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Geschlecht

Prof. Dr. Constance Engelfried, Maya Ostrowski

veröffentlicht am 05.07.2022

Ähnlicher Begriff: Körpergeschlecht

Beim Begriff „Geschlecht“ handelt es sich um eine sozial hergestellte Unterscheidungskategorie.

Überblick

  1. 1 Zum Begriff
  2. 2 Vielfältige Definitionsansätze
  3. 3 „sex“ und „gender“
  4. 4 Kategorie sozialer Ungleichheit
  5. 5 Quellenangaben

1 Zum Begriff

Der Begriff „Geschlecht“ bezeichnet seiner ursprünglichen Herkunft nach etwas, das „in dieselbe Richtung schlägt“ (Dudenredaktion o.J.b, o.S.). Er wird für Gattungen, Arten, Familien, Sippen oder auch für Generationen verwendet. Ebenso findet er sprachwissenschaftlich Gebrauch im Kontext der Einteilung von Begriffen in die Dimensionen „männlich“, „weiblich“ und „sächlich“. Zudem wird der Begriff verwendet, wenn es – bezogen auf die Funktion der Fortpflanzung – um die Bestimmung von Lebewesen als „biologisch männlich oder weiblich“ geht (Dudenredaktion o.J.b, o.S.; o.J.a, o.S.).

2 Vielfältige Definitionsansätze

Eine allgemeine Definition hinsichtlich des Begriffs „Geschlecht“ ist nicht möglich. So bildeten sich hierzu im Verlauf der Geschichte vielfältige Ansätze heraus und auch heute handelt es sich bei der Definition von Geschlecht um einen Gegenstand kontrovers geführter Debatten. Wird beispielsweise ein Blick auf die Zeit zwischen Mitte des 18. und Mitte des 19. Jahrhunderts geworfen, so lässt sich rekonstruieren, wie sich sukzessive ein biologistisches Verständnis von Geschlecht entwickelte. Geschlechter wurden hierbei als „von Natur aus“ unterschiedlich begriffen. Auch die soziale und politische Ungleichheit von Männern* und Frauen* wurde vor diesem Hintergrund erklärt und gerechtfertigt (Honegger 1991; Lettow 2018).

Dass dieses Verständnis im weiteren Verlauf der Geschichte brüchig wurde, zeigt sich spätestens ab 1949 an dem berühmt gewordenen Ausspruch von Simone de Beauvoir: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“ (de Beauvoir 2021, S. 334). Naturalisierungen wurden nun grundsätzlich infrage gestellt. Nicht zuletzt wurde Kritik formuliert an „gesellschaftlichen Zuschreibungen von sozialen ‚weiblichen‘ Verhaltensweisen und Handlungsmustern“ und die „Rolle von Familie, Schule, Arbeitswelten für die Herausbildung von weiblichen und männlichen Identitäten“ betont (Guth 2016, S. 227).

3 „sex“ und „gender“

Von zentraler Bedeutung ist in der folgenden Zeit auch die Unterscheidung zwischen „sex“ als „biologischem“ Geschlecht und „gender“ als „sozialer“ Dimension von Geschlecht geworden. Doch auch diese Ansätze wurden und werden kontrovers diskutiert (Villa 2019). So stellte beispielsweise Judith Butler zu Beginn der 1990er Jahre die These auf, dass „Geschlecht keine vordiskursive, anatomische Gegebenheit sein“ könne (Butler 2021, S. 26) und es sich auch bei dem unter dem Begriff „sex“ gefassten Geschlecht um eine „kulturell generierte Geschlechter-Kategorie (gendered category)“ handele (a.a.O., S. 24).

Auch dieser Ansatz war und ist jedoch nicht unumstritten. So hat Butler „[f]ür viele Kommentator_innen […] eine Form von Diskursontologie formuliert, die dem Materiellen – dem Somatischen – nicht hinreichend Raum lässt und ohnehin nicht nur jegliche Eigentlichkeit des Biologischen bestreitet, sondern das Biologische oder auch Materielle schlechterdings als eigene Qualität überhaupt leugnet“ (Villa 2019, S. 30). Butler wiederum reagierte auf entsprechende Kritikpunkte und stellte klar, dass sie „den Körper in seiner materiellen Beschaffenheit nicht leugnen, sondern ihn lediglich als ‚Natursache‘ infrage stellen und aufzeigen [würde], dass diskursive Praktiken sich in Materie verfestigten (Butler 1995, S. 22 und 27 f.)“ (Guth 2016, S. 230).

Mit Blick auf Debatten um Geschlecht lässt sich insgesamt zunehmend feststellen, dass sich die „Auseinandersetzung um die Natur der Geschlechterdinge […] von einem Entweder-oder zwischen Natur und Sozialem“ löst (Villa 2020, S. 150). Zu nennen wäre an dieser Stelle beispielsweise der „psychobiosoziale Ansatz“, bei dem „von einer multidimensionalen Verflechtung und Wechselwirkung biologischer, psychologischer und sozialer Aspekte“ ausgegangen wird (Palm 2020, S. 165). Gleichzeitig werden auch weiterhin „verschiedene Fassungen der Sex/Gender-Unterscheidung genutzt […], auch solche, die vom Apriori dieser Unterscheidung ausgehen“ (Villa 2019, S. 31).

