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Hilfsmittel

Jun.-Prof. Dr. Liane Bächler, Norbert Kamps

veröffentlicht am 18.11.2022

Ähnlicher Begriff: Assistive Technologie

Englisch: technical aid, assistive aid, medical aid

Hilfsmittel sind sämtliche – individuell angefertigte oder konfektionierte – Gegenstände und sächliche Produkte, die dem Ausgleich von Einschränkungen als Folge einer Krankheit oder Behinderung dienen und die als behinderungsausgleichende und die Teilhabe sichernde Hilfen eingesetzt werden.

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Gesetzliche Grundlagen
  3. 3 Auswahl des richtigen Hilfsmittels
  4. 4 Anspruch auf Hilfsmittelversorgung
  5. 5 Quellenangaben

1 Zusammenfassung

Der Begriff „Hilfsmittel“ umfasst sämtliche Gegenstände und sächliche Produkte, die dem Ausgleich von Einschränkungen als Folge einer Krankheit oder Behinderung dienen, sowie Dienstleistungen im Zuge der Hilfsmittelabgabe und -nutzung. Die Klassifikation von Hilfsmitteln nach der DIN EN ISO 9999 definiert Hilfsmittel als Produkte und Sonderanfertigungen für Menschen mit Behinderungen, die eingesetzt werden, um Individuen Teilhabe zu ermöglichen und sie vor Einschränkungen in der Aktivität und Teilhabe zu bewahren (DIN Deutsches Institut für Normung e.V. 2017). Die Bewahrung, Unterstützung oder Kompensation von eingeschränkten oder verlorengegangenen Körperfunktionen und -strukturen stellen Ziele beim Einsatz von behinderungsausgleichenden Hilfsmitteln dar. Sie sichern damit die Aktivitäten des täglichen Lebens und die Teilhabe. Überdies können Hilfsmittel zur Vorbeugung von Funktionsausfällen und -einschränkungen, zur Lebenserhaltung und im therapeutischen Kontext zur Unterstützung der Heil- und Krankenbehandlung eingesetzt werden (Kamps 2021). Oftmals werden unter dem Begriff „Hilfsmittel“ auch die Pflegehilfsmittel subsumiert. Letztere sollen die Pflege ermöglichen bzw. erleichtern. Bei den Hilfsmitteln handelt es sich um individuelle Anfertigungen oder um konfektionierte Produkte, die in der gleichen Ausführung auf dem Markt erhältlich sind und von den Nutzer:innen mit oder ohne Anpassungen verwendbar sind.

2 Gesetzliche Grundlagen

Im deutschen Rechts- und Gesundheitssystem wird für Assistive Technologien vorrangig der Begriff der Hilfsmittel verwendet (Klein 2021). Hilfsmittel werden je nach Zielsetzung der Versorgung von den verschiedenen Trägern der Rehabilitation (§ 6 SGB IX) bereitgestellt. Sie kommen als behinderungsausgleichende und die Teilhabe sichernde Hilfen bei der medizinischen Rehabilitation, bei der Teilhabe am Arbeitsleben, an Bildung und bei der sozialen Teilhabe zum Einsatz. Zudem werden Hilfsmittel zur Krankenbehandlung durch die Krankenversicherung und Hilfsmittel zur Pflege (sogenannte Pflegehilfsmittel) durch die Pflegeversicherung zur Verfügung gestellt. Obschon damit ein stark gegliedertes System mit unterschiedlichsten Zuständigkeiten vorliegt, werden die meisten Hilfsmittel durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und die soziale Pflegeversicherung (SPV) geleistet. Im Folgenden wird daher im Wesentlichen hierauf Bezug genommen.

Die Verpflichtung der Kranken- und Pflegeversicherung zur Hilfsmittelversorgung im Einzelfall ergibt sich aus § 33 Abs. 1 SGB V und § 40 Abs. 1 SGB XI. Die grundlegenden Rechtsnormen zur Hilfsmittelversorgung finden sich in den Sozialgesetzbüchern (SGB):

Hilfsmittel der Krankenbehandlung (§ 11 Abs. 1 SGB V in Verbindung mit § 23 SGB V und § 27 SGB V) dienen der Unterstützung und Sicherstellung der medizinischen, außerklinischen Versorgung von kranken oder von Krankheit bedrohten Menschen. Die Produkte der medizinischen Rehabilitation (§ 11 Abs. 2 SGB V) werden eingesetzt, um eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern. Allerdings darf es sich dabei nicht um Dinge des täglichen Gebrauchs handeln und in der Anschaffung und Bewilligung sind die Hilfsmittel nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot im § 12 SGB V hinsichtlich ihrer Passung, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu prüfen. Die im Einzelfall erforderlichen Hilfsmittel werden von der Person mit Krankheit, Behinderung oder Pflegebedarf oder von deren Betreuungspersonen wie Pfleger:innen, Angehörigen und Assistent:innen verwendet. Maßgeblich ist hier der Umstand, dass die Person von den eingesetzten Hilfen profitiert (Kamps 2021).

