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Kinder- und Jugendstärkungsgesetz

Prof. Dr. jur. Dr. phil. Reinhard Joachim Wabnitz

veröffentlicht am 17.11.2023

Abkürzung: KJSG

Amtlicher Name: Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen

Geltungsbereich: Deutschland

Rechtlicher Disclaimer: Herausgeberin und Autor:innen haften nicht für die Richtigkeit der Angaben. Beiträge zu Rechtsfragen können aufgrund geänderter Rechtslage schnell veralten. Sie ersetzen keine individuelle Beratung.

Anmerkung: Dieser Lexikonartikel beruht teilweise auf Wabnitz (2021).

Das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) vom 3. Juni 2021 (BGBl. I S. 1444) ist das bislang mit Abstand umfangreichste Änderungsgesetz zum Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII). Es zielt auf eine Stärkung der Teilhabe und Chancengerechtigkeit von Kindern und Jugendlichen.

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Vorgeschichte
  3. 3 Der „zweite Anlauf“ des Gesetzgebungsverfahrens
  4. 4 Allgemeine Bemerkungen zum KJSG
  5. 5 Verbesserung der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen
  6. 6 Schulsozialarbeit und Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege
  7. 7 Materiell-rechtliche Regelungen in den Bereichen Hilfe zur Erziehung und verwandte Leistungen
  8. 8 Verfahrensrechtliche Regelungen in den Bereichen Hilfe zur Erziehung und verwandte Leistungen
  9. 9 Dauerhafter Verbleib eines Kindes in einer Pflegefamilie
  10. 10 „Inklusive Kinder- und Jugendhilfe“
  11. 11 Kinderschutz, Betriebserlaubnisverfahren und Aufsicht über Einrichtungen
  12. 12 Vorlage von Hilfeplänen an das Familiengericht durch das Jugendamt
  13. 13 Quellenangaben

1 Zusammenfassung

Das KJSG als umfangreichstes Änderungsgesetz zum SGB VIII ist grundsätzlich zu begrüßen. Die meisten Neuregelungen haben auch in der Praxis Zustimmung gefunden. Insbesondere ist nunmehr endlich der Weg zu einer „inklusiven Kinder- und Jugendhilfe“ richtungsweisend eingeschlagen worden. Man mag zwar bedauern, dass hier noch eine weitere, mehrjährige Wegstrecke bis zum Jahr 2028 zurückgelegt werden muss, bis alle Änderungen in Kraft treten. Aber die insoweit noch erforderlichen Vorarbeiten werden einen solchen Zeitraum beanspruchen.

Das KJSG hatte einen zeitlichen Vorlauf von ca. sechs Jahren, und dieser ist gut genutzt worden, insbesondere in den umfangreichen Diskussionsprozessen mit den Verbänden. Insofern kann man sich dem Fazit der AGJ zum Regierungsentwurf anschließen (AGJ 2020): „Was lange währt, wird endlich gut“.

2 Vorgeschichte

Mit dem SGB VIII, welches 1990/1991 nach jahrzehntelangen Reformanstrengungen in Kraft getreten ist, war es „endlich“ zu einem modernen, heute breit akzeptierten Leistungsgesetz für die Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland gekommen. Aufgrund von zahlreichen Änderungsgesetzen seit dem Jahr 1992 gelangen weitere Reformfortschritte (dazu umfassend: Wabnitz, 2015 und 2022b), in den letzten Jahren insbesondere im Bereich der Tageseinrichtungen für Kinder und des Kinderschutzes. Nach ganz überwiegender Meinung (Deutscher Bundestag 2013, Bundesregierung 2018) hat sich das SGB VIII in der Gesamtschau der Entwicklungen der vergangenen über drei Jahrzehnte nachhaltig bewährt. Gleichwohl wurde weiterer Verbesserungsbedarf gesehen.

