Intelligenzquotient
Prof. Dr. Eva Stumpf
veröffentlicht am 25.10.2021
Der Intelligenzquotient (IQ) ist ein Maß für die intellektuelle Fähigkeit einer Person in Relation zur jeweiligen Altersgruppe. Ermittelt wird der IQ als individueller Testwert in einem Testverfahren, welches nach den geltenden Maßstäben der Psychologie zur Diagnostik des Konstrukts Intelligenz und unter Einbeziehen einer sogenannten Normierungsstichprobe entwickelt wurde.
Überblick
- 1 Zusammenfassung
- 2 IQ als Transformation von Punkt- bzw. Rohwerten in eine Normskala
- 3 Interpretation von IQ-Werten
- 4 Intelligenzdiagnostik: Indikationen und Anlaufstellen
- 5 Entwicklung und Stabilität von IQ-Werten
- 6 Quellenangaben
- 7 Literaturhinweise
1 Zusammenfassung
Für die Ermittlung des IQ wird die intellektuelle Leistungsfähigkeit einer Person ermittelt und an Vergleichsdaten aus derselben Altersgruppe relativiert. Liegt das individuelle Ergebnis genau im Durchschnitt der Altersgruppe, ergibt sich ein IQ von 100. Die sachgerechte Ermittlung und Interpretation eines IQ setzt die Anwendung eines Intelligenztests, der den diagnostischen Richtlinien der Psychologie genügt, sowie hohes bereichsspezifisches Wissen voraus und wird daher in der Regel von Psychologinnen und Psychologen durchgeführt.
2 IQ als Transformation von Punkt- bzw. Rohwerten in eine Normskala
Diese Relativierung des individuellen Testwertes an der Altersgruppe entspricht einer Übertragung (Transformation) in eine Normskala (Stumpf 2019): Nachdem eine Person die Aufgaben eines Intelligenztests bearbeitet hat, wird als Ergebnis im ersten Schritt ein Punktwert (Rohwert) ermittelt, der anschließend in eine Normskala – die IQ-Skala – übertragen wird. Das ist zum Teil vergleichbar damit, wenn Schülerinnen und Schüler eine Klausur in der Schule schreiben. Die Lehrkraft ermittelt erst einen Punktwert nach einem zuvor festgelegten Bewertungsschema und transformiert diesen Punktwert dann in die geltende Notenskala.
Anders als bei Schulnoten stehen für die Transformation von Rohwerten aus einem Intelligenztest in die IQ-Skala empirische Vergleichsdaten zur Verfügung. Diese müssen generiert und analysiert werden, bevor der Intelligenztest veröffentlicht und angewendet werden kann. Die Testautorinnen und -autoren führen dazu eine sogenannte Normierungsstudie durch, in der eine möglichst große Zahl an Personen, für die der Intelligenztest anwendbar sein soll, alle Aufgaben in der vorgesehenen Zeit bearbeitet. Im Anschluss werden aus den erhobenen Daten dieser Normierungsstichprobe für jede Altersstufe statistische Kennzahlen ermittelt und die IQ-Werte daraus berechnet. Dafür wird bei den meisten Testverfahren folgende Formel zugrunde gelegt (Stumpf 2019, S. 53):
Die in der Formel vor dem Quotienten angeführten Werte 100 und 15 wurden per Konvention festgelegt. Damit ist definiert, dass der Mittelwert des IQ in jeder Altersgruppe bei M = 100 liegt, unabhängig von Alter der Testperson und vom verwendeten Testverfahren. Die zweite statistische Kennzahl ist die sogenannte Standardabweichung bzw. Streuung. Diese beschreibt „die durchschnittliche Abweichung der einzelnen Messwerte vom Mittelwert“ (Stumpf 2019, S. 52) und liegt bei den meisten Intelligenztests bei 15 IQ-Punkten. Die Festlegung dieser beiden Werte begründet sozusagen die einheitliche Interpretation von IQ-Werten über verschiedene Altersstufen und Testverfahren hinweg.
Um nun einen individuellen Rohwert aus einem Intelligenztest in die IQ-Skala transformieren zu können, werden aus der Normierungsstichprobe Mittelwert und Streuung (in Rohwerten) errechnet – und das für jede Altersstufe separat. Dann kann der individuelle Messrohwert des Kindes mit Mittelwert und Streuung der Normstichprobe verrechnet und in dieser Weise der IQ ermittelt werden.
