Geschichte des Kindergartens
Als Ergebnis eines über zwei Jahrhunderte währenden Entwicklungsprozesses hat sich über unterschiedliche Vorläufer das heutige System der außerhäuslichen Betreuung, Erziehung und Bildung von noch nicht schulpflichtigen Kindern (ca. 3 bis 6/7 Jahren) herausgebildet.
Überblick
- 1 Zusammenfassung
- 2 Die ersten Vorschuleinrichtungen
- 3 Die Entwicklung des Kindergartens bis 1914
- 4 Zur Situation des Kindergartens im Ersten Weltkrieg
- 5 In der Zeit der Weimarer Republik
- 6 In der Zeit der Nazi-Diktatur
- 7 Neubeginn bis zur Wiedervereinigung Deutschlands
- 8 In der Zeit von 1990 bis zur Gegenwart
- 9 Quellenangaben
1 Zusammenfassung
Am 28. Juni 1840 stiftete Friedrich Wilhelm Fröbel in dem thüringischen Städtchen (seit 1911 Bad) Blankenburg den „Allgemeinen Deutschen Kindergarten“. Damit beginnt die Geschichte dieser ingeniösen frühkindlichen Einrichtungsform, die heute Kindertagesstätte (Kita) genannt wird. Doch die öffentliche Kleinkindererziehung hat eine viel längere Tradition. Als Ergebnis eines mehr als zwei Jahrhunderte währenden Entwicklungsprozesses hat sich über verschiedene historische Vorläufer das heutige System der außerhäuslichen Betreuung, Erziehung und Bildung von Kindern im Vorschulalter herausgebildet. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts und vor allem Anfang bis ca. Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden – ausgehend von Frankreich und England – differenzierte Formen einer institutionalisierten Kleinkindererziehung, um familiäre Betreuungsnotstände aufzufangen. Diesbezüglich entstanden im Laufe der Jahre die unterschiedlichsten Titulierungen. Neben den häufigsten anzutreffenden Bezeichnungen Kleinkinderschule und Kleinkinderbewahranstalt, finden sich u.a. noch folgende Notationen: Bewahranstalt, Kinderasyl, Kinder-, Kleinkinderbeschäftigungs-, Warte-, Kinderpflegeanstalt, Kleinkinderpflege, Spielanstalt, Aufsichts-, Bewahr-, Kinder-, Christliche Kleinkinder-, Spiel-, Strickschule, Bewahr- und Handarbeitsschule und schließlich Kindergarten. Zur letztgenannten Benennung wiederum findet man eine Reihe von Wortkombinationen, die teilweise auf den Träger der betreffenden Anstalt abheben: Normal-, Volks-, Bürger-, Familien-, Vereins-, Gemeinde-, Einzel-, als auch ungeteilter, zwei- und dreigeteilte Kindergarten sowie Kindergarten 1. und Kindergarten 2. Klasse (Berger 2016, S. 13).
Für die Notwendigkeit und den verstärkten Ausbau der öffentlichen Kleinkindererziehung gibt es mehrere Erklärungsversuche. Fasst man diese zusammen, können als die essenziellen Gründe „die Armut der Massen, die Trennung von Haus und Arbeit, der Wandel der Familie und der erhöhte Stellenwert der Kindheit sowie die Neuorganisation der Schule gelten“ (Wasmuth 2011, S. 43). Die erbärmliche Not der breiten Bevölkerung nötigte dazu, außerfamiliäre Einrichtungen zu schaffen, um der durch Aufsichtslosigkeit drohenden physischen, geistigen, seelischen und ethischen Verwahrlosung der Kinder vorzubeugen. Dazu äußerte sich in einem Vortrag der Prediger Wilhelm Budy folgendermaßen:
„Diese Anstalten sind nothwendig geworden, und man darf sie in Anbetracht der Nothwendigkeit und des Segens, den sie stiften können, nicht einmal mehr ‚nothwendige Uebel‘ nennen. Sie sind Gnadengaben Gottes und Wohlthaten für eine böse Zeit, in welcher das Familienleben immer mehr erstirbt und das ganze Leben sich verkehrt“ (Budy 1877, S. 100).
Generalisierend lässt sich sagen, dass die konfessionell gebundenen Vorschuleinrichtungen immer eine Vorrangstellung einnahmen (die 1933 gekappt wurde). Nonnen und Diakonissen waren als Leiterinnen und Erziehungspersonal sehr begehrt, auch von kommunalen Einrichtungen. Sie kümmerten sich noch zusätzlich um die Schulkinder sowie die Erziehung und Bildung von Mädchen. Außerdem engagierten sie sich in der ambulanten Armen- und Krankenpflege und stellten somit „gewissermaßen einen Gratisbeitrag zur kommunalen Infrastruktur dar“ (Konrad 2012, S. 116).
Gleich zu Beginn der Nazi-Diktatur standen für die politisch Verantwortlichen die strukturelle Neuorganisation der Kindergärten sowie ihre Gleichschaltung auf der Tagesordnung. Ihr Zugriff erstreckte sich auch auf die konfessionell gebundenen Einrichtungen, die peu à peu von der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) übernommen werden sollten. Wenn auch die Übernahme der Kindergärten in kirchlicher Trägerschaft nicht im vollen Umfange erreicht wurde, waren sie doch gezwungen (und teilweise auch bereit) sich der nationalsozialistischen Erziehungspraxis anzupassen. Großen Wert legten die politisch Verantwortlichen darauf, dass die Fröbelpädagogik im Sinne der Nazi-Ideologie ausgelegt wurde.
Nach 1945 musste sich die öffentliche Kleinkinderpädagogik in Theorie und Praxis neu positionieren, wobei die beiden deutschen Staaten sehr unterschiedliche Wege beschritten. Am 3. Oktober 1990 vereinigten sich „Ost“ und „West“ zu einem neuen Deutschland. Damit waren jedoch nicht von heute auf morgen die unterschiedlichen historischen Erfahrungen und gesellschaftlichen Entwicklungen überwunden. Diese zeigten sich auch deutlich im Bereich der öffentlichen Kleinkindererziehung, bedingt durch divergente Vorstellungen von Kindheit, Elternschaft und Familie. Inzwischen sind neue Kindergartenkinder- und Erzieher:innengenerationen herangewachsen und die „Grabenkämpfe“ überwunden. Heute verfügt jedes Bundesland über einen eigenen Erziehungs- und Bildungsplan. Dadurch ist zumindest die Möglichkeit gegeben, dass die Betreuung, Bildung und Erziehung der Kinder in ganz Deutschland pädagogisch reflektiert und begründet erfolgt.
2 Die ersten Vorschuleinrichtungen
In den meisten Publikationen zur Historiografie des Kindergartens und seiner Vorgängereinrichtungen wird die 1802 von der Fürstin Pauline zu Lippe-Detmold in ihrer Residenzstadt nach französischem Vorbild ins Leben gerufene „Kleinkinderbewahranstalt“ als „die erste [frühkindliche] Einrichtung auf deutschem Boden“ (Wasmuth 2011, S. 51) genannt. Doch „schon vor 1782“ wurde im Ursulinenkloster zu Straubing eine geschlechtsspezifische „Vorbereitungs Schuhl […] für aufsichtlose vorschulpflichtige Kinder“ (Göttler 1919, S. 137) seiner Bestimmung übergeben. Unter der Oberin Stanisla Schorrer errichtete der Orden der Ursulinen „‚die Schule der gar kleinen, zur Klasse noch unfähigen Mägdelein von vier und fünf Jahren, die nur angenohmen werden, damit sie von der ersten Kindheit an vom schädlichen Herumlaufen auf den Gassen und von der schlechten Zucht untauglicher Kindesmägden bei Zeiten weggenohmen, zur Liebe zum Lernen angemuthet und zu den folgenden Schulklaßen hergerichtet werden.‘ 1782 zählte diese Kleinkinderschule achtzig Mädchen. Zwei Klosterfrauen waren mit der Aufsicht und ‚Lehr‘ dieser Kleinen betraut“ (ebd.). Eberhard Leyrer, evangelischer Pfarrer im württembergerischen Plochingen, vermerkte, dass 1781 „nach mündlichen Mittheilungen eines Gliedes der Familie ein Graf von Pückler-Limpurg in Burg-Farrenbach bei Nürnberg die erste Kleinkinderschule in Deutschland“ (Leyrer 1879, S. 13) gegründet wurde.
Bis Mitte der 1820er-Jahre entwickelten sich Einrichtungen für die kleinen Kinder verhältnismäßig langsam, dann aber rasant, nicht nur in Städten, sondern auch in ländlichen Gebieten. In Deutschland war es vor allem die evangelische Kirche, „die der Sache der Kleinkinderschule mit regem und zielbewußtem Eifer ihre Sorgfalt zuwandte. Zwar kamen auch weiterhin außerkirchliche Gründungen zustande, […] aber die Führung blieb bei der Kirche, die in dem Kleinkinderschulwesen ein wichtiges Teilgebiet der inneren Mission erkannte […]. Die Caritas-Bestrebungen der katholischen Kirche waren gleichzeitig durchaus in demselben Sinne tätig […]. Ein Nachteil der auf dem Boden der Kirche sich vollziehenden Entwicklung lag daran, daß über dem Streben nach emsiger Unterweisung in der biblischen Geschichte und der Christenlehre zuweilen die strenge Prüfung der Stoffe in bezug auf ihre Geeignetheit für die Altersstufe zu kurz kam und den allgemeinen pädagogischen Gesichtspunkten überhaupt nicht immer ausreichend Rechnung getragen wurde; doch hat ein solches Bedenken nicht allzu viel zu besagen gegenüber dem unbestreitbar großen Verdienst, das sich die Kreise der Kirche um die zunehmende Ausdehnung und Verbesserung des Kleinkinderschulwesens erworben haben“ (Ziehen 1917, S. 79 ff.). Anfänglich wurden die Einrichtungen „größtenteils von Geistlichen oder Männern, denen weibliche Hilfspersonen zur Seite standen, geleitet“ (Lange 2013, S. 161). Doch immer mehr übernahmen Diakonissen und Ordensschwestern die Verantwortung für die Institutionen, hinsichtlich Leitung sowie Betreuung und Erziehung der Kinder.
3 Die Entwicklung des Kindergartens bis 1914
3.1 Fröbel’sche Kindergärten – Verbreitung und Kritik
Nachdem Friedrich Fröbel den „Deutschen Kindergarten“ gestiftet hatte, wurde nicht nur seine Einrichtung kritisiert, ebenso die gewählte Titulierung. Der Darmstädter Kleinkinderschullehrer Johannes Fölsing äußerte sich wie folgt:
„Ein Einzelner – was liegt daran? – mag sie nennen ‚Kinderparadiese‘, ‚Kinderfelder‘, ‚Kinderäcker‘, ‚Kindergärten‘, ‚Kinderwälder‘, ‚Kinderhimmel‘ oder wie es eben seiner persönlichen Ansicht zusagt“ (Fölsing 1850, S. 274).
