Intragruppenverhalten
HS-Prof. Mag. Dr. Ulrich Krainz, Matthias Csar
veröffentlicht am 21.03.2023
Unter dem Begriff Intragruppenverhalten versteht man das Verhalten und die sich daraus ergebende Dynamik der Beziehungen von Menschen in Gruppen.
Überblick
- 1 Zusammenfassung
- 2 Verhalten in Kleingruppen
- 3 Vom Individualverhalten zum Gruppenphänomen
- 4 Notwendige Verhaltensweisen gut funktionierender Gruppen
- 5 Zur praktischen Bedeutsamkeit
- 6 Quellenangaben
- 7 Informationen im Internet
1 Zusammenfassung
Der Begriff Intragruppenverhalten meint das Verhalten von Menschen in Gruppen, im Unterschied zu Intergruppenverhalten, das sich auf das Verhältnis zwischen Gruppen bezieht. Beide Begriffe zählen zum Gegenstandsbereich der Gruppendynamik, fokussieren dabei aber jeweils unterschiedliche Aspekte. Beim Intragruppenverhalten geht es aber nicht nur um das konkrete Verhalten der Personen, sondern auch um die dadurch in Gang gesetzte und aufrechterhaltene soziale Dynamik, die wechselseitige Beeinflussung der Gruppenmitglieder und die möglichst bewusste Gestaltung des Gruppenlebens.
2 Verhalten in Kleingruppen
Historisch gesehen baut die Gruppendynamik als Wissenschaft auf den Erkenntnissen der US-amerikanischen Kleingruppenforschung der 1940er-Jahre auf. „Gruppe“ wird dabei nicht kategorial verstanden, als eine Art übergeordnete Sammelbezeichnung bzw. soziologische Kategorie (z.B. Berufsgruppen, religiöse Gruppen usw.), vielmehr wird einer engen Betrachtung gefolgt, die in Gruppen eben Kleingruppen als eigenen Typus sozialer Systeme ansieht (dazu Neidhardt 1979; Heintel 2006a; Edding und Schattenhofer 2009; König und Schattenhofer 2011; Wimmer 2012).
So gesehen verweist der Begriff Intragruppenverhalten unausgesprochen immer auch auf eine bestimmte Sozialform. Er meint das Verhalten in kleinen Gruppen, da nur dort bestimmte Verhaltensweisen, Phänomene und Dynamiken beobachtbar sind. Zugleich sind damit auch Fragen der Steuerung und Beeinflussung verbunden, was vor allem im Kontext von Arbeitsgruppen oder der Teamarbeit an Bedeutung gewinnt.
Was in dieser Hinsicht aber unter „klein“ zu verstehen ist, wird uneinheitlich diskutiert. In der einschlägigen Literatur werden unterschiedliche Maximalgrößen von Gruppen angegeben, einmal wird von 15 (Heintel 2002), an anderer Stelle von 20 Personen gesprochen (König und Schattenhofer 2011). Auch haben soziometrische Analysen gezeigt, dass ab einer gewissen Gruppengröße (ab der 16. Person) Zerfallserscheinungen in Untergruppen zu erwarten sind (Arnold et al. 2004). Für Kleingruppen charakteristisch ist jedenfalls die Möglichkeit der unmittelbaren Kommunikation aller mit allen, was eben auch an Kapazitätsgrenzen der Aufmerksamkeit gebunden ist. Es geht darum, wie viele Personen man in einer Face-to-Face-Kommunikation noch im Blickfeld haben, wie man verbale und nonverbale Signale registrieren und darauf entsprechend reagieren kann. Diese Überlegungen sind auch von eminent praktischer Relevanz. So hat sich in der Arbeitswelt, wo es sich denn herstellen lässt, beispielsweise die Idee einer idealen Führungsspanne (span of control) durchgesetzt, die eine überschaubare Größe der Kleingruppe nicht übersteigt.
3 Vom Individualverhalten zum Gruppenphänomen
Genauer betrachtet bezieht sich das Verhalten in Gruppen zunächst auf das Verhalten von Individuen in Gruppen. Dazu zählt all das, was Menschen in Gruppen tun bzw. unterlassen, ob sie z.B. etwas sagen oder schweigen, sich in das Geschehen einbringen oder zurücknehmen, sich kooperativ oder unkooperativ verhalten, gemeinsam mit anderen oder solistisch agieren usw.
