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Hume, David

Prof. Dr. Gerhard Streminger

veröffentlicht am 03.06.2024

GND: 118554735

* 07.05.1711 in Edinburgh

25.08.1776 in Edinburgh

David Hume war ein schottischer Philosoph des 18. Jahrhunderts, der vor allem für seinen Beitrag zur empirischen Erkenntnistheorie und seiner Kritik an metaphysischen Annahmen bekannt ist. Er gilt als einer der bedeutendsten Philosophen und wichtigsten Vertreter der Aufklärung.

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Lebenslauf
    1. 2.1 Jugend
    2. 2.2 Akademische Illusionen
    3. 2.3 Lebensabend
  3. 3 Werk
    1. 3.1 Jugendwerk
    2. 3.2 Der Essayist
    3. 3.3 Enquiry concerning Human Understanding
      1. 3.3.1 Die Kausalanalyse
      2. 3.3.2 Die Analyse induktiver Schlüsse
      3. 3.3.3 Wunderanalyse
    4. 3.4 Entwurf einer säkularen Ethik
    5. 3.5 Kritik am Merkantilismus
    6. 3.6 Der Historiker
    7. 3.7 Der Religionskritiker
  4. 4 Hume und die Aufklärung
  5. 5 Quellenangaben
  6. 6 Literaturempfehlungen

1 Zusammenfassung

David Hume war ein schottischer Philosoph, Historiker und politischer Ökonom, der als zentrale Figur der Aufklärung gilt. Geboren in Edinburgh, veröffentlichte er 1739 sein erstes großes Werk, Treatise of Human Nature. Trotz anfänglicher Missachtung wurde Hume zu einem enorm einflussreichen Denker. Er starb 1776 in Edinburgh.

Humes Werk konzentrierte sich insbesondere auf die Natur menschlicher Erkenntnis und Moral. Im Treatise of Human Nature argumentierte er, dass alle Erkenntnis auf Sinneswahrnehmungen und Erfahrungen beruht, und er kritisierte die Grundannahmen der spekulativen Metaphysik. Seine Analyse der Kausalität, derzufolge die Ereignisse nur durch Gewohnheit hinsichtlich ihrer Verursachung und Wirkung miteinander verknüpft sind, war revolutionär. In Enquiry concerning Human Understanding von 1748 diskutierte er zudem das Problem der Induktion und kritisierte den Wunderglauben.

In Enquiry concerning the Principles of Morals (1751) entwickelte Hume eine Ethik, die auf menschlichen Gefühlen und sozialen Bindungen basiert. Er betonte, dass moralische Urteile auf Empathie beruhen. Seine Essays und politischen Schriften boten Analysen der menschlichen Natur und Gesellschaft und trugen zur politischen Ökonomie bei. Posthum veröffentlichte Werke wie die Dialogues concerning Natural Religion boten eine skeptische Analyse religiöser Argumente. Humes Werk war entscheidend für die Entwicklung der empirischen Philosophie, Ethik und Religionskritik und der Aufklärung im Allgemeinen.

2 Lebenslauf

2.1 Jugend

David Hume wurde am 7. Mai 1711 in Edinburgh, der Hauptstadt Schottlands, geboren. Er wuchs im Süden des Landes auf und wurde in jungen Jahren von seiner Mutter und seinem Onkel, dem Gemeindepfarrer, gewissenhaft in den Lehren des Calvinismus unterrichtet. Humes Vater, der als Anwalt tätig war, starb, als sein später so berühmter Sohn gerade einmal zwei Jahre alt war.

Zunächst übernahm der kleine David die religiösen Lehren der Älteren, aber bald begann er nach Dingen zu fragen, die sorgfältig hinter dem Tempelvorhang versteckt waren. Nach vielen Auseinandersetzungen in der Familie – seine gottesfürchtige Mutter soll gesagt haben, dass „ihr Davie“ zwar „gutmütig“, aber „ungewöhnlich engstirnig“ sei –, wandte sich Hume mit etwa achtzehn Jahren vom Calvinismus ab (Daiches, Jones und Jones 1986).

Seine religiöse Haltung, womit gemeint ist: die Rückbindung an ein höheres und transzendentes Wesen, gab Hume allerdings noch nicht gänzlich auf. Vielmehr wandte er sich einem stark neuplatonisch gefärbten Stoizismus zu. Nachdem er sich zunächst bemüht hatte, ein Leben in Einklang mit den Prinzipien des Calvinismus zu führen, versuchte er nun, sich mit jener Unerschütterlichkeit zu wappnen, die als die stoische Tugend schlechthin galt.