Trotz aller Kritik und Ablehnung setzte sich der Kindergarten mehr oder weniger rasant als eine neue Form der nebenfamiliären öffentlichen Kleinkinderbetreuung durch. Immerhin hatte sich die Zahl der Kindergärten bis zu Fröbels Tod im Jahr 1852 mehr als verdoppelt und mindestens 18 Einrichtungen waren in Betrieb. Zirka 25 Jahre später gab es in Deutschland „etwa fünfhundert Fröbelsche Kindergärten, in Berlin allein zweiunddreißig; daneben sind auch förmliche Kindergärtnerinnenseminare eingerichtet, so in Gotha, in Dresden, in Weimar und in Berlin“ (Budy 1877, S. 107). Schon allein die Titulierung „Kindergarten“ war Programm: Sie beschreibt treffend Fröbels Vorstellungen der frühkindlichen Erziehung, die sich im „Garten = Paradies, also Kindergarten = das den Kindern wieder zurückgegebene Paradies“ (zit. n. Schröcke 1912, S. 32) vollzieht. In diesem „Paradies der Kindheit […] soll das Kind sich in einer kleinen idealen Welt befinden, in möglichste ungestörter Einigung oder Harmonie mit seiner Umgebung, und Eindrücke des Guten, Wahren und Schönen (des Idealen)“ (B. R. T. M. 1852, S. 10). Der Begriff Kindergarten beinhaltete für Fröbel konkret auch einen „Garten für Kinder“, als die „vollständig ausgebaute Idee eines Kindergartens“ (zit. n. Lange 1862, S. 271). Nach Möglichkeit sollte jedes Kindergartenkind sein eigenes Beet zur Bearbeitung besitzen, wo es pflanzen kann was und wie es will, auch mit den Pflanzen umgehen kann wie es ihm dünkt, damit es beispielsweise bei unstatthafter Behandlung selbst erfährt, dass man sorgsam und gesetzmäßig mit den Gewächsen umgehen sollte. So lernt das Kind aus den von ihm verursachten Folgen! Die von Fröbel entworfene „Gartenanlage“ vereinigte die Elemente eines Arbeits-, Schau- und Liefergartens. Sie sollte ein Ort sein, „zum Schauen, Beobachten und Erkennen, ein Platz für die körperliche Betätigung und zur Gestaltung eigener Ideen, ein Stück Land, das Raumschmuck und Lebensmittel liefert“ (Dietel 1994, S. 4).
1851 wurden die Kindergärten im reaktionären Preußen verboten, da sie „Teil des Fröbelschen sozialistischen Systems [sind], das auf Heranbildung der Jugend zum Atheismus berechnet ist“ (zit. n. Berger 1990, S. 18). Das Verbot kam durch eine nebulöse „Personen- und Bestrebungs-Verwechslung“ (Karstädt 1929, S. 29) zustande und hatte eigentlich mit der Institution Kindergarten als solche wenig zu tun. Es darf eher „angenommen werden, daß das Verbot der Kindergärten in Wirklichkeit eine Maßnahme zur Bekämpfung der freien Gemeinde war“ (zit. n. Lange 2013, S. 192). So setzte z.B. das „Königlich Bayerische Staatsministerium des Inneren für Kirchen- und Schulangelegenheiten“, alle Kindergärten, die der Idee des Kindergartenstifters folgten, mit den Vorschuleinrichtungen der „Freien Gemeinden“ gleich und wies eindringlich darauf hin, dass „das gemeinschädliche solcher Anstalten bekannt ist, und sorgfältige Wachsamkeit erforderlich erscheint, daß dergleichen gefährliche Institute nicht […] wieder unter verschiedenen anderen Vorwänden/täuschenden Satzungen in das Leben zu führen versucht werden“ (zit. n. ebd.). Jedenfalls ist Jürgen Reyer zuzustimmen, der konstatiert, dass in der Geschichte der Pädagogik einmalig ist, dass der Staat sich durch Kinderspiele gefährdet sah (Reyer 2006, S. 55). Wie es scheint, hat sich die preußische Prohibition ins Gegenteil verkehrt. Die Fröbelschülerin Christiane Erdmann schrieb wenige Wochen nach dem Kindergartenverbot an ihren „hochverehrten treuen Lehrer“: „Nichts konnte die Sache mehr verbreiten und fördern als dies Verbot“ (zit. n. König 1990, S. 292). Und die Kindergärtnerin Caroline Pfeifer resümierte, dass dadurch „die Sache erst recht bekannt geworden“ sei und „es in Zukunft um so mehr Anklang finden“ (zit. n. a.a.O., S. 299) werde.
3.2 Frauen im „Dienste“ des Fröbel’schen Kindergartens
Vor allem jüdische Frauen aus dem Bürgertum setzten sich für die Idee des Kindergartens und seiner Pädagogik ein, bspw. Julie Salis-Schwabe und Johanna Goldschmidt. Erstgenannte trug die Fröbelsache nach Neapel und England. In beiden Ländern rief die Philanthropin Bildungs- und Erziehungseinrichtungen ins Leben. Johanna Goldschmidt gründete in Hamburg einen „Bürgerkindergarten“ (für ca. 70 Kinder), der jedoch nicht in irgendeiner Form an die jüdische Religion gebunden war. Weitere acht Einrichtungen folgten, trotz des preußischen Kindergartenverbots, das in der Hansestadt ohne Wirkung blieb. Die wohlhabende Kaufmannsgattin verteidigte in einer Schrift die „Fröbel-Sache“ gegen unbillige Vorwürfe, die ein gewisser Herr Dr. Gutzkow verbreitete. Genannter diskriminierte den Kindergärtnerinnenberuf als „Taglöhnerei“ (Goldschmidt 1853, S. 57).
In der Frühphase der Kindergartenbewegung war zweifelsohne Bertha Freifrau Marenholtz-Bülow eine der wichtigsten Befürworterinnen. Die Adelige, die sich als alleinige Erbin Fröbels verstand, war maßgebend an der Aufhebung des preußischen Kindergartenverbots beteiligt. Sie rührte kräftig die Werbetrommel für Fröbel und den Kindergarten, nicht nur in Deutschland, sondern auch in England, Frankreich, den Niederlanden, der Schweiz und in Belgien. Auch konnte sie viele Persönlichkeiten für die Fröbel-/Kindergartenbewegung gewinnen. Dazu gehörte u.a. Cosima Freifrau Bülow, die spätere Ehefrau von Richard Wagner. Die hochmusikalische Tochter von Franz Liszt, die eine hervorragende Klavierspielerin war, würdigte den Kindergarten als erste wichtige Stätte des Musik-/​Gesangsunterrichts. Sie stand der damaligen musikalisch/​gesanglichen Erziehung der Kindergartenkinder, die letztlich mehr verdarb, als förderte, kritisch gegenüber (Weber 2008, S. 134 ff.).
Die Großnichte und Schülerin von Fröbel, Henriette Schrader-Breymann war die „zweite große Persönlichkeit aus dem Kreis der Fröbelbewegung gegen Ende des 19. Jahrhunderts“ (Wasmuth 2011, S. 216). Sie führte das Konzept des „Monatsgegenstandes“, einer Art „Lehrplan“, in den Kindergarten ein. Diese konzeptionelle Neuerung, „die ihre Wirksamkeit bis heute […] in der Kindergartenarbeit nicht verloren hat“ (Erning 1987, S. 69), hatte die Pädagogin in ihrem 1874 in Berlin gegründeten „Pestalozzi-Fröbel-Haus“ entwickelt. Das Kind sollte „früh Gelegenheit finden zur Vertiefung und Konzentration der Anschauungen und Thatkraft, zur Erfassung des einheitlichen Zusammenhangs aller Dinge“ (zit. n. Berger 1999, S. 63). Das Konzept stellte aus dem reichen und wechselnden Lebenskreis der Kinder bestimmte Dinge, Gegenstände oder Erscheinungen in den Mittelpunkt, entsprechend dem „Charakteristischen der jedesmaligen Jahreszeit“ (ebd.). Ein bestimmtes Thema, etwa die Kuh, ihr „Wohnort und ihre Nahrung“, ihre „Eigentümlichkeit“ sowie ihr Nutzen für den Menschen, wird einen Monat lang in das Interesse der Kinder gerückt. Hinzu kommen Informationen und praktische Tätigkeiten, z.B. Butter, Quark, Sahne und Käse aus der Milch herstellen, während „die grösseren Kindergartenzöglinge mancherlei thonen, wie Butterfass, Milcheimer und Töpfe“ (Hamminck-Schepel 1893, S. 43). Ausgewählte Lieder, Märchen und Erzählungen, Bastelarbeiten oder Bauaufgaben aus dem Fröbelbaukasten, z.B. einen Kuhstall bauen, vertieften das pädagogische Anliegen.
Die in Leipzig wirkende Henriette Goldschmidt initiierte 1871 den „Verein für Familien- und Volkserziehung“, unter dessen Dach u.a. vier Volkskindergärten, ein Kindergärtnerinnenseminar sowie eine „Hochschule für Frauen“, die erste Einrichtung dieser Art in Deutschland, entstanden. Genannte plädierte für die Notwendigkeit zur Errichtung von Volkskindergärten, da diese in „bedeutsamerer Weise als die Volksschule“ (Goldschmidt 1904, S. 167) auch das Familienleben beeinflussen würden.
3.3 Disziplin, Ordnung und Patriotismus prägten den Kindergarten
Der Schulpädagoge August Köhler gründete 1854 in Gotha einen Kindergarten und drei Jahre später eine Bildungsanstalt für Kindergärtnerinnen. Mit seinen vielfältigen Publikationen hatte er die Theorie und Praxis des Kindergartens für einen beachtlichen Zeitraum beeinflusst, nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern auch in Russland, Amerika und England. Des Schulmeisters 1862 erstmals publizierte Veröffentlichung „Die Bewegungsspiele des Kindergartens“ erschien 1878 bereits in sechster Auflage. Der Autor schlug, wie seinerzeit üblich, mehrere Marschier-, Soldaten- und Exerzierspiele vor, mit patriotischen Tendenzen. Folgendes Soldatenspiel sei hier als Beispiel angeführt:
„Ihr muntern Kinder.
- Ihr muntern Kinder eilt herbei, singt unser Liedchen mit! Gebt Achtung! Langsam! Eins, zwei, drei! Fallt ein in unsern Schritt!
- Aus dem Soldatenspiel, wobei man jetzt noch scherzhaft lacht, selbst aus dem kleinen 'Eins, Zwei, Drei', wird doch einst ernst gemacht.
- Und wer dann früh schon gut marschirt mit seinem Holzgewehr, auf unserm Spielplatz exerziert, dann wird hernach nicht schwer.
- Und wer die Trommel schlägt, wie ich, und hält sie blank und rein, der wird – das glaubt nur sicherlich – kein schlechter Spielmann sein.
- Und wer das 'Rechtsum' macht, wie wir, und so marschiren kann, den sieht gewiß sein Offizier recht gern und freundlich an.
- Didrom, dom dom; didrom, dom dom; wer wollte traurig sein? Und sich nicht in der Jugend schon am Exerziren freu’n?“ (Köhler 1878, S. 21).
Die Ordensfrauen Athanasia und Eusebia von der „Genossenschaft der Schwestern von der göttlichen Vorsehung in Mainz“ hatten mit ihrem 1890 erschienen Werk „Nützliche Beschäftigungen für die Kleinen. Vademecum für Kleinkinderschulen und die Familie“ vor allem die katholische Kleinkindererziehung gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts fundamental beeinflusst. Der Hauptzweck der Kleinkinderbewahranstalten erschöpfte sich für die Ordensfrauen in der „körperlichen Pflege und Geisteserziehung der kleinen Kinder im Alter von 2 bis zu 6 Jahren“ (Schwestern Athanasia und Eusebia 1890, S. 1). Die Zöglinge sollen, laut „Vademecum“, „lernen, gern, schnell und pünktlich zu gehorchen“ (a.a.O., S. 5) und vor Nachteilen bewahrt werden, „welche dem kindlichen Alter drohen, wenn sie ohne Aufsicht sind. Sie sollen durch liebevolle Behandlung nach konsequenten Grundsätzen zur Aufrichtigkeit und Offenheit, Schamhaftigkeit und Reinlichkeit, Ordnung und Pünktlichkeit, Dienstfertigkeit und Mäßigung, Dankbarkeit und Liebe, zum Gehorsam und zur Freude an nützlichen Thätigkeit angeleitet werden“ (a.a.O., S. 1). Mit aller Entschlossenheit warnten die Nonnen vor „unsittlichen Spielen“. Mit Rückgriff auf „hervorragende Geistesmänner, die auf dem Gebiete der Erziehung Großes Geleistet haben“, verurteilten sie den Gebrauch des Schaukelpferdes, „weil dieses Spiel einen eigenen Reiz ausübt zum sittlichen Verderben der Kinder. Viele Leiterinnen der Bewahrschule werden es gestehen müssen, daß sowohl Mädchen als Knaben sehr gern auf dem Schaukelpferd reiten. Warum aber? Es ist die sinnliche Lust, die dabei erregt und gefördert wird und unbemerkt und ungewollt erwacht in der zarten Kinderseele die Leidenschaft, die es total ruinieren könnte […] Also weg mit ihnen!“ (a.a.O., S. 165 f.).
