Fachkräftemangel
Dr. Günther Vedder
veröffentlicht am 01.08.2025
Der Begriff Fachkräftemangel beschreibt eine Situation auf dem Arbeitsmarkt, in welcher die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften das Angebot übersteigt. Im Gegensatz zum temporären Fachkräfteengpass zeigt sich Fachkräftemangel dann, wenn Stellen für Fachkräfte auch nach diversen Ausschreibungen dauerhaft nicht mehr qualifiziert besetzt werden können.
Überblick
- 1 Zusammenfassung
- 2 Grundlegende Begriffe
- 3 Messung des Fachkräftemangels
- 4 Betroffene Branchen und Regionen
- 5 Ursachen und Folgen des Fachkräftemangels
- 6 Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel
- 7 Quellenangaben
- 8 Literaturhinweise
1 Zusammenfassung
In Deutschland werden alle berufstätigen Personen als Arbeitskräfte bezeichnet, während Fachkräfte eine spezifische Gruppe darstellen, die mindestens eine zweijährige Berufsausbildung oder einen akademischen Abschluss vorweisen können. Der Fachkräftemangel wird als Missverhältnis zwischen der Arbeitsnachfrage und dem Angebot qualifizierter Arbeitskräfte definiert, jedoch gibt es keine allgemeingültige Messgröße. In der Arbeitsmarktforschung wird der Fachkräftemangel anhand von Indikatoren wie Vakanzzeiten oder dem Verhältnis von Arbeitssuchenden zu offenen Stellen erfasst.
Besonders vom Fachkräftemangel betroffen sind verschiedene Berufsgruppen (wie Bau- und Handwerksberufe, Berufe in der Altenpflege, Berufskraftfahrer:innen, Köche und Köchinnen…), deren Engpasssituationen sich im Zeitverlauf verändern können. Regionale Unterschiede, vor allem in strukturschwachen Gebieten, verschärfen das Problem.
Die Ursachen des Fachkräftemangels sind vielfältig: die demografische Entwicklung, ein Mismatch zwischen Qualifikationen und Anforderungen sowie der globale Wettbewerb um Arbeitskräfte gehören mit dazu. Der Mangel hat verschiedene wirtschaftliche Folgen, wie eine höhere Arbeitsbelastung der vorhandenen Arbeitskräfte, Qualitätsverluste und Produktivitätseinbußen.
Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, sind sowohl kurzfristige als auch langfristige Maßnahmen notwendig. Dazu zählen die Förderung der Zuwanderung, die Verbesserung der Berufsausbildung, die Erschließung ungenutzter Arbeitspotenziale im Inland (z.B. ältere oder teilzeitbeschäftigte Menschen) und die Förderung der beruflichen Weiterbildung. Zudem bietet die Digitalisierung, etwa durch Automatisierung und Künstliche Intelligenz, das Potenzial, den Fachkräftemangel zu mildern.
2 Grundlegende Begriffe
Als Arbeitskräfte werden in Deutschland alle arbeitsfähigen Personen unabhängig von deren formaler Qualifikation bezeichnet. Die Gruppe der Fachkräfte umfasst sowohl Menschen mit einer anerkannten mindestens zweijährigen Berufsausbildung als auch Personen mit einem anerkannten akademischen Abschluss. Fachkräfte sind also eine Teilmenge der Arbeitskräfte in einer Volkswirtschaft.
Zu den Erwerbstätigen werden alle Menschen gezählt, die als Arbeitnehmer:innen (Arbeiter:innen, Angestellte, Beamt:innen, Soldat:innen, geringfügig Beschäftigte) oder als Selbstständige beziehungsweise als mithelfende Familienangehörige eine auf wirtschaftlichen Erwerb ausgerichtete Tätigkeit ausüben. Erwerbstätige und Erwerbslose bilden zusammen die Erwerbspersonen. Gemeinsam mit den Angehörigen der sogenannten Stillen Reserve (Personen, die prinzipiell arbeiten würden, aber sich aktuell nicht um eine Stelle bemühen) ergibt sich daraus das Erwerbspersonenpotenzial (Bott et al. 2011, S. 12).
