Hort
Dr. Thomas Markert
veröffentlicht am 14.04.2020
In der Bundesrepublik Deutschland sind Horte in den meisten Bundesländern Kindertageseinrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, die das pädagogische Angebot der Schule inhaltlich und entsprechend familiärer Betreuungsbedarfe auch zeitlich ergänzen.
Überblick
- 1 Zusammenfassung
- 2 Geschichte des Horts
- 3 Gegenwärtige gesetzliche Rahmung und Nutzung des Angebots
- 4 Pädagogische Arbeit im Hort
- 5 Zukunft des Horts
- 6 Quellenangaben
- 7 Literaturhinweise
- 8 Informationen im Internet
1 Zusammenfassung
Der Hort kann auf eine 150-jährige Geschichte verweisen. Je nach regionaler Tradition sowie Ausbaugrad der Ganztagsschule besuchen heute keine, einzelne oder mancherorts fast alle Schulkinder den Hort. Zumeist ErzieherInnen unterbreiten – orientiert an kindheitspädagogischen Konzepten – das Angebot in unterrichtsfreien Zeiten. Genutzt werden dabei eigene Räume bzw. Gebäude, aber auch Unterrichtsräume der Schule. Bis 2025 wird bundesweit ein Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz für Schulkinder eingeführt.
2 Geschichte des Horts
Für den Hort lassen sich zwei Traditionslinien benennen:
- Erstens findet sich eine stärker der beruflichen Bildung zuzuordnende Linie von den Arbeits- und Industrieschulen der Aufklärungspädagogik über die Knaben- bzw. Mädchenbeschäftigungsanstalten des 19. Jahrhunderts bis zum Schülerhort.
- Zweitens existiert aber mit dem ersten, 1872 gegründeten Knabenhort „Sonnenblume“ eine Einrichtung, die schulpflichtige Jungen außerhalb des Unterrichts in erster Linie betreuen sollte und so den Gedanken der Fürsorge im Mittelpunkt hatte (Harnack 1918; Rolle und Kesberg 1988).
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die weitere Entwicklung von drei Aspekten geprägt:
- Erstens bildeten Kinder, deren Eltern aufgrund von Erwerbsarbeit die Aufsicht und Erziehung nicht gewährleisten konnten, die Kernzielgruppe.
- Zweitens verblieb der Hort immer nachrangig zu pädagogischen Inhalten und organisatorischen Bedingungen, die durch die Schule gesetzt wurden (bspw. Hausaufgabenbetreuung).
- Und drittens sollte der Hort präventiv wirksam sein, indem er durch sein pädagogisch geplantes Angebot einer Verwahrlosung von Schulkindern vorbeugt bzw. entgegenwirkt (Gängler und Markert 2016, S. 121).
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs entwickelte sich der Hort in den beiden deutschen Staaten höchst unterschiedlich, was bis heute in der Etablierung bzw. Nutzung des Angebots in Ost und West spürbar ist.
2.1 Geschichte des Horts in der DDR
In der DDR war aufgrund des gleichberechtigten Zugangs von Frauen und Männern zur Erwerbsarbeit und aufgrund des als personalintensiv zu charakterisierenden technischen Entwicklungsstands der Wirtschaft eine hohe Erwerbsquote bei Müttern erwünscht und notwendig. Entsprechend umfangreich war die Infrastruktur zur ganztägigen Betreuung von Kindern bis zur vierten Klassenstufe ausgebaut. Schulkinder besuchten den „Schulhort“ als Angebotsteil der bis zur zehnten Klassenstufe unterrichtenden „Polytechnischen Oberschule“. Grundsätzlich hatten Eltern einen Rechtsanspruch auf einen entgeltfreien Hortplatz: „Den Schulhort können alle Schüler der Klassen 1 bis 4 […] besuchen, deren Eltern es wünschen.“ (§ 1 (2) in Ministerium für Volksbildung der DDR 1970). Mitte der 1980er-Jahre besuchten 84 % der Kinder der ersten vier Klassenstufen den Hort; am Ende der DDR (1989) waren es mit 81 % dann leicht weniger, was auf den Rückgang der Nutzungsquote in der vierten Klasse zurückzuführen ist (Markert 2017, S. 82 ff.). Ohne Frage war der Schulhort in der DDR nicht einzig ein Idyll freien Kinderspiels, sondern er erfüllte ebenso ideologische Aufgaben (Ballmann 1984).