Aber beide Versuche, seinen Charakter nach Idealen zu formen, die im Grunde lebensfeindlich waren, erwiesen sich als katastrophal. Fast ein halbes Jahrzehnt litt Hume unter schweren psychosomatischen Störungen und musste schließlich ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen.

Als Dreiundzwanzigjähriger befreite er sich endgültig von diesen geistigen Korsetts und gestand sich ein, dass die Probleme gar nicht bei ihm lagen. Vielmehr seien das düstere calvinistische Menschenbild, welches die völlige Verderbtheit der Menschennatur lehrt, sowie das stoische Weltbild, welches die beständige Beherrschung der Affekte und sogar die Befreiung davon fordert, Doktrinen, die der menschlichen Natur Gewalt antun. Diese fundamentale Einsicht bildet den tragischen Hintergrund seines Jugendwerks.

2.2 Akademische Illusionen

Nach ersten Erfolgen als Schriftsteller bewarb sich Hume Mitte der 1740er Jahre (und ein zweites Mal zu Beginn der 1750er Jahre) um einen Lehrstuhl für Philosophie, zunächst an der Universität seiner Heimatstadt Edinburgh, dann in Glasgow. Als sich in der Hauptstadt herumgesprochen hatte, dass Humes Bewerbung nicht völlig aussichtslos war, traten die Gottesgelehrten auf den Plan. Sie verfassten eine Empfehlung, in der sich 80 % gegen die Wahl Humes zum Professor für Philosophie aussprachen. Ähnlich verlief seine spätere Bewerbung in Glasgow.

Hauptgrund für den klerikalen Widerstand war die Tatsache, dass Hume im dritten Buch des Treatise of Human Nature (1739/1740) eine rein diesseitsorientierte Ethik entworfen hatte. Göttliche Gebote oder jenseitige Belohnungen und Bestrafungen als Motive menschlichen Handelns spielen darin keine Rolle. Entscheidend sind vielmehr menschliche Wünsche, Bedürfnisse und Interessen. Sie sind die angemessene Basis moralphilosophischen Reflektierens und einer haltbaren Ethik.

Da ihm eine Beschäftigung an einer Universität verwehrt blieb, musste Hume – bis er als Schriftsteller wirklich anerkannt war – anderen Tätigkeiten nachkommen: Zunächst war er Lehrer eines geisteskranken englischen Adeligen, danach Adjutant eines britischen Generals.

Diesen begleitete er 1748, während des Österreichischen Erbfolgekrieges, an die Höfe in Wien und Turin. Von seiner Reise durch die Niederlande, Deutschland, Österreich und Norditalien verfasste Hume einen Bericht, einen der wenigen umfangreichen Reisejournale aus dem 18. Jahrhundert (Hume 2024).

2.3 Lebensabend

1769 kehrte Hume endgültig nach Edinburgh zurück, um im Kreis der Freunde seinen Lebensabend zu verbringen. Die Jahre zuvor waren turbulent verlaufen: In Paris war er Mittelpunkt der aufgeklärten Salons, in die große Dame Frankreichs – Madame de Boufflers (1711 – 1786) – hatte er sich heftig verliebt, einige Monate lang war er Geschäftsträger in der britischen Botschaft und schließlich Gegenstand wüster Beschimpfungen von Seiten eines anderen großen Philosophen, nämlich Jean-Jacques Rousseaus (1712-1778).

Die Zeit, die er im heimatlichen Schottland verbrachte, nannte Hume die „glücklichste seines Lebens“ (Hume 1993b). Im August 1776, wenige Wochen nach der Unabhängigkeitserklärung der englischen Siedler in Nordamerika, starb Hume.

Adam Smith (1723-1790) beschloß das Epitaph auf seinen großen Freund in einem Brief, den er einige Monate später veröffentlichte, aus dem Jahr 1777 so:

„Sowohl zu Lebzeiten wie auch seit seinem Tod, habe ich ihn immer für denjenigen gehalten, der sich dem Ideal eines vollkommen weisen und moralischen Menschen so weit näherte, als es die Unvollkommenheit der menschlichen Natur vielleicht überhaupt zulässt“ (Smith 1993, S. LXIX).

3 Werk

3.1 Jugendwerk

Nachdem Hume sich von den calvinistischen und stoischen Zwangsjacken seiner Jugend befreit hatte, entwarf er als Alternative das Programm einer empirisch fundierten Anthropologie und Philosophie. Diese arbeitete er in seinem dreibändigen Treatise of Human Nature (im Folgenden: Treatise) näher aus, den er 1739 und 1740 – noch nicht einmal dreißig Jahre alt – in London publizierte.