Wie die Formel verdeutlicht, liegt der individuelle IQ größer als 100, wenn das Kind einen höheren Messrohwert erzielt hat als der Durchschnitt der Altersgruppe. Umgekehrt ergibt sich ein IQ kleiner als 100, wenn der individuelle Messrohwert kleiner war als der Mittelwert der Altersgruppe.
3 Interpretation von IQ-Werten
Was wird durch diese Transformation der Messrohwerte gewonnen? Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Höhe der IQ-Werte können stets nach demselben Prinzip interpretiert werden, unabhängig von Alter der Person und vom konkreten Intelligenztest, der bearbeitet worden ist:
- der Mittelwert des IQ liegt bei M = 100
- Werte zwischen IQ = 85 und IQ = 115 gelten als durchschnittlich
- 68 % jeder Altersgruppe, also der Großteil der Bevölkerung, weisen durchschnittliche IQ-Werte auf
- je weiter die IQ-Werte vom Mittelwert abweichen, umso seltener sind sie, denn die Intelligenzwerte sind normal verteilt
- ab IQ > 115 gelten die Werte als „leicht überdurchschnittlich“
- ab IQ ≥ 130 als „überdurchschnittlich“; Personen mit so hoher Intelligenz nennen wir „hochbegabt“ und sind selten: nur 2,1 % jeder Altersgruppe erreicht so hohe Werte
- da die Intelligenzverteilung symmetrisch ist, erzielen ebenfalls 2,1 % jeder Altersgruppe Werte von IQ ≤ 70
Im Unterschied zu Schulnoten, wo die Lehrperson über die Verteilung der Notenskala auf die Klausurpunkte entscheiden kann, sind IQ-Werte dank der Normierungsdaten auch in hohem Maße unabhängig vom Testleiter oder der Testleiterin, was eine wichtige Voraussetzung für die Gültigkeit der Ergebnisse darstellt.
Für eine vollumfängliche Interpretation eines IQ sollten weitere Informationen zum konkreten Testverfahren berücksichtigt werden. Denn unterschiedliche Testverfahren gehen von verschiedenen Modellen zur Struktur der Intelligenz aus (siehe Intelligenz). Als Folge gibt es beispielsweise Intelligenztests, die ausschließlich figural-anschauliche Denkaufgaben enthalten, wohingegen andere Intelligenztests zusätzlich Aufgaben zu verbalem und rechnerischen Denken beinhalten. Individuelle Stärken und Schwächen können mit den Testverfahren nur dann identifiziert werden, wenn auch entsprechende Aufgaben enthalten sind.
Eine weitere wichtige Information für die Interpretation eines IQ ist die Aktualität der Normdaten des verwendeten Testverfahrens. Studien zeigen seit langem, dass die durchschnittlichen Intelligenzwerte der Bevölkerung über die Jahrzehnte nicht gleichbleiben. Für die vergangenen 100 Jahren ist ein durchschnittlicher Anstieg der Intelligenzwerte belegt (Stumpf 2019), der mit „Flynn-Effekt“ nach einem der Wissenschaftler bezeichnet wird, der diesen Anstieg frühzeitig beschrieb. Da aber der IQ als individueller Testwert in Relation zur Leistung der relevanten Altersgruppe definiert ist, machen Veränderungen in den Bevölkerungsmittelwerten regelmäßige Aktualisierungen der den Testverfahren zugrundeliegenden Normdaten notwendig. Auch wenn aktuellere Studien eine Abschwächung oder Stagnation des Flynn-Effektes in den letzten Jahren vermuten lassen, kann gegenwärtig eine mögliche Verzerrung der ermittelten IQ-Werte durch veraltete Testverfahren (älter als 10–15 Jahre) noch nicht ausgeschlossen werden.
Weitere Kennzeichen der Testverfahren, wie die Repräsentativität der Normstichprobe und die gängigen Gütekriterien der psychologischen Diagnostik, geben umfassenderen Aufschluss für die Interpretation eines IQ. Deren sachgerechte Einschätzung erfordert allerdings umfangreiches bereichsspezifisches Wissen sowie einige Erfahrung.