2.2 Geschichte des Horts in der BRD
Ganz anders verlief die Entwicklung in Westdeutschland, wo der Hort als Angebot der Jugendhilfe im Bereich der Kindertagesbetreuung organisiert wurde und letztlich eine nur marginale quantitative Bedeutung erlangte. Mitte der 1980er-Jahre gab es auf dem damaligen Bundesgebiet über 2,3 Millionen Kinder im Grundschulalter von 6 bis 10 Jahren. In etwa 3.000 Horten waren fast 103.000 Plätze organisiert, womit etwa 4,4 % der Kinder versorgt werden konnten (Bundestagsdrucksache 11/6576 vom 06.03.1990, S. 95, S. 95). Dabei führte das umfangreiche Angebot in den Stadtstaaten – bspw. der Maximalwert Berlin (West) mit 27,4 % – dazu, dass die bundesweite Versorgungsquote nicht noch niedriger ausfiel, denn vereinzelt wurde für kaum 2 % der Kinder ein Platz bereitgestellt (ebd., S. 99). Inwieweit dieses Angebot den Bedarf deckte, kann nicht beantwortet werden, denn zum einen harmonierte die vormittägige Grundschule mit dem Familienmodell des Ein-Verdiener-Haushalts, der sich letztlich in der nichterwerbstätigen, die Kinder erziehenden Mutter äußerte. Zum anderen lässt sich feststellen, dass der Ruf des Horts als „‚Bewahranstalt‘, ‚für schwierige Kinder‘, ‚für Kinder aus kaputten Ehen‘“ (Kesberg und Rolle 1987, S. 2) problematisch war. Dieses Etikett scheint zumindest anteilig zutreffend gewesen zu sein, denn noch 1990 wurde erklärt, dass die Platzknappheit dazu führe, „daß überwiegend Kinder aus schwierigen Familienverhältnissen, Kinder alleinerziehender Eltern und Ausländerkinder in Horten sind“ (Bundestagsdrucksache 11/6576 vom 06.03.1990, S. 99).
Das Jahr 1990 ist für die Hortgeschichte in zweifacher Hinsicht bedeutsam:
- Erstens stieß zu dem westdeutschen Hort „als Notfalleinrichtung für Kinder aus schwierigen Lebensverhältnissen“ (BMFSFJ 1994, S. 526) über den politischen Beitritt der ostdeutschen Länder zur BRD die Tradition des umfangreich genutzten „Schulhorts“.
- Zweitens trat das SGB VIII, auch Kinder- und Jugendhilfegesetz genannt, in Kraft, indem der Hort im dritten Abschnitt zur „Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege“ in § 22 Abs. 1 SGB VIII neben Kindergärten explizit als „Tageseinrichtung“ für Kinder benannt wurde (BGBl Nr. 30 vom 28.06.1990, Seite 1163).
3 Gegenwärtige gesetzliche Rahmung und Nutzung des Angebots
Auch heute, einige Gesetzesänderungen später, werden weiterhin im dritten Abschnitt des SGB VIII Tageseinrichtungen damit beauftragt, anteilig die Erziehung, Bildung und Betreuung von bis zu 14-jährigen Kindern zu übernehmen und dabei folgenden Zielen zu folgen:
- „die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit fördern,
- die Erziehung und Bildung in der Familie unterstützen und ergänzen,
- den Eltern dabei helfen, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander vereinbaren zu können“ (§ 22 Abs. 2 SGB VIII)
Inzwischen benennt das SGB VIII keinerlei Einrichtungsarten mehr, wodurch auch der Hort aus dem Gesetzestext verschwunden ist. Zugleich werden im Diskurs unter „Hort“ zumeist die Kindertageseinrichtungen (Kita) der Jugendhilfe gefasst, welche nicht altersgemischt, sondern ausschließlich für Schulkinder bis zum 14. Lebensjahr organisiert werden. Über den im § 26 SGB VIII festgeschriebenen Landesrechtsvorbehalt wurde die Detailregelung an die Länder übertragen, was ermöglicht, dass Horte auch in der ostdeutschen Traditionslinie innerhalb des Schulwesens verblieben und bspw. in Thüringen bis heute organisatorischer Teil der Schule sind. Auch die Frage, ob der Hort sich an Kinder bis zur vierten oder sechsten Klassenstufe wendet, wird orientiert an den jeweils landesspezifischen Grundschulmodellen bestimmt. Außerdem steht es den Bundesländern frei, gleich der bundesweiten Regelungen zum Rechtsanspruch auf einen frühkindlichen Kita-Platz (0 bis 6- bzw. 7-Jährige), ähnliche, dann landeseigene Regelungen zu treffen, da hier das Bundesgesetz SGB VIII bisher nur von einem „bedarfsgerechten Angebot“ spricht (§ 24 Abs. 4 SGB VIII). So haben bspw. die Brandenburger „Kinder vom vollendeten ersten Lebensjahr bis zur Versetzung in die fünfte Schuljahrgangsstufe […] einen Rechtsanspruch auf Erziehung, Bildung, Betreuung und Versorgung“ in einer Kita (§ 1 Abs. 2 KitaG Brandenburg). (Über die derzeitigen politischen Initiativen zur Einführung eines bundesweiten Rechtsanspruchs siehe unten: Zukunft des Horts.)
