Elternkompetenz
Prof. Dr. Marius Metzger
veröffentlicht am 26.02.2025
Elternkompetenz meint die Fähigkeit von Eltern, unter Rückgriff auf Wissen und Können, Handlungsbereitschaft zu erlangen, um das Kindeswohl langfristig sichern zu können.
Überblick
- 1 Elemente elterlichen Handelns
- 2 Elterliches Wissen und Können
- 3 Inanspruchnahme von Hilfe als Ausdruck elterlicher Kompetenz
- 4 Transmitterwirkung handlungsbezogener Kompetenzen
- 5 Quellenangaben
1 Elemente elterlichen Handelns
Im Fachdiskurs besteht keineswegs Einigkeit darüber, durch welche Art von Handeln Eltern dem Anspruch bestmöglich gerecht werden können, das Wohl des Kindes zu sichern (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 2011, S. 37 ff.). Einen aussichtsreichen Vorschlag findet sich bei Hoghughi (2004, S. 6), der mit „Fürsorge“, „Monitoring“ und „Förderung“ Kern-Elemente elterlichen Handelns identifiziert.
- Elterliche Fürsorge bezieht sich auf jene Handlungen, welche die Befriedigung von existenziellen Bedürfnissen des Kindes zum Ziel haben, wie die Versorgung mit Nahrung.Die elterliche Fürsorge bezieht allerdings nicht ausschließlich auf die physische Fürsorge, sondern umfasst auch die emotionale Fürsorge (z.B. feinfühlige Reaktion auf kindliche Lebensäußerungen) und die soziale Fürsorge (z.B. Unterstützung bei der Erschließung sozialer Kontakte).
- Elterliches Monitoring beschreibt das Ausmaß der Informiertheit über die Aktivitäten und das Befinden des Kindes und durchaus auch deren Beeinflussung. Das Kontroll- und Aufsichtsverhalten der Eltern läuft dabei allerdings weitgehend ins Leere, wenn sich die Kinder nicht darauf einlassen.
- Elterliche Förderung ist darauf gerichtet, das eigene Kind bei der Entwicklung seiner Fähigkeiten und Interessen angemessen zu unterstützen und auch herauszufordern. Neben der Erschließung von vergleichsweise einfach zugänglichen Lern- und Entwicklungsräumen fördern Eltern ihre Kinder auch dadurch, indem sie ihnen helfen, schwieriger zugängliche Lern- und Entwicklungsräume zu erschließen.
Elterliches Handeln entlang dieser Kernelemente ist allerdings nur möglich, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind. So können Ereignisse wie die Erkrankung der Eltern das elterliche Handeln einschränken, obwohl Elternkompetenzen zur Realisierung dieser Kernelemente eigentlich vorhanden wären.
2 Elterliches Wissen und Können
Zur Wahrnehmung dieser Kernelemente wird neben dem Vermögen und der Bereitschaft für das elterliche Handeln Wissen und Können benötigt. Neben dem informell tradierten Wissen und Können besteht für Eltern auch die Möglichkeit, sich dieses Wissen und Können im Rahmen nonformaler Bildungsangebote (vgl. Eltern- und Familienbildung) anzueignen. Hierfür macht Fuhrer (2007, S. 274 ff.) einen vielbeachteten Vorschlag, indem er jene elterlichen Kompetenzen ausweist, die seines Erachtens zentral sind. Er unterscheidet zwischen:
- Entwicklungskompetenzen, unter denen das Wissen um entwicklungsbezogene und bedürfnisgerechte Erfordernisse und Unterstützung der Kinder verstanden werden sollen.
- Erziehungskompetenzen, die sich auf die Fähigkeit zu einem entwicklungsförderlichen Umgang mit dem Kind auf der Grundlage einer stabilen Eltern-Kind-Beziehung beziehen.
- Selbstkompetenzen, unter denen die Fähigkeit zum eigenständigen und verantwortlichen Handeln verstanden werden sollen, um auch über die Reflexion des eigenen und fremden Handelns eigene Handlungsmöglichkeiten zu entdecken und zu erweitern.
- Beziehungskompetenzen, die sich auf die Fähigkeit der Eltern zur Gestaltung einer tragfähigen Paarbeziehung beziehen, um kindliche Bedürfnisse bestmöglich befriedigen zu können.
- Familienkompetenzen, unter denen die Fähigkeit einer Familie zu verstehen ist, dank des familiären Zusammenhalts und der gegenseitigen Unterstützung ihrer Funktion als primäre Sozialisationsinstanz gerecht zu werden, damit Kinder Werte und Normen vermittelt werden.
Über diese Kompetenzen hinaus erachtet Fuhrer (2007, S. 274 ff.) das soziale Netzwerk von Familien respektive deren Komponenten als wichtige Voraussetzung, damit diese Kompetenzen überhaupt zum Tragen kommen können.