Für den Fachkräftemangel gibt es leider keine allgemeingültige Definition und auch keine Kennzahl, die objektiv auf einen Engpassberuf hinweist. Vielmehr ist das Vorliegen eines Fachkräfteengpasses häufig auch eine subjektive Einschätzung, die je nach Branche, Beruf und Unternehmensgröße sehr unterschiedlich ausfallen kann.
In der Arbeitsmarktforschung wird dann von einem Fachkräftemangel gesprochen,
„wenn es im Verhältnis zur Arbeitsnachfrage zu wenige passend qualifizierte Arbeitskräfte bzw. zu wenige den Anforderungen entsprechend qualifizierbare Arbeitskräfte gibt“ (Bundesagentur für Arbeit 2020, S. 5).
Das Institut der deutschen Wirtschaft definiert den Begriff folgendermaßen:
„Ein Fachkräftemangel liegt dann vor, wenn das Angebot passend qualifizierter Arbeitskräfte in einem bestimmten Beruf in einer bestimmten Region kleiner ist als die Arbeitsnachfrage der Arbeitgeber“ (Burstedde et al. 2020, S. 6).
Die Menge der nachgefragten, aber nicht vorhandenen Fachkräfte wird als Fachkräftelücke bezeichnet. In der Diskussion um den Fachkräftemangel ist in abgeschwächter Form gelegentlich von Fachkräfteengpässen die Rede. Fachkräfteengpässe beschreiben ein temporäres Missverhältnis zwischen Arbeitsnachfrage und Arbeitsangebot und berücksichtigen unterschiedliche Ausprägungen zum Beispiel nach Betriebsgröße und Branche (Fraunhofer IAO 2023, S. 5).
3 Messung des Fachkräftemangels
Für die Messung des Fachkräftemangels werden Angaben zum Arbeitskräfteangebot und zur Arbeitskräftenachfrage benötigt. Idealerweise wird dabei nicht nur die gesamte Volkswirtschaft betrachtet, sondern es sind Differenzierungen nach
- Branchen (z.B. Maschinenbau),
- Berufsaggregaten (z.B. Maschinenbau- und Betriebstechnik) oder
- Berufen (z.B. Maschinenbau-Ingenieur:in) möglich.
Die Daten zum Fachkräftebedarf stammen zum Beispiel aus dem IAB-Betriebspanel oder aus branchenbezogenen Unternehmensbefragungen. Arbeitgeber machen dort unter anderem Angaben zu den Stellen, die in einem bestimmten Zeitraum nicht besetzt werden konnten (Burstedde et al. 2020, S. 7).
Für die Arbeitsangebotsseite sind zunächst einmal alle verfügbaren arbeitslosen Menschen von Bedeutung, die eine Beschäftigung zeit- und ortsnah aufnehmen können. Das ist nur ein Teil der ausgewiesenen Arbeitslosen in Deutschland. Die Bundesagentur für Arbeit unterscheidet in ihrer Engpassanalyse zwischen diesen arbeitslosen Arbeitssuchenden und den nicht-arbeitslosen Arbeitssuchenden (Bundesagentur für Arbeit 2020). Zu der letztgenannten Gruppe gehören zum Beispiel Erwerbstätige mit einem Veränderungswunsch, Personen am Ende ihrer Ausbildung oder auch Menschen aus der Stillen Reserve, die der Bundesagentur für Arbeit einen Vermittlungsauftrag erteilt haben. Für die Messung des Fachkräftemangels ist also die Verfügbarkeit der Arbeitskräfte ein zentrales Kriterium.
Verschiedene Institute ziehen für ihre Studien unterschiedliche Indikatoren zur Messung des Fachkräftemangels heran.
Die Fachkräfteengpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit analysiert zum Beispiel die
- Vakanzzeit (durchschnittliche Dauer, bis eine offene Stelle besetzt ist),
- Arbeitssuchenden-Stellen-Relation (Verhältnis von Arbeitssuchenden zu offenen Stellen)
- Entgeltentwicklung (Veränderung der mittleren Löhne in bestimmten Berufsgruppen)
- Abgangsrate aus der Arbeitslosigkeit (wie schnell finden Arbeitslose eine neue Beschäftigung).
Darüber hinaus werden
- Risikoindikatoren (Absolventen-Beschäftigten-Relation, Substituierbarkeitspotenzial…) und
- Ergänzungsindikatoren (Teilzeitquote, berufliche Mobilität…) erfasst.