Der Autor geht darin von der Beobachtung aus, dass in der Welt der Meinungen und Ideen völlige Unordnung herrsche: Streitigkeiten häuften sich, als ob alles unsicher wäre, und sie würden mit einer Vehemenz geführt, als ob alles gewiss wäre. Sieger in diesem Streit ist nicht die Vernunft, also das Bemühen um das beste Argument, sondern die Beredsamkeit.

Den Grund für dieses Chaos sieht Hume in der Tatsache, dass Menschen die Zeugnisse der Sinne einfach nicht ernst nähmen. Vielmehr werde nach eigenem Gutdünken ein Bild der Wirklichkeit entworfen und dieses dann mit dem Anspruch auf endgültige Wahrheit vertreten. Hume vergleicht Menschen, die mit solchen blinden Flecken denken und handeln mit Engeln, welche die Augen mit den Flügeln bedecken.

Im Gegensatz dazu sollen in seiner Philosophie die zentralen Begriffe und Behauptungen auf ihre sinnlich wahrnehmbare Basis zurückgeführt und von allem fantastischen, rein subjektiven Beiwerk befreit werden. Ziel einer solchen empirischen Vorgehensweise ist laut Hume ein sicheres, evidenzbasiertes und damit menschlicheres Fundament unserer Weltanschauungen, ohne überzogene Forderungen.

3.2 Der Essayist

Im Jahre 1741, also ein Jahr nach der Publikation des dritten Bandes des Treatise, veröffentlichte Hume den ersten, im darauffolgenden Jahr den zweiten Band seiner später so genannten Essays Moral, Political and Literary. Vielleicht in keiner anderen Schrift zeigt sich so beeindruckend das Bemühen des Autors um Fairness und Ausgewogenheit, sein Respekt vor Tatsachen und die Freude am Denken. Von den ursprünglichen 27 Essays sei nur der Inhalt von The Epicurean (Hume 1990), der deutlich autobiographisch gefärbt ist, kurz wiedergegeben:

Der Humesche Epikureer macht sich zunächst lustig über die Versuche gestrenger Denker – womit Stoiker und christliche Fundamentalisten gemeint sind –, die „ein künstliches Glück erzeugen und Menschen durch Gesetze in einen Zustand des Wohlbefindens versetzen wollen.“

Gegen solche Luftschlösser verteidigt sich der Epikureer unter Berufung auf die „Weisheit der Natur“. Warum, so fragt er sich, „sollte ich alle Triebfedern und Grundkräfte, die die Natur mir eingepflanzt hat“, zu unterdrücken trachten? „Sollte dies der Weg zum Glück sein? Aber Glück heißt doch Behaglichkeit, Zufriedenheit, Ruhe und Lust – und nicht ängstliche Achtsamkeit, Besorgnis und Strapaze.“

Dem Epikureer zufolge sind die Forderungen der gestrengen Denker bei Licht besehen „die Stimme des STOLZES, nicht der NATUR“, weshalb sie – wie Hume selbst schmerzlich erfahren musste – zu „Gram und tiefster Melancholie“ führen. Daher auch seine beinahe flehentliche Bitte, ihn nicht „in sich selbst“ einzuschließen, sondern ihm jene Dinge zu zeigen, die „für uns die Hauptquellen des Vergnügens bilden“ (Hume 1990, S. 13–22).

Während die Essays zu Humes Lebzeiten recht erfolgreich waren, wurde der Treatise kaum beachtet. Obwohl unter anderem Immanuel Kants Transzendentalphilosophie als Reaktion auf den Zweifel Humes entstanden ist, wurde dessen Jugendwerk erst 1817 neu aufgelegt (nachdem bereits zuvor eine deutsche Übersetzung erschienen war).

Als Hume eingesehen hatte, dass der Treatise, wie er meinte, „als Totgeburt“ aus der Druckerpresse gefallen war, entschloss er sich, die schwer zugängliche Sprache der systematischen Philosophie aufzugeben und auch seine abstrakteren Ideen in der Form des Essays zu überarbeiten.

Heute gilt Humes Treatise als eines der wichtigsten Zeugnisse der westlichen Philosophie (Rasmussen 2017).

