Heimgesetz
Frank Dickmann
veröffentlicht am 15.03.2023
Das Heimgesetz (HeimG) mit seinen ergänzenden Rechtsverordnungen regelte von 1975 bis 2008 das Recht von Einrichtungen für ältere Menschen oder pflegebedürftige oder behinderte Volljährige. Mit der Föderalismusreform von 2006 wurde die Gesetzgebungskompetenz für das öffentliche Heimrecht auf die Bundesländer übertragen, die nach und nach eigene Gesetze erlassen haben, sodass das HeimG an Bedeutung verloren hat.
Überblick
- 1 Zusammenfassung
- 2 Gegenstand des HeimG
- 3 Betreuungseinrichtungen als historisches Phänomen
- 4 Moderne Normengeschichte – Entwicklungslinien zum HeimG
- 5 Regelungsgegenstände des HeimG in der Version von 1975
- 6 Novellierungen des HeimG
- 7 Die Entwicklung in der früheren DDR
- 8 Die Verordnungen zum HeimG
- 9 Quellenangaben
- 10 Literaturhinweise
1 Zusammenfassung
Das Heimgesetz (HeimG) des Bundes vom 07.08.1974, in Kraft getreten am 01.01.1975, prägte das öffentliche Heimrecht in der Altenhilfe und der Eingliederungshilfe sowie das Heimvertragsrecht für diese Einrichtungen von 1975 bis ca. 2008. Das HeimG verlor infolge einer Grundgesetzänderung im Jahre 2006 (Föderalismusreform I) und der damit verbundenen Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz für das öffentliche Heimrecht auf die Bundesländer seine Bedeutung. Alle Bundesländer trafen ab 2008 nach und nach Regelungen zum öffentlichen Heimrecht durch Landesheimgesetze, als erste Bayern mit dem PfleWoqG (Inkrafttreten am 01.08.2008) und Nordrhein-Westfalen mit dem WTG (Inkrafttreten am 10.12.2008). Die Regelungen zum Vertragsrecht wurden durch das „Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz“ des Bundes (WBVG, Inkrafttreten am 01.10.2009) abgelöst. Heute spielen das HeimG und seine Verordnungen kaum noch eine Rolle, allenfalls wenn es um Fragen des Bestandschutzes geht. Formal aufgehoben ist das HeimG nicht, außer den Regelungen zum Vertragsrecht (§§ 5–9 HeimG). Oft lohnt es sich aber, das weitestgehend obsolet gewordene HeimG als „Mutter aller Heimgesetze“ sowie die dazu ergangene Rechtsprechung auch bei der Auslegung von Nachfolgegesetzen zu Rate zu ziehen.
2 Gegenstand des HeimG
Nach § 1 Abs. 1 HeimG sind Heime im Sinne des Gesetzes Einrichtungen, die dem Zweck dienen, ältere Menschen oder pflegebedürftige oder behinderte Volljährige aufzunehmen, ihnen Wohnraum zu überlassen sowie Betreuung und Verpflegung zur Verfügung zu stellen oder vorzuhalten, und die in ihrem Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner unabhängig sind und entgeltlich betrieben werden.
Somit fielen z.B. Heime für Kinder und Jugendliche nicht unter das HeimG (vgl. zu Einrichtungen für Kinder und Jugendliche §§ 34, 45a SGB VIII).
3 Betreuungseinrichtungen als historisches Phänomen
Die Betreuung alter und/oder behinderter Menschen in Einrichtungen ist ein seit Langem bekanntes Phänomen. Goberg erwähnt beispielhaft das Heiliggeistspital in Biberach a. d. Riß, gestiftet ca. 1239 (Goberg 1997, S. 17). Vergleichbare Einrichtungen finden sich in vielen Städten des Mittelalters und frühen Neuzeit. Einen rechtlichen Rahmen im modernen Sinn gab es jedoch nicht. Das Verwaltungsrecht war noch nicht entwickelt und Verbraucherschutz war unbekannt. Noch aus dem 19. Jhdt. sind bedrückende Zeugnisse von Zuständen in Einrichtungen bekannt, etwa zum Aufenthalt Robert Schumanns in der „Anstalt für die Behandlung und Pflege von Gemütskranken und Irren“ in Endenich (heute Bonn; vgl. die – freilich literarisch bearbeitete – Darstellung bei Kühn 2020).
4 Moderne Normengeschichte – Entwicklungslinien zum HeimG
Die älteste heimrechtliche Rechtsnorm im modernen Sinn scheint die Bestimmung zur gesundheitspolizeilichen Aufsicht über bestimmte Pflegeheime gem. § 47 Durchführungsverordnung zum Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens vom 30.3.1935 (RMBl. S. 327, 435) zu sein (Finkelnburg 1976, S. 1477).