Es werden pro Indikator bestimmte Grenzwerte festgelegt, die für oder gegen einen Fachkräfteengpass sprechen (zum Beispiel: Eine Stelle bleibt mehr als 80 Tage unbesetzt). Die Bundesagentur für Arbeit nutzt also vor allem objektive Arbeitsmarktdaten und quantitative Indikatoren (Bundesagentur für Arbeit 2024).
Das Institut der deutschen Wirtschaft (Burstedde et al. 2020) nutzt ebenfalls amtliche Daten zur Anzahl der Arbeitslosen und offener Stellen. Da jedoch nicht alle Vakanzen der Arbeitsverwaltung gemeldet werden, werden die bei den Arbeitsagenturen registrierten offenen Stellen anhand von Unternehmensbefragungen hochgerechnet. Ein Mangel liegt vor, wenn die Zahl der hochgerechneten offenen Stellen größer ist als die Zahl der Arbeitslosen.
Die KfW-Bankengruppe erhebt den Fachkräftemangel über das KfW-ifo-Fachkräftebarometer, das auf Auswertungen der ifo Konjunkturumfragen beruht (KfW Research 2024, S. 3). Dabei wird der Anteil jener Unternehmen ermittelt, die angeben, dass ihre Geschäftstätigkeit durch Fachkräftemangel behindert wird. Einmal pro Quartal werden rund 9.000 Unternehmen aus verschiedenen Wirtschaftszweigen befragt. Die Ergebnisse liefern einen Gesamtindikator zum Fachkräftemangel sowie branchenspezifische und regionale Auswertungen.
4 Betroffene Branchen und Regionen
Wenn es um das Anforderungsniveau unterschiedlicher Berufe geht, wird häufig zwischen
- Fachkräften (mindestens zweijährige Berufsausbildung)
- Spezialist:innen (Fortbildungsabschluss oder Bachelor mit wenig Berufserfahrung)
- Expert:innen (Diplom, Master, Bachelor mit viel Berufserfahrung) unterschieden (Burstedde et al. 2020, S. 17).
Die Berufe mit einem ausgeprägten Fachkräftemangel können sich dabei im Zeitverlauf verändern.
Zu den Engpassberufen zählten im Jahr 2020 auf dem Anforderungsniveau der Fachkräfte
- diverse Bau- und Handwerksberufe (Brunnenbau, Kanal- und Tunnelbau, Mechatronik, Bauelektrik…) sowie
- Berufe in der Alten-, Gesundheits- und Krankenpflege.
Im Feld der Spezialist:innen kamen folgende Berufe hinzu:
- Bau- und Handwerksberufe (Aufsichtstätigkeiten)
- Berufe in der Physiotherapie, Sprachtherapie, Geburtshilfe
- Berufe in der Speisenzubereitung und im Gastronomieservice.
Auf dem Anforderungsniveau der Expert:innen lagen die Engpassberufe z.B. in der
- Softwareentwicklung
- Steuerberatung
- Ver- und Entsorgung
- Wasserwirtschaft (Bundesagentur für Arbeit 2020, S. 41 ff.).
Im Jahr 2023 zählten auf Fachkräfteebene auch
- Berufskraftfahrer:innen,
- Zahnmedizinische Fachangestellte sowie
- Köche und Köchinnen zu den Engpassberufen.
Im sozialen Bereich blieben Stellen in der Kindererziehung (Spezialist:innen) und der Sozialarbeit/-pädagogik (Expert:innen) oft länger unbesetzt (Bundesagentur für Arbeit 2024, S. 15 ff.).
Laut KfW-ifo-Fachkräftebarometer war im Jahr 2024 insbesondere der Dienstleistungsbereich vom Fachkräftemangel betroffen. Engpässe gab es vor allem
- in der Rechts-/​Steuerberatung,
- im Transportwesen,
- in der Gastronomie und
- bei den Architektur-/​Ingenieurbüros (KfW Research 2024, S. 3).