3.3 Enquiry concerning Human Understanding

Im Frühjahr 1748 erschien in London die Enquiry concerning Human Understanding. Diese Schrift ist die Umarbeitung des ersten Buches des Treatise, ergänzt durch Of Liberty and Necessity sowie zwei religionsphilosophische Essays. Heute dürfte die Enquiry concerning Human Understanding der am weitesten verbreitete Einführungstext in die klassische Philosophie sein.

Zumindest drei große Themen werden darin aufgeworfen, die bis heute, vor allem unter analytischen Philosophen, permanenter Gegenstand von Debatten und Publikationen sind:

3.3.1 Die Kausalanalyse

In der Kausalanalyse fragt Hume nach der genauen Bedeutung der Begriffe Ursache und Wirkung. Sein berühmtes Beispiel ist sehr einfach, nämlich das Rollen einer Billardkugel, die auf eine andere trifft und diese zum Rollen bringt. Die Bewegung der ersten Billardkugel nennen wir ‚Ursache‘ der Bewegung der anderen, und das Rollen der zweiten Billardkugel gilt als ‚Wirkung‘ des Rollens der ersten.

Aber haben wir an der Bewegung der ersten Billardkugel tatsächlich ihr ‚Ursachesein‘, die ihr zugesprochene ‚Kraft‘ wahrgenommen? Hume verneint dies: Alles das, was wir beobachtet haben, ist nämlich das Nacheinander von Ereignissen, ein post hoc, das wir als ein Auseinander, als ein propter hoc deuten.

Die kausale Beziehung, das Ordnen der Ereignisse der Welt nach Ursache und Wirkung, ist somit nicht unmittelbar erfahrbar, sondern sie ist eine Zutat, eine Konstruktion des betrachtenden Subjekts (Kulenkampff 2003).

3.3.2 Die Analyse induktiver Schlüsse

In der Analyse induktiver Schlüsse fragt sich Hume, inwieweit der gängige Schluss von einer begrenzten Anzahl an Beobachtungen auf eine allgemeine Gesetzmäßigkeit gerechtfertigt ist. Wie berechtigt ist das Lernen aus Erfahrung, etwa der Schluss von der Beobachtung einer begrenzten Anzahl weißer Schwäne auf die Schlussfolgerung: ‚Alle Schwäne sind weiß‘?

Humes Antwort ist zunächst extrem skeptisch: Der Schluss von Vergangenem (‚n Schwäne sind weiß‘) auf Künftiges (‚Da alle bisherigen Schwäne weiß waren, wird es auch der nächste sein‘) ist nicht begründet. Denn dieser induktive Schluss macht eine Annahme, die nicht gerechtfertigt werden kann, nämlich die Gleichförmigkeit des Naturverlaufs. Wäre diese Gleichförmigkeit begründet, so könnten die n Beobachtungen (n weiße Schwäne) tatsächlich die Allbehauptung (‚Alle Schwäne sind weiß‘) stützen.

Aber die Gleichförmigkeitsthese ist nicht zu rechtfertigen. Denn jeder Versuch, die Gleichförmigkeit des Naturverlaufs durch vergangene Gleichförmigkeiten induktiv zu begründen, setzt die Gleichförmigkeit des Naturverlaufs bereits als begründet voraus. Wegen dieses Zirkels (Das erst noch zu Begründende muss im Rechtfertigungsversuch bereits als begründet vorausgesetzt werden) ist die Annahme der Gleichförmigkeit des Naturverlaufs rational nicht zu rechtfertigen.

Aber es gibt Plausibilitätsargumente, daran festzuhalten: Der Glaube an eine Gleichförmigkeit des Naturverlaufs ist lebensnotwendig und, vor allem, er wird von allen Lebewesen geteilt. Sie alle lernen aus Erfahrung und erwarten – etwa bei bedingten Reflexen – eine ähnliche Abfolge von Ereignissen wie in der Vergangenheit. Der Glaube an die Gleichförmigkeit des Naturverlaufs ist offenbar angeboren. Im Gegensatz zum religiösen Glauben an Transzendentes ist er also – so Hume – ein natürlicher Glaubensinhalt (Streminger 1995).