Blickt man auf die aktuelle Nutzung des Horts, so fällt zunächst auf, dass der Hort bundesweit zunehmend besucht wird. Gingen 2008 nur knapp 400.000 bis 14-jährige Schulkinder in einen Hort, sind es 2019 etwas mehr als 500.000 Schulkinder gewesen. Schaut man in die einzelnen Länder, so wird eine äußerst heterogene Entwicklung deutlich. Während bspw. Bayern von 2010 zu 2019 30 % mehr genutzte Plätze ausweisen kann, hat der Stadtstaat Hamburg sein Angebot nahezu vollständig aufgelöst (Statistisches Bundesamt 2010; 2019). Diese Entwicklungen bedeuten nun aber nicht, dass es entsprechende Angebote vs. eben keine solche Angebote für Grundschulkinder gibt. Ein Verständnis zum ganztägigen Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsangebot gelingt nur dann, wenn die Angebote von Schule und Jugendhilfe im jeweiligen Land in der Zusammenschau analysiert werden.
Daraus ergibt sich dann folgendes Bild:
- Erstens finden wir Bundesländer, in denen das Hortangebot im Rahmen der Ganztagsschulentwicklung durch eine ganztägig organisierte Schule komplett abgelöst wurde oder wird (bspw. Hamburg, Berlin, Nordrhein-Westfalen).
- Zweitens finden wir Konstellationen, in denen der Hort (als Kita) und eine mehr oder weniger ganztägig organisierte Grundschule existieren, die sich drei Typen zuordnen lassen:
- „Der Hort existiert als (teilweise konkurrierende, teils parallel arbeitende) Einrichtung neben (Ganztags-) Grundschulen. […]
- Hortangebote ergänzen die ungenügenden, nicht den Bedarf deckenden Angebote von Ganztagsschulen […]
- Ganztagsschulen werden aus der Kooperation von Grundschulen mit Horten entwickelt“ (Rißmann 2016, S. 102 f.).
- Drittens gibt es den oben erwähnten Sonderfall Thüringen, wo der Hort als Teil der Schule organisiert wird. Entscheidend für die einzelnen Modelle sind neben der Fortsetzung von Traditionen auch strukturelle, inhaltliche und wirtschaftliche Überlegungen (Gängler, Weinhold und Markert 2013).
4 Pädagogische Arbeit im Hort
4.1 Räumliche Organisation des Horts
In Bezug auf den Hort als Einrichtung mögen bei näherem Nachdenken verschiedene Bilder entstehen: Von räumlich abgetrennten, nur für die Schulkinder vorgesehene Bereichen in altersgemischten Kindertageseinrichtungen über eigene Horthäuser, die sich u.U. in der Nähe von Schulen befinden, bis hin zu Räumen im Schulhaus, die eigenständig genutzt werden können. Horte können sich auch – und dies ist wohl das eingrenzende Ende der räumlichen Dimension – nahezu ausschließlich auf Unterrichtsräume beziehen, die nach Unterrichtsschluss zu Horträumen „umfunktioniert“ werden, indem Spielzeug hervorgeholt und Sitzordnungen verändert werden. In diesem Fall muss dann alles am Ende des Horttags wieder zur unterrichtlichen Ordnung zurückgeräumt werden (bspw. Markert und Weinhold 2009). Auf diese Weise kann zumindest die heterogene räumliche Organisation des Horts umrissen werden; statistische Daten dazu liegen nur auf regionaler oder kommunaler Ebene vor (bspw. Drucksache 5/9718 des Sächsischen Landtags vom 14.08.2012).