3.4 Erster Kindergarten-„Modellversuch“
Im Oktober 1910 wurde in München der „Verein Versuchsschule“ gegründet, der den Beweis liefern wollte, „daß durch die richtige Verwertung der drei Kindergartenjahre das Bildungsziel sowohl der Volks- als auch der Mittelschule bedeutend erhöht werden kann“ (Verein Versuchsschule 1911, S. 305). Man wollte „den Schematismus brechen, in den Fröbels Werk verfallen war und der starren Form neues Leben einzuhauchen“ (Huth 1917, S. 5). Eine wichtige Neuerung stellte das „bilinguale Konzept“, wie wir heute sagen, dar, Kinder ab dem dritten Lebensjahr in eine zweite Sprache einzuführen. Darum wurden die Beschäftigungen im Versuchskindergarten, „zum Teil in englischer Sprache geführt. Es handelt sich dabei […] lediglich um ein kindliches Plaudern in der Fremdsprache, bis die Kinder befähigt sind, einen Teil ihres Fachunterrichts in dieser Sprache zu erhalten. In der Volksschule wurde eine Stunde täglich genügen, um das Gewonnene zu befestigen und weiter zu entwickeln“ (Verein Versuchsschule 1911, S. 306).
4 Zur Situation des Kindergartens im Ersten Weltkrieg
Während des Ersten Weltkrieges war die mütterliche Erwerbstätigkeit nicht nur notwendig, sie wurde sogar zur nationalen Pflicht erhoben. Demzufolge waren Kindergärten „in noch weit höherem Maß als vor dem Krieg ein Notbehelf geworden, um dem aufsichtlosen Kinde wenigstens einigermaßen das Heim zu ersetzen, das es unter den gegenwärtigen Verhältnissen entbehren muß“ (Huber 1918, S. 229). Um den gestiegenen Bedarf an Betreuungsplätzen zu befriedigen, wurden Kriegskindergärten errichtet, „wenngleich auch bei weitem nicht in den Umfang, wie man Anfangs annahm“ (Gehring 1929, S. 179). Der erste Kriegskindergarten eröffnete am 10. August 1914 in Berlin seine Pforten. Jedoch mit zunehmenden Kriegsjahren wurde die Unterbringung der Kinder, gerade in frauenarbeitsintensiven Industriezentren, immer prekärer. Hinzu kam, dass Kindergartenräume zu Lazaretten umgewandelt wurden. Die Kindergärten entsprachen hinsichtlich Gruppengröße, Raumprogramm, hygienischer Ausstattung und pädagogischer Betreuung immer weniger den Mindestanforderungen. Doch der Krieg forderte Bescheidenheit:
„Möglichst geringe Kinderzahl, musterhaft künstlerisch ausgestattete Räumlichkeiten, möglichst vollkommenes Spielmaterial und möglichst viele Aufsichtspersonen, die das Gruppenwesen gestatten. Die Zeitverhältnisse haben diese frommen Wünsche in den Hintergrund gedrängt“ (Huber 1918, S. 230).
Der „Hurra-Patriotismus“ der Kaiserzeit erreichte während der Jahre 1914 bis 1918 seinen Höhepunkt. Der Krieg hatte Einfluss auf die Beschäftigungen und Spiele der Kinder. Sie wurden aufgefordert „auch für die Feldgrauen“ zu arbeiten, „besonders für Weihnachten, halfen sie mit bei der Einsammlung von Stanniol, Kernen und dgl. und lernten entbehren und opfern, besonders als die Nahrungsmittel knapp wurden“ (Gehring 1929, S. 180). Die Devise lautete Erziehung im Krieg zum Krieg, der als der große Menschenerzieher gepriesen wurde. Die seinerzeit hochgeachtete Fröbelpädagogin Gertrud Pappenheim schrieb dazu:
„Und wenn wir es sonst für wert halten, die Kinder durch Gewöhnung allmählich zum Verständnis kleiner Tugenden wie Sauberkeit, Ordnung, Verträglichkeit zu führen. Wieviel mehr wollen wir jetzt ein Verständnis anbahnen für den großen Menschenerzieher ‚Krieg‘“ (zit. n. Berger 1990, S. 59).
Die Verführung der Kleinkinder zu Militarismus und Nationalismus belegt ferner ein Textauszug aus der evangelischen Fachzeitschrift „Die Christliche Kleinkinderpflege“:
„Wie kann eine Erzieherin die gegenwärtigen weltgeschichtlichen Ereignisse zur Vertiefung ihrer Arbeit an den Kindern ausnützen? […] Schon beim Spiel haben wir reichlich Gelegenheit, die gegenwärtigen weltgeschichtlichen Ereignisse auszunützen. Unsere Jugend spielt ja jetzt besonders gern ‚Soldaten‘, und draußen in Wald und Feld lassen sich ganz wunderhübsche Kriegsspiele machen. Da werden Festungen erstürmt, Eilmärsche angesetzt oder mit Schneebällen, die vortreffliche Kanonenkugeln bilden, große Schlachten ausgefochten“ (zit. n. Zapp-Haug- und Weitzel 1990, S. 6).
5 In der Zeit der Weimarer Republik
In Anbetracht des verlorenen Krieges mit seinen entsetzlichen Folgen für das darbende deutsche Volk, im Kampf um Nahrung, Wohnung, Kleidung, Wärme, etc., war die Not und das Elend (nicht nur) der Kleinkinder und die daraus resultierenden Probleme so groß, dass eine gesetzliche Regelung ihrer Versorgung und Betreuung unerlässlich war. Die bereits für 1917 geplante, schließlich aber erst vom 11. bis 19. Juni 1920 in Berlin abgehaltene Reichsschulkonferenz konnte zwar keine Beschlüsse fassen, aber ihre Empfehlungen hatten einen entscheidenden Einfluss auf das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG), das am 1. April 1924 in Kraft trat. Der Kindergarten, so wurde bestimmt, sollte „grundsätzlich eine Einrichtung der Jugendwohlfahrt“ (Reichsministerium des Inneren 1921, S. 691) bleiben. Mit dieser Entscheidung „wurde a priori festgelegt, daß der Kindergarten nicht der Schulgesetzgebung unterstehen sollte“ (Paterak 1999, S. 117). Ferner wurde die „bis heute gültige Grundstruktur und Normierung des Kleinkinderbereichs fest[gelegt]: die primäre Finanzierung durch die Kommunen und die Bereitstellung des pädagogischen Angebots durch die freien Träger, vor allem durch die Kirchen“ (Stölner 2009, S. 163). Weiterhin galt der Kindergarten wie bisher als Einrichtung, die „bei den verschiedensten Notständen sozialer und individueller Art Erziehungshilfe bietet“ (zit. n. Franke-Meyer 2011, S. 219).
Bis heute ist in der Historiografie zum Kindergarten kaum bekannt, dass die universitäre Erziehungswissenschaft sich bereits in den 1920er-Jahren mit der öffentlichen Kleinkindererziehung befasste. Der Münchner Pädagogikprofessor Aloys Fischer stellte bedauernd fest, dass der Kindergarten noch vielen als „Armenanstalt und als notwendiges Übel“ (Fischer 1924, S. 17) gelte. Er forderte den Kindergarten für „alle Kinder im Spielalter“, das eine „eigene geistige Struktur“ (zit. n. Wasmuth 2011, S. 396) besitze. Deshalb müsse die Kindergartenarbeit nach Inhalt, Zielsetzung und Methode „spielkindgemäß gestaltet und zugleich für die weiterführenden Bildungsbahnen fundamental tragend gemacht werden“ (zit. n. ebd.). Ein pädagogisch geleiteter sowie eingerichteter Kindergarten bietet jedem vorschulpflichtigen Kind „Vorteile und Werte, die auch die beste Familienerziehung nicht oder nur ausnahmsweise zu bieten vermag: eine Erweiterung der persönlichen Umgebung, besonders des kindlichen Umgangs, wie sie auch in geschwisterlichen Familien nicht vorhanden ist, ein freundliches und wohltuend ausgestaltetes Heim mit Spielzimmern, Garten und Anregungen aller Art, die für die Entwicklung der Sinne, der Sprache, des Ausdrucks, der Anstelligkeit hervorragende Bedeutung besitzen, eine unaufdringliche, einschneidende Gegenwirkung gegen Verzärtelung und Verwöhnung, gegen Schüchternheit, Lebensangst und Verschlossenheit, die entweder der Entstehung solche ungesunden Lebenseinstellungen vorbeugt oder die allmähliche Korrektur schon anfangender Hemmungswirkungen zur Isolierung einleitet“ (Fischer 1924, S. 19).
Am 9. Dezember 1930 erfolgte durch einen Runderlass des Ministers für Volksbildung für alle öffentlichen frühkindlichen Einrichtungen die einheitliche Bezeichnung Kindergarten.
5.1 Alternative Einrichtungen
5.1.1 Montessorikinderhaus
Neben der konservativen Ausrichtung der öffentlichen Kleinkindererziehung entstanden in den 1920er-Jahren auch alternative Gedanken, Konzepte, Theorien und Einrichtungen. Gleich nach Kriegsende begann die ausgebildete Montessoripädagogin Clara Grunwald, mit Unterstützung des „Bundes entschiedener Schulreformer“, mit dem Auf- und Ausbau von Montessori-Kinderhäusern. Im Mai 1919 konnte in Lankwitz bei Berlin das erste „Haus der Kinder“ eröffnet werden, dem aber keine lange Lebensdauer beschieden war. Doch Clara Grunwald kämpfte weiter. Und so konnten bald Montessori-Kinderhäuser in fast allen größeren Städten Deutschlands ins Leben gerufen werden, wie in Berlin, Breslau, Freiburg/Brsg., Hamburg, Jena, Nürnberg und Düsseldorf. Clara Grunwalds Schülerin, die promovierte Physikerin Käthe Stern, geb. Brieger, versuchte die Montessori-Pädagogik mit den neuesten Erkenntnissen der akademischen Kinderpsychologie sowie der Fröbel-Pädagogik zu ergänzen bzw. zu erweitern. Ihr Konzept des „erweiterten Montessori-Systems“ entwickelte und erprobte sie in dem von ihr gegründeten und geleiteten Montessori-Kinderhaus in Breslau. Bezüglich der Bedeutung Fröbels und Montessoris für die „neue Methode“ konstatierte sie:
„Fröbel hat mit genialem Blick die charakteristischen Züge der kindlichen Entwicklung erkannt, und nur dort können wir ihm folgen, wo er anstatt ‚nachzugehen und zu behüten‘ den Kindergarten ganz auf die primitive Denkart des Kindes zuschneidet und das ‚Phantasiespiel‘ organisiert. Montessori wieder betont allzu sehr, daß die ‚Phantasie‘ ein Übergangsstadium kennzeichnet, und um der nächst höheren Stufe willen – die in der Tat jedes Kind erklimmt – unterdrückt sie die primitiven Äußerungen. Dadurch droht tatsächlich die Gefahr, daß das Kind sich wie ein kleiner, zielstrebiger Erwachsene verhält, der ebenso wie er den Finger nicht mehr in den Mund steckt – auch zu ‚groß‘ ist, um Schaffner zu spielen“ (Stern 1933, S. 94 ff.).