In der alten Bundesrepublik wurden die Landesregierungen mit dem Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung (GewO) vom 24.8.1967 (BGBl. I S. 933) gem. § 38 Satz 1 Nr. 10, Satz 2 und 3 GewO ermächtigt, Rechtsverordnungen für den Betrieb dieser Heime zu erlassen und zu regeln, in welcher Weise die Gewerbetreibenden ihre Bücher zu führen, welche Auskünfte sie den für die Überwachung zuständigen Behörden zu erteilen und welcher behördlichen Nachschau sie sich zu unterwerfen haben. Damit war ein verwaltungsrechtlicher Rahmen im Sinne des besonderen Gewerbe- oder Ordnungsrechts gesteckt. Von dieser Verordnungskompetenz machten die alten Bundesländer ab 1967 Gebrauch. Das Vertragsrecht in Heimen wurde dagegen nicht als regulierungsbedürftig empfunden. Soweit ersichtlich, wurde das Mitte/Ende der 1960er-Jahre nicht einmal diskutiert. Man konnte sich damit behelfen, im Heimvertrag einen Typenmischvertrag zu sehen, der relevante Regelungen aus Vertragstypen des BGB mischt, so insbesondere mietrechtliche und dienstvertragsrechtliche Komponenten. In einem Bericht an den Bundestag erachtete die Bundesregierung im Jahre 1969 die auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts getroffenen Maßnahmen für wirksam und ausreichend und hielt weitere gesetzliche Maßnahmen auf dem Gebiet des Heimrechts nicht für erforderlich.
Dennoch setzten Anfang der 1970er-Jahre Bemühungen um ein einheitliches Heimrecht auf Bundesebene ein. Die verschiedenen Aspekte des Heimrechts (besonderes Gewerberecht, Vertragsrecht und neu: die Mitbestimmung der Bewohnerinnen und Bewohner) sollten zusammenfasst werden. Am 07.08.1974 wurde das Gesetz über Altenheime, Altenwohnheime und Pflegeheime für Volljährige (Heimgesetz) verabschiedet (BGBl. I Seite 1873). Es trat am 01.01.1975 in Kraft.
5 Regelungsgegenstände des HeimG in der Version von 1975
Bereits die erste Fassung des HeimG enthielt Elemente, die sich als Kernpunkte des Heimrechts bewährt haben und noch heute in den modernen Heimgesetzen der Bundesländer zu finden sind: Es geht um Mindestanforderungen, die an den Betrieb eines Heims zu stellen sind, um Anzeige-, Buchführungs- und Meldepflichten, um Kompetenzen der Heimaufsichtsbehörden, aber auch um Vertragsrecht (heute im WBVG), um die Mitwirkung der Bewohnerinnen und Bewohner und um Vermögensvorteilsannahmeverbote der Betreiber und Beschäftigten.
6 Novellierungen des HeimG
Das Heimgesetz erfuhr drei größere Novellen:
- Die erste Novelle regelte 1990 unter anderem den Anwendungsbereich des Heimgesetzes und das Heimvertragsrecht neu, führte die Figur des Heimfürsprechers oder der Heimfürsprecherin in den Fällen ein, in denen die Bildung eines Heimbeirats nicht möglich war, und fasste die Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten sowie die Regelungen zur Gewährung von Geld und geldwerten Leistungen von Bewohnerinnen und Bewohnern an Träger und Beschäftigte eines Heims neu.
- Die zweite Novellierung hatte 1997 die Einbeziehung der Kurzzeitpflege in den Anwendungsbereich des Heimgesetzes sowie den Verzicht auf den Erlaubnisvorbehalt zum Betrieb zum Gegenstand.
- Die dritte große Änderung des Heimgesetzes konkretisierte im Jahre 2001 u.a. die Abgrenzung zwischen Heimen und Formen des betreuten Wohnens und enthielt Neuregelungen im Heimvertrags- und Heimmitwirkungsrecht.
7 Die Entwicklung in der früheren DDR
In der DDR enthielt die Verordnung über die Fürsorge in den staatlichen Feierabend- und Pflegeheimen vom 23.02.1956 (GBl. I S. 240) Regeln für die Errichtung und Unterhaltung von Heimen. Die Verordnung wurde durch Verordnung vom 19.12.1957 (GBl. I [1958] S. 3) und vom 13.02.1965 (GBl. II S. 195) geändert. 1978 folgte die Verordnung über Feierabend- und Pflegeheime vom 01.03.1978 (GBl. I S. 125). Die Heimverordnung 1978 galt in der DDR bis zur Wiedervereinigung. Der Einigungsvertrag vom 31.08.1990 sah für alle am 03.10.1990 bestehenden Heimverhältnisse in der DDR die Geltung des HeimG vor.