4.2 Konzeptionelle Praxis des Horts
Im Hinblick auf die konzeptionelle Praxis sind dagegen keine überregionalen und zudem aktuellen Aufarbeitungen vorhanden. Die räumliche Vielfalt lässt erahnen, dass die Hortpraxis auch auf der konzeptionellen Ebene sehr heterogen ist. Eine eigenständige „Hortpädagogik“, wie sie Ende der 1990er-Jahre vereinzelt proklamiert wurde (Huppertz und Meier-Musahl 1999; Kaplan und Becker-Gebhard 1997), leitet heute weder die Ausbildung der Fachkräfte noch die Praxis in den Einrichtungen. Die pädagogische Arbeit orientiert sich inhaltlich an kindheitspädagogischen Ansätzen, wie sie in Kindergärten praktiziert werden. Die Kinder sollen die Gelegenheit haben, sich gemeinsam mit anderen Kindern und dabei regelgeleitet-selbstbestimmt sowie spielerisch mit Themen wie z.B. Naturphänomenen auseinanderzusetzen. Die eingesetzten Fachkräfte, zumeist ErzieherInnen, unterstützen dies durch eine beobachtende, beratende und fördernde Begleitung. Neben dem freien Spiel werden Angebote unterbreitet, die sich an den Interessen der Kinder orientieren. Diese können dann Projektcharakter haben, wenn bspw. Apfelbäume im Hortgarten gepflegt, die Äpfel geerntet und verarbeitet werden. Oder es sind Arbeitsgemeinschaften, wie bspw. die wöchentliche Fußballgruppe. Oft wählen die Kinder einen Kinderrat, in dem die Geschehnisse ausgewertet, Bedürfnisse artikuliert sowie Vorhaben entworfen und entschieden werden. Diese pädagogische, immer von Bildungs- und Erziehungsmomenten geprägte Arbeit ist dann, gewissermaßen nebenbei, auch die von Eltern erwartete Betreuungsleistung im Sinne beaufsichtigter Zeit, in der Beziehung, Sorge und Unterstützung im Mittelpunkt stehen.
4.3 Zeitliche Organisation des Horts
Der Alltag eines Schulkinds ist unumgänglich strukturiert durch den verpflichtenden Besuch der Schule. Für die Kinder beginnt der Schultag – je nach Entfernung, Verkehrsmittel, Schulbeginn – zwischen 6.00 und 8.00 Uhr. Wann beginnt aber der Hort? Er besitzt als eigenständige Kita keine eigene Startzeit, sondern das Angebot startet, wenn die Kinderzeit in den Morgenstunden noch nicht (Frühhort) bzw. mittags oder nachmittags nicht mehr durch die Schule belegt ist. Der Hort schließt meist zwischen 16.30 Uhr und 18 Uhr mit dem individuellen Abgang der einzelnen Kinder aus dem Hortangebot, der durch den Elternwillen geregelt wird. Der Hort kompensiert umfangreich familiäre Betreuungslücken. Wenn Eltern – zumeist aus beruflichen Gründen – ihre Kinder nicht betreuen können und auch andere Familienmitglieder oder Vereinstätigkeiten, Musikschule oder Ähnliches nicht zur Verfügung stehen, wird der Hort gern genutzt. Umgekehrt verzichten Eltern bspw. an ihrem freien Nachmittag gern auf das Hortangebot, weil es keinen strukturellen Bedarf gibt. Darin enthalten ist wiederum die inhaltliche Ergänzung, dass Horte auf Wünsche der Eltern reagieren, wenn sie Angebote konzipieren (bspw. Musikinstrumentenkurs, Fußball) oder die „Qualitätsmerkmale“ ihrer Hausaufgabenbetreuung (bspw. korrekt, sauber, vollständig) festlegen. Hier konfligieren dann die schulpädagogischen Ansprüche der bspw. grundschuldidaktisch angedachten, „richtigen“ Lösung von Aufgaben mit den sozialpädagogischen Bemühungen um die Eigenständigkeit der Kinder.
Damit werden die dem Hort konzeptionell eingeschriebenen Abhängigkeiten von der Organisation Schule wie von den Bedarfen der Eltern deutlich. Der Aufenthalt der Kinder im Hort wird primär nicht inhaltlich begründet, sondern zeitlich über den nachunterrichtlichen Betreuungsbedarf, der von den Eltern erklärt wird, bestimmt. Eine zeitlich ausgeweitete Schule kann insofern zur Auflösung des Hortes führen, wie – als gegenüberliegender Extremfall – in Ferienzeiten oft einzig der Hort den Betreuungsbedarf deckt.
