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Hard-to-reach

FH-Prof. Mag. Dr. Hubert Höllmüller

veröffentlicht am 02.08.2022

Weitere Schreibweisen: Hard to Reach; Hard to reach

Etymologie: engl. hard to reach schwer zu erreichen

„Hard to reach“ bezeichnet Zielgruppen in der Sozialen Arbeit, die nicht über die vorhandenen Begegnungsstrukturen erreichbar sind bzw. die diese bewusst vermeiden und/oder ablehnen.

Die konzeptionelle Antwort der Sozialen Arbeit auf diese schwer erreichbaren Zielgruppen ist dann Niedrigschwelligkeit, also der Ansatz, Zugangshürden soweit zu reduzieren, dass die entsprechenden Zielgruppen Angebote nutzen. Solche Schwellen beziehen sich aber nicht nur auf Äußerlichkeiten wie Öffnungszeiten, Terminverpflichtung, Standort des Angebots oder Kostenaspekte; sondern auch auf „weiche“ Faktoren wie professionelle Haltungen, Selbstdeutungen der Zielgruppen und Stigmatisierungen.

Eine andere konzeptionelle Antwort ist das Aufsuchen dieser Zielgruppen in ihren Lebenswelten, um dort Begegnungen zu gestalten, die ein Arbeitsbündnis im Sinne der Ziele der Angebote ermöglichen sollen. Neben der Sozialen Arbeit arbeitet auch die Psychotherapie vermehrt aufsuchend.

Die empirische Tatsache, dass bestimmte Zielgruppen bzw. einzelne Personen bestimmter Zielgruppen schwer zu erreichen sind, trägt per se ein kritisches Potenzial in Bezug auf die Interventionssysteme mit sich: Die Gründe für diese schwere Erreichbarkeit können in den adressierten Personen liegen, aber eben auch im Interventionssystem, das auf die Ressourcen und Restriktionen der Zielgruppen zu wenig oder gar nicht eingeht.

Verschärft wird diese kritische Perspektive, wenn sich adressierte Personen bewusst entziehen und eine Einbindung in Interventionssysteme verweigern. Die damit verbundene Vorstellung und Bezeichnung, dadurch würden diese Personen Systeme „sprengen“, so wie etwas, das nicht in einen Rahmen passt, diesen sprengt – allerdings nur imaginativ, denn der Rahmen bleibt fix und so wie er ist – zeigt die Abwehr dieser kritischen Perspektive: Das System macht alles richtig, nur die adressierten Personen verstehen das nicht.

Für eine Bearbeitung dieses Phänomens ist der Auftrag entscheidend: Einerseits erfolgt dieser ausdrücklich für eine bestimmte Zielgruppe wie bei „Streetwork“ und der Erfolg wird darin gemessen, inwieweit aus „hard to reach“ so etwas wie „easy to reach“ wird. Bei anderen Interventionssystemen wird durchaus akzeptiert, dass einzelne adressierte Personen nicht erreicht werden. Hier entscheiden die Eigeninitiativen der Interventionssysteme bzw. Nachschärfungen der Auftraggeber, ob mehr auf die Ressourcen und Restriktionen der adressierten Personen eingegangen wird.

Bemerkenswert ist, dass aktuelle Publikationen zum Begriff hard to reach einen starken Konnex zur Psychiatrie haben. Gerade hier haben Selbstdeutungen der Zielgruppen – die als „Patient*innen“ tituliert – sich grundsätzlich einem Expert*innenregime zu unterziehen haben, eher einen geringen Stellenwert und werden Zuschreibungen weit öfters als Stigmatisierungen verstanden als in der Sozialen Arbeit.

Literaturhinweise

Arnold, Helmut und Hubert Höllmüller, 2017. Niederschwelligkeit in der Sozialen Arbeit. Weinheim: Beltz Juventa. ISBN 978-3-7799-3292-5 [Rezension bei socialnet]

Diebäcker Marc und Gabriele Wild, 2020. Streetwork und Aufsuchende Soziale Arbeit im öffentlichen Raum. Wiesbaden: SpringerVS. ISBN 978-3-658-28182-3

Giertz, Karsten, Große, Lisa Große und Silke B. Gahleitner, Hrsg., 2021. Hard to reach: schwer erreichbare Klientel unterstützen. Köln: Psychiatrieverlag. ISBN 978-3-96605-006-7 [Rezension bei socialnet]

Verfasst von
FH-Prof. Mag. Dr. Hubert Höllmüller
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