsprozesse in Gang gesetzt werden, die den Familienalltag erleichtern und die Entwicklung der Kinder fördern. Damit unterscheidet sich diese Form der Elternbildung von der in Printmedien und digitalen Medien.

2 Formen der Elternbildung

Die Form der Elternbildung richtet sich nach der anzusprechenden Zielgruppe. Je nach Familienphase kommen bestimmte Inhalte und Formen infrage. Dabei muss das Setting ebenso passen wie der zeitliche Rahmen.

2.1 Elternbildung in der frühen Familienphase

Die frühe Familienphase kann für Eltern hoch belastend sein durch die ungewohnten neuen Aufgaben. Das Nationale Zentrum für Frühe Hilfen ist seit 2012 aktiv, um belastete Eltern in dieser Zeit zu unterstützen. Da in den ersten drei Lebensjahre wichtige Weichen für das weitere Leben gestellt werden (Pauen und Roos 2017, S. 13), ist Elternbildung auch für wenig belastete Eltern eine Option.

Für diese Eltern ist es am effektivsten, wenn sie gemeinsam mit ihren Säuglingen und Kleinkindern an Bildungsveranstaltungen teilnehmen können. Entwicklungspsychologische Inhalte können dann direkt auf das Verhalten der anwesenden Kinder bezogen und die Erfahrungen der Eltern einbezogen werden. Gleichzeitig müssen die Eltern für diese Zeit keine Kinderbetreuung organisieren. Die Anzahl der Teilnehmenden ist wegen der Kinder zu begrenzen, der Raum muss kindgerecht sein und der Zeitrahmen zur üblichen Wachphase der Kinder passen.

2.2 Elternbildung für bildungsgewohnte Eltern

Für bildungsgewohnte Eltern gibt es themenbezogene Vorträge, Seminare und Kurse im Angebot unterschiedlicher Bildungsträger, wie der Volkshochschulen, kirchlicher Bildungsträger oder des paritätischen Bildungswerks. Darüber hinaus gab es in der Vergangenheit Tages-, Wochenend- und Bildungsurlaubsseminare, bei denen die Kinder betreut oder auch einbezogen wurden. Bei der inhaltlichen Einbeziehung der Kinder entsprachen die Veranstaltungen den Zielen der Familienbildung in besonderer Weise. Sie gehörten zwischen 1980 und 2014 zu den Programmen der niedersächsischen Volkshochschulen, sie werden inzwischen nicht mehr finanziert.

2.3 Elternbildung für bildungsungewohnte Eltern

Für bildungsungewohnte Eltern und diejenigen, die über § 16 SGB VIII von der Familienhilfe der Jugendämter betreut werden, gibt es vielfältige Träger und Programme, die Familienbildung anbieten.

Das Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) hat mit seinem umfassenden niedrigschwelligen Angebot für Familien in belasteten Lebenslagen die Kinder bis zu drei Jahren im Fokus. Diese Familien benötigen jedoch weiterhin Unterstützung bei der Erziehung der Kinder ab drei Jahre.

Diese Eltern können über Mitarbeitende der Familienhilfe an Angebote der Elternbildung herangeführt werden, wenn ein Vertrauensverhältnis zu den betreuten Familien vorhanden ist. Möglichkeiten dafür sind zum Beispiel Tages-Seminare in einem Tagungshaus, wo die Kinder betreut werden können, während die Eltern an den Veranstaltungen teilnehmen. Für sie ist dann das Einlassen auf Bildungsprozesse möglich, auch durch eine angenehme Umgebung und den Kontakt mit anderen Eltern in ähnlichen Problemlagen (Butzmann 2011, S. 140–161). Zur Herstellung eines Vertrauensverhältnisses zu den Eltern ist eine Seminarleitung von außen ohne Berichtszwang an das Jugendamt notwendig. Der § 16 SGB VIII bietet die Grundlage für jede Form der Elternbildung insbesondere für Hochrisikofamilien.

3 Elternbildung als besondere Form der Erwachsenenbildung

Da mit den Inhalten von Elternbildungsveranstaltungen das Selbstverständnis der Eltern direkt berührt wird, müssen die Inhalte methodisch und didaktisch aufbereitet werden, um die persönliche Betroffenheit aufzufangen. Das bedeutet, Dozent:innen der Elternbildung müssen eine wissenschaftliche Ausbildung haben, um alle Möglichkeiten nutzen zu können, die spezifische Forschungen zur Methodik und Didaktik der Erwachsenenbildung zur Verfügung stellen (Arnold/Schüßler 2003). So kann die persönliche Betroffenheit der Eltern durch die Inhalte der Bildungsveranstaltung während des gesamten Lernprozesses berücksichtigt werden.

Diese anspruchsvolle Aufgabe benötigt neben den wissenschaftsbasierten Kenntnissen aus Pädagogik, Psychologie und Lernforschung ausreichende Praxiserfahrungen. Das gilt besonders für Bildungsveranstaltungen mit Hochrisikofamilien, wo die Herstellung einer tragfähigen Beziehung zu jedem Teilnehmenden gleich zu Beginn für den erfolgreichen Verlauf des ganzen Seminars entscheidend ist. Die Inhalte müssen genau auf die Erfahrungen der Eltern passen, damit diese Neues über ihre Kinder und sich selbst lernen können. Die Praxiserfahrungen stehen hier im Mittelpunkt und die Sprache der Seminarleitung muss an die Sprache der Eltern angepasst werden (Butzmann 2011, S. 147).

4 Erreichbarkeit von Eltern für Bildungsangebote

Viele unterschiedliche Voraussetzungen müssen vorhanden sein, um Eltern für Bildungsveranstaltungen zu gewinnen. In erster Linie geht es um ein ausreichendes Problembewusstsein. Zusätzlich müssen die entstehenden Kosten gedeckt und die Bildungsveranstaltung muss gut erreichbar sein (Fischer und Gorges 2023).