Die sich verbreitende Montessori-Pädagogik stand immer mehr im Kreuzfeuer der Kritik. Dabei ging es vor allem um die Frage: Welche ist die adäquatere kleinkindpädagogische Konzeption, die Fröbelpädagogik oder die Montessori-Pädagogik? An der Diskussion, die als „Fröbel-Montessori-Streit“ in die Geschichte der Pädagogik einging, nahmen Vertreter:innen unterschiedlichster pädagogisch/​psychologischer und weltanschaulicher Richtungen teil. Beispielsweise wies die Psychologin Martha Muchow darauf hin, dass das Zentrum der kindlichen Tätigkeit das Spiel sei und nicht die Arbeit, wie in der Montessori-Pädagogik. Sie war der Ansicht, dass die Fantasie bei Montessori „nur ein unerfreuliches und möglichst zu unterdrückendes Erbteil unzivilisierter Vorfahren“ sei und daher im Kinderhaus „jede Regung der Phantasie unterdrückt und das Kind zur Beachtung der realen Verhältnisse angeleitet [werde]. Bilderbücher und Märchen, die seine Phantasie befruchten könnten, Reigenspiele und Darstellungsspiele, die zur Erzeugung von Phantasiesituationen verleiten, sind vom Programm des Kinderhauses ausgeschlossen“ (Muchow 1927, S. 172).
5.1.2 Waldorfkindergarten
Auch wenn die Waldorfpädagogik in den 1920er-Jahren unter quantitativen Aspekten betrachtet im Gegensatz zur Montessoribewegung eine unbedeutendere Rolle spielte, vervollständigt sich jedoch erst mit ihr „das Gesamtbild der kleinkindpädagogischen Diskussionslandschaft der Weimarer Zeit. Unter qualitativ-inhaltlichen Gesichtspunkten ist die anthroposophische Pädagogik im übrigen trotz ihrer quantitativen Marginalität durchaus wahrgenommen worden, wie beispielsweise ein Themenheft der Neuen Erziehung zur anthroposophischen Pädagogik (1926, H. 12) und zahlreiche Beiträge in anderen Zeitschriften, aber auch der Kongreß der entschiedenen Schulreformer 1932, auf dem Vertreter der ‚Pädagogik Rudolf Steiners‘ zu Wort gekommen sind, zeigen“ (Konrad 1997, S. 71). Ostern 1926 wurde in einer Baracke auf dem Gelände der Stuttgarter Waldorfschule ein Kindergarten eröffnet. An dessen Gründung war die ausgebildete Fröbelkindergärtnerin Elisabeth von Grunelius maßgebend beteiligt. Sie war die erste Persönlichkeit, die die Grundelemente der anthroposophischen Pädagogik in die frühkindliche Praxis umsetzte. Die Adelige betonte die Bedeutung des erwachsenen Vorbildes, zumal das Kind im Kindergartenalter seiner Natur nach nicht empfänglich sei für das ermahnende, gebietende, korrigierende Wort durch den Erziehenden. Die „Erziehungsmethode durch Nachahmung ist überhaupt die einzige, die die Freiheit des Kindes in gesunder Weise wahrt, und gerade darauf kommt es an in diesem Lebensalter“ (Grunelius 1932, S. 173).
5.1.3 Psychoanalytischer Kindergarten
Die in der Tradition Fröbels ausgebildete Kindergärtnerin Nelly Wolffheim hatte 1922 begonnen, ihren 1914 in Berlin gegründeten Privatkindergarten „in das Licht einer psychoanalytischen Pädagogik zu rücken“ (Wolffheim 1930, S. 3). In ihren Veröffentlichungen zur Relevanz des Spielens und der Spielfreiheit schilderte sie in vielen Praxisbeispielen aus ihrem Kindergartenalltag, „wie Kinder ihre Spielfreiheit nutzten und dadurch Unbewußtes und Unterdrücktes ausleben, verarbeiten und überwanden, ohne dabei Unerlaubtes und Unerwünschtes oder das Gewissen, das Über-Ich des Kindes, zu äußern“ (Kerl-Wienecke 2000, S. 149). Für die analytische Kindergartenpädagogin zeigt das Spiel immer nur, „was in der Seele des Kindes vorgeht, wird jedoch niemals Ursache seelischer Veränderung sein“ (Wolffheim 1930, S. 23). Das Spiel dient der Sublimierung, d.h. dass die „Komplexe des Kindes, also das, was seine Psyche erfüllt, was sie, vorherrschend unbewußt, beunruhigt, was innere Kämpfe auslöst, aber auch was Lust bringt, lebt im Spiele auf“ (a.a.O., S. 56).
6 In der Zeit der Nazi-Diktatur
Die Nazi-Diktatur brachte entscheidende strukturelle und pädagogische Veränderungen im Bereich der öffentlichen Kleinkindererziehung mit sich. Vorschulpädagogische Alternativentwürfe der Weimarer Zeit und die gerade begonnene Psychologisierung der Kleinkinderpädagogik fanden ein jähes Ende. Private Kindergärten und Einrichtungen, die u.a. nach den Grundsätzen der Montessori- oder Waldorfpädagogik arbeiteten, wurden, wenngleich auch nicht sofort und örtlich sehr unterschiedlich, aufgelöst.
Krampfhaft bemühten sich die nationalsozialistischen Erziehungstheoretiker um eine eigenständige „Theorie“ der Kleinkindpädagogik, die für sich zu allererst den Führer als „unerreichtes Vorbild“ proklamierte. Schließlich ist er „der Seelenkenner der Menschen und folgert aus seinen psychologischen Einsichten heraus seine erzieherischen Maßnahmen“ (Braune 1936, S. 170). Das Erziehungsziel des Kindergartens orientierte sich an dem Führerworte:
„‚Wir wollen ein hartes Geschlecht heranziehen, das stark ist, zuverlässig, treu, gehorsam und anständig, so daß wir uns unseres Volkes vor der Geschichte nicht zu schämen brauchen.‘ Für die Entwicklung dieser Tugenden leistet der Kindergarten eine maßgebliche Vorarbeit. Ist doch der Kindergarten überhaupt die erste nationalsozialistische Entwicklungsstufe, durch die die heranwachsende Generation hineinwächst in die große deutsche Volksgemeinschaft und in die Aufgaben, die diese Gemeinschaft und das Großdeutsche Reich jedem einzelnen stellen wird“ (Villnow 1941, S. 134).
6.1 Versuch der Gleichschaltung
Im Zuge der Gleichschaltung sollten alle bestehenden vorschulischen Einrichtungen und ihre Träger in die NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt), der im Oktober 1935 offiziell die Aufsicht über die Kindergärten übertragen wurde, eingegliedert werden. Allerdings ist diese Absicht nicht vollends geglückt. Immerhin blieben insgesamt zwei Drittel der christlich gebundenen Kindergärten bis zum Zusammenbruch der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in ihrer ursprünglichen Trägerschaft. Dieser Sachverhalt „darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass in den Einrichtungen eine Annäherung an die nationalsozialistischen Erziehungsvorstellungen vollzogen wurde“ (Wustrack 2009, S. 37). Der Versuch der Gleichschaltung der christlichen Kindergärten verlief nicht einheitlich. Die evangelische Kirche geriet sehr früh unter Druck, obwohl sich nicht wenige ihrer Vertreter:innen „schon vor und besonders unmittelbar nach der ‚Machtergreifung‘ wesentlich eindeutiger zugunsten des neuen Regimes geäußert hatten, als dies auf katholischer Seite der Fall war, und obwohl die evangelischen Kindergartenpädagog(inn)en erhebliche Zugeständnisse an die NS-kleinkindpädagogischen Ideen machten, nahm der Druck auf die evangelischen Kindergärten bereits ab 1934/35 zu“ (Konrad 2012, S. 153). Demgegenüber waren die katholischen Kindergärten „nicht so leicht in die Enge zu treiben, denn sie genossen durch das Reichskonkordat, ein Vertragswerk, das der nationalsozialistische Staat im Sommer 1933 mit dem Vatikan abgeschlossen hatte, noch eine Zeit lang einen gewissen Schutz“ (a.a.O., S. 154). Dass die Gleichschaltung der christlichen Kindergärten nicht vollständig gelang, ist u.a. mit ein Verdienst der Elternschaft, die sich mit der Übernahme von Einrichtungen durch die NSV nicht abfinden wollte und in einzelnen Fällen sogar eine Rückgabe an die konfessionellen Träger erzwangen. Insbesondere wenn Ordensschwestern oder Diakonissinnen gekündigt wurden, äußerte sich der elterliche Unmut, wie beispielsweise im niederbayerischen Städtchen Vilshofen, „als 1938 den im städtischen Kindergarten angestellten Klosterschwestern gekündigt werden sollte“ (Erning 1997, S. 734). Von den aufmüpfigen Eltern wurden „Unterschriften gesammelt und Bittschriften an den Reichsstatthalter von Epp gerichtet. Obschon in diesem Fall die staats- und parteiloyale Haltung der Eltern in der Bittschrift ausdrücklich betont wurde, wurde die Geheime Staatspolizei eingeschaltet und gegen die Initiatoren der Unterschriftensammlung Strafverfahren eingeleitet“ (ebd.). Ein anderes Beispiel ist die kleine oberfränkische evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Unterrodach, in unmittelbarer Nähe von Kronach. Hier hatte der Pfarrer im hiesigen Wirtshaus, weil der Gemeindesaal dafür nicht ausreichte, eine Zusammenkunft einberufen, um für den Erhalt des evangelischen Kindergartens zu werben. Daraufhin wurde der Geistliche vom Ortsgruppenleiter als „Saboteur“ und „Feind der Partei“ abqualifiziert. Der Pfarrer der evangelisch-lutherischen Pfarrkirche St. Michael berichtete über die vorgefallene Auseinandersetzung:
„‚Ob ich wüßte, was mit mir geschehen müßte, wenn ich nicht der Pfarrer wäre? – Der Gemeindesekretär dazwischen: Nach Dachau würde ein anderer kommen – Meine Antwort: Um des Wortes Gottes willen müßte ich auch Dachau als Strafe tragen können‘“ (zit. n. Bookhagen 1990, S. 80).
Vilshofen und Unterrodach sind keine Einzelfälle, auch in anderen größeren und kleineren Städten und Gemeinden wehrte man sich gegen die Übernahme von christlichen Kindergärten durch die NSV oder den Austausch von Diakonissinnen und Ordensfrauen durch sogenannte „braune Schwestern“. Auch der energische Einspruch ihrer Trägerverbände sowie die innenpolitische Situation der Kriegsjahre seit 1941, „in denen eine weitere Beunruhigung der Bevölkerung vermieden werden sollte und deswegen von ‚einer Weiterverfolgung der Überführung der Kindertagesstätten in die Hände der NSV während des Krieges Abstand‘ […] genommen wurde“ (Erning 1997, S. 734), trug dazu bei, dass nicht alle konfessionell gebundenen Kindergärten gleichgeschaltet wurden.
6.2 Zerstörung des jüdischen Kindergartenwesens
Bereits mit der Machtübernahme versuchten die Nazis alles „Jüdische“ auszuschalten. So musste bspw. Anna Warburg, aus der altwürdigen Bankdynastie der von Warburg stammend, sofort ihren Posten als 1. Vorsitzende des Hamburger „Ausschuß für Säuglings- und Kleinkinderanstalten e.V.“ räumen (Berger 2019, S. 173 f.). Jüdische Kindergärten wurden zusehend schikaniert, in der Hoffnung ihrer baldigen „freiwilligen“ Auflösung (a.a.O., S. 174 f.). Schließlich schlossen die rassistischen Gesetze aus dem Jahre 1935 ein für alle Mal „minderwertige Zöglinge“ (a.a.O., S. 174) aus den „deutschen Kindergärten“ aus. Generell stand das „gesunde und arische Kind“ im Fokus der öffentlichen Kleinkinderpädagogik. Jüdischen und erbkranken Kindern galt nicht, wie eine Kindergartenleiterin vermerkte, „unsere Fürsorge, sondern den gesunden, tüchtigen und wertvollen deutschen Kindern. Ihnen soll der Kindergarten zur Blutsheimat werden. Somit ist unsere Arbeit Dienst am Kinde und zugleich Dienst an deutscher Familie und am deutschen Volk. Darum hüten und fordern wir: Ordnung, Zuverlässigkeit, Pflichttreue, äußere und innere Sauberkeit, Gewissenhaftigkeit, Sinn für Wagemut und eine gewisse Härte“ (zit. n. Schlesinger 1992, S. 83).