Bereits in der Koalitionsvereinbarung von CDU/CSU und SPD von Ende 2013 für die 18. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages wurde deshalb eine breit angelegte Reform mit drei wesentlichen Zielsetzungen angekündigt:

  1. Umgestaltung der Kinder- und Jugendhilfe zu einem inklusiven Leistungssystem;
  2. neue Finanzierungsformen und Verbesserung der Steuerungsinstrumente der Jugendämter;
  3. Stärkung der Rechte von Kindern und Jugendlichen.

Nach mehreren Gesetzentwürfen in den Jahren 2016 und 2017 kam es im „ersten Anlauf“ zu einem Gesetzesbeschluss „Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen“ (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG) des Deutschen Bundestages (vom 29.06.2017), der jedoch nicht die Zustimmung des Bundesrates gefunden hat.

Der Weiterentwicklungsbedarf im Bereich des SGB VIII wurde sodann auch im Rahmen des Koalitionsvertrags zwischen CDU, CSU und SPD für die 19. Legislaturperiode ausführlich dargelegt (2018, in Kapitel III. „Familien und Kinder im Mittelpunkt“, S. 20–22), u.a. wie folgt:

„Wir werden einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter schaffen […] und bis 2025 […] verwirklichen. […] Wir werden die Kinder- und Jugendhilfe weiterentwickeln, den Kinderschutz verbessern und die Familien unterstützen. […] Wir wollen das Kinder- und Jugendhilferecht auf Basis des in der letzten Legislaturperiode beschlossenen Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes weiterentwickeln. Ziel muss ein wirksames Hilfesystem sein, das die Familie stärkt und Kinder vor Gefährdungen schützt. Das Kindeswohl ist dabei Richtschnur. Die Unterstützung und Stärkung der elterlichen Erziehungsverantwortung bleibt Anspruch und Auftrag der Jugendhilfe. Die enge Kooperation aller relevanten Akteure muss einen stärkeren Stellenwert einnehmen. Dazu gehört auch, dass im Interesse von fremduntergebrachten Kindern die Elternarbeit und die Qualifizierung und Unterstützung von Pflegeeltern gestärkt und gefördert werden. Ausgehend von den unterschiedlichen Bedarfen der Kinder und Jugendlichen und ihrer Eltern sollen die präventiven sozialräumlichen Angebote gestärkt werden. Die Verantwortung bleibt bei den Kommunen und Ländern. Im Vorfeld einer Gesetzesinitiative werden wir einen breiten Dialog mit Akteuren aus Wissenschaft und Praxis der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Behindertenhilfe und den Ländern und Kommunen führen. […]“ (Bundesregierung 2018, S. 20 ff.).

3 Der „zweite Anlauf“ des Gesetzgebungsverfahrens

Zur Umsetzung dieser Aussagen hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) von November 2018 bis Dezember 2019 einen breit angelegten Dialogprozess „Mitreden – Mitgestalten: Die Zukunft der Kinder- und Jugendhilfe“ durchgeführt. Dessen Ziel war es, klare Meinungsbilder zu der Frage zu erhalten, wie die Situation von jungen Menschen und ihren Familien verbessert werden kann, um auf dieser Grundlage gesetzgeberischen Handlungsbedarf zu identifizieren und zu konkretisieren. Gleichsam im „zweiten Anlauf“ wurde – nach Vorlage des Referentenentwurfs vom 05.10.2020 – der Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG)“ vom 02.12.2020 (Bundestagsdrucksache 19/26107 vom 25.01.2021) vorgelegt.

Dieser Regierungsentwurf hatte viel grundsätzliche Zustimmung erfahren. Allerdings wurden auch kritikwürdige bzw. verbesserungsbedürftige Punkte aufgezeigt. Der Bundesrat hatte sich in einer sehr umfangreichen Stellungnahme (mit ca. 80 Druckseiten) umfassend zum Gesetzentwurf der Bundesregierung geäußert (Bundestagsdrucksache 19/27481) und zahlreiche änderungsbedürftige Punkte herausgearbeitet. Gleichwohl unterstützte er das Reformvorhaben in grundsätzlicher Hinsicht, hielt jedoch deren Finanzierung für nicht gesichert.

