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Fremdsprachenerwerb

Dominika Paula Gornik, Prof. Dr. Tanja Jungmann

veröffentlicht am 25.05.2020

Synonym: Fremdspracherwerb

Englisch: foreign language acquisition

Mit dem Begriff Fremdsprachenerwerb wird in der Regel eine Form des Spracherwerbs bezeichnet, die nach dem vollständigen Erwerb einer Erstsprache erfolgt und eine Sprache betrifft, die außerhalb ihres normalen Verwendungsbereiches gelernt wird und nicht zur alltäglichen Kommunikation notwendig ist (Jungmann 2012).

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Begriffliche Abgrenzungen
  3. 3 Einflussfaktoren auf den Fremdsprachenerwerb
  4. 4 Fremdsprachendidaktik
  5. 5 Deutsch als Fremdsprache (DaF)
  6. 6 Quellenangaben

1 Zusammenfassung

Fremdsprachen sind – anders als eine Zweitsprache – nicht notwendig für die alltägliche Kommunikation. In den letzten Jahrzehnten hat das Erlernen von Fremdsprachen angesichts der ökonomischen Globalisierung, der weltweiten Migration und der politischen Veränderungen in Europa und in der Welt an besonderer Bedeutung gewonnen (Bausch et al. 2007). Die Bedingungen, Methoden und Ziele des Erwerbs, des Lernens und des Lehrens von fremden Sprachen im institutionell unterstützten Verfahren werden im Rahmen der Fremdsprachendidaktik sowie der Sprachlehr- und Sprachlernforschung untersucht und weiterentwickelt. In Deutschland werden zahlreiche schulische und außerschulische Kurse zum Erlernen verschiedener Fremdsprachen für alle Altersgruppen angeboten. Der Unterricht des Deutschen als Fremdsprache spielt sowohl im deutschsprachigen Raum, v.a. im Rahmen der Erwachsenenbildung, als auch in anderen Ländern Europas und der Welt eine große Rolle.

2 Begriffliche Abgrenzungen

Die Unterscheidung zwischen Erstspracherwerb (= Erwerben) und Fremdspracherwerb (= Lernen) ergibt sich aus der Abgrenzung zwischen Erwerb und Lernen:

  • Mit dem Begriff Erwerb wird die implizite Aneignung von Sprache in natürlicher und nicht intentional gesteuerter Kommunikation, d.h. außerhalb unterrichtlicher Kontexte bezeichnet. Der Erstspracherwerb, aber auch der frühe Zweitspracherwerb erfolgen somit eher beiläufig, also am Rande anderer Aktivitäten, wie z.B. dem Spielen, dem Bilderbuchbetrachten oder bei gemeinsamen Mahlzeiten.
  • Mit dem Begriff Lernen wird dagegen die explizite Aneignung von Sprache unter unterrichtlichen Bedingungen bezeichnet. Die Informationsverarbeitung erfolgt bewusst, d.h. sie erfordert die volle Aufmerksamkeit und setzt bestimmte kognitive Aspekte voraus, über die nur Jugendliche und Erwachsene, in Ausnahmefällen auch ältere Kinder verfügen (Apeltauer 2001, S. 677).

Dieser Abgrenzung folgend müsste korrekterweise der Terminus Fremdsprachlernen, statt Fremdspracherwerb verwendet werden.

Der nicht einheitlich definierte Begriff Zweitsprache wird im allgemeinen Sinne für Nicht-Muttersprache verwendet, somit funktioniert die Abkürzung L2 auch als Oberbegriff für jede Sprache, die nach der Erstsprache erlernt wird, also auch für Fremdsprachen. Darüber hinaus ist auch die Differenzierung zwischen Zweit- und Fremdsprache nicht absolut, da die strikte Trennung zwischen nicht-unterrichtlichen und unterrichtlichen Kontexten kaum aufrechtzuerhalten ist (Hufeisen und Riemer 2010).

3 Einflussfaktoren auf den Fremdsprachenerwerb

Ein erfolgreicher Fremdspracherwerb wird von internen und externen Faktoren beeinflusst. Die Untersuchung dieser Faktoren beruht teilweise auf der Zweitspracherwerbsforschung, da der Fremdspracherwerb ohne die Einbeziehung einer Vielzahl von Entwicklungsbedingungen nicht erklärt werden kann (Kersten 2018).

Interne Faktoren sind im Lernenden selbst veranlagt. Dazu zählen z.B. Motivation, Einstellung und Angst, aber auch bisherige Lernerfahrungen, Begabung und Selbsteinschätzung. Externe Faktoren umfassen das soziale Umfeld des Lernens, die informellen und formellen Lernmöglichkeiten (vgl. Modell des L2-Lernenden nach Spolsky 1990).

