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Index für Inklusion

Prof. Dr. Albrecht Rohrmann

veröffentlicht am 27.04.2023

Ein „Index für Inklusion“ ist eine Fragensammlung und stellt eine praxisnahe Arbeitshilfe für die Selbstevaluation und die Initiierung von inklusiven Prozessen in Bildungseinrichtungen und anderen Organisationen dar.

Überblick

  1. 1 Entstehung
  2. 2 Inhalte
  3. 3 Einsatzbereiche
  4. 4 Möglichkeiten 
  5. 5 Quellenangaben
  6. 6 Informationen im Internet

1 Entstehung

Im Jahre 2000 wurde ein Index für Inklusion in Schulen erstmalig von Tony Booth und Mel Ainscow in England herausgegeben. Erarbeitet hatte ihn eine Gruppe von Expert*innen aus Theorie und Praxis. Der Index wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt bzw. länderspezifisch adaptiert. Eine für Deutschland adaptierte Version gaben im Jahr 2003 Ines Boban und Andreas Hinz heraus, die beide am Institut für Rehabilitationspädagogik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg tätig waren (Booth und Ainscow 2003). Die beiden haben den Implementierungsprozess begleitet und dazu vielfach publiziert (Hinz und Boban 2013; 2015; 2017). Sie betreiben zudem eine Internetseite zum Thema. Mittlerweile liegt die Übersetzung und Anpassung der vierten englischen Ausgabe in einer ansprechend gestalteten Verlagsveröffentlichung vor (Booth und Ainscow 2019).

Die Idee eines Index für Inklusion wurde schnell auch auf andere Bereiche übertragen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind zu nennen:

  • ein mehrfach überarbeiteter Index für Inklusion in Kindertageseinrichtungen (Booth et al. 2020),
  • ein Index für Kommunen bzw. allgemein für Organisationen (Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft 2011),
  • ein Index für das Feld der Kinder- und Jugendarbeit (Meyer und Kieslinger 2014),
  • ein Index für Inklusion im und durch Sport (Deutscher Behindertensportverband e.V. und National Paralympic Committee Germany 2014) sowie
  • ein Index zur Inklusion zum Wohnen in der Gemeinde (Terfloth et al. 2016; 2017).

2 Inhalte

Den Kern aller Veröffentlichungen bieten umfangreiche Fragensammlungen, die für die inklusive Ausrichtung der Einrichtungen als bedeutsam erachtet werden. Zumeist werden die Fragen den drei Bereichen Kulturen im Sinne von „Werten und Überzeugungen“ (Booth und Ainscow 2019, S. 23), Strukturen und Praktiken zugeordnet, die dann nochmal in unterschiedliche Bereiche untergegliedert werden. Die Fragen lassen sich als Indikatoren für Inklusion verstehen. Sie enthalten daher implizit oder auch explizit stark normative Aussagen, die in der Regel nicht systematisch aus theoretischen Überlegungen abgeleitet werden. So lassen sich theoretische Annahmen des Diversity Managements ebenso erkennen, wie rechtebasierte Annahmen, die sich beispielsweise aus der UN-Behindertenrechtskonvention ableiten können. Zumeist ist ein weites Inklusionsverständnis leitend, das auf den Umgang mit Vielfalt zielt, dies jedoch in einigen Bereichen hinsichtlich der Einbeziehung von bestimmten Gruppen konkretisiert.

Darüber hinaus enthalten die Veröffentlichungen in sehr unterschiedlichem Umfang einleitende Ausführungen zum Verständnis von Inklusion, zu den Einsatzmöglichkeiten des Index und ergänzende Materialien wie Fragebögen für Nutzer*innen oder Mitarbeiter*innen der Einrichtung.

3 Einsatzbereiche

 Es lassen sich nach Jo Jerg (2016, S. 168) drei Einsatzmöglichkeiten des Index für Inklusion unterscheiden:

  • die Selbstevaluation oder angeleitete Evaluation, in der ein Team oder die gesamte Organisation den Stand der Umsetzung einschätzt
  • die Qualitätsentwicklung, in der auf der Grundlage der normativen Gehalte der Fragen als Indikatoren für die Zukunft Entwicklungsziele vereinbart werden
  • die Vernetzung mit anderen Akteuren, um die eigene Organisation als Teil einer inklusiven Infrastruktur zu profilieren.