Aufgrund der Beratungen in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages (Bundestagsdrucksache 19/28870) kam es dann noch zu einigen Änderungen des Gesetzentwurfes der Bundesregierung. Insbesondere

  • wurde ein neuer § 13a SGB VIII (Schulsozialarbeit) in den Gesetzentwurf eingefügt; 
  • wurde – auch entsprechend einer Empfehlung des Bundesrates – § 20 SGB VIII (Betreuung und Versorgung des Kindes in Notsituationen) wieder an dieser Stelle in den Gesetzentwurf eingefügt (und nicht als neuer § 28a entsprechend dem Gesetzentwurf der Bundesregierung im Zusammenhang mit den Hilfen zur Erziehung neu geregelt);
  • wurde die Verpflichtung zur Vorlage des Hilfeplans im familiengerichtlichen Verfahren eingeengt;
  • und wurden weitere textliche Änderungen u.a. bei den §§ 19 und 20 SGB VIII sowie den §§ 45 ff. SGB VIII und im Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) vorgenommen.

Auf dieser Grundlage kam es schließlich zum Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages vom 22.04.2021 (Bundesratsdrucksache 319/21) und – für viele Beobachter:innen überraschend schnell – auch zur Zustimmung des Bundesrates bereits am 07.05.2021 (Bundesratsdrucksache 319/21), verbunden mit einer Entschließung, in der die Bundesregierung unter Nr. 3 aufgefordert wurde, „dauerhaft einen vollständigen Kostenausgleich für die mit dem Gesetz einhergehenden Mehrkosten bei Ländern und Kommunen zu schaffen, zum Beispiel durch eine Änderung des § 1 des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern (Finanzausgleichsgesetz – FAG)“.

Aufgrund der guten Vorarbeiten von Seiten des BMFSFJ und der großen Zustimmung aus der Verbändelandschaft ist das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) im zweiten Anlauf damit noch rechtzeitig vor Ende der 19. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages im Herbst 2021 mit Zustimmung des Bundesrates zu den in Artikel 9 des Gesetzes verankerten unterschiedlichen Terminen des Inkrafttretens „unter Dach und Fach gebracht worden“.

4 Allgemeine Bemerkungen zum KJSG

Das KJSG besteht aus den folgenden Artikeln und Vorschriften:

  • Artikel 1 - Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch mit 65 Änderungen von Vorschriften des SGB VIII, auf die in diesem Beitrag schwerpunktmäßig eingegangen wird.
  • Artikel 2 - Änderung des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz
  • Artikel 3 - Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
  • Artikel 4 - Änderung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch
  • Artikel 5 - Änderung des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch
  • Artikel 6 - Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs
  • Artikel 7 - Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit
  • Artikel 8 - Änderung des Jugendgerichtsgesetzes
  • Artikel 9 - Inkrafttreten, Außerkrafttreten

Die meisten Artikel und neuen Vorschriften sind gemäß Art. 9 Abs. 1 des Gesetzes am Tage nach der Verkündung des Gesetzes in Kraft getreten; die Vorschriften über die Zusammenführung der Aufgaben der Behindertenhilfe im SGB VIII sollen mit Wirkung von 2024 bzw. 2028 in Kraft treten.

Aufgrund des KJSG sind – anders als nach den Entwürfen in den Jahren 2016 und 2017 - Veränderungen der Paragrafen-Reihenfolge im SGB VIII nur dort vorgenommen worden, wo diese zwingend geboten waren. Dies erleichtert die Rechtsanwendung erheblich.