In der Fremdsprachenerwerbsforschung wird den affektiven Einflussfaktoren, wie Motivation, Einstellung und Angst, die höchste Bedeutung beigemessen. Positive Kontakte zur aufnehmenden Gesellschaft und die Notwendigkeit, eine Sprache zu lernen, sind neben der Intelligenz und der kognitiven Entwicklung des Lernenden zentrale Gelingensbedingungen. Grundsätzlich erwerben Lernende, die die Erstsprache gut beherrschen, eine Zweitsprache und damit auch weitere Fremdsprachen leichter. Während beim Erst- oder Mutterspracherwerb die Existenz eines sensiblen Entwicklungszeitfensters nicht bezweifelt wird, konnten für den Fremdspracherwerb keine Beweise für sensible Phasen gefunden werden. Dennoch hat das Alter einen Einfluss auf die Kapazität zum Fremdsprachlernen: Erwachsene und Kinder unterscheiden sich in den Bereichen Lernverhalten, Lautdiskriminierung und Flexibilität im Denken, was sich negativ auf die Imitation und damit den Erwerb der Artikulation, Intonation und Grammatik der Zielsprache auswirkt. Daher wird das Alter zwischen sechs und 12 Jahren als optimal für den L2-Erwerb betrachtet (Kersten 2018).

4 Fremdsprachendidaktik

Die Fremdsprachendidaktik beschäftigt sich ebenso wie die Sprachlehr- und -lernforschung mit dem Erwerb, Lernen und Lehren von fremden Sprachen im institutionell unterstützten Verfahren auf allen Altersstufen (Burwitz-Metzler et al. 2016, Glück und Rödel 2016).

Die Fremdsprachendidaktik beschäftigt sich mit fünf Forschungsfeldern:

  1. Vorgänge des Lehrens und der LehrerInnenbildung
  2. Lernende und Lernprozesse
  3. (Einzel-)Sprachen und Kulturen
  4. Fremdsprache als Medium und Inhalt des Fremdsprachenunterrichts
  5. Eigenschaften und Wirkung der institutionellen Zusammenhänge des Fremdsprachenunterrichts (FU) auf den Spracherwerb (Surkamp 2017).

Im Fokus stehen Bedingungen, Ziele und Methoden des FU. Aktuell stützt sich die Fremdsprachendidaktik auf mehrere didaktisch-methodische Prinzipien. Im Mittelpunkt des Sprachunterrichts steht seit der kommunikativen Wende der Kompetenzerwerb in der Zielsprache. Demzufolge ist für die Sprachvermittlung das Prinzip der Handlungsorientierung zentral, bei dem sowohl deklaratives Wissen als auch der Erwerb funktionaler Kompetenzen angeregt werden (Bach und Timm 2013).

Weitere Prinzipien beziehen sich auf drei große Bereiche des Didaktischen Dreiecks: Lehren, Lernen und Lerngegenstand. Nach Kiel (2018) und Wiater (2014) bilden die Schüler-, Sach- und Handlungsorientierung die Unterrichtsbasis. Außerdem sind sachliche Korrektheit und Angemessenheit sowohl der sprachlichen als auch der kulturellen Inhalte des Unterrichts von Relevanz (Burwitz-Metzler et al. 2016).

Im Fremdsprachenunterricht wird eine große Vielfalt an Vermittlungsmethoden angewendet. Die Methoden betreffen u.a. die Aufgaben- und Inhaltsorientierung, Anwendung von unterschiedlichen Sozialformen (Einzel-, Partner-, Gruppenarbeit, Frontalunterricht usw.) und die Binnendifferenzierung. Die Lernprozesse umfassen dabei eine Reihe von zusammenhängenden Kompetenzen: Hör- und Hör-Sehverstehen, Leseverstehen, Sprechen und Interagieren, Schreiben, Sprachmittlung, Verfügbarkeit verschiedener sprachlicher Mittel: Wortschatz, Phonetik und Grammatik, kulturell geprägte Konventionen des Sprachgebrauchs, interkulturelle kommunikative Kompetenz, Text- und Medienkompetenz sowie Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz (Surkamp 2017).

Um Leistungs- und Kompetenzstände vergleichbar machen zu können, gelten einheitliche Bewertungsmaßstäbe, die auf dem Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GeR) basieren, s. Abbildung 1 (Burwitz-Metzler et al. 2016).

Niveaus des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen
Abbildung 1: Niveaus des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (bearbeitet nach Jung und Günther 2016)

In Deutschland gelten außerdem im Schulwesen sowie (in etwas geringerem Umfang) in Bildungseinrichtungen außerhalb der Schule staatliche Regelungen (Curricula, Richtlinien, Lehrpläne, fachspezifische Prüfungsbestimmungen usw.) für die Gestaltung des Fremdsprachunterrichts (Bausch et al. 2007).

5 Deutsch als Fremdsprache (DaF)

Deutsch als Fremdsprache (DaF) umfasst die in Schulen oder im Rahmen der Erwachsenenbildung erworbenen Kenntnisse der deutschen Sprache (Glück und Rödel 2016). Im Vergleich zum Zweitspracherwerb erfolgt der Fremdspracherwerb v.a. gesteuert.