Darüber hinaus wird in den Studien versucht, regionale Unterschiede innerhalb der Engpassberufe herauszuarbeiten (Bundesagentur für Arbeit 2024, S. 17 ff.). Es kann vorkommen, dass zum Beispiel der Arbeitsmarkt für Mechatroniker:innen in manchen Bundesländern viel angespannter ist als in anderen Gegenden Deutschlands. Vor allem in strukturschwachen, ländlichen und kleinstädtischen Regionen entstehen allerdings grundsätzliche Probleme bei der Personalbeschaffung, wenn die inländische Erwerbsbevölkerung zurückgeht und Zuwanderung nur in begrenztem Umfang stattfindet. Daher sind zum Beispiel in Ostdeutschland viele Unternehmen vom Fachkräftemangel betroffen (KfW Research 2024, S. 2).
Eine relativ hohe Arbeitslosigkeit verhindert nicht zwangsläufig, dass in diversen Berufen Fachkräftelücken entstehen. Alles hängt von der Qualifikation der Bewerber:innen ab, die zu den Anforderungen der Stellen passen müssen. Wenn zum Beispiel Banken und Versicherungen im großen Stil kaufmännisches Personal abbauen, löst das nicht den Fachkräftemangel im Pflegebereich. Auch deutliche Lohnerhöhungen in der Altenpflege führen nicht zwangsläufig dazu, dass sich mehr Personen für diesen Tätigkeitsbereich interessieren.
Das Berufswahl- und Weiterbildungsverhalten der Bevölkerung verändert sich langsamer als die Arbeitsnachfrage. Zudem ist der Arbeitsmarkt mit seinen Qualifikationsanforderungen oft nicht flexibel genug. Fachkräftemangel trotz hoher Arbeitslosenquote stellt daher keinen Widerspruch dar (Burstedde et al. 2023, S. 2).
5 Ursachen und Folgen des Fachkräftemangels
Die Ursachen des Fachkräftemangels können je nach Beruf und Region sehr unterschiedlich sein. Einige Argumente spielen allerdings fast überall eine zentrale Rolle:
- Die demografische Entwicklung in Deutschland hat zur Folge, dass in den kommenden Jahren viele ältere Menschen in den Ruhestand gehen und gleichzeitig weniger junge Menschen in den Arbeitsmarkt eintreten. Der demografische Effekt wird erst Mitte der 2030er-Jahre richtig zum Tragen kommen, wenn die Babyboomer alle in Rente sind (Fraunhofer IAO 2023, S. 5).
- Auch der allgemeine Wertewandel kann zum Fachkräftemangel beitragen, wenn zum Beispiel jüngere Beschäftigte verstärkt Teilzeit arbeiten möchten und ältere Beschäftigte frühzeitig in den Ruhestand gehen.
- Die sogenannte Mismatch-Problematik auf dem Arbeitsmarkt entsteht, wenn
- sich Arbeitssuchende und Arbeitsplätze nicht am gleichen Ort befinden,
- die Qualifikationen der Arbeitssuchenden nicht zu den offenen Stellen passen oder
- die Arbeitsbedingungen der ausgeschriebenen Stellen nicht attraktiv genug sind (Garnitz et al. 2023, S. 60).
- Im Rahmen der Globalisierung ist die Attraktivität des Standorts Deutschland für ausländische Arbeitskräfte für den Fachkräftemangel von besonderer Bedeutung. Der weltweite Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte verschärft sich seit einigen Jahren. Nur wenn die politischen, ökonomischen, bürokratischen und sozialen Rahmenbedingungen stimmen, werden sich junge Menschen aus Ländern mit Arbeitskräfte-Überschuss für eine Arbeit in Mitteleuropa entscheiden.
- Auch der Wandel der Arbeitswelt trägt zur Entstehung des Fachkräftemangels bei, wenn zum Beispiel die Spezialist:innen und Expert:innen für den aufstrebenden KI-Bereich fehlen (Fraunhofer IAO 2023, S. 6).
- Die sog. Generation Z weist bereits schwächere Jahrgänge auf. Zusätzlich können sich viele Schul- und Ausbildungsabbrecher:innen gar nicht erst für den veränderten Arbeitsmarkt qualifizieren. Dies verschärft den zu erwartenden Fachkräftemangels in den nächsten Jahrzehnten.
Die Folgen des Fachkräftemangels spüren viele Organisationen schon heute. Wenn Fachkräfte fehlen, müssen die vorhandenen Arbeitskräfte oft Mehrarbeit leisten. Diese zunehmende Arbeitsbelastung kann die Zufriedenheit und Gesundheit der Beschäftigten negativ beeinflussen (Jacobs et al. 2020, S. 52 ff.).