Probleme im Verhältnis zwischen den Eltern und den Kindern tauchen vor allem dann auf, wenn die Eltern selbst eine schwierige Kindheit hatten (Strüber 2019, S. 154 f.). Diese Eltern sind zu erreichen, wenn sie ihre Kinder als deutlich auffällig erleben (Fischer und Gorges 2023).

Über dieses Erreichbarkeitsproblem hinaus verhindert die steigende Flexibilisierung der Erwerbsarbeit, Elternbildung in Anspruch zu nehmen. Dafür fehlt oftmals die Zeit (Fischer und Gorges 2023). Erst wenn starke Belastungen im Familienalltag die Eltern an ihre Grenzen bringen, ist die Motivation vorhanden, Elternbildungsveranstaltungen aufzusuchen. Dann hängt es davon ab, ob ein Bildungsträger vor Ort das passende Angebot hat. Es spielen dementsprechend mehrere Unwägbarkeiten eine Rolle, die beeinflussen, ob und wie Eltern erreicht werden und Elternbildung befördert wird.

5 Gesellschaftliche Bedeutung der Elternbildung

Es ist unstrittig, dass Elternbildung mit ihrer präventiven Wirkung eine hohe Bedeutung für die gesellschaftliche Entwicklung hat. Elternbildung als eine anerkannte Leistung der Gesellschaft über die bisher aktiven Bildungsträger, die interessierte Eltern problemlos erreichen kann, könnte viele gesellschaftliche Probleme aus der Welt geschaffen. Lehrer könnten sich wieder mehr der Bildung der Kinder widmen, die Kosten für Therapien würden sich ebenso wie die Sozialkosten verringern. Darüber hinaus würden in vielen anderen Bereichen Kosten wegfallen, wenn der Einzelne aufgrund einer zuträglichen Kindheit mehr Verantwortung für das eigene Verhalten übernehmen kann.

6 Bildungspolitischer Einfluss auf die Elternbildung

Die Bildungspolitik beeinflusst Elternbildung durch die Finanzierung. Seit Einführung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung der Kinder ab dem ersten Geburtstag im Jahr 2013 wurde die finanzielle Unterstützung von Elternbildung zurückgefahren zugunsten der Finanzierung der sachlichen und personellen Voraussetzungen für die Bildung der Kinder in Krippen und Kitas.

Der Nachweis des Erfolgs besonders der frühen institutionellen Bildung ist bisher nicht erbracht (Verbeck 2024, S. 28). Die universitäre Ausbildung von Erzieher:innen kann an 60 Hochschulen aufgenommen werden, Eltern- und Familienbildung wird dagegen nur noch an den Hochschulen in Köln und Düsseldorf angeboten.

7 Quellenangaben

Ahnert, Lieselotte, 2023. Auf die Väter kommt es an: Wie ihr Denken, Fühlen und Handeln unsere Kinder von Anfang an prägen. Berlin: Ullstein. ISBN 978-3-5502-0209-4

Arnold, Rolf und Ingeborg Schüßler, Hrsg. 2003. Ermöglichungsdidaktik. Baltmannsweiler: Schneider. ISBN 978-3-8340-1441-2

Butzmann, Erika, 2011. Elternkompetenzen stärken: Bausteine für Elternkurse. München: Ernst Reinhardt. ISBN 978-3-4970-2215-1

Fischer, Franzisca P. und Julia Gorges, 2023. Warum wollen Eltern (nicht) an Elternbildung teilnehmen? Analyse der Rolle von Bildungsniveau und Migrationshintergrund für die elterlicher Motivation zur Teilnahme an Elternbildung. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. 26(3), S. 813–841. ISSN 1862-5215

Pauen, Sabina und Janette Roos, 2017. Entwicklung in den ersten Lebensjahren (0 – 3 Jahre). München: Reinhardt. ISBN 978-3-497-02690-6 [Rezension bei socialnet]

Strüber, Nicole, 2019. Risiko Kindheit: Die Entwicklung des Gehirns verstehen und Resilienz fördern. Stuttgart: Klett-Cotta. ISBN 978-3-6089-6287-1

Tschöpe-Scheffler, Sigrid, 2003. Elternkurse auf dem Prüfstand: Wie Erziehung wieder Freude macht. Opladen: Leske + Budrich. ISBN 978-3-322-83415-7

Verbeek, Veronika, 2024. Die neue Kindheitspädagogik: Chancen, Risiken, Irrwege. Stuttgart: Kohlhammer. ISBN 978-3-1704-3639-8

8 Literaturempfehlungen

Fischer, Veronika, 2023. Familienbildung [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 12.06.2023 [Zugriff am: 01.08.2024]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/1697

Tschöpe-Scheffler, Sigrid, Hrsg. 2006. Konzepte der Elternbildung – eine kritische Übersicht. 2. Auflage. Opladen: Babara Budrich, ISBN 978-3-86649-046-8 [Rezension bei socialnet]

Müller-Giebler, Ute und Michaela Zufacher, 2022. Familienbildung – Praxisbezogene, empirische und theoretische Perspektive. Weinheim: Beltz, ISBN 978-3-7799-6378-3 [Rezension bei socialnet]

Verfasst von
Dr. Erika Butzmann
Entwicklungspsychologin
Erziehungswissenschaftlerin
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Es gibt 6 Lexikonartikel von Erika Butzmann.

Zitiervorschlag
Butzmann, Erika, 2024. Elternbildung [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 01.08.2024 [Zugriff am: 11.09.2024]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/407

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