4 Intelligenzdiagnostik: Indikationen und Anlaufstellen
Der IQ wird wohl mit Abstand am häufigsten im Zuge der Bildungsplanung und -beratung diagnostiziert. Typische Fragestellungen können anstehende Entscheidungen zum Wechsel der Schulform oder Leistungsprobleme sein. Allerdings ist in vielen Bundesländern eine Intelligenzdiagnostik für Schullaufbahnentscheidungen nicht vorgeschrieben, sondern kann bei Bedarf eingesetzt werden. Entscheidungen über eine vorzeitige Einschulung oder das Überspringen von Klassen kann das IQ-Ergebnis des Kindes als ein wichtiger Baustein unter mehreren sinnvoll unterstützen. Für einen Wechsel auf Schulformen für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf wird das Ergebnis der Intelligenzdiagnostik hingegen eine zentrale Rolle einnehmen. Ebenso fordern die gymnasialen Begabtenklassen (siehe Hochbegabung) ein aktuelles IQ-Ergebnis als einen Indikator unter mehreren und legen für die Aufnahme in diese spezifischen Begabtenförderklassen eine IQ-Schwelle fest (Stumpf 2012).
Weitere mögliche Anwendungsfelder der Intelligenzdiagnostik sind die Aufnahme in manche Stipendienprogramme und die Personalauswahl in größeren Betrieben mit dem Ziel der Bestenauslese, sofern der Beruf hohe kognitive Anforderungen stellt. Denn die Unterschiede in den IQ-Werten zwischen Personen sind gut zur Vorhersage der zu erwartenden Unterschiede in der Leistungsentwicklung geeignet (siehe Intelligenz).
Da die sachgerechte Anwendung von Intelligenztests und die Interpretation des IQ umfassendes psychologisches Wissen erfordert, obliegt diese Aufgabe entweder ausgebildeten Psychologinnen und Psychologen oder vertieft in Diagnostik ausgebildeten Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen. Möglichkeiten dafür stellen die Bildungssysteme mit Schulberatungsstellen, Schulpsychologen und -psychologinnen oder sonderpädagogischen Förderzentren und Frühförderstellen bereit. Auch mit eigener Praxis niedergelassene Fachpersonen bieten die Intelligenzdiagnostik im Zuge der Bearbeitung komplexerer Fragestellungen an.
Die Ergebnisse einer Intelligenzdiagnostik werden in der Regel in einem schriftlichen Befund berichtet. Dieser enthält die wichtigsten Angaben zum Testverfahren und erläutert die Bedeutung der individuellen Ergebnisse mit Blick auf die diagnostische Fragestellung.
Die Ergebnisse von im Internet frei verfügbaren Angeboten, die mit der Ermittlung des IQ werben, sollten mit Zurückhaltung aufgefasst werden. Denn die zuvor beschriebenen aufwändigen Vorarbeiten für die Normierung eines Intelligenztests führen bislang noch dazu, dass diese später bei entsprechenden Fachverlagen verkauft und so die Entwicklungskosten refinanziert werden. Ein solides Testangebot sollte in jedem Fall Angaben zum zugrundeliegenden Intelligenzmodell, den Gütekriterien des Tests und Kennzahlen der Normstichprobe (Alter, Größe des Stichprobenumfangs, Erhebungsjahr) beinhalten. Internetangebote, die vorgeben, nach vergleichsweise kurzer Bearbeitungszeit den IQ zuverlässig abbilden zu können, beinhalten vermutlich nicht genügend Aufgaben, um eine genaue Differenzierung der Fähigkeiten zu ermöglichen. Fraglich bleibt weiterhin, inwieweit eine möglichst repräsentative Normstichprobe für die Ermittlung der individuellen Ergebnisse hinterlegt worden ist.
5 Entwicklung und Stabilität von IQ-Werten
Die Relativierung eines individuellen Testergebnisses an der Altersgruppe ist deswegen notwendig, da sich die Intelligenz sehr dynamisch über die Lebensspanne entwickelt. Bestimmte kognitive Problemstellungen lösen zu können ist für fünfjährige Kinder erheblich schwieriger als für achtjährige Kinder. Durch die Relativierung der individuellen Leistung an der Altersgruppe verdeutlicht der IQ, wie gut die jeweilige Person in den Testaufgaben in Relation zur Altersgruppe abgeschnitten hat. Damit wird auch erreicht, dass der IQ als relativ stabiler Personenwert gelten kann, obwohl sich die durch ihn repräsentierten kognitiven Fähigkeiten im Verlauf der Entwicklungsspanne sehr dynamisch verändern.
Diese vergleichsweise hohe Stabilität bedeutet, dass sich die Rangreihen der IQ-Werte einer Gruppe von Personen über einige Jahre nur wenig und über viele Jahre nur moderat verschieben werden. Solche Aussagen beziehen sich stets auf Populationen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, dass sich bei zwei IQ-Testungen im Abstand von mehreren Jahren bei derselben Person exakt der gleiche IQ ergeben wird. Messwerte sind stets fehlerbehaftet und durch Unterschiede in der Tagesform, der Motivation und der Genauigkeit der Instruktion kann es zu Abweichungen in den Ergebnissen kommen, die bei sorgfältiger Anleitung gering ausfallen sollten.