Personalengpässe können auch zu Qualitätsverlusten in systemrelevanten Bereichen (Bildung, Handwerk, Pflege…) führen. Wenn Unternehmen aufgrund von Fachkräftemangel keine weiteren Aufträge annehmen können oder Kapazitäten reduzieren müssen, dann führt das zu Produktivitätseinbußen (Fraunhofer IAO 2023, S. 6). Letztendlich wird dadurch das Wirtschaftswachstum in Deutschland gebremst. Um in Engpassbereichen überhaupt noch Personal rekrutieren oder halten zu können, werden häufig die Entgelte erhöht. Diese steigenden Lohnkosten beeinflussen die Betriebsergebnisse der Unternehmen.
6 Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel
Der Fachkräftemangel stellt eine komplexe Herausforderung dar, die nicht nur einzelne Branchen betrifft, sondern die gesamte wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung beeinflusst. Um langfristig Wohlstand und Stabilität zu sichern, ist ein gemeinsames Handeln von Politik, Wirtschaft und Bildungseinrichtungen notwendig. Nur durch eine Kombination aus kurzfristigen und langfristigen Maßnahmen kann der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften wirksam bekämpft werden.
Berufseinstieg erleichtern: Im Jahr 2021 beendeten 47.000 Schüler:innen ihre Schullaufbahn ohne Hauptschulabschluss und gleichzeitig verfügten 1,97 Mio. Menschen zwischen 25 und 35 Jahren über keinerlei beruflichen Bildungsabschluss (Bundesagentur für Arbeit 2023, S. 14 f.). Gleichzeitig suchten viele Arbeitgeber händeringend neue Auszubildende und qualifizierte Nachwuchskräfte. Wenn ca. 6 % eines Jahrgangs die Schule nicht abschließen und ca. 19 % der 25- bis 35-Jährigen über keinen beruflichen Bildungsabschluss verfügen, dann wirkt sich das negativ auf das Fachkräfteangebot aus.
Junge Menschen benötigen angesichts der Fülle an Möglichkeiten mehr Orientierung und Beratung auf dem Weg ins Arbeitsleben. Die Elternarbeit muss verstärkt werden und es gilt, Rollenklischees bei der Berufswahl zu reduzieren. Jugendliche mit schwierigen Startbedingungen benötigen passgenaue Hilfestellungen, um den Schul- bzw. Ausbildungsabschluss doch noch zu schaffen.
Zuwanderung zu Erwerbszwecken fördern: Eine hohe gesteuerte Zuwanderung aus Drittstaaten ist eine mögliche Option, die Fachkräftelücke langsam zu schließen. Ein Teil der Zuwanderung in den Arbeitsmarkt erfolgt relativ unproblematisch im Rahmen der EU-Binnenmigration, ein weiterer Teil über die Anwerbung von Fachkräften im außereuropäischen Ausland (Fachkräfteeinwanderungsgesetz von 2023). Weitere potenzielle Arbeitskräfte kommen im Rahmen der Fluchtmigration nach Deutschland (Fitzenberger et al. 2024, S. 6 ff.). Letztere orientiert sich allerdings nicht am hiesigen Fachkräftebedarf.
Eine erfolgreiche Integration von Fluchtmigrant:innen in den Arbeitsmarkt erfordert viel Zeit, Fördermaßnahmen und Qualifizierung. In dem gesamten Handlungsfeld setzt der Staat wichtige Rahmenbedingungen für die erforderlichen Sprachkenntnisse, die Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen oder auch die Länge des rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland.
Arbeitspotenziale im Inland erschließen: Im Jahr 2021 lag die Erwerbstätigenquote von Frauen bei 72,2 %, wobei fast 50 % der Frauen mit einer durchschnittlichen Wochenstundenzahl von 21,8 Stunden Teilzeit arbeiteten (Bundesagentur für Arbeit 2023, S. 32 f.). Die Teilnahme von Frauen am Erwerbsleben hängt nicht nur von Arbeitsbedingungen und Qualifikationen sondern auch von Rollen- und Familienbildern in der Gesellschaft sowie z.B. auch der Kinderbetreuungs-Infrastruktur ab.