4.4 Bildungs- und Erziehungsauftrag des Horts
Anhand der Ausführungen wird, in Abgrenzung zur curricular organisierten Schule, der von den Elternrechten abgeleitete, familienergänzende Bildungs- und Erziehungsauftrag der Kita Hort nach § 22 Abs. 2 SGB VIII deutlich (BMFSFJ 2005, S. 393). Anders als bei den frühkindlichen Kitas bleibt die bildende und erziehende Funktion des Horts im Schatten der hierfür anerkannten Institution Schule. Dennoch wird dem Hort in einigen Bundesländern ein eigenständiger Bildungsauftrag zugeschrieben (bspw. Mecklenburg-Vorpommern: Ministerium für Bildung MV 2011, Abschn. 4, S. 3; Sachsen: SMS 2007, S. 173). Wenn dies mehr als die Abgrenzung zum schulischen Bildungs- und Erziehungsauftrag meint und den familienergänzenden Auftrag übersteigt, sollen durch eine Jugendhilfeeinrichtung generelle Angebotsdefizite der heutigen Schule ausgeglichen werden. Ein derartiger Erziehungs- und Bildungsauftrag überschreitet den Aufgabenbereich der Kinder- und Jugendhilfe. Er würde zudem die Frage aufwerfen, wie den Kindern, die nicht den Hort besuchen, die entsprechenden Bildungsinhalte nahegebracht werden. Der gesellschaftliche Auftrag des Horts ist so auch umfangreich von historischen Paradoxien geprägt (ausführlich dazu: Gängler und Markert 2015). Als fachliche Orientierung für die pädagogischen Fachkräfte in Hort und Schule erweisen sich einrichtungsübergreifende Bildungspläne als geeignet, deren alltagspraktischer Stellenwert im Raum Schule neben den Lehrplänen allerdings unklar ist (Gängler, Weinhold und Markert 2013, S. 165 f.).
4.5 Pädagogische Arbeit im Hort als berufliches Arbeitsfeld
Aus den Ausführungen lässt sich erahnen, dass die Tätigkeit im Hort – wie auch in anderen Modellen der „Schulkinderbetreuung“ (Deutscher Verein 2015) – aufgrund der übertragenen, teils auch miteinander im Konflikt stehenden Aufgaben ein herausforderndes Arbeitsfeld darstellt. Aufgrund des Fachkraftgebots der Jugendhilfe (§ 72 SGB VIII) müssen die MitarbeiterInnen mindestens den Abschluss als ErzieherIn besitzen. 2019 waren laut der Kinder- und Jugendhilfestatistik ca. 12.000 Personen als Gruppenleitungen in Horten i.S. von Kitas, die ausschließlich Schulkinder betreuen, tätig (Statistisches Bundesamt 2019). Von ihnen arbeiteten lediglich 11 % Vollzeit. Über die Hälfte der Gruppenleitungen (58 %) waren mit weniger als 32 Stunden in der Woche beschäftigt. Vor dem Hintergrund, dass die Gruppenleitungen im vorschulischen Bereich zu 44 % Vollzeit angestellt sind, wird die oben geschilderte kompensatorische Funktion des Horts deutlich, die überwiegend zu Teilzeitanstellungen führt. Dies geht aber einher mit einem Attraktivitätsverlust der Beschäftigung im Hort im Vergleich zu einer Arbeit in einer (altersübergreifenden) Kindertagesstätte.
Vor dem Hintergrund, dass sich die frühkindlichen Kitas im quantitativen und – bezogen auf den Betreuungsschlüssel – qualitativen Ausbau befinden, gehen bspw. die Prognosen im Bildungsbericht 2018 für 2025 in diesem Bereich von einem Ersatz- und Mehrbedarf von bis zu 583.000 ErzieherInnen aus. Für das Ganztagsangebot im Grundschulalter wird aufgrund demografischer Entwicklungen und des bedarfsentsprechenden Ausbaus ein zusätzlicher Personalbedarf von 20.000 bis 42.000 Fachkräften angegeben (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018, S. 80 f. und S. 100). Damit konkurrieren auf dem Arbeitsmarkt die Betreuungsangebote der Ganztagsschulen mit den Kitas aller Altersgruppen. Auch ohne Veränderung des Personalschlüssels gehen die AutorInnen des Bildungsberichts davon aus, dass es in den frühkindlichen Kitas bundesweit einen ungedeckten Personalbedarf von 39.000 Kräften geben wird; bei Verbesserung des Betreuungsschlüssels geht diese Zahl schnell in den sechsstelligen Bereich (ebd., S. 81).