Liegen mehrere Entwicklungsjahre zwischen den beiden Testterminen, wird jedoch in der Regel auch ein anderes Testverfahren angewendet werden. Denn die Art der Aufgabenstellung wird bei der Konstruktion von Intelligenztests an die fokussierten Altersgruppen angepasst. Unterschiedliche Gewichtungen in der Zusammensetzung der Testaufgaben können daher ebenfalls gewisse Abweichungen der zwei Testergebnisse nach sich ziehen.
Selbstverständlich können verschiedene IQ-Werte zu einer Person auch tatsächliche Veränderungen widerspiegeln. Es würde sich dann um Veränderungen in Relation zur Altersgruppe handeln. Solche Veränderungen werden jedoch nur dann größer ausfallen, wenn massive Veränderungen stattgefunden haben. Eine gravierende Verbesserung der Umweltbedingungen bei sehr jungen Kindern könnte beispielsweise eine deutlich messbare Steigerung des IQ (also in Relation zur Altersgruppe) zur Folge haben, sofern sie zuvor unter sehr ungünstigen Bedingungen lebten. Umgekehrt könnten bestimmte Krankheiten oder Unfälle ein messbares Absinken des IQ zur Folge haben. Beide Situationen sind wohl selten und insgesamt gilt die intellektuelle Entwicklung des Menschen als relativ robust.
6 Quellenangaben
Stumpf, Eva, 2012. Fördern bei Hochbegabung. Stuttgart: Kohlhammer. ISBN 978-3-17-021562-7
Stumpf, Eva, 2019. Intelligenz verstehen: Grundlagenwissen für Pädagogen und Psychologen. Stuttgart: Kohlhammer. ISBN 978-3-17-026906-4
7 Literaturhinweise
Holling, Heinz, Franzis Preckel und Miriam Vock, 2004. Intelligenzdiagnostik. Göttingen: Hogrefe. Kompendien Psychologische Diagnostik – Band 6. ISBN 978-3-8017-1626-4
Kompakte Darstellung verschiedener Intelligenzmodelle sowie der wichtigsten Grundlagen und Anwendungsbereiche der Intelligenzdiagnostik und verschiedener Intelligenztests. Zielgruppe sind Praktiker mit Vorkenntnissen.
Rost, Detlef H., 2013. Handbuch Intelligenz. Weinheim: Beltz. ISBN 978-3-621-28044-0
Eine sehr umfassende und tiefgehende Analyse des Forschungsstandes zu Intelligenz. Erfordert psychologische Vorkenntnisse.
Stern, Elsbeth und Aljoscha Neubauer, 2013. Intelligenz – Große Unterschiede und ihre Folgen. München: Deutsche Verlags-Anstalt. ISBN 978-3-421-04533-1
Erläuterung des aktuellen Forschungsstandes mit hohem gesellschaftlichem Bezug. Auch ohne psychologisches Vorwissen nachvollziehbar.
Stumpf, Eva, 2019. Intelligenz verstehen: Grundlagenwissen für Pädagogen und Psychologen. Stuttgart: Kohlhammer. ISBN 978-3-17-026906-4
Eine kompakte und aktuelle Darstellung der wichtigsten Theorien, Befunde und Kontroversen zum Konstrukt Intelligenz mit hoher Relevanz für schulisches Lernen. Auch ohne psychologisches Vorwissen nachvollziehbar.
Stumpf, Eva und Christoph Perleth, 2019. Intelligenz, Kreativität und Begabung. In: Detlef Urhahne, Markus Dresel und Frank Fischer, Hrsg. Psychologie für den Lehrberuf. Berlin: Springer, S. 165–184. ISBN 978-3-662-55753-2
Kompakte Aufbereitung der drei Konstrukte und deren Bezüge zueinander. Auch ohne psychologische Vorkenntnisse nachvollziehbar.
Verfasst von
Prof. Dr. Eva Stumpf
Professorin am Institut für Pädagogische Psychologie „Rosa und David Katz“ der Universität Rostock
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Es gibt 7 Lexikonartikel von Eva Stumpf.
Zitiervorschlag
Stumpf, Eva,
2021.
Intelligenzquotient [online]. socialnet Lexikon.
Bonn: socialnet, 25.10.2021 [Zugriff am: 25.01.2025].
Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/9491
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