Hilfs-Ich
Ein Hilfs-Ich ist eines der fünf Basis-Instrumente im psychodramatischen Protagonistenspiel. Ein:e Mitspieler:in übernimmt die Rolle der abwesenden Interaktionspartner:innen des bzw. der Protagonist:in und unterstützt ihn bzw. sie so bei der Bearbeitung von dessen bzw. deren Thema.
Überblick
- 1 Die philosophische Relevanz
- 2 Funktion und Aufgabe des Hilfs-Ichs
- 3 Das Hilfs-Ich als Bühnentechnik
- 4 Die Aufgabe der Leitung
- 5 Quellenangaben
- 6 Literaturempfehlung
1 Die philosophische Relevanz
Das Hilfs-Ich ist ein Konzept, das im Rahmen des von J. L. Moreno begründeten Psychodramas entwickelt wurde. In einer philosophischen Perspektive stehen die Hilfs-Iche für Morenos Überzeugung, dass der Mensch zum einen kein isoliert zu betrachtendes Wesen ist, sondern Teil eines soziokulturellen Atoms. Zum anderen ist er im Lauf seines Lebens fundamental immer wieder und auf unterschiedliche Weise auf Hilfe angewiesen. Dementsprechend bezeichnet der Begriff treffend die zentrale Aufgabe eines Hilfs-Ichs, nämlich zu helfen.
„Das Hilfs-Ich hat drei Funktionen: (a) Die Funktion des Darstellers, der Rollen spielt, die in der Welt des Protagonisten gebraucht werden, (b) die Funktion der Leitung, eines therapeutischen Agens und (c) die Funktion des Sozialforschers.“ (Hutter und Schwehm 2009, S. 436)
2 Funktion und Aufgabe des Hilfs-Ichs
„Es gibt vier Gründe, aus denen heraus das Hilfs-Ich […] eingeführt wurde. […] Es geschah, weil der physische Abstand es unmöglich machte, Menschen die weit entfernt wohnten in die Szene zu bringen. Zweitens ein soziologischer Grund. Die Individuen, die die private Welt des Patienten bevölkern, sind aufgrund ihrer eigenen sozialen Verpflichtungen an der Teilnahme verhindert. Drittens ein psychologischer Grund. Es half dem Therapeuten, nicht verstrickt zu werden und seine Objektivität und Neutralität zu erhalten. Das Hilfs-Ich entlässt den Therapeuten aus der Verpflichtung, eine Rolle für den Patienten zu spielen. Der leitende Therapeut kann es sich leisten, neutral und objektiv zu sein und es hilft dem Patienten, eine vernünftige psychologische Distanz zu ihm aufrecht zu erhalten. Viertens ein therapeutischer Grund. Oft ist es vorzuziehen, eine andere reale Person nicht gegenwärtig zu haben.“ (Hutter und Schwehm 2009, S. 437)
Mit anderen Worten:
- Das Hilfs-Ich ist ein Gruppenmitglied, das bereit ist, Personen, Figuren und Objekte der inneren Welt des bzw. der Protagonist:in auf der Bühne zu repräsentieren und so dem bzw. der Protagonist:in zu helfen, seine bzw. ihre eigene subjektive Wahrnehmung der Wirklichkeit zu erkunden, zu verstehen und auch zu verändern. Ein Hilfs-Ich kann auch als Doppelgänger den bzw. die Protagonist:in selbst unterstützen, z.B. beim indirekten Rollentausch oder als Stellvertretung des bzw. der Protagonist:in, wenn dieser bzw. diese in der Spielposition steht.
- Das Hilfs-Ich ist ein Helfer der Leitung, durch das sie anschauliche Informationen über Personen des soziokulturellen Atoms und deren Agens gegenüber dem bzw. der Protagonist:in in der gegebenen Situation erhält.
- Das Spiel der Hilfs-Iche hat eine vermittelnde Funktion zwischen dem bzw. der Protagonist:in und der Leitung.
3 Das Hilfs-Ich als Bühnentechnik
In der Regel wählt der bzw. die Protagonist:in Teilnehmer:innen aus der Gruppe und bittet sie, eine bestimmte Person in dem anschließenden Spiel zu übernehmen. Stehen nicht genügend Mitspielende zur Verfügung, können die wesentlichen Hilfs-Iche durch reale Personen, die anderen durch einen Stuhl dargestellt werden. Anschließend werden sie von dem bzw. der Protagonist:in in ihre jeweilige Rollen eingewiesen. (Einrollen). Das Hilfs-Ich erhält auch von der Leitung eine Rollenanweisung. Es
„wird vom Leiter […] auf die Bühne geschickt, […] sich selbst bei der Handlung genau zu beobachten; kontinuierlich zu registrieren, wie es sich für die Rolle erwärmt, was die Rolle mit ihm macht und was es selbst mit der Rolle macht. Unmittelbar nach der Szene, wenn die Erfahrungen noch warm sind, kann es von seinen eigenen Reaktionen berichten.“ (Hutter und Schwehm 2009, S. 436)
Ein Hilfs-Ich unterstützt also den bzw. die Protagonist:in
- zunächst während des Protagonistenspiels, indem das Hilfs-Ich den Rollenanweisungen bzw. dem Skript des bzw. der Protagonist:in folgt oder auch improvisiert;
- durch sein Rollenfeedback in der Integrationsphase.
4 Die Aufgabe der Leitung
Die Leitung ist auch den Hilfs-Ichen verpflichtet, weil
- die Rolle eigene Themen des bzw. der Mitspieler:in berühren kann, sodass die Wahrnehmung der Rolle emotional belastend erlebt werden kann;
- die Rolle grundsätzlich emotional besonders belastend oder mit Erotik und Sexualität verbunden sein kann.
Deshalb kann eine Wahl auch abgelehnt werden. Dies ist dann unbedingt im Sharing aufzugreifen. Auch sollte geklärt sein, ob die Wahl für das Gruppenmitglied eine so starke Anwärmung darstellt, dass es eine weitergehende Unterstützung benötigt.
Grundsätzlich werden durch die Wahl der Rollen auch über das Spiel hinaus die Beziehungen innerhalb der Gruppe beeinflusst; im positiven Fall im Sinne einer Stärkung der Gruppenkohäsion oder im negativen Fall durch Beeinträchtigungen. Deshalb können Hilfs-Ich-Rollen auch durch die Leitung gewählt, durch eine Co-Leitung, wenn sie vorhanden ist, oder durch Freiwillige besetzt werden (Ameln und Kramer 2014, S. 20 f.).
Im Soziodrama ist jeder bzw. jede Mitspieler:in ein Hilfs-Ich für die anderen.
5 Quellenangaben
Ameln, Falk und Josef Kramer, 2014. Psychodrama: Grundlagen. Heidelberg: Springer Verlag. ISBN 978-3-6424-4920-8
Hutter, Christoph und Helmut Schwehm, 2009. J. L. Morenos Werk in Schlüsselbegriffen. Wiesbaden: VS-Verlag. ISBN 978-3-5311-9593-3
6 Literaturempfehlung
Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie 19(1), 2020. Hilfs-Ich. ISSN 1619-5507
Verfasst von
Thomas Wittinger
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Zitiervorschlag
Wittinger, Thomas,
2024.
Hilfs-Ich [online]. socialnet Lexikon.
Bonn: socialnet, 18.05.2024 [Zugriff am: 10.10.2024].
Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/29893
Link zur jeweils aktuellsten Version: https://www.socialnet.de/lexikon/Hilfs-Ich
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