Dieses Verhalten lässt sich dabei aber weder direkt aus der Persönlichkeit der handelnden Personen allein noch aus den äußeren Bedingungen unmittelbar erklären. Beide Betrachtungsweisen sind zu verkürzt und auch als zu statisch anzusehen. Das konkrete Verhalten in Gruppen ist vielmehr ein dynamisches, immer eine Funktion der Gesamtsituation, ein Zusammenspiel von Personen und ihrer sozialen Umwelt sowie der daraus resultierenden Wechselwirkungen. Diese für die Gruppendynamik bedeutsame Erkenntnis geht auf den theoretischen Ansatz der Feldtheorie zurück. Ihr Begründer Kurt Lewin (1890–1947) hat sie mit der Formel V=f(P,U) zusammengefasst (Lewin 1946, S. 271): Das Verhalten (V) in einem gegebenen Feld ist eine Funktion aus Person (P) und Umwelt (U) (zur Feldtheorie siehe auch Lück 1996; Stützle-Hebel und Antons 2017).
Diese Überlegungen verweisen auf ein wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis (Interdependenz) von Individuum und Gruppe. Einerseits ist die Einzelperson in Gruppen nie ganz „frei“ in ihrem Agieren. Die Fülle an möglichen Interessen, Wünschen, Bedürfnissen und damit zusammenhängender Verhaltensweisen ist stets zu groß, um in Gruppen problemlos Platz finden zu können, und würde diese zwangsläufig überfrachten. Beispielsweise wäre ein Team bald nicht mehr arbeitsfähig, wenn einzelne Mitglieder ständig nur die eigenen Interessen vertreten und nicht auch auf Anliegen und Sichtweisen anderer eingehen würden. Damit eine Gruppe ihre Orientierungsfunktion nicht verliert und handlungsfähig bleibt, muss die individuelle Autonomie ihrer Mitglieder somit immer auch begrenzt werden. So gesehen beeinflussen Gruppen Individuen und ihr Verhalten. Andererseits ist eine Gruppe selbst ebenfalls abhängig vom Verhalten und dem Zutun ihrer Mitglieder. Das individuelle Verhalten liefert die „Energie“ für das Gruppeninnenleben und setzt eine soziale Dynamik in Gang. Die dadurch ausgelösten Prozesse führen zu einer wechselseitigen Beeinflussung der Gruppenmitglieder, die sich ebenfalls zu verhalten beginnen (z.B. zustimmend, ablehnenden, Alternativen aufwerfend, ablenkend usw.). Im Zuge der Interaktionen bilden sich Normen, Regeln und Strukturen heraus (z.B. Rollen, Hierarchie), was letztlich das Gesamtgeschehen einer Gruppe konstituiert (zur Einführung siehe König und Schattenhofer 2011; Geramanis 2017).
Jedes Verhalten in Gruppen zeitigt somit immer auch Wirkungen, die dann als transindividuell zu verstehen sind und personenunabhängige Phänomene hervorbringen. Werden verschiedene Gruppen miteinander verglichen, wird das unmittelbar deutlich. In manchen Gruppen fühlt man sich frei im Verhalten, ausgestattet mit einem Gefühl, über alles offen und ungezwungen reden zu können. Aktuell wird dies gerne mit dem Begriff „Psychologische Sicherheit“ umschrieben (Csar und Vater 2023). In anderen Gruppen wiederum fühlt man sich eher gehemmt, eine Stimmung, bei der man lieber gar nicht dabei sein oder sich einbringen möchte. In einigen Gruppen geht es lustig und humorvoll zu, in anderen wiederum wird kaum bis gar nie gelacht. Diese Unterschiede sind auf die entstandenen „Gruppenatmosphären“ (Lewin et al. 1939) zurückzuführen, die sich aus dem Intragruppenverhalten ergeben: Aufgrund des individuellen Verhaltens bauen sich in einem ersten Schritt Beziehungen zwischen Gruppenmitgliedern auf, daran anschließend kommt es zu Beziehungen von Beziehungen, was wiederum kollektive, gesamthafte Phänomene und Stimmungen entstehen lässt. In diesem Sinn ist Gruppe stets als ein emergentes Phänomen anzusehen (Wimmer 2022). Es entsteht eine eigene Ganzheit, ein eigenes „interaktives Ökosystem“, das sich anhand von drei Dimensionen – „Zugehörigkeit“ (drinnen/draußen), „Macht und Einfluss“ (oben/unten) sowie „Intimität“ (nah/fern) – darstellen lässt. Letzteres ist als Modell des „Gruppendynamischen Raums“ (Amann 2004; König und Schattenhofer 2011) bekannt geworden.