3 Inanspruchnahme von Hilfe als Ausdruck elterlicher Kompetenz
Stoßen Eltern mit der Bewältigung von elterlichen Aufgaben an ihre Grenzen, steht ihnen die Möglichkeit offen, Unterstützung zu beanspruchen. Diese Suche nach Unterstützung wird in der Regel allerdings nicht als Ausdruck elterlicher Kompetenz gewürdigt, da vielmehr erst nach der Feststellung von elterlicher Inkompetenz ein Unterstützungsanspruch entsteht. Statt einer Würdigung des kompetenten Elternhandelns wird stattdessen also ebendieses Elternhandeln als Inkompetenz umgedeutet.
Es stellt eine bekannte Strukturproblematik der Jugendhilfe dar, dass sich erst durch die Prüfung der Bedürftigkeit von Eltern respektive der Feststellung eines Defizits ein Anspruch auf Hilfe ergibt. Schrödter (2020) sieht als wichtigsten Grund für diese Etablierung der Bedürftigkeitsprüfung die Defizitorientierung in der modernen Jugendhilfe: Zwar wird das Defizit nicht ausdrücklich in einem individuellen Unvermögen oder Versagen der Eltern (oder der Kinder) gesucht, sondern durchaus auch in den sozialen Bedingungen. Schrödter weist aber zurecht darauf hin, dass es fraglich sei, ob „[…] gesellschaftlich und rechtlich letztlich nicht doch von Eltern erwartet und ihnen als ‚Kompetenz‘ zugeschrieben wird, langfristig mit schwierigen Bedingungen wieder klarzukommen […]“ (2020, S. 7) – schließlich haben die Hilfen zur Erziehung nach dem Willen des Gesetzgebers das erklärte Ziel, eine Verbesserung der elterlichen Kompetenz herbeizuführen.
4 Transmitterwirkung handlungsbezogener Kompetenzen
Im Umkehrschluss bedeutet dies nun allerdings nicht, dass kompetente Eltern immer dann Unterstützung beanspruchen, wenn sie solche benötigen und lediglich inkompetente Eltern nicht. Insbesondere bei mehrfachbelasteten Eltern verhindert ebendiese Mehrfachbelastung vielfach die Inanspruchnahme von Unterstützung, da diese auf die Verbindung zwischen beabsichtigter und tatsächlicher Inanspruchnahme einwirken kann. So geht aus der Studie von Franzke und Schultz hervor: „Handlungsbezogene Kompetenzen wirken jedoch nicht direkt, sondern vielmehr indirekt als Transmitter auf die Inanspruchnahme […]. Sie bilden die Schnittstelle von der Handlungsabsicht in die konkrete Handlung und sind nicht losgelöst von den Lebensbedingungen der Familien“ (2016, S. 63).
Da Kompetenz lediglich das Vermögen und die Bereitschaft meint, unter Rückgriff auf Wissen und Können aktiv zu werden, aber nicht mit dem tatsächlich gezeigten Handeln gleichzusetzen ist, erscheint die ausbleibende Inanspruchnahme von Unterstützung bei mehrfachbelasteten Eltern auch nicht verwunderlich, da ebensolche Mehrbelastungen die Umsetzung in Handlung behindern kann. Verwunderlich erscheint dagegen die häufig anzutreffende Praxis, mehrfachbelasteten Eltern Inkompetenz zuzuschreiben, ohne die Wirkdynamik von Mehrbelastung auf die Elternkompetenz ausreichend zu berücksichtigen.
5 Quellenangaben
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 2011. Gesundheitsfördernde Elternkompetenzen [online]. Frankfurt am Main: DIPF – Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation [Zugriff am: 13.02.2025]. Verfügbar unter: https://www.fachportal-paedagogik.de/literatur/​vollanzeige.html?FId=3137400
Franzke, Annette und Annett Schultz, 2016. Früh übt sich … – Bedingungen und Formen der Inanspruchnahme von Familien mit dreijährigen Kindern. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung
Fuhrer, Urs, 2007. Erziehungskompetenz: Was Eltern und Familien stark macht. Bern: Huber. ISBN 978-3-456-84370-4 [Rezension bei socialnet]
Hoghughi, Masud, 2004. Parenting – An Introduction. In: Masud Hoghughi und Nicholas Long, Hrsg. Handbook of Perenting: Theory and research practice. London: Sage Publications, S. 1–18. ISBN 978-0-7619-7104-7
Schrödter, Mark, 2020. Bedingungslose Jugendhilfe: Von der selektiven Abhilfe defizitärer Elternschaft zur universalen Unterstützung von Erziehung. Wiesbaden: Springer VS. ISBN 978-3-658-28535-7 [Rezension bei socialnet]
Verfasst von
Prof. Dr. Marius Metzger
Verantwortlicher Kompetenzzentrum Erziehung, Bildung und Betreuung in Lebensphasen am Institut für Sozialpädagogik und Bildung der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit
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