3.3.3 Wunderanalyse

Der zehnte Abschnitt der Enquiry concerning Human Understanding, betitelt: Of Miracles, enthält jene Überlegungen, die von allen Humeschen Ideen wohl die meisten Resonanzen auslösten. Dieses enorme Interesse ist durchaus verständlich, denn die Wunderanalyse ist eine fundamentale Kritik aller Offenbarungsreligionen. Hume behauptet nämlich, dass der Glaube an ein von anderen Menschen bezeugtes Wunder niemals vernünftig sein könne, aufgrund des folgenden Vernunftprinzips:

„Der Glaube an die Existenz eines der traditionellen Wunder ist vernünftig genau dann, wenn die Glaubwürdigkeit der Zeugen wahrscheinlicher als das bezeugte Ereignis ist.“ (Enquiry concerning Understanding, Kapitel 10)

Nun widerspricht das angebliche Wunderereignis – wie ja auch von Gläubigen betont wird – notwendigerweise einer bekannten Gesetzmäßigkeit. Dass vor 2000 Jahren ein jüdischer Wanderprediger wieder von den Toten auferstanden sein soll, ist deshalb der Bericht eines Wunders, weil alle Menschen sterblich sind. Eben deshalb ist die Wahrscheinlichkeit des Wunderberichts von vorneherein äußerst gering. Also muss die Glaubwürdigkeit der Zeugen extrem wahrscheinlich, selbst ein Naturgesetz sein, damit der Glaube an das Wunder dennoch vernünftig sein kann.

Aber Zeugen lügen manchmal, wollen also andere täuschen, gelegentlich irren sie, sind also selbst Opfer kognitiver Täuschungen oder des Betrugs anderer. Mitunter sind es schlicht Eitelkeit und Machtstreben, die Menschen motivieren, ein Wunder zu verkünden: „Welche größere Versuchung […] gibt es, als für einen Beauftragten, einen Propheten und Sendboten des Himmels gehalten zu werden?“ (ebd.)

Die Glaubwürdigkeit von Zeugen ist also keine Gesetzmäßigkeit, weshalb der Glaube an eines der traditionellen Wunder, und alle Offenbarungsreligionen basieren darauf, unvernünftig ist. Der Glaube daran basiert nicht auf rationalen Argumenten, sondern auf nicht-rationalen Beweggründen: „Die Affekte der Überraschung und des Staunens, die ein Wunder hervorruft, sind eine angenehme Erregung.“ (ebd.)

Es gibt also eine Bereitschaft in der menschlichen Natur, Unvernünftiges zu glauben.

3.4 Entwurf einer säkularen Ethik

Drei Jahre nach der Enquiry concerning Human Understanding veröffentlichte Hume 1751 die Enquiry concerning the Principles of Morals, die Umarbeitung des dritten Buches des Treatise. Der Autor hielt diese Arbeit für „unvergleichlich viel besser“ (Hume 1993b) als alle anderen seiner Schriften.

In dieser Arbeit will Hume zeigen, dass die christlich-calvinistische Lehre von der völligen Verderbtheit der menschlichen Natur falsch ist. Dies zeige sich unter anderem darin

  • dass wir soziale, mit Empathie und Mitgefühl begabte Wesen sind, die das Schicksal ihrer Mitmenschen – zumindest im emotionalen Nahbereich (Familie, Freunde, gute Nachbarn) – betroffen macht;
  • dass manche Menschen auch die Interessen derer beachten, die ihnen fernstehen und keine Stimme haben;
  • dass Menschen ohne jedes Eigeninteresse tugendhafte Handlungen aus längst vergangenen Zeiten und entfernten Ländern schätzen;
  • dass manche Menschen großzügige, mutige, edle Taten anerkennen, selbst dann, wenn sie von einem Gegner stammen und ihnen bekannt ist, dass diese Handlungen dem Eigeninteresse schaden könnten.

Voraussetzung für diese moralische Einstellung ist jedoch, dass Menschen frei sind von den Fantastereien des Aberglaubens und der Schwärmerei. Sie müssen sich befreien vom Interesse an einer künftigen Seligkeit, von der Vorstellung jenseitiger Belohnungen und Bestrafungen, denn dieses Interesse macht sie engherzig und egoistisch. Ein tugendhaftes Leben bedarf einer solchen Überwelt auch nicht, da Moralität – so Hume, und so wusste schon Platon – seinen Lohn in sich trägt, nämlich erlesene Glücksgefühle.

3.5 Kritik am Merkantilismus

Im Gegensatz zur ziemlich unbeachtet gebliebenen Enquiry concerning the Principles of Morals waren die 1752 veröffentlichten Political Discourses sogleich erfolgreich und mussten noch im Jahr ihrer Publikation neu aufgelegt werden.

Gelegentlich werden sie „Wiege der Politischen Ökonomie“ (Laski 1920, S. 143) genannt. Harold Laski hielt sie gar für das „gewaltigste Lösungsmittel“ des 18. Jahrhunderts. Für den großen Adam Smith waren Humes Political Discourses – wie dessen erster Biograph Dugald Stewart bezeugt – „offensichtlich von größerem Nutzen als irgendein anderes Buch, das vor seinen Vorlesungen erschienen war“ (Stewart 1980, S. 320 f.).