5 Verbesserung der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen

In zahlreichen Vorschriften des SGB VIII in der Fassung des KJSG wird zum Ausdruck gebracht, dass die Beteiligung und Beratung von Kindern und Jugendlichen nach diesem Buch in einer für sie wahrnehmbaren Form „erfolgen“ (so u.a. explizit gemäß § 8 Abs. 4 SGB VIII – neu, § 10a Abs. 1 SGB VIII, in § 36 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII – neu – oder in § 42 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Des Weiteren wird das Ziel der „Selbstbestimmung“ von Kindern und Jugendlichen vielfach unterstrichen, so bereits in § 1 Abs. 1 SGB VIII sowie § 1 Abs. 3 Nr. 2 SGB VIII – neu – oder in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII. Auch der neue § 4a SGB VIII „Selbstorganisierte Zusammenschlüsse zur Selbstvertretung“ trägt zu einer Verbesserung der Beteiligung bei.

Im Gesetz enthalten ist ein nunmehr uneingeschränkter Beratungsanspruch nach § 8 Abs. 3 SGB VIII. Danach sollen sich Kinder und Jugendliche künftig auch ohne Vorliegen einer Not- und Konfliktlage und ohne Kenntnis des Personensorgeberechtigten an das Jugendamt wenden können. Mit Blick auf das Elternrecht nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG bleibt zu berücksichtigen, dass die Eltern jedoch auch künftig alsbald in den Beratungsprozess einbezogen werden.

Die verpflichtende Einführung von Ombudsstellen (§ 9a SGB VIII) entspricht ebenfalls einer langjährigen Forderung aus weiten Teilen der Kinder- und Jugendhilfe (Deutscher Bundestag 2013; Bundestags-Drucksache 17/12200, S. 379).

In § 10a Abs. 1 SGB VIII – neu – heißt es: „Zur Wahrnehmung ihrer Rechte nach diesem Buch werden junge Menschen, Mütter, Väter, Personensorge- und Erziehungsberechtigte, die leistungsberechtigt sind oder Leistungen nach § 2 Absatz 2 erhalten sollen, in einer für sie verständlichen, nachvollziehbaren und wahrnehmbaren Form, auf ihren Wunsch auch im Beisein einer Person ihres Vertrauens, beraten.“ Dabei ist kritisch zu hinterfragen, ob die Beratungsverpflichtungen gegenüber Minderjährigen nach § 10a SGB VIII so mit dem Elternrecht nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG kompatibel sind. Grundsätzlich darf es auch nicht dazu kommen, dass das gesetzliche Vertretungsrecht der Eltern auf diese Weise „ausgehebelt“ würde.

6 Schulsozialarbeit und Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege

Neu ist § 13a SGB VIII Schulsozialarbeit mit dem folgenden Wortlaut:

„Schulsozialarbeit umfasst sozialpädagogische Angebote nach diesem Abschnitt, die jungen Menschen am Ort Schule zur Verfügung gestellt werden. Die Träger der Schulsozialarbeit arbeiten bei der Erfüllung ihrer Aufgaben mit den Schulen zusammen. Das Nähere über Inhalt und Umfang der Aufgaben der Schulsozialarbeit wird durch Landesrecht geregelt. Dabei kann durch Landesrecht auch bestimmt werden, dass Aufgaben der Schulsozialarbeit durch andere Stellen nach anderen Rechtsvorschriften erbracht werden.“

Mit dieser während des Gesetzgebungsverfahrens eingefügten Vorschrift ist Forderungen aus der Praxis entsprochen worden, nach denen die Schulsozialarbeit eine eigenständige Bedeutung erlangt hat und im bisherigen § 13 SGB VIII nicht mehr hinreichend „abgebildet“ worden war. § 13a SGB VIII mit einer eigenständigen Regelung zur Schulsozialarbeit entspricht diesem Anliegen.

In den §§ 22 bis 24 SGB VIII sind mehrere kleinere Änderungen vorgesehen. Man vermisst zunächst den im Koalitionsvertrag (siehe 3.) angekündigten Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung. Dieser ist allerdings ebenfalls noch im Laufe der zu Ende gehenden 19. Legislaturperiode im Ganztagsförderungsgesetz (GaföG) vom 2. Oktober 2021 (BGBl. I S. 4602) und in § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII verankert worden, und zwar beginnend mit dem Schuljahr 2026/2027.