Hilfsmittel zur Förderung der Inklusion

Hilfsmittel können zudem nach § 4 SGB IX in inklusiven Kontexten zur Realisierung der Entwicklungsförderung sowie der Förderung von Teilhabe und Selbstständigkeit eingesetzt werden. Durch den Einsatz von Hilfsmitteln kann bspw. die gemeinsame Beschulung von Kindern mit und ohne Behinderung unterstützt bzw. gewährleistet werden (§ 4 Abs. 1 und Abs. 3 SGB IX). Neben den personenbezogenen Hilfsmitteln, die über Einzelfallentscheidungen bewilligt werden, können auch systemische Zuweisungen an Bildungsinstitutionen – dann aber über andere Leistungsträger – vorgenommen werden (Bosse 2018; Bächler 2021).

Ziele von Hilfsmitteln

Mit dem Einsatz von Hilfsmitteln im Rahmen der Krankenbehandlung werden Ziele, wie die Verbesserung von Gesundheit, mit Hilfsmitteln der medizinischen Rehabilitation Ziele der selbstständigen Lebensführung und Mobilität und dem Abbau von Abhängigkeiten etwa im Bereich der Pflege verbunden. Darüber hinaus können Hilfsmittel zu der Realisierung von Teilhabe an der Gesellschaft beitragen und bei der Ausübung von alltäglichen Aktivitäten unterstützen. Daher sind Hilfsmittel für die Individuen unverzichtbar. Die Einsatzbereiche von Hilfsmitteln reichen von der Unterstützung von Mobilität, Informationsgewinnung, Kommunikation, bis zur Pflege und dem Wahrnehmen grundlegender Körperfunktionen wie der Nahrungsaufnahme oder der Ausscheidung (Kamps 2021). Als Anforderungen an Hilfsmittel sind die Flexibilität und die Verständlichkeit des Produkts zu nennen, die die Einsatzwahrscheinlichkeit erhöhen (Linke und Bühler 2014). Die Verordnung von Hilfsmitteln kann nach dem § 33 SGB V durch Ärzt:innen erfolgen. Pflegehilfsmittel und behinderungsausgleichende Hilfsmittel, die den Zielen nach § 40 Abs. 1 SGB XI dienen, können auch durch Pflegekräfte (§ 40 Abs. 6 SGB XI) und den Medizinischen Dienst (§ 18 Abs. 6a SGB XI) erfolgen.

Pflegehilfsmittel umfassen sämtliche Produkte, die zur Unterstützung der Pflege, zur „[…] Linderung der Beschwerden des Pflegebedürftigen beitragen oder ihm eine selbständigere Lebensführung ermöglichen […]“ (§ 40 Abs. 1 SGB XI) und nicht aufgrund von Krankheit oder Behinderung von „anderen zuständigen Leistungsträgern zu leisten sind“ (ebd.). Ziele der Versorgung mit Hilfsmitteln der GKV umfassen gemäß § 33 Abs. 1 SGB V die drei Versorgungsalternativen Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung, Vorbeugung einer drohenden Behinderung und der Ausgleich einer Behinderung. Die letzten beiden Alternativen zählen zur medizinischen Rehabilitation, welche grundsätzlich durch die Normen des SGB IX geregelt werden. Insbesondere § 47 SGB IX präzisiert dabei die Zielsetzung auf den Bereich des Behinderungsausgleichs im Rahmen der Grundbedürfnisse des täglichen Lebens und schließt auch die Sicherung des Erfolgs einer Heilbehandlung der chronisch kranken Menschen mit ein.