8 Die Verordnungen zum HeimG
- Heimmitwirkungsverordnung: Auf Basis der Ermächtigungen des Heimgesetzes trat am 01.08.1976 die Verordnung über die Mitwirkung der Bewohnerinnen und Bewohner in Angelegenheiten des Heimbetriebes (HeimmitwirkungsV) vom 19.07.1976 (BGBl. I S. 1819) in Kraft. Die HeimMitwirkungsV regelte die Mitwirkung der Heimbewohner in Beiräten.
- Heimmindestbauverordnung: Am 01.08.1978 folgte die Verordnung über bauliche Mindestanforderungen für Altenheime, Altenwohnheime und Pflegeheime für Volljährige (HeimmindestbauV) vom 27.01.1978 (BGBl. I S. 189), geändert durch die 1.VO zur Änderung der HeimMindBauV vom 03.05.1983 (BGBl. I S. 553). Die HeimMindBauV befasste sich z.B. mit Mindestgrößen von Bewohnerzimmern, der Maximalbelegung eines Zimmers und der verpflichtenden Zahl von Sanitärräumen.
- Heimsicherungsordnung: Fast gleichzeitig folgte die Verordnung über die Pflichten der Träger von Altenheimen, Altenwohnheimen und Pflegeheimen für Volljährige im Falle der Entgegennahme von Leistungen zum Zwecke der Unterbringung eines Bewohners oder Bewerbers (HeimSichV) vom 24.04.1978. Die Heimsicherungsordnung regelte die Pflichten eines Trägers, wenn er Geldleistungen entgegennimmt (früher sogenanntes „Einkaufen“ in ein Angebot).
- Heimpersonalverordnung: Am 01.10.1993 schließlich trat die Verordnung über personelle Anforderungen für Heime (HeimPersV) vom 19.07.1993 (BGBl. I S. 1205) in Kraft. Die HeimPersV regelte Anforderungen an die persönliche und fachliche Eignung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. § 5 Abs. 1 HeimPersV enthielt erstmals die bis heute umstrittene pauschale Fachkraftquote von 50 % in Pflegeeinrichtungen, die von den Länderheimgesetzen im Wesentlichen übernommen wurde und die erst mit Einführung der Personalbemessung nach § 113c SGB XI zum 01.07.2021 durch ein fachliches Bemessungssystem ersetzt wurde.
9 Quellenangaben
Finkelnburg, Klaus, 1976. Der Betrieb von Alten- und Pflegeheimen. In: Neue Juristische Wochenschrift (NJW). 29(33), S. 1477. ISSN 0341-1915
Goberg, Otto, 1997. Taschenkommentar zum Heimgesetz und zugehörige Verordnungen: Heimmitwirkungsverordnung, Heimsicherungsverordnung, Heimmindestbauverordnung, Heimpersonalverordnung. 3., neu bearb. und erw. Auflage. Hannover: Vincentz. ISBN 978-3-87870-460-7
Kühn, Dieter, 2020. Clara Schumann, Klavier. 2. Auflage. Frankfurt am Main: FISCHER Taschenbuch. ISBN 978-3-596-90712-0
10 Literaturhinweise
Kunz, Eduard und Manfred Butz, 2004. Kunz/Butz/Wiedemann: Heimgesetz: Kommentar. 10., neubearb. Auflage. München: Beck. ISBN 978-3-406-51694-8
Dickmann, Frank, Hrsg., 2014. Heimrecht: Kommentar. 11., völlig neu bearbeitete Auflage des Kommentars Kunz/Butz/Wiedemann zum Heimgesetz. München: C.H. Beck. ISBN 978-3-406-65369-8 [Rezension bei socialnet]
Krahmer, Utz und Ronald Richter, Hrsg., 2006. Heimgesetz: Lehr- und Praxiskommentar. 2. Auflage. Baden-Baden: Nomos. ISBN 978-3-8329-1354-0 [Rezension bei socialnet]
Crößmann, Gunter, Sascha Iffland und Rainer Mangels, 2002. Taschenkommentar zum Heimgesetz. Begr. und verf. bis 3. Aufl. von Otto Goberg. 5., neu bearb. Auflage. Hannover: Vincentz. ISBN 978-3-87870-653-3
Dahlem, Otto, Dieter Giese und Gerhard Igl, 2022. Das Heimrecht des Bundes und der Länder. Loseblattsammlungg. Hürth: Luchterhand. Gesamt-Werkstand Dez. 2022 (die Fortführung der Kommentierung des HeimG wurde mit der 35. Lieferung August 2008 eingestellt). ISBN 978-3-452-17850-3 [Rezension bei socialnet]
Gitter, Wolfgang und Jochem Schmitt, 2022. WBVG – Heimrecht des Bundes und der Länder. Loseblattsammlung. Hürth: Luchterhand. Gesamt-Werkstand Aug. 2022 (die Fortführung der Kommentierung des HeimG wurde mit der 121. Lieferung November 2012 eingestellt). ISBN 978-3-472-07883-8
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