6.3 Kindergarten im Krieg
Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges gehörte der Kindergarten „zu den ‚kriegswichtigen‘ Einrichtungen“ (Villnow 1941, S. 133), da ja viele Mütter in der Kriegsindustrie ihren „Mann“ stehen und darum ihre Kinder versorgt werden mussten. Dementsprechend stieg die Nachfrage an Betreuungsplätzen. Die NSV war bemüht, sog. „Hilfs- bzw. Kriegskindergärten“ zu errichten, die teilweise in Schulen, Gasthäusern und leer stehenden Gebäuden untergebracht waren. Bereits Mitte Juni 1940 bestanden „2 176 Hilfskindergärten. Gerade die Zahl der Hilfskindergärten zeigt am deutlichsten, wie weit verzweigt das Netz unserer Kindergärten [ist]“ (a.a.O., S. 133 f.). Die Kriegsereignisse zeigten deutlich ihre Auswirkungen im Kindergartenalltag, insbesondere im kindlichen Spiel. Spielerisches Exerzieren und Kriegsspiele standen an der Tagesordnung. Spiel als Möglichkeit der Verarbeitung, der Katharsis? Schon die Kleinsten eines katholischen Kindergartens „ahmen die Soldaten nach, ihr Marschieren und Grüßen. Sie spielen Flieger, die mit lautem Gesurr über den Hof ‚fliegen‘ und Bomben (Sand) abwerfen. Fliegerangriffe werden in Szene gesetzt. Ein Kind ahmt täuschend die Sirene nach, und schon verschwinden die anderen im ‚Luftschutzkeller‘, den sie sich aus Tischen und Bänken hergerichtet haben. Unsere Kindergartenkinder […] bauen Brücken, Flughäfen, Kasernen; sie falten Flieger, Kriegsschiffe; sie zeichnen und malen politische Vorgänge, von denen sie […] zu Hause durch das Radio gehört haben […] Die Kinder wachsen an dem, was sie spielen. Ausdauer und Geduld werden geübt, Ueberlegen und Entscheiden, Raten und Deuten. Spielend stellt sich das Kind vor die Aufgabe, Pläne zu entwerfen, Entschlüsse zu fassen, geistesgegenwärtig zu sein, zu befehlen, – und das zu einer Zeit, da sein wirkliches Leben noch ganz in Abhängigkeit und Planlosigkeit verläuft. Das Kind lernt mit den Dingen umzugehen und hantieren, übt Körperkraft und technische Geschicklichkeit. ‚Das Spiel des Kindes verhält sich zum Leben wie das Manöver zum Krieg‘“ (o.V. 1940, S. 38). Das kindliche Spiel wurde nicht als Möglichkeit gesehen, beängstigende Situationen zu verarbeiten. Es stand im Dienst der Erziehungsideologie. Körperkraft, Geschicklichkeit, Ausdauer, Geduld etc., das waren die Eigenschaften, die im Krieg gebraucht wurden. Die (christliche) Kindergärtnerin sollte nicht versäumen, die Kinder an den „großen göttlichen Kinderfreund“ hinzuführen, „der um jede Sorge und Not weiß und sie beheben kann. Darum beten wir mit ihnen für den Vater im Feld, für alle Soldaten im Krieg, für einen guten Ausgang des großen Ringens, für unser Vaterland. Tag für Tag beten unsere Kleinen im Kindergarten: ‚O Jesulein, streck’ aus Deine Hand. Und segne unser liebes Vaterland!‘“ (ebd.).
Die Kinder sammelten beispielsweise Stanniol, das sie im Kindergarten in einer extra dafür aufgestellten kleinen Truhe ablegten. Sie bastelten aus bescheidenen Materialien die für ihre Kriegsspiele benötigten Utensilien: Soldatenuniformen aus Wellpapier, Kanonen aus Filmspulen, Fallschirme aus Papier, Kriegsschiffe aus gefederten Wäscheklammern, Tragen aus Holzstäben und Leinen, Flugzeuge aus Kartonpapier usw. So ausgerüstet und angeregt durch die „Kindergartentante“, konnte das große Erlebnis Krieg vonstattengehen:
„Rasch hat die Tante mit ihnen [den Kindern] die Uniform gearbeitet. Dann geht es hinaus auf den ‚Kasernenhof‘ zum Exerzieren. In Rolf erkennt man jetzt schon die Führernatur. Er schreitet als Hauptmann die Front ab […] Jetzt spielen sie nicht mehr Soldaten, jetzt sind sie Soldaten. Im Zimmer bauen indessen einige Jungen mit ihrer Tante Artilleriestellung, Bausteine werden im Halbkreis zu einem Wall aufgeschichtet […] In der Stellung laden die Soldaten die einfach gestalteten Kanonen mit Papierkugeln. Ein Dorf unweit der Stellung wird beschossen. Einzelne Häuser sind bereits zusammengefallen. Auf einem anderen Tisch entsteht ein Flugzeugplatz. In großen Hallen warten einige Faltflugzeuge auf den Start. Soldaten kommen aus der Kaserne, um die Flugzeuge zum Feindflug startbereit zu machen“ (Zabel 1940, S. 83).
Was die Zeit von 1933 bis 1945 betrifft, schreibt Klaus Klattenhoff folgerichtig, dass es aus heutiger Sicht verfehlt wäre, die der öffentlichen Kleinkindererziehung übergestülpte Ideologie als eine in der Erziehungsgeschichte traditionslose Konzeption anzusehen, „denn nationalsozialistische und ähnlich ‚irrationale Töne‘ gab es auch schon in der Kindergartenarbeit der Kaiserzeit, insbesondere während des 1. Weltkrieges. Dennoch ist das nationalsozialistische Kindergartenkonzept als eine außerordentliche, alle vorherigen Konzepte mißachtende und menschenverachtende Besonderheit einzustufen“ (Klattenhoff 1987, S. 114 f.).
7 Neubeginn bis zur Wiedervereinigung Deutschlands
Nach dem Zusammenbruch der Nazi-Diktatur entwickelte sich durch die Teilung Deutschlands in vier Besatzungszonen das Kindergartenwesen sehr unterschiedlich. Ob im Osten, Westen, Süden oder Norden des geteilten Landes, die Not der Menschen, insbesondere in den zerstörten Großstädten war groß. Erschwerend kam hinzu, dass die Massen von Flüchtlingen aus den östlich der Oder und Neiße gelegenen Gebieten des ehemaligen Deutschen Reiches sowie aus dem Sudentenland als auch aus den deutschstämmigen Siedlungsgebieten in Ungarn, Rumänien und Jugoslawien untergebracht werden mussten. Ein weiteres Problem stellten die sog. Displaced Persons dar. Hier handelte es sich um ehemalige verschleppte Zwangsarbeiter:innen, um Juden und Jüdinnen, die das NS-System überlebt hatten oder die vor Pogromen in Osteuropa in den Westen flüchteten. Auch für diese Menschen musste gesorgt werden. Aber auch die vielen „Trümmerfrauen“, die das zerstörte Land aufbauten, hatten mit dem harten Alltag zu kämpfen: Wohin mit Kleinkindern? Im Nachkriegsdeutschland musste erst wieder ein funktionierendes Kindergartenwesen aufgebaut werden.
7.1 Exkurs: Kindergarten im Flüchtlingslager
Die Vertriebenen wurden überwiegend in Holzbaracken untergebracht, in welchen vorher unter erbärmlichen Bedingungen Zwangsarbeiter hausten oder wie in Bernreuth, Arbeiter, die in den Jahren 1937 bis 1945 die Aufgabe hatten, ein „Militärlager […] mitsamt seiner Infrastruktur, Schießbahnen und Zieleinrichtungen aufzubauen“ (Kugler 2000, S. 552). Aus heutiger Sicht schwer vorstellbar ist die Nutzung bestehender Konzentrationslagerbaracken als Wohnlager, wie bspw. in Dachau. Die Behausungen der einzelnen Familien waren nur „durch eine Bretterwand, manchmal nur durch eine Pappwand von den Nachbarn getrennt“ (Schuster 2019, S. 12). Zeitweise lebten in manchem Flüchtlingslager 500 bis 800 Menschen und mehr, darunter eine beachtliche Anzahl von noch nicht schulpflichtigen Kindern. Darum wurden in den Lagern bald Kindergärten errichtet. Diesen Aspekt unserer deutschen Vergangenheit hat man bisher in der Historiografie zur Geschichte des Kindergartens nicht wahrgenommen.
Einer der ersten Kindergärten wurde im November 1950 in einer Baracke im Lager am Fichtenbühl in Weiden ins Leben gerufen. Geleitet wurde dieser von Schwester Grata, einer heimatvertriebenen Klosterfrau von den Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Kreuz aus Eger. Mit ihr zusammen wohnten noch im Barackenlager Oberin Julitta und Schwester Bonavita, die sich um die Kranken kümmerte. Bis zu 50 Kinder und mehr hatte Schwester Grata zu betreuen (Schuster 2019, S. 45). In Bernreuth in der Oberpfalz fand im März 1954 „die feierliche Eröffnung [des Kindergartens] statt. Zur Leiterin wird Erika Reinl […] ernannt, ihre Mitarbeiterinnen sind Lydia Löffler […] und die Fürsorgerin Schwester Marianne Gebhardt aus Bamberg. Am ersten Tag kommen bereits 85 Kinder in den Kindergarten“ (Kugler 2000, S. 469 f.). Die meisten Kindergartenkinder waren durch die Flucht traumatisiert. Diese Situation verlangte von den Kindergärtnerinnen eine erhöhte pädagogische Sensibilität. Die Kindergärtnerin „E. K.“ berichtete aus ihrer Praxis:
„Durch das frühkindliche Erleben ist K. H. wohl so schreckhaft geworden […] Ich vermute, daß der Schrecken, aus dem brennenden Hause geholt zu werden, das plötzliche Fehlen der Mutter und der häufige Wechsel in der Erziehung K. H. so überempfindlich gemacht haben […]. K. H. braucht sehr viele Liebe, Eingehen auf seine oft recht kindlichen Wünsche, große Ruhe beim Spiel, die ich ihm, soweit das in einem Raum möglich ist, zukommen zu lassen. Er muß die nicht ausgelebte Zeit nachholen […] Ganz anders hat sich das Erleben der Flucht bei R. ausgewirkt […] Meistens kommt sie strahlend in den Kindergarten. Leider bringt sie eine solche Unruhe mit, die auch auf die anderen Kinder störend wirkt. Sie ist überlebhaft, redet sehr viel und kann sich schlecht konzentrieren. Sie kannte keine Ausdauer beim Spielen, wechselte von einem Spielzeug zum anderen und lief dazwischen wie eine Wilde im Kindergarten umher […] Wann hatte sie auch wohl richtig und mit Ausdauer spielen können? In den Lagern, auf langen Bahntransporten und in Notunterkünften war dazu wenig Möglichkeit gegeben […] Ich nehme Renate oft mit ins Freie. Beim Sparziergang finden wir auch mehr Ruhe und Zeit zur Unterhaltung […] Kleine Kinder hat sie gern. Wenn sie mit ihnen spielt oder sie beim Spazierengehen anfaßt, kann sie sogar für kurze Zeit ihre Wildheit zügeln und ganz behutsam sein. Daher gebe ich ihr bewußt öfter ein Kleines im Kindergarten zur Betreuung. Sie darf auch beim Waschen der Kleinen behilflich sein und ihnen beim Aufräumen des Spielzeugs helfen“ (zit. n. Schuster 2019, S. 52 ff.).