Ohne Zweifel ist es Hume in dieser Schrift besonders eindrucksvoll gelungen, die Überlegungen des politischen Denkers mit den praktischen Ansichten des Staatsbürgers und den weitblickenden Analysen des Philosophen in Verbindung zu bringen. Der Titel ist allerdings irreführend, da man wohl nur vier (der insgesamt zwölf) Diskurse zur Politologie zählen würde. Sieben gehören in das Gebiet der Politischen Ökonomie, und diese waren es, die größte Aufmerksamkeit fanden.

Hume ging es darin unter anderem um eine Kritik am Merkantilismus, demzufolge ein Land reich ist, wenn die Geldmenge im Land möglichst groß ist. Da durch Export Geld ins Land und durch Import Geld aus dem Land fließt, befürworten Merkantilisten Exportförderung und Importbeschränkung.

Hume hielt diese überaus kompetitive Wirtschaftspolitik, die davon ausgeht, dass ein Land nur auf Kosten eines anderen reich werden könne, jedoch für verfehlt. Denn Dinge wie eine kreative Atmosphäre oder die Sicherheit der Grundrechte sind für den Wohlstand eines Landes entscheidender als die vorhandene Geldmenge. Unter günstigen gesellschaftlichen Umständen wird Geld unweigerlich ins Land fließen, unter widrigen wird es das Land verlassen.

Volkswirtschaftlich richtig sind also jene Maßnahmen des Staates, in denen dieser für Bildung, Recht und Sicherheit Sorge trägt und zudem den ungehinderten Warentausch über Landesgrenzen hinweg garantiert.

Auf längere Sicht gesehen, wird der Jahresertrag eines Landes steigen, wenn man sich auf die Erzeugung derjenigen Waren konzentriert, in denen das Land gegenüber anderen Ländern Vorteile besitzt, und Waren dort einkauft, wo sie am günstigsten produziert werden können (Rotwein 1970). Weil Waren auf diese Weise allgemein billiger werden, können sich mehr Menschen die Produkte leisten, und zwar in allen Ländern. Sie alle leben unter den Bedingungen eines freien Handels üblicherweise in größerem Wohlstand, weshalb die merkantilistische Auffassung falsch ist, dass ein Land nur auf Kosten eines anderen gedeihen könne.

3.6 Der Historiker

Humes nächste große Arbeit, die Four Dissertations, erschien 1757. Die bekannteste der vier Abhandlungen ist die inzwischen oft selbstständig publizierte Natural History of Religion. Hume versucht darin, das Phänomen von Religiosität auf rein natürliche, wissenschaftliche Weise zu erklären.

Seiner Ansicht nach ist der eigentliche Nährboden der allermeisten Religionen keine angeborene Idee, keine ursprünglich intuitive Gewissheit, kein theoretischer Beweis, sondern es sind Erlebnisse von Furcht und Zukunftsangst. Diese stünden am Anfang jeder Religion, und aus ihnen entwickelten sich die verschiedenen Formen von Religiosität.

Die Natural History of Religion ist das Werk eines philosophischen Historikers. Tatsächlich hatte Hume, der dem niederen schottischen Landadel entstammt, sich zeitlebens für Geschichte interessiert. Als Sekretär eines Generals sah er aus nächster Nähe, wie mit Gewalt Geschichte gemacht wird.

Da es seiner Meinung nach keine unparteiische Darstellung der Geschichte Englands gab, schrieb Hume The History of England. 1754 erschien der erste, 1756 der zweite, 1759 der dritte und 1761 der vierte (und letzte) Band. Hume entwirft darin folgende Geschichtskonzeption:

  1. Die Antike war eine Hochphase menschlicher Zivilisation. Nachdem die menschliche Gesellschaft seit der Antike an Kultiviertheit verloren hatte, erreichte sie im Mittelalter ihren traurigen Tiefpunkt. Das Mittelalter war für Hume, wie für alle Aufklärer, eine dunkle, barbarische Zeit.
  2. Dem Christentum gesteht Hume zwar zu, nach den Wirren der Völkerwanderung eine gewisse Ordnung in die Gesellschaft gebracht zu haben, doch waren es gerade auch Vertreter der Religion der Nächstenliebe, welche die Menschlichkeit mit Füßen traten.
  3. Aus einem Zustand aus Despotie und Anarchie entwickelten sich schließlich westliche Kultur und Zivilisation, also die Idee der Teilung der Gewalten, der Rede- und Pressefreiheit sowie der Demokratie, in der alle eine Stimme erhalten.