7 Materiell-rechtliche Regelungen in den Bereichen Hilfe zur Erziehung und verwandte Leistungen

An § 27 Abs. 1 SGB VIII in der seit 1990/1991 geltenden Fassung ist festgehalten worden, auch insoweit, als dass der Rechtsanspruch auf Hilfe zur Erziehung weiterhin allein den Personensorgeberechtigten zugeordnet wird. Da nur diese Inhaber des Elternrechts nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und die nach § 1626 BGB Personensorgeberechtigten sind, wird es vielfach als konsequent – wenn nicht gar als geboten – angesehen, dass diese dann auch Inhaber des Anspruchs auf Hilfe dabei sind (dazu: Wabnitz 2005, S. 195 f; Wabnitz 2015, S. 399–401, mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

Etliche Autorinnen und Autoren (a.a.O.) haben sich dafür ausgesprochen, den Rechtsanspruch den Kindern oder Jugendlichen selbst zuzuordnen. Diese müssten natürlich weiterhin nach den §§ 1626 ff. BGB durch die personensorgeberechtigten Eltern vertreten werden, sodass diesen im Ergebnis keine Rechte verwehrt oder genommen würden. Dementsprechend war in den Entwürfen für ein KJSG 2017 ein Teil der Ansprüche auf bestimmte Leistungsarten nach den §§ 27 ff. SGB VIII den Eltern, ein anderer Teil den Kindern und Jugendlichen zugeordnet worden.

§ 27 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII in der geltenden Fassung („Art und Umfang der Hilfe richten sich nach dem erzieherischen Bedarf im Einzelfall; dabei soll das engere soziale Umfeld des Kindes oder des Jugendlichen einbezogen werden.“) wurde nicht – wie zunächst erwogen – verändert. § 27 Abs. 2 Satz 3 SGB VIII – neu („Unterschiedliche Hilfearten können miteinander kombiniert werden, sofern dies dem erzieherischen Bedarf des Kindes oder Jugendlichen im Einzelfall entspricht.“) dient der Klarstellung einer bereits häufig geübten Praxis.

Während des Gesetzgebungsverfahrens sollte nach dem Regierungsentwurf der bisherige § 20 SGB VIII (Betreuung und Versorgung des Kindes in Notsituationen) zunächst in den Bereich der Hilfe zur Erziehung und in einen neuen § 28a SGB VIII verlagert werden. Voraussetzung für eine solche Leistung wäre dann auch das Vorliegen eines Erziehungsdefizits gewesen. Es geht bei § 20 SGB VIII jedoch um die Gewährleistung und die Sicherstellung der Kontinuität der Eltern-Kind-Beziehung auch in einer temporären Ausnahmesituation. Von dieser von Seiten der Bundesregierung beabsichtigten Verlagerung im Gesetzgebungsverfahren ist wieder Abstand genommen worden.

In § 41 Abs. 1 SGB VIII ist statt der bisherigen „Soll-Bestimmung“ eine „Muss-Bestimmung“ („Junge Volljährige erhalten geeignete und notwendige Hilfe […]“) enthalten. Dies ist als erster Schritt zu begrüßen. Darüber hinaus hätte allerdings in § 41 Abs. 1 SGB VIII noch besser ein expliziter Anspruch der oder des jungen Volljährigen verankert werden sollen.

§ 41 Abs. 3 SGB VIII wurde wie folgt neu gefasst:

„Soll eine Hilfe nach dieser Vorschrift nicht fortgesetzt oder beendet werden, prüft der Träger der öffentlichen Jugendhilfe ab einem Jahr vor dem hierfür im Hilfeplan vorgesehenen Zeitpunkt, ob im Hinblick auf den Bedarf des jungen Menschen ein Zuständigkeitsübergang auf andere Sozialleistungsträger in Betracht kommt; § 36b gilt entsprechend.“

Die neue Vorschrift über die Nachbetreuung (§ 41a SGB VIII) entspricht einer Forderung aus vielen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe, die Unterstützung von „care-leavern“ zu verbessern.