Solche Gruppenphänomene sind dann Anlass für Wohlbefinden, Zusammenhalt und Zufriedenheit einer Gruppe (bzw. das jeweilige Gegenteil davon). Hinsichtlich der Leistungsdimension kann es zu starker oder eben schwacher Performance einer Gruppe kommen und einer entsprechend unterschiedlichen Konfliktfähigkeit und -kultur. Kollektive Gruppenatmosphären sind somit maßgeblich entscheidend dafür, welche Möglichkeiten und Grenzen dem Verhalten in Gruppen gesetzt sind, z.B. wie viel Unterschiedlichkeit und Abweichung eine Gruppe in ihrem Inneren zulassen kann, ohne zu zerfallen bzw. restriktive Tendenzen zu mobilisieren. Bekannte negative Effekte und Phänomene in Gruppen in diesem Zusammenhang sind z.B. Mobbing, Konformitätsdruck und Gruppendenken (group think; Janis 1972), Verantwortungsdiffusion (diffusion of responsibility, bystander effect; Latané und Darley 1970) oder das Trittbrettfahren und soziale Faulenzen (social loafing; Latané et al. 1979) (zur Sozialpsychologie der Gruppe siehe Forsyth 2014; Stürmer und Siem 2020).
4 Notwendige Verhaltensweisen gut funktionierender Gruppen
Die hier angeführten gruppendynamischen Überlegungen markieren einen zentralen Paradigmenwechsel im Denken über das Funktionieren von Gruppen. So geht es nicht um die „richtige“ personelle Zusammensetzung einer Gruppe, um die Frage, welche Person jemand ist, welche Rolle, Position oder gar Persönlichkeit jemand hat. Letzteres würde einer eher traditionellen psychologischen Sichtweise entsprechen. Entscheidend sind vielmehr die gesetzten Aktivitäten im kommunikativen Miteinander, es geht also darum, was jemand in einer gegebenen Situation tut.
Diese Wendung ins Performative verschiebt die Aufmerksamkeit zwangsläufig auf Tätigkeiten und Verhaltensweisen, die in gut funktionierenden Gruppen zum Zwecke der Zielerreichung auftreten müssen. Wenn man das Intragruppenverhalten klassifizieren möchte, lassen sich unterschiedliche Funktionsbereiche unterscheiden (Krainz 2011, S. 171 ff.; Schwarz 2019, S. 121 ff.):
- Zielorientierte bzw. aufgabenbezogene Funktionen: Diese Verhaltensweisen sind unmittelbar einleuchtend und auch im organisationalen Alltag am ehesten vertraut. Sie beziehen sich auf die Inhaltsebene, einen bestimmten Sachverhalt bzw. die Aufgabe, mit der eine Gruppe beschäftigt ist (z.B. Ziele definieren, Methoden festlegen, Ideen einbringen, Informationen geben und suchen, delegieren, Meinungen einholen usw.).
- Gruppenorientierte bzw. gruppenerhaltende Funktionen: Diese Funktionen werden in ihrer Bedeutung oft übersehen bzw. unterschätzt. Hierzu zählen all jene Verhaltensweisen, die sich der Beziehungsebene widmen (z.B. zuhören und verstehen wollen, andere aufmuntern und ermutigen, Gefühle ausdrücken, Spannungen ausgleichen, niemanden übersehen, vermitteln usw.).
- Individuelle Funktionen: Damit ist Verhalten gemeint, das nicht der Sache oder der Gruppe, sondern in erster Linie den individuellen Bedürfnissen dient (z.B. notorisches Dagegensein, sich wichtigmachen, zwanghaft konkurrieren, nichts ernst nehmen, herumblödeln, jammern, Privatleben ausbreiten usw.). Da diese Verhaltensweisen aber denen, die sie ausüben, Sicherheit in sozialen Situationen geben bzw. Angst reduzieren, müssen Gruppen auch ein gewisses Maß an Toleranz hierfür aufbringen. Denn Eigensicherheit dient zumindest mittelbar der Gruppenerhaltung.