Die Veröffentlichungen können sehr unterschiedlich eingesetzt werden, wie die Erfahrungsberichte von Boban und Hinz für den schulischen Bereich belegen (2013; 2015; 2017). Die Einsatzmöglichkeiten lassen den Index für Inklusion als einen Ansatz der Organisationsentwicklung erscheinen. Er ist dabei eher eine Arbeitshilfe als ein Instrument, da in der jeweiligen Organisation erhebliche Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Ausgestaltung einzuleitender Prozesse bestehen und auch realisiert werden, was beispielsweise am Einsatz des Kommunalen Index für Inklusion deutlich wird (Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft 2018). Es ist erkennbar, dass in allen Veröffentlichungen der Einbeziehung unterschiedlicher Perspektiven in die Evaluation und Entwicklung der Organisation eine hohe Bedeutung zugemessen wird. In den Steuerungsgruppen sollen unterschiedliche Gruppen einbezogen werden. Der Index für Inklusion in der Schule enthält zum Beispiel in den Arbeitsmaterialien Fragebögen für Eltern und Schüler*innen, die eine umfassende Einbeziehung ihrer Perspektive ermöglichen.

Deutlich wird die Vielfalt des Einsatzes beispielsweise auch in der Frage der externen Begleitung. Diese ist in den meisten Arbeitshilfen nicht zwingend vorgegeben. Die Montag Stiftung hat ihren Kommunalen Index für Inklusion jedoch durch ein Trainingsbuch für die interne und externe Prozessbegleitung erweitert (Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft 2015).

4 Möglichkeiten 

Alle im Text erwähnten Indizes für Inklusion stellen Arbeitshilfen dar, mit denen in Teams die Verwirklichung von Inklusion eingeschätzt und Maßnahmen zur inklusiven Weiterentwicklung eingeleitet werden können. Die Verbreitung und die Erfahrungsberichte belegen ein großes Interesse in Bildungseinrichtungen und anderen Organisationen. Es ist wohl dem Charakter der Arbeitshilfe geschuldet, dass die Begründung der Fragen und vor allem ihr normativer Gehalt nicht systematisch theoretisch abgeleitet werden. Sie lassen sich daher provokativ als „Tugendkataloge des Inklusionismus“ (Kastl 2012, S. 21) bezeichnen, was aber in der Praxis durch eine kreative und konstruktive Arbeit mit den Fragen seitens der Teams sicherlich durchbrochen werden kann. Fragen bieten „eine gute Basis, um ins Gespräch zu kommen“ (Jerg 2016, S. 185). Mit einer Rückbindung der Arbeit beispielsweise an die Vorgaben der UN-Behindertenkonvention ermöglichen die Fragenkataloge eine Reflexion von unhinterfragten Annahmen sowie inklusionshinderlichen Strukturen und Praktiken.

5 Quellenangaben

Boban, Ines und Andreas Hinz, Hrsg., 2015. Erfahrungen mit dem Index für Inklusion: Kindertageseinrichtungen und Grundschulen auf dem Weg. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. ISBN 978-3-7815-5421-4

Boban, Ines und Andreas Hinz, Hrsg., 2017. Arbeit mit dem Index für Inklusion: Entwicklungen in weiterführenden Schulen und in der Lehrerbildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. ISBN 978-3-7815-2112-4 [Rezension bei socialnet]

Booth, Tony und Mel Ainscow, 2003. Index für Inklusion: Lernen und Teilhabe in der Schule der Vielfalt entwickeln. übersetzt, für deutschsprachige Verhältnisse bearbeitet und hrsg. von Ines Boban und Andreas Hinz. Halle-Wittenberg [Zugriff am: 20.02.2023]. Verfügbar unter: https://www.eenet.org.uk/resources/docs/Index%20German.pdf

Booth, Tony und Mel Ainscow, 2019. Index für Inklusion: Ein Leitfaden für Schulentwicklung; herausgegeben und adaptiert für deutschsprachige Bildungssysteme von Bruno Achermann, Donja Ahrandjani-Amirpur, Maria-Luise Braunsteiner, Heidrun Demo, Elisabeth Plate, Andrea Platte. Weinheim: Beltz Juventa. ISBN 978-3-407-63006-3