Die Abgrenzung zwischen Zweit- und Fremdspracherwerb bezieht sich zum einen auf das Ziel des Lernens und die Methode des Erwerbs (s.o.), zum anderen auf unterschiedliche didaktische Orientierungen. DaF-Unterricht kann auch als Auslandsgermanistik bezeichnet werden, während DaZ-Unterricht im Kontext der MigrantInnenbildung stattfindet. Eine klare Abgrenzung ist jedoch häufig kaum möglich (Glück und Rödel 2016).

Als beispielhafte Formen von DaF in der Lehrpraxis können Intensivkurse, berufs- oder studienbegleitende Kurse sowie computergestützte Online- und Offlinekurse genannt werden. Der Begriff wird ebenfalls für die Bezeichnung des akademischen Faches verwendet (Hernig 2005).

6 Quellenangaben

Apeltauer, Ernst, 2001. Zweitsprachenerwerb als Lernaktivität I: Lernersprache – Lernprozesse – Lernprobleme. In Gerhard Helbig, Lutz Götze, Gert Henrici und Hans-Jürgen Krumm, Hrsg. Deutsch als Fremdsprache: Ein internationales Handbuch. 1. Halbband. Berlin: De Gruyter, S. 677–684. ISBN 978-3-11-013595-4

Bach Gerhard und Johannes-Peter Timm, Hrsg. 2013. Englischunterricht: Grundlagen und Methoden einer handlungsorientierten Unterrichtspraxis. 5. aktual. Auflage. Francke: Tübingen. ISBN 978-3-8252-4037-0

Bausch, Karl-Richard, Herbert Christ und Hans-Jürgen Krumm, Hrsg., 2007. Handbuch Fremdsprachenunterricht. 5. Auflage. Tübingen: Narr. UTB. ISBN 978-3-8252-8043-7

Burwitz-Melzer, Eva, Grit Mehlhorn, Claudia Riemer, Karl-Richard Bausch und Hans-Jürgen Krumm, Hrsg. 2016. Handbuch Fremdsprachenunterricht. 6. vollst. überarb. u. erw. Auflage. Tübingen: A. Francke Verlag ISBN 978-3-8252-8655-2

Glück, Helmut und Michael Rödel, 2016. Metzler Lexikon Sprache. 5. Auflage. Stuttgart: Metzler Verlag. ISBN 978-3-476-02641-5

Hernig, Marcus, 2005. Deutsch als Fremdsprache: Eine Einführung. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwissenschaften. ISBN 978-3-531-13546-5

Hufeisen, Britta und Claudia Riemer, 2010. Spracherwerb und Sprachenlernen. In: Hans-Jürgen Krumm, Christian Fandrych, Britta Hufeisen und Claudia Riemer, Hrsg. Deutsch als Fremd- und Zweitsprache: Ein internationales Handbuch. 1. Halbband. Berlin: De Gruyter, S. 738–753. ISBN 978-3-11-020507-7

Jung, Britta und Herbert Günther, 2016. Erstsprache, Zweitsprache, Fremdsprache: Eine Einführung. 3. Auflage. Weinheim und Basel: Beltz Verlag. ISBN 978-3-407-25731-4

Jungmann, Tanja, 2012. Praxis der Sprach- und Kommunikationsförderung. Dortmund: Borgmann Media. ISBN 978-3-938187-67-8 [Rezension bei socialnet]

Kersten, Kristin, 2018. Einflussfaktoren im bilingualen Fremdsprachenerwerb. In: Andreas Rohde und Anja K. Steinlen, Hrsg. Sprachenvielfalt als Ressource begreifen: Mehrsprachigkeit in bilingualen Kindertagesstätten und Schulen. Berlin: Dohrmann Verlag, S. 35–70. ISBN 978-3-938620-49-6

Kiel, Ewald, Hrsg., 2018. Unterricht sehen, analysieren, gestalten. 3. überarb. Auflage. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt. ISBN 978-3-8252-4953-3

Spolsky, Bernard, 1990. Conditions for second language learning: Introduction to a general theory. 2. Auflage. Oxford: Oxford University Press. ISBN 978-0-19-437063-9

Surkamp, Carola, Hrsg., 2017. Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik: Ansätze – Methoden – Grundbegriffe. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart: J.B. Metzler. ISBN 978-3-476-04473-0

Wiater, Werner, 2018. Unterrichtsprinzipen. 7. Auflage. Augsburg: Auer Verlag. ISBN 978-3-403-03617-3

Verfasst von
Dominika Paula Gornik
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Prof. Dr. Tanja Jungmann
Universität Oldenburg, Professur für Sprache und Kommunikation und ihre sonderpädagogische Förderung unter besonderer Berücksichtigung inklusiver Bildungsprozesse
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