- Analytische Funktionen: Diese Verhaltensweisen sind für die Steuerung von Gruppen unverzichtbar, sie dienen der Diagnosestellung, was zu einem bestimmten Zeitpunkt konkret benötigt wird bzw. fehlt (z.B. unklare Zielformulierungen feststellen und aufzeigen, Beiträge bewerten und kritisch einordnen, Zeit im Auge behalten, die Situation einer Gruppe diagnostizieren, Gruppenstruktur und Prozesse auf Zweckmäßigkeit überprüfen, nach Motiven von inhaltlichen Beiträgen fragen, die Einigkeit von Beschlussfassungen überprüfen usw.).
Zwar gibt es immer auch persönliche Verhaltensvorlieben und Neigungen, ob einzelne Gruppenmitglieder z.B. eher zielorientierte Funktionen (Einflussdimension) oder eher gruppenerhaltende Funktionen (Vertrauensdimension) präferieren (für soziometrische Analysen in Gruppen siehe Grimm und Krainz 2011). Das Modell der Gruppenfunktionen geht aber davon aus, dass jede Person prinzipiell dazu in der Lage ist, die jeweils erforderlichen Gruppenfunktionen zu übernehmen. Im Sinne der Selbststeuerungsfähigkeit ist die Etablierung der analytischen Funktionen daher zentral, um erkennen und diagnostizieren zu können, was in Anbetracht einer konkreten Situation einer Gruppe benötigt wird.
In Arbeitskontexten kommt zur jeweiligen inneren Dynamik und Beziehungsgestaltung einer Gruppe (innere Umwelt) auch eine äußere Umwelt hinzu (König und Schattenhofer 2011, S. 23 ff.). Arbeitsgruppen sind immer kontextualisiert, eingebettet in ein konkretes organisationales Umfeld. Dieses nimmt zwar keinen direkten Einfluss auf das Verhalten in Gruppen, bedingt aber z.B. Existenzgrund, Zielvorgaben, den Rahmen und das Setting. So kann man sich die zu bearbeitende Aufgabe oder die Mitglieder von Teams und Projektgruppen nur in den seltensten Fällen selbst aussuchen. Zusammenkunft und Zusammensetzung ergeben sich vielmehr aufgrund des Auftrags, rollenspezifischen Zuschnitts, spezifisch erforderlicher Funktionen oder des jeweiligen Know-hows. So gesehen sind gesetzte Verhaltensweisen in Gruppen auch in Hinblick auf mitgebrachte organisationsspezifische Bedingungen und Interessen zu interpretieren.
5 Zur praktischen Bedeutsamkeit
Zwar ist der Mensch von Natur aus ein soziales Wesen. Er ist aber nicht von sich aus vernünftig. Das gilt insbesondere im Kontext einer Gruppe. Das Verhalten in Gruppen ist in erster Linie naturwüchsig und es greifen alte vertraute, mitunter auch archaische Muster. Gerade im Arbeitskontext ist das problematisch, wenn es um sinnvolle Zusammenarbeit und Kooperation gehen soll.
Im Gegensatz dazu bezeichnet man arbeitsfähige Gruppen innerhalb der Gruppendynamik auch als „reife“ oder „aufgeklärte Gruppen“ (Heintel 2006b; Schwarz 2019). Der Reifegrad bzw. die Aufgeklärtheit ermisst sich dabei an der Fähigkeit zur kollektiven Selbstreflexion und Selbststeuerung, nicht einfach Dynamiken blind zu folgen, sondern eine bewusste und überlegte Verhaltensausrichtung vorzunehmen. Es geht darum, auf innere wie äußere Anforderungen reagieren zu können, vorhandene Differenzen nicht nur sichtbar zu machen, sondern diese auch zu bearbeiten und daraus entsprechende Schlüsse für die eigene Praxis zu ziehen. Kollektive Selbststeuerungsfähigkeit, die Bereitschaft, Verantwortung für das eigene Verhalten und das Geschehen in einer Gruppe zu übernehmen, hat auch eine politische Dimension. Es wundert daher auch nicht, dass dieser Umstand von zentralen Vordenkern angewandter Sozialwissenschaft wie John Dewey (1916) und Kurt Lewin (Lewin et al. 1939; Lewin 1948) stets als eine „Demokratisierung“ der Verhältnisse betont wurde (dazu Krainz 2015; Stähler und Stützle-Hebel 2018; Krainz 2020).