7.2 Exkurs: Jüdischer Kindergarten
Jüdische Kindergärten gab es auf deutschem Boden ausschließlich in den von den Westalliierten besetzten Zonen, seit 1949 BRD. Demgegenüber existierten in der sowjetisch besetzten Zone, ab 1949 DDR, keine jüdischen Vorschuleinrichtungen (Dietrich 2013, S. 325). In den autonom organisierten jüdischen Displaced Persons-Lagern sind ab einer gewissen Lagergröße auch Kindergärten errichtet worden, bspw. im Sommer 1945 im Gebäude „St. Gabriel“ (heute „St. Florian“) auf dem Areal des Benediktinerklosters St. Ottilien, im Oktober 1945 in Feldafing am Starnberger See, im Oktober 1945 in Landsberg am Lech, im November 1945 im „Föhrenwald“ bei Wolfratshausen und im Juni 1947 in Geretsried bei Wolfratshausen. Den Kindergarten im „Föhrenwald“, Michigan-Straße 1, besuchten bereits im Februar 1946 an die 30 Kinder, die von zwei „gut ausgebildeten Kindergärtnerinnen“ betreut wurden. Rasant wuchs die Zahl der Buben und Mädchen an, sodass „sich dort im Juni 1950 täglich 250 Kinder – aufgeteilt in zehn Gruppen – versammelten“ (Königseder und Wetzel 1994, S. 113). Da sich „Föhrenwald“ zu einem „Zentrum der Orthodoxie“ entwickelte, gab es auch einen religiös ausgerichteten Kindergarten, in dem die Drei- bis Sechsjährigen nach streng orthodoxen Maßstäben erzogen, versorgt und gebildet wurden (a.a.O., S. 111 ff.).
Im Chaos jener Zeit wurden die Bildungs- und Erziehungsziele mehr oder weniger intuitiv festgelegt, da es an konkreten Vorgaben hinsichtlich pädagogischer Konzepte zu speziellen Bildungs- und Erziehungsbereichen mangelte. Die wenigen vorhandenen Dokumente besagen, dass für alle Lagerkindergärten die Förderung einer jüdischen Identität der Jungen und Mädchen sowie ihre Zugehörigkeit zum jüdischen Volk oberste Priorität hatte. Neben Gebeten, Berücksichtigung der jüdischen Fest- und Feiertage im Jahreskreis, (hebräischen) Liedern, kindgerechten Geschichten und Erzählungen über das jüdische Volk, stand das kindliche Spiel im Vordergrund des Kindergartenalltags. Da es an kindgerechtem Spielzeug mangelte, stellten die Kindergärtnerinnen zusammen mit den Eltern, meist Müttern, Spielzeug aus Resten von Stoffen, Nägeln, Holzstücken, Säcken, Konservendosen, Pappe, Korken, Fadenresten etc. her, soweit sich „diese Dinge irgendwie im Lager auftreiben ließen. Allgemein gab es ja immer wieder Probleme mit der Materialbeschaffung. Hier war man auf Spenden von ‚außen‘ angewiesen“ (Bresslau 1998, S. 52 ff.).
Am 9. Dezember 1946 wurde in Berlin ein jüdischer Kindergarten, der erste außerhalb der Displaced Persons-Lager eröffnet (Damm 2008, S. 5 ff.). Die Anfangssituation gestaltete sich schwierig, zumal „viele Kinder aufgrund der Kriegsauswirkungen und den Entbehrungen während der Verfolgungszeit an Mangelerscheinungen litten“ (Dietrich 2013, S. 182) und zuallererst einmal physisch sowie psychisch stabilisiert werden mussten. Die Kindergärtnerinnen waren bemüht, die ihnen anvertrauten „Kinder jüdisch zu erziehen. So sollten das Begehen der jüdischen Feste und das Singen hebräischer und jiddischer Lieder zum Aufbau und zur Festigung ihrer jüdischen Identität beitragen […] Um den Wissensstand der Kinder zusätzlich abzusichern, wurde ihnen, ebenso wie bei der traditionellen jüdischen Erziehung, frühzeitig die Möglichkeit gegeben, sich an der Ausgestaltung der religiösen Zeremonien zu beteiligen. So erlebten sie von Anfang an spielerisch die Praxis ihrer Religion und begeisterten sich schnell für die mitunter streng festgelegten Feiertagsabläufe, was positiv zu ihrer jüdischen Prägung beitrug. Darüber hinaus erfuhren sie auf diese Weise feste Tages- und Jahresrhythmen, die ihrerseits wiederum die geistige Stabilisierung der Kinder begünstigten“ (a.a.O., S. 181).
Momentan existieren in Deutschland über 20 jüdische Kindergärten bzw. Kitas, Tendenz steigend (Dietrich 2013, S. 433 ff.). Es gibt Einrichtungen in Berlin, Bremen, Chemnitz, Dortmund, Duisburg, Düsseldorf, Frankfurt/Main, Hannover, Köln, Leipzig, Mönchengladbach, München, Offenbach und Stuttgart, wobei die meisten unter Polizeischutz stehen (Jung und Siodlaczek 2022). Die Kinder, die die heutigen jüdischen Kindergärten besuchen, kommen nicht ausschließlich aus jüdischen Familien, sondern auch aus christlichen, muslimischen und atheistischen (Scheuermann 2019). Demzufolge findet auch „keine einheitliche Konzeptentwicklung und flächendeckende Netzwerkarbeit […] statt, sondern einzelne Organisationen und jüdische Gemeinden versuchen sich daran, etwas eigenes zu konstruieren und vor Ort zu etablieren, was jedoch aufgrund fehlender finanzieller und personeller Mittel meist nur sehr niederschwellig angelegt sein kann“ (Seidler 2012, S. 88). Trotz fehlender Richtlinien und Offenheit der Einrichtungen für Kinder verschiedener Religionen und Kulturen, ist allen die Vermittlung einer jüdischen Identität gemeinsam. Das bedeutet, die jüdische Tradition und Religion den Kindern vorzuleben. Demzufolge nehmen die jüdischen Feiertage einen wichtigen Stellenwert ein und wichtige Inhalte der jüdischen Geschichte werden den Kindern vermittelt. Ferner steht das Einhalten der jüdischen Speisegesetze im Fokus der einzelnen Einrichtungen (Dietrich 2013, S. 326 ff.).
7.3 Entwicklung des Kindergartens in der DDR
Die Gründung des ersten Kindergartens in der sowjetisch besetzten Zone (SBZ), am 30. Mai 1945 im Berliner Stadtteil Weißensee, war eindeutig politisch motiviert. Er wurde „im Auftrag des Antifa-Ausschusses durch zwei Genossinnen der SPD eröffnet, die ihre pädagogischen Erfahrungen vor 1933 in der Organisation der ‚Kinderfreunde‘ gesammelt hatten“ (Barow-Bernstorff 1977, S. 423). Wenige Wochen später konnte im gleichen Stadtbezirk auf „Initiative der sowjetischen Kommandantur […] durch Mitglieder des Antifa-Ausschusses […], die der SPD und KPD angehörten“ (ebd.), ein zweiter Kindergarten seinen Betrieb aufnehmen. Es folgten im raschen Tempo weitere Neugründungen oder Wiedereröffnungen in der ganzen sowjetisch besetzten Zone und späteren DDR. Selbst in kleinsten Dörfern wurden „Land- und Erntekindergärten“ ins Leben gerufen, um auch den Müttern auf dem Lande, die innerhalb der „Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft“ (LPG) arbeiteten, „die Mitarbeit am Aufbau des Sozialismus zu ermöglichen“ (Christensen 1962, S. 9).
Seitenhiebe gegenüber dem „Bonner NATO-Staat“ und seiner verfehlten Erziehungs- und Bildungspolitik blieben nicht aus. So gelang der DDR die Umsetzung der Forderung Fröbels, „den Kindergarten als unterste Stufe in ein einheitliches Nationalerziehungssystem einzugliedern“ (Tippelt und Peterseim 1962, S. 3). Insgesamt gesehen konnten an den Leistungen der Kindergärten in der DDR „auch die westdeutschen Pädagogen nicht vorübergehen. Ob sie wollen oder nicht, sie müssen sich mit dem raschen Aufschwung des Volksbildungswesens des sozialistischen Lagers beschäftigen […]. Während in unserer Republik für je 1000 Kinder 572 Vorschulplätze zur Verfügung stehen und diese Relationen sich im Rahmen der Volkswirtschaftspläne ständig weiter verbessern, mehren sich die Stimmen vieler Eltern in Westdeutschland, die eine Unterbringung ihrer Kinder in Kindergärten fordern. Durch die ‚Maßhaltepolitik‘ Bonner Regierungskreise zur Verwirklichung der atomaren Aufrüstung werden immer mehr Frauen und Mütter gezwungen, zur Verbesserung ihrer Lebenslage berufstätig zu sein. Um diese Tatsache zu verschleiern und die berechtigten Forderungen der Mütter auf Unterbringung ihrer Kinder zu umgehen, unterstellt man ihnen ‚egoistische‘ Bestrebungen nach persönlichem Wohlstand“ (ebd.).
Militärische Spiele und der persönliche Kontakt zu Soldaten wurden befürwortet und bewusst gefördert. Sich auf Peter Göring berufend, der ein Angehöriger der Grenztruppen der DDR an der Berliner Mauer war und von einem West-Berliner Polizisten am 23. Mai 1962 erschossen wurde, als dieser das Feuer der DDR-Grenzsoldaten erwiderte, die West-Berliner Gebiet beschossen, um den flüchtenden 14-jährigen Schüler Wilfried Tews zu töten, vermerkte die bekannte DDR-Pädagogin Lore Schroeter, später Thier-Schroeter:
„Mahnt uns nicht der feige Mord an unserem Freund und Genossen Peter Göring an der Staatsgrenze in Berlin zu größter Aufrichtigkeit und patriotischer Verantwortung? Solche Ereignisse bleiben auch nicht ohne Wirkung auf unsere Jüngsten […]. Die Kinder beobachten unsere Soldaten bei ihren Übungen, sie sehen, daß auf Zielscheiben geschossen wird. Die Kinder sollen aber auch wissen, warum die Soldaten an der Staatsgrenze auf Wache stehen, warum sie Gewehre tragen, und daß sie, wenn es zum Schutze der Republik notwendig ist, auch ihre Waffen einsetzen werden. Wir dürfen deshalb auch keine falschen Vorstellungen in der Form bilden, daß die Soldaten der Volksarmee nur Brände löschen, Kanäle bauen, die Ernte einbringen, bei Hochwasser helfen usw.“ (Schroeter 1962, S. 19).
7.3.1 Ein Dorn im Auge der politischen Machthaber
Die privaten und christlichen Kindergärten waren den politischen Machthabern ein Dorn im Auge. Beispielsweise musste die ausgebildete Montessoripädagogin Margarete Aurin ihren privat betrieben Kindergarten in Nordhausen schließen. In der Begründung vom 05.12.1952 zur Schließung der Einrichtung wurde der Leiterin u.a. vorgeworfen, „dass ihre pädagogische Arbeit nach den sehr ‚schlechten‘ Montessori-Methoden durchgeführt worden wäre und so nicht dem Erziehungsbild der DDR entspräche“ (Balzer und Heerwagen 2019, S. 6). Die beiden großen christlichen Kirchen durften von Anfang an keine vorschulischen Einrichtungen gründen. Nur Kindergärten, die bereits vor 1945 bestanden, durften weitergeführt werden. Im Jahre 1989 verteilten sich die Kindergärten nach Trägern folgendermaßen: 86 Prozent waren in kommunaler, 11 Prozent in betrieblicher und nur drei Prozent in freier kirchlicher Trägerschaft. Die anfallenden Kosten für die sich in konfessioneller Trägerschaft befindenden Einrichtungen wurden allein durch die Kirchen und ihre Gemeinden sowie durch die geringen Elternbeiträge finanziert. Staatliche Kontrollinstanzen hatten keinen Zugang, ausgenommen die Kreis-Hygieneinspektion, die nur die Einhaltung der Auflagen im hygienischen Bereich, wie Toiletten, Isolierräume, Waschräume, Küchen, überprüfte. Auch im pädagogisch-konzeptionellen Bereich waren die evangelischen und katholischen Kindergärten nicht den staatlich verordneten Erziehungs- und Bildungsplänen unterworfen und somit auch nicht den staatlichen Erziehungs- und Bildungszielen verpflichtet. In den kirchlichen Einrichtungen hatten Ausdrucksformen des christlichen Glaubens „im Tagesablauf ihren festen Ort: der Morgenkreis, das Tischgebet und das Erzählen biblischer Geschichten. In den Räumen, die anfangs eher karg ausgestattet waren, durften Bilder und Symbole christlichen Glaubens nicht fehlen“ (Hartmann und Rahner 1997, S. 93).