Booth, Tony, Mel Ainscow und Denise Kingston, 2020. Index für Inklusion in Kindertageseinrichtungen: Gemeinsam leben, spielen und lernen: Handreichung für die Praxis. Für den Gebrauch in Deutschland überarbeitete Fassung. Frankfurt am Main: GEW. ISBN 978-3-944-76361-3

Deutscher Behindertensportverband e.V., National Paralympic Committee Germany, Hrsg., 2014. Index für Inklusion im und durch Sport: Ein Wegweiser zur Förderung der Vielfalt im organisierten Sport in Deutschland [online]. Frechen-Buschbell: Deutscher Behindertensportverband und Nationales Paralympisches Komitee (DBS) e.V. [Zugriff am: 20.02.2023]. Verfügbar unter: https://www.dbs-npc.de/files/​dateien/​Sportentwicklung/​Inklusion/​Index-fuer-Inklusion/​2014_DBS_Index_fuer_Inklusion​_im_und_durch_Sport.pdf

Hinz, Andreas und Ines Boban, 2013. Der neue Index für Inklusion – eine Weiterentwicklung der deutschsprachigen Ausgabe. In: Zeitschrift für Inklusion [online]. (2) [Zugriff am: 20.02.2023]. Verfügbar unter: https://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion-online/article/view/11

Jerg, Jo, 2016. Der ‚Index für Inklusion‘ als Instrument zur Gestaltung von Inklusionsprozessen. In: Ulf Liedke, Harald Wagner, Ulrich Deinelt, Johannes Eurich, Jo Jerg, Martin Leutzsch et al., Hrsg. Inklusion: Lehr- und Arbeitsbuch für professionelles Handeln in Kirche und Gesellschaft. Stuttgart: Kohlhammer, S. 107–185. ISBN 978-3-17-030393-5 [Rezension bei socialnet]

Meyer, Thomas und Christina Kieslinger, 2014. Index für die Jugendarbeit zur Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung: Eine Arbeitshilfe [online]. Stuttgart: Kubus e.V. [Zugriff am: 20.02.2023]. Verfügbar unter: https://www.inklumat.de/sites/​default/​files/​downloads/​index-fuer-die-jugendarbeit-zur-inklusion-von-kindern-und-jugendlichen-mit-behinderung-stand-oktober-2014.pdf

Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft, Hrsg., 2011. Inklusion vor Ort: Der Kommunale Index für Inklusion – ein Praxishandbuch. Berlin: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. ISBN 978-3-7841-2070-6 [Rezension bei socialnet]

Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft, Hrsg. 2015. Inklusion auf dem Weg: Das Trainingshandbuch zur Prozessbegleitung. Berlin: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. ISBN 978-3-7841-2752-1 [Rezension bei socialnet]

Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft, Hrsg., 2018. Inklusion ist machbar!: Das Erfahrungshandbuch aus der kommunalen Praxis. Berlin: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. ISBN 978-3-7841-2984-6 [Rezension bei socialnet]

Terfloth, Karin, Ulrich Niehoff, Theo Klauß, Sabrina Buckenmaier und Julia Gernert 2016. Unter Dach und Fach: Index für Inklusion zum Wohnen in der Gemeinde. Marburg: Bundesvereinigung Lebenshilfe. ISBN 978-3-88617-802-5

Terfloth, Karin, Ulrich Niehoff, Theo Klauß und Sabrina Buckenmaier. 2017. Inklusion – Wohnen – Sozialraum: Grundlagen des Index für Inklusion zum Wohnen in der Gemeinde. Bundesvereinigung Lebenshilfe. 2. Marburg: Lebenshilfe-Verlag. ISBN 978-3-88617-220-7

6 Informationen im Internet

Verfasst von
Prof. Dr. Albrecht Rohrmann
Professor für Sozialpädagogik mit dem Schwerpunkt soziale Rehabilitation und Inklusion an der Uni Siegen, Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE)
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Es gibt 3 Lexikonartikel von Albrecht Rohrmann.

Zitiervorschlag
Rohrmann, Albrecht, 2023. Index für Inklusion [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 27.04.2023 [Zugriff am: 30.09.2023]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/29532

Link zur jeweils aktuellsten Version: https://www.socialnet.de/lexikon/Index-fuer-Inklusion

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