4 Kategorie sozialer Ungleichheit

Geschlecht – so wird an dieser Stelle deutlich – ist ein umstrittener Begriff. Es wird eine Vielfalt an theoretischen Konzepten und Positionen diskutiert. Weitgehende Einigkeit besteht inzwischen allerdings darin, dass Geschlecht im Kontext gesellschaftlicher Diskriminierungsverhältnisse eine Bedeutung zukommt. So ergeben sich aus der Zuweisung eines Geschlechts bei der Geburt eines Kindes bis heute eine Reihe bedeutsamer Konsequenzen für die Individuen einer Gesellschaft.

Geschlecht bildet dabei eine der zentralen Kategorien sozialer Ungleichheit, die – nicht zuletzt auch in Wechselwirkung mit weiteren Kategorien sozialer Ungleichheit (Stichwort Intersektionalität) – in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen ihre Wirkmächtigkeit entfaltet. Analytisch beschreiben lassen sich diese Effekte mitunter auf struktureller Ebene, im Kontext von sozialen Interaktionen sowie auf der symbolischen Ebene gesellschaftlicher Diskurse, Normen und Wissenselemente (Winker und Degele 2010, S. 18 ff.). Entsprechende Befunde hierzu liefern insbesondere Studien der Geschlechterforschung.

5 Quellenangaben

Butler, Judith, 2021. Das Unbehagen der Geschlechter. 22. Auflage. Frankfurt/Main: Suhrkamp. ISBN 978-3-518-11722-4

de Beauvoir, Simone, 2021. Das andere Geschlecht: Sitte und Sexus der Frau. 24. Auflage. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch. ISBN 978-3-499-16621-1

Dudenredaktion, o.J.a. Genus [online]. Berlin: Bibliographisches Institut GmbH [Zugriff am: 02.05.2022]. Verfügbar unter: https://www.duden.de/rechtschreibung/​Genus

Dudenredaktion, o.J.b. Geschlecht [online]. Berlin: Bibliographisches Institut GmbH [Zugriff am: 02.05.2022]. Verfügbar unter: https://www.duden.de/rechtschreibung/​Geschlecht

Guth, Doris, 2016. Gender und Queer Studies. In: Elke Gaugele und Jens Kastner, Hrsg. Critical Studies: Kultur- und Sozialtheorie im Kunstfeld. Wiesbaden: Springer VS, S. 225–240. ISBN 978-3-658-10412-2

Honegger, Claudia, 1991. Die Ordnung der Geschlechter: Die Wissenschaften vom Menschen und das Weib: 1750–1850. Frankfurt/Main: Campus. ISBN 978-3-593-34337-2

Lettow, Susanne, 2018. Biologie – Biopolitik – Biophilosophie: Epistemologie und Politik der Geschlechterverhältnisse. In: Mechthild Koreuber und Birte Aßmann, Hrsg. Das Geschlecht in der Biologie: Aufforderung zu einem Perspektivenwechsel. Baden-Baden: Nomos, S. 23–42. ISBN 978-3-8452-3943-9

Palm, Kerstin, 2020. Gibt es geschlechtsspezifische kognitive Fähigkeiten? In: Barbara Rendtorff, Claudia Mahs und Anne-Dorothee Warmuth, Hrsg. Geschlechterverwirrungen: Was wir wissen, was wir glauben und was nicht stimmt. Frankfurt/Main: Campus, S. 160–167. ISBN 978-3-593-44411-6

Villa, Paula-Irene, 2019. Sex – Gender: Ko-Konstitution statt Entgegensetzung. In: Beate Kortendiek, Birgit Riegraf und Katja Sabisch, Hrsg. Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung. Wiesbaden: Springer VS, S. 23–33. ISBN 978-3-658-12495-3 [Rezension bei socialnet]

Villa, Paula-Irene, 2020. Bodies matter: Zur Materialität und Relevanz von (Geschlechts-)Körpern. In: Barbara Rendtorff, Claudia Mahs und Anne-Dorothee Warmuth, Hrsg. Geschlechterverwirrungen: Was wir wissen, was wir glauben und was nicht stimmt. Frankfurt/Main: Campus, S. 145–151. ISBN 978-3-593-44411-6

Winker, Gabriele und Nina Degele, 2010. Intersektionalität: Zur Analyse sozialer Ungleichheiten. 2., unveränderte Auflage. Bielefeld: transcript. ISBN 978-3-8376-1149-6

Verfasst von
Prof. Dr. Constance Engelfried
Sozialwissenschaftlerin, Hochschule für Angewandte Wissenschaften München
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Maya Ostrowski
Sozialarbeiterin (M.A.) und Doktorandin im Fachgebiet Erziehungs- und Bildungswissenschaft
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Es gibt 2 Lexikonartikel von Maya Ostrowski.

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