Damit aber aus einem naturwüchsigen, primär instinktgesteuerten Verhalten in Gruppen ein reflektiertes und vernünftiges werden kann, braucht es lernträchtige Szenarien und Gelegenheiten. Die Arbeitsfähigkeit einer Gruppe ist jedenfalls nicht einfach von Anfang an gegeben, sondern ist vielmehr etwas, das sich erst entwickeln muss. In der Praxis greifen hier die unterschiedlichsten Maßnahmen, wie z.B. Team-Buildings, Teambesprechungen oder auch Supervisionen, die es ermöglichen, das gesetzte Verhalten in Gruppen selbst zu thematisieren und so einer gemeinsamen reflexiven Bearbeitung zugänglich zu machen. Ferner zählen dazu auch gruppendynamisch fundierte Fortbildungen und Trainings, allen voran die gruppendynamische Trainingsgruppe (T-Gruppe), die ein Lernen über das eigene Gruppenverhalten ermöglicht sowie eine Untersuchung seiner Funktionen und Wirkungen auf das Gesamtgeschehen einer Gruppe (Krainz 2005).
In den letzten Jahren, verstärkt durch die Coronapandemie, hat sich in vielen Organisationen auch eine deutliche Verlagerung der Team- und Gruppenarbeit in den virtuellen Raum ergeben. Das Verhalten in Online-Settings ist aber etwas anderes als das Verhalten beim unmittelbaren Face-to-Face-Kontakt einer physisch anwesenden Gruppe. Dies lässt sich an unterschiedlichen Phänomenen festmachen, wie z.B. der damit einhergehenden Körperlosigkeit samt fehlendem Blickkontakt, dem Verlust des unmittelbar Sinnlichen sowie des Blicks für das Ganze, einer Sachdominanz bei gleichzeitiger Resonanzarmut usw. (dazu Krainz und Csar 2022; Csar 2022). Zwar wird vielfach (durchwegs fortschrittsoptimistisch) die Ansicht vertreten, dies mittels entsprechender Technologie kompensieren zu können. Die skizzierten Phänomene nehmen aber unmittelbaren Einfluss auf Möglichkeiten und Grenzen des Verhaltens sowie der daraus resultierenden Interaktionen. Man ist daher gut beraten, sich genau zu überlegen, wann, wo und zu welchem Zweck der Online- oder Offline-Gruppenarbeit ein Vorzug gegeben werden sollte.
Ein Wissen um das Intragruppenverhalten sowie die hier skizzierten Dynamiken ist gerade für Führungskräfte und all jene bedeutsam, die beruflich mit Gruppen zu tun haben. Die praktische Relevanz ergibt sich durch Möglichkeiten der Einflussnahme, da man entstandene Gruppenphänomene verstärken oder bei Bedarf auch entsprechend gegensteuern kann. Normalerweise ist das die Aufgabe der hierarchischen Leitung. Die Vorstellung, dass das eine Führungskraft allein machen kann, greift aber zu kurz. Vielmehr ist man auf Partizipation und Mitgestaltung der Gruppenmitglieder angewiesen. So gilt es einerseits, bei der Zusammensetzung von Arbeitsgruppen auf eine entsprechende Gruppengröße zu achten, da kollektive Selbststeuerungsfähigkeit auf das Kleingruppenprinzip beschränkt ist. Andererseits gilt es zu überlegen, was man tun kann, damit sich Gruppen gut entwickeln können, um selbstverantwortlich und bewusst ihr Verhalten auszurichten.
6 Quellenangaben
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7 Informationen im Internet
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HS-Prof. Mag. Dr. Ulrich Krainz
Studium der Psychologie und Bildungswissenschaft an der Universität Wien und der Macquarie University in Sydney, Australien; Hochschulprofessor für Bildungsmanagement mit Schwerpunkt Schule und Schulberatung an der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich in Linz; Gruppendynamiktrainer (Österreichische Gesellschaft für Gruppendynamik und Organisationsberatung – ÖGGO)
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Matthias Csar
M.A., Studium der Soziologie an der Universität Wien, Senior Lecturer an der Fachhochschule Salzburg, selbstständiger Trainer und Berater mit Schwerpunkt Führung, Gruppen- & Organisationsdynamik; Gruppendynamiktrainer (Österreichische Gesellschaft für Gruppendynamik und Organisationsberatung – ÖGGO)
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Zitiervorschlag
Krainz, Ulrich und Matthias Csar,
2023.
Intragruppenverhalten [online]. socialnet Lexikon.
Bonn: socialnet, 21.03.2023 [Zugriff am: 14.01.2025].
Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/29117
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