Weitere Versorgungsleistungen zur Hilfsmittelversorgung

Zu den Hilfsmittelversorgungen zählen neben der Bereitstellung des Produkts, auch spezielle Dienstleistungen zur Sicherung der Qualität im Versorgungsprozess, wie der Montage des Produkts und eine Einweisung in das Produkt durch Professionelle. Aus § 33 SGB V bzw. § 47 SGB IX lassen sich neben dem Anspruch auf eine Erstausstattung auch der Anspruch auf eine Änderung bzw. Anpassung der Ausstattung, sowie deren Instandhaltung und Ersatzbeschaffung ableiten. Die Anpassung der Ausstattung erfolgt auf Grundlage veränderter individueller Bedürfnisse oder Anforderungen in dem Umfeld und des technischen Fortschritts. Durch die Erweiterung oder Änderung des genutzten Hilfsmittels wird die Versorgungssituation positiv beeinflusst. Die Anpassung eines Hilfsmittels an die körperlichen Merkmale und die Anforderungen der Nutzer:innen bei der Hilfsmittelabgabe ist ebenso Teil der Versorgungsleistung wie die Überprüfung der Passung eines Hilfsmittels an die veränderte Situation einer Person nach einer längeren Nutzungsdauer und die bedarfsgerechte Änderung des Produkts (Kamps 2021).

Die Grundausstattung einer Person umfasst aufgrund des Wirtschaftlichkeitsgebots häufig Hilfsmittel in einfacher Stückzahl, jedoch kann die Mehrfachausstattung als wirtschaftlich angesehen werden, wenn die Nutzung des Hilfsmittels mit häufigen Zwischenreinigungen verbunden ist, das Produkt regelmäßig ausgetauscht werden muss oder mit einem Produkt den Bedürfnissen der Person und des Umfelds nicht angemessen begegnet werden kann. Bestimmte Produkte sollten aus Sicherheitsgründen in mehrfacher Ausführung vorliegen, wie zum Beispiel ein Beatmungsgerät aufgrund von möglichen technischen Fehlern (Kamps 2021).

3 Auswahl des richtigen Hilfsmittels

Die Ermittlung eines persönlichen Hilfebedarfs erfolgt unter der Berücksichtigung der individuellen Fähigkeiten, Erwartungen und Ziele einer Person sowie des sozialen und dinglichen Umfelds. Es empfiehlt sich, in diesen Prozess das Umfeld wie Lehrer:innen und Pädagog:innen (bei Kindern), Freunde und Angehörige einzubeziehen, da diese eine weitere Einschätzung abgeben können. Ein Versorgungsbedarf entsteht dann, wenn vorliegende Krankheiten oder Behinderungen einer Behandlung bedürfen, um funktionale Einschränkungen auszugleichen oder um diesen vorzubeugen. Bei der Ermittlung des Versorgungsbedarfs werden die alltäglichen Aktivitäten einer Person und die bei der Ausführung erlebten Schwierigkeiten in den Blick genommen. Dabei sind die Aktivitäten von Interesse, die zur Befriedigung und Aufrechterhaltung körperlicher Grundfunktionen und -bedürfnisse, zur Körperhygiene und zur Ausübung von Bewegungen, zur selbstständigen Lebensführung oder zur Kommunikation und Informationsaufnahme dienen. Der Einbezug medizinischer Befunde in die Bedarfsermittlung ist unabdingbar, da die Bedarfe oftmals auf der Grundlage gesundheitlicher bzw. körperlicher Ursachen und der dadurch erlebten Einschränkungen formuliert werden. Darüber hinaus ist die Formulierung individuell bedeutsamer und realistischer Versorgungsziele im Versorgungsprozess von großer Bedeutung (Kamps 2021).

Bei der Verordnung von und der Versorgung mit Hilfsmitteln gibt es je nach Art der erlebten Einschränkung unterschiedliche Vorgehensweisen. Wird zum Beispiel ein Hilfsmittel als Folge eines Unfalls oder einer Verletzung benötigt, so wird dieses in der Regel im Rahmen der Akutversorgung vom behandelnden Arzt verordnet. Oftmals treten die erlebten Einschränkungen schleichend über einen Verlauf von mehreren Jahren ein und bleiben zunächst unbemerkt. In solchen Situationen ziehen sich Betroffene oftmals aufgrund von Scham zurück oder wissen nicht, wo sie sich verlässliche Informationen einholen können. Die Ermittlung von Bedarfen und die Zuweisung von Hilfsmitteln erfolgt dann vermehrt zufällig, auf Grundlage von Erfahrungen aus dem Freundes- und Bekanntenkreis. Es ist in diesen Fällen ratsam, sich professionellen Rat beim Hausarzt, in Sanitätshäusern oder ausgewählten Geschäften einzuholen (Kamps 2021). Überdies empfiehlt sich die Recherche in einem Hilfsmittelverzeichnis.