8 Verfahrensrechtliche Regelungen in den Bereichen Hilfe zur Erziehung und verwandte Leistungen

Nachdem mit dem KJSG auf eine Neukonzeption des materiellen Leistungsrechts der Hilfen zur Erziehung nach den §§ 27 ff. SGB VIII verzichtet wurde, ist Regelungsschwerpunkt in diesem Bereich das insoweit einschlägige Verfahrensrecht. Die in den umfangreichen und während des Gesetzgebungsverfahrens nur geringfügig modifizierten §§ 36 SGB VIII (Mitwirkung, Hilfeplan), § 36a SGB VIII (Steuerungsverantwortung, Selbstbeschaffung) und § 36b SGB VIII (Zusammenarbeit beim Zuständigkeitsübergang) vorgesehenen Änderungen bzw. Neuregelungen erscheinen dabei als grundsätzlich akzeptabel.

Bei § 36a SGB VIII hätte außerdem daran gedacht werden können, diese Regelungen auch auf den Bereich der Tageseinrichtungen für Kinder zu erstrecken, wie dies bereits wiederholt von Verwaltungsgerichten im Wege einer analogen Anwendung von § 36a SGB VIII geschehen ist (VG Darmstadt, Urteil vom 09.11.2015, 5 K 1331/14.DA; OVG Münster, Urteil vom 20.04.2016, 12 A 1262/14; OVG Koblenz, Urteil vom 01.09.2016, 7 A 10849/15; VGH Mannheim, Urteil vom 08.12.2016, 12 S 1782/15) und gegebenenfalls auf zusätzliche Bereiche.

Die schon bisher bestehenden Regelungen in § 37 Abs. 1 SGB VIII (Beratung und Unterstützung der Eltern, Zusammenarbeit bei Hilfen außerhalb der eigenen Familie) sind mit Blick auf die Herkunftseltern in der Zielrichtung „geschärft“ worden, damit diese bisher in der Praxis sträflich vernachlässigte Aufgabe besser wahrgenommen wird. Konsequenterweise haben Eltern gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII nunmehr einen „Anspruch“ auf Beratung und Unterstützung sowie Förderung der Beziehung zu ihrem Kind.

Es muss primär in der Tat alles daran gesetzt werden, die Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie so weit zu verbessern, dass die Eltern ihre Erziehungsaufgaben wieder möglichst bald und möglichst vollumfänglich wahrnehmen können. Wenn dies allerdings nicht erreichbar ist – aber erst dann, sind sekundär andere förderliche und ggf. auf Dauer angelegte Lebensperspektiven für das Kind oder die/den Jugendliche(n) zu erarbeiten; auch dies ist im Grundsatz bereits geltendes Recht (vgl. § 37 Abs. 1 SGB VIII). Allerdings hätte der Gesetzgeber zusätzlich vorgeben sollen, dass vom Jugendamt mit Blick auf die/den einzelnen Minderjährigen sowie die konkret auszuwählenden Pflegeeltern ein „Anforderungsprofil“ als Grundlage entsprechender Entscheidungen zu entwickeln wäre.

Der neue § 37a SGB VIII (Beratung und Unterstützung der Pflegeperson) entspricht dem bisherigen § 37 Abs. 2 SGB VIII. Weitgehend neu und breiter angelegt als der bisherige § 37 Abs. 3 SGB VIII ist nunmehr § 37b SGB VIII (Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in Familienpflege) – mit dem Ziel einer Verbesserung des Kinderschutzes und einer weiteren Stärkung von Rechten von Kindern und Jugendlichen bis hin zur konkreten Eröffnung von Beschwerdemöglichkeiten.