Zu diesen strukturellen Analysen hinzukommend geben qualitative Analysen zur standortspezifischen Zusammenarbeit in kooperativen Ganztagsangeboten von Grundschule und Hort (in einem Gebäude) Hinweise auf die schwierige berufliche Stellung von ErzieherInnen am Ort Schule. Die alltägliche Tätigkeit der ErzieherInnen im Hort steht im Schatten der Unterrichts-Schule, der traditionellen Hausaufgabenerledigung und zudem schulisch organisierter Nachmittagsangebote (Markert 2018). Im Vergleich zu dem eigenständigen pädagogischen Handeln in frühkindlichen Kitas werden die Tätigkeiten von sozialpädagogischen Fachkräften im Hort von der Elternschaft wenig anerkannt. Beobachtungen dokumentieren dann Praktiken, wie ErzieherInnen um Bedeutung ringen. Um als BildungsakteurInnen wahrgenommen zu werden, fertigen die MitarbeiterInnen des Horts bspw. detaillierte Aushänge unter Nennung ihrer pädagogischen Abschlüsse an oder integrieren sich als KursleiterInnen in das zusätzliche, schulisch verantwortete Nachmittagsangebot. Aber auch die originäre Hortarbeit wird verändert. Über die Organisation, Verantwortung und Durchführung von inhaltlich markierten Angeboten (AGs, Interessengemeinschaften, Kurse) werden die ErzieherInnen sichtbar, denn es werden Zeiten reserviert und die Veranstaltungen schulöffentlich benannt. Sie betreuen dann nicht länger „nur“ das Kinderspiel (Markert 2017, S. 383 ff.).
5 Zukunft des Horts
Um über die Perspektive der Einrichtung Hort zu sprechen, ist es grundlegend, zunächst festzustellen, welches Wissen zum Hort eigentlich existiert. Pointiert äußert sich der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge bereits 2015 im Rahmen seiner Empfehlungen zur öffentlichen Erziehung, Bildung und Betreuung von Schulkindern wie folgt: „Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern im Schulalter in öffentlichen, außerunterrichtlichen Angeboten ist weitgehend eine statistische und fachwissenschaftliche Black-Box“ (Deutscher Verein 2015, S. 16). Daran hat sich bis heute, so zeigt eine weitere Empfehlung des Deutschen Vereins zu diesem Themengebiet, nichts geändert (Deutscher Verein 2019, S. 22). Aussagen, die über eine bundesweite Nutzungsquote hinausgehen, wie z.B. solche zu pädagogischen Konzepten oder gar zu pädagogischen Wirkungen, fehlen komplett. Die Entwicklung des Horts bis heute zeigt jedoch Folgendes im Sinne eines Charakteristikums des Horts:
„Die Aufgaben des Hortes sind ihm seit jeher von den sich verändernden Anforderungen und Entwicklungen im Arbeits- und Bildungsbereich zugeschrieben. […] Eingekeilt zwischen Anforderungen von Schule und Arbeitsmarkt hat es der Hort schwer, ein eigenes Profil zu finden.“ (Wagner 2000, S. 116 f.)
Dies zeigte sich eindrücklich seit der Jahrtausendwende im Zusammenhang mit der Ganztagsschulentwicklung.
In einzelnen Bundesländern wurde der Hort in das ganztägige Angebot der Grundschule aufgenommen und quasi durch die Ganztagsschule ersetzt. Andere Länder verblieben hingegen im zeitlichen Modus des „Nacheinanders“ – vormittags Schule und nachmittags Hort. Somit konkurrieren die Einrichtungen nicht um die Kinderzeit. Dem Letztgenannten gegenüber steht das „Nebeneinanders“: der Hort arbeitet parallel zu einer mehr oder weniger weit ausgebauten Schule mit Ganztagsangebot (Gängler, Weinhold und Markert 2013).
Der Optimismus der bildungspolitisch umfangreich geförderten Ganztagsschulinitiative, dass die Ganztagsschule aufgrund der angenommenen höheren Bildungsleistung zugleich als Nebeneffekt die Betreuungsaufgaben im Grundschulbereich übernehmen würde, erwies sich recht schnell als Irrtum: Der Hort wurde per se kein „Auslaufmodell“ (Lange 2007). Im Jahr 2017 nutzten laut der Ganztagsschulstatistik 41,7 % der Grundschulkinder eine Ganztagsschule, was insgesamt mehr als 1,1 Millionen Kinder waren (Sekretariat der Kultusministerkonferenz 2019). Daneben oder auch darin integriert – manche Ganztagsschulen existieren nur aufgrund der Kooperation mit dem Hort – stehen die anfangs erwähnten ca. 500.000 Schulkinder, die den Hort nutzen. Unter Akzeptanz der damit einhergehenden statistischen Unsicherheiten lässt sich die „Beteiligungsquote“ an Ganztagsgrundschulen und Horten im Jahr 2017 auf ca. 48 % schätzen. Dabei differieren die Quoten zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland mit 78 % zu 41 % erheblich, woraus die Annahme entsteht, dass der Betreuungsbedarf nicht ausreichend gedeckt ist (Alt et al. 2019, S. 4).