4 Anspruch auf Hilfsmittelversorgung

Bei dem Anspruch auf Hilfsmittelversorgung gibt es Unterschiede zwischen den Leistungen der Krankenkassen bei privat oder gesetzlich Versicherten. Der Anspruch gesetzlich Versicherter auf die Hilfsmittelversorgung wird in den Sozialgesetzbüchern SGB V und IX formuliert und beruht auf der Aufgabe der Krankenversicherung zur Erhaltung, Wiederherstellung oder Verbesserung des Gesundheitszustands (§ 1 SGB V). Darüber hinaus besteht ein Anspruch auf die Versorgung mit Pflegehilfsmitteln durch die soziale Pflegeversicherung nach SGB XI. Für die Hilfsmittel- und Pflegehilfsmittelversorgung durch die Krankenkassen gibt es weder eine Bindung an einen Hilfsmittelkatalog oder an das Hilfsmittelverzeichnis noch starre Vorgaben etwa durch Verträge der Krankenkassen mit den Leistungserbringern. Es muss daher stets im Rahmen von Einzelfallentscheidungen geprüft werden, ob das mit dem Hilfsmittel verbundene Versorgungsziel auch den Versorgungszielen der GKV bzw. der SPV entspricht (Kamps 2021).

Die Ansprüche privat Versicherter sind nicht gesetzlich geregelt, sondern durch die Versicherungsbedingungen und Leistungen des gewählten Tarifs oder Vertrags bestimmt. Die Verordnung durch den Arzt ist oftmals ein Kriterium für die Versorgung mit Hilfsmitteln. Wenn keine Verordnung vorliegt oder ein Produkt nicht durch den jeweiligen Tarif abgedeckt wird, dann werden die Kosten von dem:der Versicherte:n getragen (Kamps 2021).

5 Quellenangaben

Bächler, Liane, 2021. Teilhabe durch Assistive Technologien: Eine Betrachtung aus sozialpolitischer, inklusions- und anerkennungstheoretischer Sicht. In: uk & forschung. 11, S. 14–23

Bosse, Ingo, 2018. Schulische Teilhabe durch Medien und assistive Technologien – Teil II. In: Heilpädagogik: Fachzeitschrift der Heilpädagogischen Gesellschaft Österreich. 61(4), S. 20–29. ISSN 0438-9174

DIN Institut für Normung e.V., 2017. DIN EN ISO 9999. Hilfsmittel für Menschen mit Behinderungen – Klassifkation und Terminologie (ISO 9999: 2016). Deutsche Fassung EN ISO 9999: 2016. DIN-Normenausschuss Medizin (NAMed). Berlin: Beuth Verlag GmbH

Kamps, Norbert, 2021. Das richtige Hilfsmittel für mich: Mehr Lebensqualität im Krankheits- und Pflegefall. 2., aktualisierte Auflage. Regensburg: Walhalla Fachverlag. ISBN 978-3-8029-7553-0

Klein, Barbara, 2021. Assistive und andere Technologien. In: Markus Schäfers und Felix Welti, Hrsg. Barrierefreiheit – Zugänglichkeit – Universelles Design: Zur Gestaltung teilhabeförderlicher Umwelten. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt, S. 122–132. ISBN 978-3-7815-2418-7

Linke, Hannah und Christian Bühler, 2014. Bieten technische Hilfsmittel Potentiale für das Gelingen inklusiven Unterrichts? In: Saskia Schuppener, Mandy Hauser, Nora Bernhardt und Frederik Poppe, Hrsg. Inklusion und Chancengleichheit: Diversity im Spiegel von Didaktik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 231–237. ISBN 978-3-7815-1962-6 [Rezension bei socialnet]

Verfasst von
Jun.-Prof. Dr. Liane Bächler
Universität zu Köln
Humanwissenschaftliche Fakultät
Department Heilpädagogik und Rehabilitation
Assistive Technologien in inklusiven Kontexten
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Norbert Kamps
Dipl. Ing.
Sachverständigen- und Ingenieurbüro Hilfsmittelexperte
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Es gibt 7 Lexikonartikel von Liane Bächler.
Es gibt 3 Lexikonartikel von Norbert Kamps.

Zitiervorschlag
Bächler, Liane und Norbert Kamps, 2022. Hilfsmittel [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 18.11.2022 [Zugriff am: 16.09.2024]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/1960

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