Mit Blick auf § 37c SGB VIII (Ergänzende Bestimmungen zur Hilfeplanung bei Hilfen außerhalb der eigenen Familie) ist darauf hinzuweisen, dass eine Perspektivklärung gleich zu Beginn von Maßnahmen in der Praxis vielfach nicht möglich ist bzw. dass entsprechende Maßnahmen sehr häufig vorzeitig abgebrochen werden. Deshalb hätte klargestellt werden sollen, dass diese Perspektivklärungen nicht in jedem Fall bereits zu Beginn entsprechender Maßnahmen erfolgen müssen.

In dem neuen § 38 SGB VIII (Zulässigkeit von Auslandsmaßnahmen) wurden die bereits bisher bestehenden Vorschriften (vgl. die bisherigen §§ 27 Abs. 2 Satz 3 SGB VIII und § 78b Abs. 2 Satz 2 SGB VIII) gebündelt und mit Blick auf EU-Recht und aus sonstigen Gründen deutlich ausgeweitet. Diese neuen Regelungen erscheinen teilweise als „Über-Bürokratisierung“. Das Ziel einer verbesserten Qualitätssicherung auch bei Auslandsmaßnahmen ist zwar im Grundsatz unterstützenswert. Die nunmehr vorgesehenen Detailregelungen könnten allerdings dazu beitragen, dass es künftig kaum noch zu – ggf. angezeigten – Auslandsmaßnahmen kommt.

9 Dauerhafter Verbleib eines Kindes in einer Pflegefamilie

Diese Thematik war in den vergangenen Jahren besonders lebhaft umstritten. Die nunmehr erfolgten Änderungen und Ergänzungen im BGB (gemäß Art. 6 KJSG) entsprechen wörtlich oder zumindest in der Zielrichtung den Fassungen aus dem Jahr 2017, denen der Bundesrat seinerzeit – anders als bei anderen Vorschriften – nicht widersprochen hatte. Kern der Neuregelungen ist (wie im Jahre 2017) die Möglichkeit der Anordnung einer Dauerverbleibensanordnung bei Pflegeverhältnissen durch das Familiengericht gemäß § 1632 Abs. 4 Satz 2 BGB (neu):

„Das Familiengericht kann in Verfahren nach Satz 1 von Amts wegen oder auf Antrag der Pflegeperson zusätzlich anordnen, dass der Verbleib bei der Pflegeperson auf Dauer ist, wenn

  1. sich innerhalb eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes vertretbaren Zeitraums trotz angebotener geeigneter Beratungs- und Unterstützungsmaßnahmen dieErziehungsverhältnisse bei den Eltern nicht nachhaltig verbessert haben und eine derartige Verbesserung mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zukünftig nicht zu erwarten ist
    und
  2. die Anordnung zum Wohl des Kindes erforderlich ist.“

Des Weiteren wurde in § 1696 BGB wurde folgender Absatz 3 angefügt:

„(3) Eine Anordnung nach § 1632 Absatz 4 ist auf Antrag der Eltern aufzuheben, wenn die Wegnahme des Kindes von der Pflegeperson das Kindeswohl nicht gefährdet.“

Und in § 1697a BGB wurde folgender Absatz 2 wird angefügt:

„(2) Lebt das Kind in Familienpflege, so hat das Gericht, soweit nichts anderes bestimmt ist, in Verfahren über die in diesem Titel geregelten Angelegenheiten auch zu berücksichtigen, ob und inwieweit sich innerhalb eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes vertretbaren Zeitraums die Erziehungsverhältnisse bei den Eltern derart verbessert haben, dass diese das Kind selbst erziehen können. Liegen die Voraussetzungen des § 1632 Absatz 4 Satz 2 Nummer 1 vor, so hat das Gericht bei seiner Entscheidung auch das Bedürfnis des Kindes nach kontinuierlichen und stabilen Lebensverhältnissen zu berücksichtigen. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend, wenn das Kind im Rahmen einer Hilfe nach § 34 oder 35a Absatz 2 Nummer 4 des Achten Buches Sozialgesetzbuch erzogen und betreut wird.“