Wenig bekannt ist, dass in der DDR ein „Kinderladen“ existierte, wenn auch nur für kurze Zeit. Diesen gründete Ulrike Poppe 1980 in der Husemannstraße 14 am Prenzlauer Berg. Die alternative Einrichtung wurde 1983 von der Staatssicherheit verboten. Bauarbeiter mauerten das Schaufenster kurzerhand zu. Eine ehemalige Erzieherin erinnerte sich:
„Wir definierten uns als eine freie und unabhängige Einrichtung, jenseits aller sonst üblichen Bevormundung und totalitärer Erziehung. So sollten unsere Kinder ihre Individualität und ihr Selbstbewusstsein sowie ihre Kreativität und Gemeinschaftsfähigkeit frei entfalten können […]. Auf keinen Fall wollten wir einen Beitrag zur Erziehung einer ‚ganzheitlich gefestigten sozialistischen Persönlichkeit‘ leisten“ (zit. n. Berger 2016, S. 133 f.).
7.3.2 Bildungspläne
Während der 40-jährigen DDR-Zeitepoche erschienen insgesamt sechs Bildungs- und Erziehungspläne für den vorschulischen Bereich. Die ersten fünf Pläne wurden vom 1949 gegründeten „Deutschen Pädagogischen Zentralinstitut“ (DPZI), der letzte Plan von der „Akademie der Pädagogischen Wissenschaften“ (APW), 1970 aus dem DPZI hervorgegangen, erarbeitet und herausgegeben (Zabel 2009).
Der jeweilige Bildungs- und Erziehungsplan war ein „staatliches Dokument, auf dessen Grundlage in allen Kindergärten in der DDR gearbeitet [wurde]. Der Bildungs- und Erziehungsplan beruht auf der Erkenntnis der marxistischen Pädagogik, daß der Prozeß der allseitigen Entwicklung des Kindes planmäßig und systematisch vom Erwachsenen zu führen ist. Die Kinder […] werden zu sozialistischen Persönlichkeiten, wenn ihnen zielstrebig die gesellschaftlich notwendigen Erfahrungen übermittelt und deren Aneignung gesichert werden“ (Pfütze 1973, S. 22). Die Pläne sicherten die gezielte Einflussnahme auf die kindliche Entwicklung durch die Kindergärtnerin, denn „nicht die Tätigkeit an sich […] erzieht, sondern deren Qualität“ (Kirchhöfer 1988, S. 181). Gezielt sollten solche Tätigkeiten geplant werden, die die Herausbildung bestimmter, gesellschaftlich erwünschter Fähigkeiten und Eigenschaften fördern. Selbst das Spiel der Kinder war so zu führen, dass es „im Sinne der Zielsetzung der sozialistischen Erziehung der Vorschulkinder voll wirksam wird“ (Ministerium für Volksbildung 1985, S. 24).
Die Bildung und Erziehung der Kinder waren darauf ausgerichtet, „die Ideen des Sozialismus in die Herzen der Kinder zu tragen […], daß sie später einmal ihr Wissen, ihren Verstand, ihr Herz, ihren Willen gebrauchen, im Interesse der Arbeiterklasse und aller Werktätiger zu arbeiten, […] die Ideologie der Arbeiterklasse zur Grundlage ihres Handelns zu machen“ (Pfütze 1973, S. 15). Neben der Erziehung der „Jüngsten zu Menschen […], die ihre Heimat lieben, denen die Freundschaft zu allen Völkern unserer sozialistischen Gemeinschaft, vor allem zu den Völkern der Sowjetunion, ein tiefes Bedürfnis ist“ (Krecker 1979, S. 438), sollten die Bildungs- und Erziehungspläne dafür Sorge tragen, dass alle Kinder beim Eintritt in die Schule die gleichen Voraussetzungen mitbringen. Dies geschah durch eine systematische Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten sowie durch einen Fächerkanon, der sich hinsichtlich der Beschäftigungen an den Anforderungen der ersten Klasse anlehnte. Diesem Sachverhalt entsprechend, wurden die Ziele, Inhalte und Aufgaben im Kindergarten jeweils für drei Altersgruppen gesondert aufgestellt (verbunden mit steigenden Anforderungen, dem zunehmenden Alter entsprechend): der jüngeren (3- bis 4-jährige), der mittleren (4- bis 5-jährigen) und der älteren Kindergruppe (5- bis 6-jährige).
Rückblickend bleibt für Eltern, Erzieher:innen, Kinder etc. die öffentliche Kleinkindererziehung der DDR „in mindestens ambivalenter, nicht selten sogar in ausgesprochen guter Erinnerung. Zwar werden von ehemaligen Kindergärtnerinnen immer wieder die Gängelung durch die Pläne, die Politisierung der Kindergartenarbeit, die zudem über die Köpfe der Kinder hinweggegangen sei, und anderes mehr kritisiert. Nicht wenige Kindergärtnerinnen aber empfanden das Arbeiten nach Plan als entlastend. Man wusste, was verlangt ist, was ein Kind in einem bestimmten Lebensalter können sollte usw.“ (Konrad 2012, S. 227 f.).
7.4 Entwicklung des Kindergartens in der BRD
Im Westen Deutschlands knüpfte man nach 1945 an die Jahre der Weimarer Zeit an. Demzufolge war der Kindergarten zuvörderst eine Nothilfeeinrichtung für elternlose, vernachlässigte oder von Verwahrlosung bedrohte Kinder, in der sich das „Doppelmotiv“, nämlich das „Spannungsverhältnis zwischen sozialpolitisch motivierter Fürsorge und (sozial-)pädagogisch motivierter Förderung“ (Neumann 1987, S. 94) als prägend erwies. Insbesondere die beiden großen christlichen Trägerverbände bemühten sich um den Wiederaufbau und die Instandsetzung von Kindergärten.
Allgemein war der Neubeginn bis weit in die 1950er-Jahre von Finanzierungsschwierigkeiten, Personalmangel, Raumnot und Kinderandrang gekennzeichnet. Viele Einrichtungen waren notdürftig in Baracken, Kirchtürmen, Unterkirchen oder Nissenhütten untergebracht, die „weitgehendst sogar den Mindestanforderungen“ (Kinderheim 1946, S. 46) nicht entsprachen. Jedoch hinsichtlich der Kinderzahl waren sie notgedrungen auf „Vermassung“ angelegt. Die vielen Kinder standen „in einem Mißverhältnis zu der vorhandenen Raumgröße und oft auch zu der zur Verfügung stehenden Einrichtung und zu dem mangelnden Spiel- und Beschäftigungsmaterial“ (ebd.).
Die öffentliche Kleinkindererziehung der 1950er- und 1960er-Jahre war nicht sehr theoretisch fundiert. Ein Grund dafür dürfte die altbekannte Proposition gewesen sein, dass man den Kindergarten nur als Ausnahme, als Notlösung betrachtete. Er war „nur da, aber auch überall da zu fordern, wo die Familie und besonders die Mutter nicht bieten kann, was des Kleinkindes ist“ (Göttler 1957, S. 325). Wenn die vorschulische Pädagogik sich auf eine „Theorie“ berief, dann auf Fröbel, die Bedeutung des kindlichen Spiels und der Spielpflege. Ferner auf die Erkenntnisse der „psychologischen Reifetheorie, die vom Grundprinzip einer durch interne Schritte gesteuerte Entwicklung ausging […]. Die Verbindung der Fröbelschen Spieltheorie mit der Reifetheorie führte zu einer Kindergartenpädagogik, die einerseits als ‚Schonraumpädagogik‘ charakterisiert werden kann, andererseits aber in der Betonung von Disziplin und Ordnung noch sehr den überkommenen autoritären Strukturen verpflichtet war“ (Tolksdorf 1998, S. 118).
Die aus Österreich stammenden Kindergärtnerinnen Mater Margarete Schörl und Margarete Schmaus kritisierten die vorherrschende „Vermassung“ und die damit verbundene „Massenlenkung“ in den Kindergärten. An die 50 Kinder und mehr in einer Gruppe wurden von einer einzigen Kindergärtnerin betreut. Dies war alltägliche Begebenheit, denn es mangelte erheblich an Kindergartenplätzen, deren rapide Anhebung durch die steigende Erwerbstätigkeit der Mütter immer dringender wurde. Um den Kindern „Freiräume“ zu ermöglichen, entwickelten sie das Konzept des „Raumteilverfahrens“, das bis heute ihre Wirkkraft in den Kindergärten (Kitas) nicht verloren hat (Lex-Nalis und Rösler 2019, S. 123 ff.). In dem seinerzeit weitverbreiteten Fachbuch der beiden Kindergärtnerinnen „Die sozialpädagogische Arbeit der Kindergärtnerin“ heißt es dazu:
„Das Raumteilverfahren dient der Absicht, den Kindern im Kindergarten das Spielen in seinen vollen Werten zu sichern. Es ist eine sozialpädagogische Methode der Spielführung: Es beansprucht und fördert die sozialen Kräfte, indem es die spontane Gesellung der Kinder zu kleinen Spielgruppen ermöglicht und auch ihr Bedürfnis, zeitweise für sich allein zu spielen, berücksichtigt“ (Schmaus und Schörl 1964, S. 48).
7.4.1 Reformbestrebungen Ende der 1960er-Jahre
Im Zuge allgemeiner bildungspolitischer Auseinandersetzungen rückte die öffentliche Kleinkindererziehung ab Mitte der 1960er-Jahre in den Brennpunkt des öffentlichen Interesses, ausgelöst und verstärkt durch den „Sputnikschock“ und die aus den USA importierte „Frühlesebewegung“, verbunden mit entsprechenden Parolen wie jenen von der „deutschen Bildungskatastrophe“, „Bildung ist Bürgerrecht“ oder „wir halten die kleinen Kinder künstlich dumm“. Die Institution Kindergarten wurde folgend von Behörden und Eltern, von Wissenschaft und Öffentlichkeit „auf intellektuelle Leistung und schulische Befähigung abgefragt – und nicht selten, weil die Antwort zu Recht nicht zufriedenstellend ausfiel (ausfallen konnte), geflissentlich als ‚Bewahrschule‘ diffamiert“ (Kessels 1978, S. 219). Der Psychologe und Universitätsprofessor Heinz-Rolf Lückert kritisierte die Rückständigkeit der Vorschulerziehung und mahnte eine intensivere kognitive Förderung der Kinder an, um ihnen wichtige Lerninhalte nicht vorzuenthalten. Folglich forderte der „bekannteste und profilierteste Promotor [einer] Didaktik der Vorschule“ (Klassen 1970, S. 5), u.a., die beiden Fähigkeiten Intelligenz und Begabung, die keine starre Mitgift sind, „in ganz besonderer Weise durch langfristige Trainingsmethoden […] zu entwickeln“ (zit. n. a.a.O., S. 43). Der „pädagogisch-psychologische Markt“ reagierte sogleich und produzierte didaktische Materialien (Sprach- und Denkförderungsmappen, Logische Blöcke, Vorschulmappen, Frage-, Denk- und Logikspiele, Lernspiele etc.), die die sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten kleiner Kinder fördern sollten.