Hier setzt nun die im Jahr 2018 erstmals formulierte bildungs- und sozialpolitische Initiative auf Bundesebene an. Im Koalitionsvertrag ist zu lesen:
„Wir werden einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter schaffen. Dabei werden wir auf Flexibilität achten, bedarfsgerecht vorgehen und die Vielfalt der in den Ländern und Kommunen bestehenden Betreuungsmöglichkeiten der Kinder- und Jugendhilfe und die schulischen Angebote berücksichtigen. Für die Ausgestaltung wollen wir das Sozialgesetzbuch VIII nutzen.“ (CDU, CSU und SPD 2018, S. 20)
Die politische Umsetzung des Rechtsanspruchs ist auf 2025 terminiert. Mit diesem Vorhaben verbindet sich aber nur scheinbar eine Wiederentdeckung des Horts, indem die Regelungen zu den Kindertageseinrichtungen für Schulkinder im SGB VIII um einen Rechtsanspruch ergänzt werden sollen. Stattdessen sollen die Bestimmungen so formuliert werden, dass auch die Angebote im Bereich Schule zur Umsetzung des Rechtsanspruchs genutzt werden können und somit ländertypische Modelle von Ganztagsschule und bzw. oder Hort Fortbestand und Förderung erhalten (Wrase und Siegers 2019). Geeinigt wurde sich bereits darauf, dass der Rechtsanspruch „eine Betreuung von acht Stunden an fünf Tagen pro Woche für die Klassen eins bis vier“ beinhalten soll, ebenso wie eine „Ferienbetreuung“ bei insgesamt „höchstens vier Wochen Schließzeiten“ (BMBF 2020). Das Deutsche Jugendinstitut geht im Falle der Erweiterung der bisherigen Angebotsmodelle bis zur Bedarfsdeckung (Fortschreibungsmodell) davon aus, dass bis 2025 322.000 Plätze neu zu schaffen sind, was Investitionen von 1,9 Milliarden Euro erforderlich macht (Alt et al. 2019). Mit der Erweiterung des Angebots verbunden ist die Hoffnung, dass Mütter aufgrund der Entlastung von Betreuungsaufgaben umfangreich Erwerbsarbeit aufnehmen. Diese arbeitsmarktpolitisch und wirtschaftlich erhoffte Wirkung der Betreuungsangebote geht soweit, dass prognostiziert wird, dass sich diese Einrichtungen aufgrund der gleichzeitig steigenden Steuereinnahmen ihre laufenden Kosten umfangreich selbst tragen (Bach et al. 2020). Diesen anscheinend guten Bedingungen für einen quantitativen Ausbau des Horts stehen jedoch zugleich Fragen zur qualitativen Entwicklung gegenüber. Wie oben bereits angesprochen, gilt es bspw. zuallererst, den Fachkraftbedarf zu decken.
6 Quellenangaben
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Bach, Stefan, Jonas Jessen, Peter Haan, Frauke Peter, C. Katharina Spieß und Katharina Wrohlich, 2020. Fiskalische Wirkungen eines weiteren Ausbaus ganztägiger Betreuungsangebote für Kinder im Grundschulalter [online]. Berlin: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e.V [Zugriff am: 27.03.2020]. Verfügbar unter: https://www.diw.de/documents/​publikationen/73/diw_01.c.702895.de/diwkompakt_2020-146.pdf
Ballmann, Ursula, 1984. Freizeit im Hort: Beiträge aus pädagogischen Lesungen. Berlin: Volk und Wissen.