Dieser Prozess ging jedoch ungemein langsam und mit vielen Rückschlägen vor sich, vor allem während der Zeit der Glaubenskriege des 16. und 17. Jahrhunderts, als es noch keine unabhängige staatliche Obrigkeit gab, welche die religiösen Konfliktparteien in Schach hätte halten können. Langsam gelang es jedoch der Legislative und Exekutive, den Universitäten und Handelstreibenden sich aus der Vormundschaft der Kirchen zu lösen und die Autorität jener Gesetze zu garantieren, die erst den Frieden und die Freiheit der Einzelnen ermöglichten.

Die History of England wurde ein großer Erfolg. Sechzig Jahre lang blieb Hume der Interpret der Geschichte Englands und war als Historiker weitaus anerkannter denn als Philosoph.

Im gleichen Jahr, in dem der letzte Band der History of England – 1761 – erschien, wurden alle Arbeiten Humes auf den katholischen Index der verbotenen Bücher gesetzt.

3.7 Der Religionskritiker

Drei Jahre nach Humes Tod erschienen 1779 die Dialogues concerning Natural Religion, und damit eines der bedeutendsten Werke der Aufklärung. In diesen Dialogen diskutiert Hume jenen Gottesbeweis, der seit Isaac Newtons Naturphilosophie die meiste Beachtung gefunden hatte.

Die Welt, so wurde nun angenommen, ist nicht der nach-paradiesische Ort nach dem Sündenfall, sondern im großen Buch der Natur sei zu lesen, dass die Welt die geplante Schöpfung eines weisen und wohlwollenden Gottes ist. Dieser offenbart sich nicht (oder nicht ausschließlich) im Heiligen Buch, in God’s Word, sondern in der Ordnung seiner Schöpfung, in God’s Work.

Philo, dem Philosophen, dem Helden des Dialogs, leuchtet aber auch dieser Gottesbeweis nicht ein. So meint er an einer Stelle – Jahrzehnte vor Charles Darwin –, dass Ordnung auch durch Anpassung – und eben nicht durch Planung – entstehen könne:

„Finden wir nicht“, fragt Philo seine Gesprächspartner, dass die „auseinanderfallende Materie irgendeine neue Form erprobt? […] Und kann man nicht auf diese Weise den Anschein von Weisheit und Planung […] erklären?“ (Dialoques concerning Natural Religion, Kapitel 10)

4 Hume und die Aufklärung

Die Aufklärung war eine geistesgeschichtliche Epoche im Europa des 18. Jahrhunderts, in der aus ‚vernünftigen Gründen‘ weitreichende Veränderungen geschahen. Die überlieferten Werte, Normen, Konventionen und Institutionen wurden nach ihrer rationalen Legitimation befragt und als Alternative zu Unbegründetem die meisten Grundlagen der Moderne gelegt.

Aber der Begriff Aufklärung war alsbald so vieldeutig geworden, dass in der Berlinischen Monatsschrift die Frage nach seiner genauen Bedeutung aufgeworfen wurde. Im Dezember 1784 veröffentlichte Immanuel Kant seinen Beitrag, in dem er an den Mut des Einzelnen appellierte, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, denn dies sei „der Wahlspruch“ der Aufklärung (Kant 1999).

Da sich jedoch beispielsweise auch Verschwörungstheoretiker auf ihren Mut berufen können, genügt der Appell an selbstständiges Denken nicht, um eine aufgeklärte Haltung zu charakterisieren; es bedarf einer genaueren Bestimmung dessen, was unter ‚Selbstdenken in aufgeklärter Absicht‘ zu verstehen sei.

Derjenige, der den deutschen Philosophen einst aus dessen dogmatischen Schlummer geweckt hatte, war schon seit acht Jahren tot. Hätte Hume sich an der Debatte um den Begriff Aufklärung beteiligt, so hätte er den besagten Begriff wohl etwa so bestimmt:

Aufklärung ist jene geistige Strömung der Neuzeit, die es sich

  • erstens zum Ziel setzt, alle Ereignisse auf natürlichem Wege, also auf empirische Weise zu erklären. Anstatt beispielsweise Menschen zu opfern, um die zornigen Wettergötter zu besänftigen, sollten Wissenschaftler meteorologische Messungen durchführen, um die Ursachen der Wetterphänomene zu erkennen und um notwendige Schutzmaßnahmen ergreifen zu können;
  • die zweitens ein am Diesseits orientiertes Leben allen religiösen Lebensformen, die sich am Transzendenten orientieren, vorzieht;
  • die drittens trotz eines Plädoyers für eine rationale Weltsicht den Verstand nicht zum Götzen erhebt, sondern ihn vor dem Hintergrund von Gefühlen und Instinkten selbstkritisch hinterfragt;
  • und die sich viertens ohne Absolutheitsansprüche für Freiheit, Toleranz, Humanität, Gewaltenteilung, Religionsfreiheit, Gerechtigkeit und Unparteilichkeit einsetzt. Als kosmopolitische und humanistische Weltanschauung erachtet die Aufklärung die Wissenschaft und Vernunft als beste Instrumente zur Erforschung der Wahrheit.

5 Quellenangaben

Daiches, David, Peter Jones und Jean Jones, Hrsg. 1986. The Scotish Enlightenment, 1730–90: A Hotbed of Genius. Edinburgh: Edinburgh University Press. ISBN 978-0-8522-4538-5

Hume, David, 1748. An Enquiry Concerning Human Understanding [zahlreiche Auflagen und Übersetzungen]

Hume, David, 1779. Dialoques Concerning Natural Religion [zahlreiche Auflagen und Übersetzungen]

Hume, David, 1990. Der Epikuräer. In: David Hume. Vom schwachen Trost der Philosophie: Essays. (übersetzt und herausgegeben von Jens Kulenkampff). Göttingen: Steidl. ISBN 978-3-8824-3169-8

Hume, David, 1993a. Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand (übersetzt von Raoul Richter. Mit einer Einleitung herausgegeben von Jens Kulenkampff). Hamburg: Meiner. ISBN 978-3-7873-1155-2

Hume, David, 1993b: Mein Leben (übersetzt von Jens Kulenkampff). In: Hume, David. Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand (übersetzt von Raoul Richter. Mit einer Einleitung herausgegeben von Jens Kulenkampff). Hamburg: Meiner. ISBN 978-3-7873-1155-2

Hume, David, 2024. Reisejournal aus dem Jahre 1748. In: Gerhard Streminger, David Hume. Der Philosoph und sein Zeitalter. Dritte Auflage. München: C.H. Beck. ISBN 978-3-406-81284-2, S. 603–625)

Kant, Immanuel, 1999. Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Immanuel Kant. Was ist Aufklärung: Ausgewählte kleine Schriften. Hamburg: Meiner, S. 20–27. ISBN 978-3-7873-1357-0

Kulenkampff, Jens, 2003. David Hume. München: C.H. Beck. ISBN 978-3-4064-9418-5

Laski, Harold J., 1920. Political Thought in England from Locke to Bentham. New York: Henry Holt and Company

Rotwein, Eugene. 1970. Editors Introduction. In: David Hume. Writings on Economics. Madison: Univ. of Wisconsin Press, S. I-CXI

Smith, Adam 1993. Brief von Adam Smith an William Strahan, Esq (übersetzt von Jens Kulenkampff). In: Hume, David. Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand (übersetzt von Raoul Richter. Mit einer Einleitung herausgegeben von Jens Kulenkampff). Hamburg: Meiner. ISBN 978-3-7873-1155-2, S. LXII-LXIX

Stewart, Dugald. 1980. Account of the Life and Writings of Adam Smith, L.L.D. In: Adam Smith. Essays on philosophical Subjects: With Dugald Stewart's Account of Adam Smith. Indianapolis, LibertyClassics, S. 321–358. ISBN 978-0-8659-7023-6

Streminger, Gerhard, 1995. Kommentar zu Humes Untersuchung über den menschlichen Verstand. Paderborn: UTB. ISBN 978-3-8252-1825-6

Streminger, Gerhard, 2024. David Hume. Der Philosoph und sein Zeitalter. Dritte Auflage. München: C.H. Beck. ISBN 978-3-406-81284-2

6 Literaturempfehlungen

Streminger, Gerhard, 2024. David Hume. Der Philosoph und sein Zeitalter. Dritte Auflage. München: C.H. Beck. ISBN 978-3-406-81284-2

Daiches, David, Peter Jones und Jean Jones (Hrsg.) 1986. The Scotish Enlightenment, 1730–90: A Hotbed of Genius. Edinburgh: Edinburgh University Press. ISBN 978-0-8522-4538-5

Verfasst von
Prof. Dr. Gerhard Streminger
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