Viele ältere Beschäftigte scheiden teilweise deutlich vor dem Erreichen der gesetzlichen Regelaltersgrenze aus dem Erwerbsleben aus. Auch hier gibt es ungenutzte Potenziale, die sich zum Beispiel durch mehr Gesundheitsförderung und Weiterbildung für die über 55-Jährigen nutzen ließen.
Mehr als die Hälfte der arbeitslos gemeldeten Menschen mit Schwerbehinderung verfügt über einen Berufs- oder Hochschulabschluss. Hier könnte durch eine individuellere Beratung und Förderung eine bessere Teilhabe am Arbeitsleben realisiert werden.
Darüber hinaus könnte in manchen Bereichen durch regionale Mobilität ein Ausgleich gefunden werden (Beispiel: regionaler Überschuss an Mechatroniker:innen Kap. 4).
Berufliche Weiterbildung fördern: Die Anforderungen in der Arbeitswelt verändern sich durch die zunehmende Digitalisierung und den Einsatz von künstlicher Intelligenz permanent. Die Bereitschaft zur Weiterbildung im Bereich der neuen Technologien ist daher eine wichtige Schlüsselkompetenz. Upskilling beschreibt dabei die Optimierung vorhandener Kompetenzen in einem aktuellen Tätigkeitsfeld, während sich das Reskilling auf die Umschulung von Personen für neue Berufe bezieht (Fraunhofer IAO 2023, S. 9).
Weiterbildungsaktivitäten sind insbesondere zur Flankierung des Strukturwandels von Bedeutung. Wer bei einer Bank oder Versicherung seine kaufmännische Stelle verliert, kann sich zum Beispiel für eine Stelle in der öffentlichen Verwaltung oder im IT-Bereich weiterqualifizieren. Wichtig ist auch die berufsabschlussbezogene Weiterbildung von bisherigen Helfer:innen, deren Stellen besonders vom strukturellen Wandel oder von der Verfügbarkeit neuer Technologien betroffen sind.
Produktivität steigern: Die Automatisierung von Geschäftsprozessen kann dem Fachkräftemangel entgegenwirken, birgt jedoch auch Risiken für bestimmte Beschäftigtengruppen. Während repetitive Aufgaben (wie zum Beispiel: Auskünfte zu ausgeschriebenen Stellen geben) zunehmend digitalisiert werden können, entstehen gleichzeitig neue Anforderungen an die Qualifikation der Arbeitskräfte. Das Scannen von Bewerbungsunterlagen kann von einer Künstlichen Intelligenz übernommen werden. Testverfahren im Rahmen der Personalauswahl sind online durchführbar und sehr schnell auszuwerten. Die Digitalisierung bietet insgesamt das Potenzial, den Arbeitskräftebedarf durch Produktivitätssteigerungen zu senken (Fitzenberger et al. 2024, S. 9). Der Fachkräftemangel wird diese Entwicklung forcieren, wenn Stellen nur noch schwer zu besetzen sind und die Lohnkosten für die wenigen Expert:innen permanent steigen.