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Rißmann, Michaela, 2016. Horte und Ganztagsschulen: Eine institutionelle Standortbestimmung. In: Charis Förster, Eva Hammes-Di Bernardo, Michaela Rißmann und Sandra Tänzer, Hrsg. Pädagogische Lebenswelten älterer Kinder: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Freiburg: Herder, S. 98–108. ISBN 978-3-451-37536-1
Rolle, Jürgen und Edith Kesberg, 1988. Der Hort: Handbuch für die Praxis. Der Hort im Spiegel seiner Geschichte. Band 4. Köln: Kohlhammer. ISBN 978-3-17-010431-0
Sekretariat der Kultusministerkonferenz, 2019. Allgemein bildende Schulen in Ganztagsform in den Ländern in der Bundesrepublik Deutschland – Statistik 2013 bis 2017 [online]. Berlin: Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland [Zugriff am: 27.03.2020]. Verfügbar unter: https://www.kmk.org/fileadmin/​Dateien/pdf/Statistik/​Dokumentationen/​GTS_2018.pdf
SMS – Sächsisches Staatsministerium für Soziales, 2007. Der Sächsische Bildungsplan: Ein Leitfaden für pädagogische Fachkräfte in Krippen, Kindergärten und Horten sowie Kindertagespflege. Dresden: SV Saxonia. ISBN 978-3-937951-79-9
Statistisches Bundesamt, 2010. Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe. Kinder und tätige Personen in Tageseinrichtungen und in öffentlich geförderter Kindertagespflege am 01.03.2010. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt
Statistisches Bundesamt, 2019. Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe. Kinder und tätige Personen in Tageseinrichtungen und in öffentlich geförderter Kindertagespflege am 01.03.2019 [online]. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt [Zugriff am: 27.03.2020]. Verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/​Gesellschaft-Umwelt/​Soziales/​Kindertagesbetreuung/​Publikationen/​Downloads-Kindertagesbetreuung/​tageseinrichtungen-kindertagespflege-5225402197004.pdf?__blob=publicationFile.
Wagner, Petra, 2000. Alles klar – oder …? Widersprüche und Dilemmata der pädagogischen Arbeit im Hort. In: Gabriele Berry und Ludger Pesch, Hrsg. Welche Horte brauchen Kinder? Ein Handbuch. Neuwied: Luchterhand, S. 115–127. ISBN 978-3-472-03593-0
Wrase, Michael und Anuschka Siegers, 2019. Einheitliche Qualitätskriterien für den Ganztag im Grundschulalter. Möglichkeiten der bundesrechtlichen Umsetzung [online]. Essen: Mercator [Zugriff am: 27.03.2020]. Verfügbar unter: https://www.stiftung-mercator.de/media/​downloads/​3_Publikationen/2019/2019_06/​Gutachten_Ganztag_CS6_V11_RZ_digital.pdf
7 Literaturhinweise
Gängler, Hans und Thomas Markert, 2016. Hort. In: Jutta Helm und Anja Schwertfeger, Hrsg. Arbeitsfelder der Kindheitspädagogik. Weinheim: Beltz Juventa, S. 120–133. ISBN 978-3-7799-3299-4
Der Hort innerhalb der Kindheitspädagogik
Gängler, Hans, Katharina Weinhold und Thomas Markert, 2013. Miteinander-Nebeneinander-Durcheinander? Der Hort im Sog der Ganztagsschule. In: neue praxis. 43(2), S. 154–175. ISSN 0342-9857.
Überblicksartikel zur Entwicklung des Horts unter Bezugnahme auf die Ganztagsschulentwicklung
Markert, Thomas, 2017. Lehrerinnen und Erzieherinnen doing Ganztagsschule: Historische und empirische Analysen zum Ganztagsangebot von Grundschule und Hort. Weinheim: Beltz Juventa. ISBN 978-3-7799-3318-2 [Rezension bei socialnet].
Studie zum Hort innerhalb eines kooperativen Ganztagsangebots mit der Schule
Klett Kita und BETA Bundesvereinigung Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder, Hrsg., 2015. SchulKinderHort. TPS – Theorie und Praxis der Sozialpädagogik. Heft 5. ISSN 0342-7145
Zur Praxis des Horts
8 Informationen im Internet
- Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Implementierung und Ausgestaltung eines Rechtsanspruches auf ganztägige Erziehung, Bildung und Betreuung für schulpflichtige Kinder in der Grundschulzeit
- Empfehlungen des Deutschen Vereins zur öffentlichen Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern im Alter von Schuleintritt bis zum vollendeten 14. Lebensjahr
- Trailer Lehrfilm „Was brauchen Große Kinder in Schule, Hort und Elternhaus?“ [Rezension bei socialnet]
Verfasst von
Dr. Thomas Markert
Hochschule Neubrandenburg, Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung
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Es gibt 1 Lexikonartikel von Thomas Markert.
Zitiervorschlag
Markert, Thomas,
2020.
Hort [online]. socialnet Lexikon.
Bonn: socialnet, 14.04.2020 [Zugriff am: 09.11.2024].
Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/1975
Link zur jeweils aktuellsten Version: https://www.socialnet.de/lexikon/Hort
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