Die Studentenbewegung der späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre hatte die Kindergartenlandschaft ganz schön „aufgemischt“ (Bock et al. 2020). In einem Gemenge „aus marxistisch inspirierter Gesellschaftskritik und Psychoanalyse […] wurden Familie und Kindergarten unter den gegen die verkrustete bürgerliche Ordnung in Staat und Gesellschaft aufbegehrenden Studenten als repressive Institutionen gebrandmarkt, die einzig die Aufgabe hätten, die für den Fortbestand der bürgerlich-spätkapitalistischen Gesellschaft notwendigen autoritären Charakterstrukturen zu reproduzieren“ (Konrad 2012, S. 182 f.). Die sogenannte Kinderladenbewegung orientierte sich vor allem an der psychoanalytischen Pädagogik, die von der etablierten Erziehungswissenschaft bis dahin so gut wie nicht zur Kenntnis genommen wurde. Neben der Regelhaftigkeit des Tagesablaufs, den autoritären Strukturen und der mangelnden Einbeziehung der Eltern in die Kindergartenarbeit kritisierte man vor allem die „Unterdrückung von kindlicher Sexualität“ (ebd.). Um ihre „Pädagogik“, wohl richtiger „Politisierung“, verwirklichen zu können, gründeten die Studenten „Kinderläden“ in Frankfurt am Main und vor allem in Berlin.
7.4.2 Konzept: Situationsansatz
Im Zuge der Neuorientierung der Vorschulerziehung Ende der 1960er-/​Anfang der 1970er-Jahre wurden unterschiedliche curriculare Konzepte entwickelt und erprobt. Dabei kristallisierte sich der sogenannte Situationsansatz als besonders erfolgreich heraus, der sogar in einzelne Länder der Dritten Welt „exportiert“ wurde. Dieser möchte nicht Funktionen schulen, wie beispielsweise der Funktions- oder kognitivistische Ansatz, sondern die Kinder auf die Bewältigung von Situationen ihres gegenwärtigen und zukünftigen Lebens unter den leitenden Zielvorstellungen von „Autonomie, Solidarität und Kompetenz“ (Zimmer 2000, S. 15) vorbereiten. Die Bestimmung der Situationen erfolgt aus der unmittelbaren Praxis heraus, d.h. bestimmte Konflikte, Probleme, Ängste, Freuden von Kindern, „in denen diese im Augenblick stehen oder in die sie in absehbarer Zeit kommen werden“ (Hebenstreit 1980, S. 128). Kernstück dieses Ansatzes ist das Curriculum „Soziales Lernen“, das 28 ausgearbeitete und erprobte didaktische Einheiten umfasst, deren Themen von „Neue Kinder in der Gruppe“, „Meine Familie und ich“, „Tod“, „Wir haben Ferien“, „Verlaufen in der Stadt“, „Kinder allein zu Haus“, „Kinder im Kindergarten“, „Große und kleine Kinder“, „Gastarbeiterkinder“ bis zu „Kinder aus unvollständigen Familien“ reichen. Diese didaktischen Einheiten sollten aber nicht als festes Programm verstanden werden, sondern auf die konkrete Situation hin abgewandelt bzw. entworfen werden. Der Situationsansatz wurde und wird noch immer kritisch betrachtet, insbesondere hinsichtlich der „Zufälligkeit der Situationsauswahl“ (a.a.O., S. 137).
8 In der Zeit von 1990 bis zur Gegenwart
Die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten bedeutete, dass auf dem Gebiet der ehemaligen DDR der Kindergarten aus dem Bildungsbereich herausgelöst und dem „Kinder- und Jugendhilfegesetz“ (KJHG) unterstellt wurde. Dieses trat dort bereits am 3. Oktober 1990 in Kraft, also um drei Monate früher als in den alten Bundesländern. Nach diesem Gesetz ist der Kindergarten eine Angelegenheit der Kommunen und Länder und nicht mehr des Staates. Bedingt durch den Prozess der Perestroika mussten vor allem in westdeutschen Kindergärten plötzlich, unerwartet und unvorbereitet viele Aussiedlerkinder betreut werden. Diese Situation überforderte, forderte heraus und musste schließlich gemeistert werden.
Bereits Ende der 1980er-Jahre, insbesondere aber in den 1990er-Jahren, verstärkten sich die Bemühungen, behinderte und nicht behinderte Kinder in sogenannten integrativen Kindergärten zusammenzufassen und zu erziehen und zu fördern. Diesbezüglich kristallisierten sich verschiedene Formen einer gemeinsamen Förderung und Erziehung behinderter und nicht behinderter Kinder in Kindergärten bzw. Kitas heraus.
Heute ist die „Inklusive Pädagogik“ eine Selbstverständlichkeit, der Kindergarten durchaus auch eine heilpädagogische Institution. Anders als der Begriff Integration, der besagt, dass Menschen mit einer Behinderung bzw. mit einem Handicap einbezogen werden sollten, bedeutet Inklusion, dass alle Kinder mit und ohne Behinderung in Gruppen gemeinsam gefördert werden, sofern der jeweilige Hilfebedarf dies konzediert. Für eine positive Entwicklung benötigen Kinder andere Kinder. Diese alte Weisheit gilt auch für das behinderte Kind. Es erfährt durch die gemeinsame Erziehung in der „Normalumgebung“ eine Vielzahl von Anregungen und Erfahrungen, „die ihm eine optimale Sozialerziehung innerhalb seiner Maßstäbe ermöglichen können“ (Haug-Schnabel und Schmid 1988, S. 16). Doch vom gemeinsamen Zusammenleben profitieren nicht nur die behinderten Kinder, auch für die gesunden Kinder ergibt sich daraus eine wesentliche Bereicherung. Neben sozialen Eigenschaften wie „Hilfsbereitschaft, Rücksichtnahme und Einfühlungsvermögen lernen sie den phantasievollen Umgang mit unterschiedlichen Menschen; lernen die Stärken der ‚Schwächeren‘ kennen und können sich am Erfolg und Fortschritt anderer erfreuen“ (ebd.).
Die anhaltende intensive Diskussion über eine frühkindliche Bildung (education), Erziehung (upbringing) und Betreuung (care), führten in den einzelnen Bundesländern zur Entwicklung von Erziehungs- und Bildungsplänen für Kinder in Tageseinrichtungen (Kindergärten, Kitas). Sie sind u.a. entstanden als eine Antwort auf das schlechte Abschneiden deutscher Schüler bei den ersten PISA-, IGLU- und OECD-Studien. Aber auch die bereits in vielen OECD-Staaten verabschiedeten Bildungspläne waren ein weiterer Grund für entsprechende Anstrengungen hierzulande. Dazu kam die (erneute) Bestätigung durch die Neurowissenschaft, dass Bildung viel früher als bisher einsetzen müsse, da der Mensch zum Lernen geboren wird. Die Prägbarkeit des Gehirns ist im frühen Kindesalter fulminant und das Lernen folglich überaus ergiebig. Wie die Neurowissenschaftler:innen aufzeigten, ist beispielsweise das Gehirn eines dreijährigen Kindes doppelt so aktiv wie das eines Erwachsenen. Darum dürfe der Kindergarten seine Chancen nicht fahrlässig verspielen, denn: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ (Spitzer 2007, S. 241).
In allen 16 Bundesländern wurden Erziehungs- und Bildungspläne erarbeitet, mit unterschiedlichem Umfang (von 12 bis 488 Seiten) sowie Altersgruppenbezug (von Geburt bis zum zehnten Lebensjahr), aber relativ ähnlichen Inhalten. Die Pläne beruhen auf freiwilliger Mitwirkung der erzieherisch Verantwortlichen und reichen „über den Status von ‚Empfehlungen‘ und ‚Handreichungen‘ nicht hinaus; Empfehlungen aber sind nicht das richtige Instrument zur Durchsetzung von Plänen“ (Reyer 2006, S. 218). Fast alle Erziehungs- und Bildungspläne beinhalten Lernfelder, werden Leitgedanken (wie Bildungsverständnis, Umgang mit individuellen Unterschieden und kultureller Vielfalt, Relevanz von Spielen und Lernen) formuliert und das zugrundeliegende Menschenbild skizziert. Allenthalben ist von den Kindern zu erwerbenden „(Basis-)Kompetenzen“ und „Schlüsselqualifikationen“ die Rede. Ferner werden verschiedene Bildungs- und Erziehungsbereiche bzw. Lern- und Erfahrungsfelder (bspw. mathematische, künstlerische, technische, emotionale, gesundheitliche, musische, sprachliche und mediale Bildung) sowie inklusive didaktische Anleitungen und methodische Hinweise unterbreitet. Ein besonderes Augenmerk gilt der Integration von Kindern mit Migrationshintergrund, Kindern mit erhöhtem Entwicklungsrisiko und (drohender) Behinderung, Kindern mit besonderen Bedürfnissen, Kindern mit Hochbegabung oder den auf die Kinder zukommenden Übergängen (Transitionen), von der Familie oder Krippe in den Kindergarten und vom Kindergarten in die Schule.
Bedingt durch die Kritik am deutschen Bildungssystem werden immer mehr Kindergärten zu einem „Haus für kleine Forscher“ und die Lern-/Förderbereiche Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften sowie Technik (zusammengefasst MINT) lanciert. Hierbei geht es nicht, wie die verantwortlichen Wissenschaftler:innen, Politiker:innen sowie die Sponsoren aus Wirtschaft und Industrie betonen, um das Auswendiglernen von abstrakten Formeln oder um ein Training zur Handhabung technischer Geräte u.a.m. Vielmehr geht es darum, dass die Kinder sich ein „Natur-Wissen“ schaffen, beispielsweise durch kindgerechte „wissenschaftliche“ Experimente, geleitet von dem Motto Forschen, Staunen und Verstehen. Durch individuelle Erkundung und in Zusammenarbeit mit anderen Kindern, werden durch Austausch, Anregungen, gemeinsame Reflexion unterschiedliche Erfahrungen/​Kompetenzen, im sinnlichen, sozialen, sprachlichen und kognitiven Bereich, gefördert (Lück 2003, S. 102 ff.).
Ob die gegenwärtigen Anstrengungen zur Förderung frühkindlicher Bildungskräfte, die in mancher Hinsicht an die Bildungsreform-Debatten der späten 1960er/frühen 1970er-Jahre erinnern, tatsächlich die erwünschen bzw. prophezeiten Erfolge bringen, bleibt abzuwarten. Jedenfalls liegt bisher noch keine einzige Langzeitstudie vor, aus der sich systematische Zusammenhänge zwischen Bildungsprozessen im Kindergarten und Kompetenzen im späteren Lebensalter/​-abschnitt ableiten lassen.
Seit 1996 hat jedes Kind bei Vollendung des dritten Lebensjahrs bis zu seiner Einschulung einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz (§ 24 Abs. 1 SGB VIII,). Dabei haben die öffentlichen Jugendhilfeträger dafür Sorge zu tragen, für diese Altersgruppe ein bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagsplätzen zur Verfügung zu stellen (bzw. ergänzend in der Kindertagespflege). Und noch nie gab es eine so vielschichtige Träger-/Einrichtungentopografie: Sogenannte „Regelkindergärten“, integrative, sprachheil- und heilpädagogische Institutionen bis zu bilingualen Kindergärten etc. Auch gab es noch nie ein derartiges Konglomerat von vorschulischen Konzeptionen und Programmen. Diesbezüglich ist festzustellen, dass sich gerade alternative Konzepte wie insbesondere die Waldorf-, Montessori-, Reggio-, Wald- oder Schörl-/Schmauspädagogik eines gestiegenen Zuspruchs erfreuen.
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Verfasst von
Manfred Berger
Mitbegründer (1993) und Leiter des „Ida-Seele-Archivs zur Erforschung der Geschichte des Kindergartens“
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Zitiervorschlag
Berger, Manfred,
2022.
Geschichte des Kindergartens [online]. socialnet Lexikon.
Bonn: socialnet, 07.12.2022 [Zugriff am: 14.12.2024].
Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/29584
Link zur jeweils aktuellsten Version: https://www.socialnet.de/lexikon/Geschichte-des-Kindergartens
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