7 Quellenangaben
Bott, Peter, Robert Helmrich und Gerd Zika, 2011. Arbeitskräftemangel bei Fachkräften? Eine Klärung arbeitsmarktrelevanter Begrifflichkeiten. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis (BWP) [online]. 40(3), S. 12.14 [Zugriff am: 20.06.2025]. ISSN 0341-4515. Verfügbar unter: https://www.bwp-zeitschrift.de/dienst/​publikationen/de/6672
Bundesagentur für Arbeit, Hrsg., 2023. Arbeits- und Fachkräfte für Deutschland – Gemeinsam Chancen nutzen [online]. Nürnberg: Bundesagentur für Arbeit, Juni 2023 [Zugriff am: 18.02.2025]. Verfügbar unter: https://www.arbeitsagentur.de/datei/​dok_ba022515.pdf
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Bundesagentur für Arbeit, Grundlagen: Methodenbericht, 2020. Engpassanalyse – Methodische Weiterentwicklung [online]. Nürnberg: Bundesagentur für Arbeit, April 2020 [Zugriff am: 03.06.2025]. Verfügbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/​Grundlagen/​Methodik-Qualitaet/​Methodenberichte/​Uebergreifend/​Generische-Publikationen/​Methodenbericht-Engpassanalyse-Methodische-Weiterentwicklung.pdf?__blob=publicationFile
Burstedde, Alexander, Regina Flake, Anika Jansen, Lydia Malin, Paula Risius, Susanne Seyda, Sebastian Schirner und Dirk Werner, 2020. Die Messung des Fachkräftemangels. In: IW-Report [online]. 59 [Zugriff am: 18.02.2025]. Verfügbar unter: https://www.iwkoeln.de/studien/​alexander-burstedde-regina-flake-anika-jansen-lydia-malin-paula-risius-susanne-seyda-sebastian-schirner-dirk-werner-die-messung-des-fachkraeftemangels.html
Burstedde, Alexander, Gero Kunath und Dirk Werner, 2023. Fachkräftemangel trotz Arbeitslosigkeit – kein Widerspruch. In: IW-Kurzbericht [online]. 47 [Zugriff am: 18.02.2025]. Verfügbar unter: https://hdl.handle.net/10419/​274658
Fitzenberger, Bernd, Karolin Hiesinger und Julia Holleitner, 2024. Fach- und Arbeitskräftemangel ohne Ende? In: Aus Politik und Zeitgeschichte [online]. 74(22-23), S. 4–10 [Zugriff am: 18.02.2025]. Verfügbar unter: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/fachkraeftemangel-2024/​548767/​fach-und-arbeitskraeftemangel-ohne-ende/
Fraunhofer IAO, 2023. Bewältigungsstrategien für den Fachkräftemangel [online]. Berlin: Fraunhofer-Publica [Zugriff am: 18.02.2025]. Verfügbar unter: https://publica-rest.fraunhofer.de/server/api/core/bitstreams/​c08a48b6-d400-4fba-97fe-b0a52564f3b3/​content
Garnitz, Johanna, Stefan Sauer und Daria Schaller, 2023. Arbeitskräftemangel belastet die deutsche Wirtschaft. In: ifo Schnelldienst [online]. 76(9), S. 60–64 [Zugriff am: 18.02.2025]. Verfügbar unter: https://www.ifo.de/DocDL/​sd-2023-09-garnitz-sauer-schaller-fachkraeftemangel.pdf
Jacobs, Klaus, Adelheit Kuhlmey, Stefan Greß, Jürgen Klauber und Antje Schwinger, 2020. Pflegereport 2019 [online]. Berlin: SpringerOpen [Zugriff am: 16.06.2025]. PDF e-Book. ISBN 978-3-662-58935-9. Verfügbar unter: https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-662-58935-9
KfW-Research, 2024. Fachkräftemangel: von Branche zu Branche und regional sehr unterschiedlich ausgeprägt [online]. Frankfurtam Main: KfW, 03.07.2024 [Zugriff am: 13.06.2025]. Verfügbar unter: https://www.kfw.de/PDF/Download-Center/Konzernthemen/Research/PDF-Dokumente-KfW-ifo-Fachkr%C3%A4ftebarometer/KfW-ifo-Fachkraeftebarometer_2024-06.pdf
8 Literaturhinweise
Budlinger, Hendrik, Hrsg., 2024. Fachkräftemangel und Maßnahmen-Champions. Wiesbaden: SpringerGabler Fachmedien. ISBN 978-3-658-45363-3
Jánszky, Sven Gábor, 2014. Das Recruiting-Dilemma: Zukunft der Personalarbeit in Zeiten des Fachkräftemangels. Freiburg: Haufe Fachbuch. ISBN 978-3-648-05748-3
Knecht, Sylvia, 2016. Personalgewinnung in Zeiten des Fachkräftemangels: Quereinsteiger als potenzielle Kandidaten entdecken. 2. Auflage. Wiesbaden: SpringerGabler. ISBN 978-3-658-13163-0
Younosi, Cawa, 2024. Die große Potenzialverschwendung: Der Fachkräftemangel und die verborgenen Chancen für Menschen, Unternehmen und die Gesellschaft. Freiburg: Haufe. ISBN 978-3-6895-1024-4
Verfasst von
Dr. Günther Vedder
Institut für interdisziplinäre Arbeitswissenschaft der Leibniz Universität Hannover
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