Diese Neuregelungen erscheinen im Grundsatz als vertretbar. In der Zusammenschau der neuen Vorschriften im SGB VIII und im BGB sind grundsätzlich akzeptable Kompromisse in dreifacher Zielrichtung gefunden worden:

  1. mit Blick auf das Elternrecht der Herkunftseltern und deren gebotene Beratung und Unterstützung zwecks Verbesserung der Erziehungsverhältnisse dort;
  2. mit Blick auf die häufig belastende und unklare Situation in Pflegefamilien, über denen das „Damoklesschwert“ der Beendigung des Pflegeverhältnisses schwebt;
  3. und vor allem mit Blick auf das Wohl der Kinder und Jugendlichen im Spannungsfeld von Herkunftsfamilie und Pflegefamilie und ihren Bedürfnissen nach Entwicklung zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten (§ 1 Abs. 1 SGB VIII), nach Geborgenheit, Sicherheit und Kontinuität.

10 „Inklusive Kinder- und Jugendhilfe“

Aufgrund des KJSG wird nunmehr das Ziel der von der Fachöffentlichkeit teilweise seit Jahrzehnten – und inzwischen wohl nahezu einhellig – geforderten Fortentwicklung des SGB VIII im Sinne einer „inklusiven Kinder- und Jugendhilfe“ konkret verfolgt – mit dem Ziel der Schaffung einer einheitlichen Zuständigkeit des SGB VIII für alle Kinder und Jugendlichen mit Behinderung. Dieses Ziel soll in einem dreistufigen Verfahren bis zum Jahre 2028 erreicht werden (vgl. § 108 SGB VIII – neu, auch mit zeitlich gestaffelten, umfangreichen Untersuchungs- und Berichtsaufträgen des BMFSFJ; sowie Art. 9 KJSG). Die Vorgehensweise und die inhaltlichen Regelungsvorschläge dazu erscheinen grundsätzlich realistisch und unterstützenswert.

Nach der Verkündung des Gesetzes im Rahmen einer ersten Stufe sind zunächst die „Schärfungen“ in einer ganzen Reihe von Vorschriften mit Blick auf Kinder und Jugendliche mit Behinderung in Kraft getreten (vgl. § 1 Abs. 3 Nr. 2 SGB VIII – neu, § 7 Abs. 2 SGB VIII – neu – mit einer Legaldefinition der jungen Menschen mit Behinderungen, § 8b Abs. 3 SGB VIII – neu, § 9 Nr. 4 SGB VIII – neu, § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII – neu, § 22 Abs. 2 Satz 3 SGB VIII, § 22a Abs. 4 SGB VIII, § 77 Abs. 1 S. 2 SGB VIII, § 78b Abs. 1 SGB VIII,§ 79a Satz 2 SGB VIII oder § 80 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII – neu). Hierzu gehören Regelungen

  • zur Verankerung des Leitgedankens der Inklusion auf Grundlage der UN-Behindertenrechtskonvention bezogen auf die Kinder- und Jugendhilfe insgesamt und in ihren jeweiligen Aufgabenbereichen;
  • zur Weiterentwicklung der inklusiven Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege;
  • zur Zusammenarbeit der Sozialleistungsträger beim Zuständigkeitsübergang;
  • zur Beratung zu Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie zur Orientierung an den Schnittstellen zu anderen Leistungssystemen sowie
  • zur fallbezogenen Zusammenarbeit im Gesamt- und Hilfeplanverfahren.

Für den Zeitraum vom 01.01.2024 bis 31.12.2027 ist im Rahmen einer zweiten Stufe die Einführung von „Verfahrenslotsen“ (§ 10b SGB VIII) zur Vermittlung von Eingliederungshilfeleistungen vorgesehen – sowie ein damit korrespondierender Anspruch von jungen Menschen, Müttern, Vätern und Erziehungs- und Personensorgeberechtigten auf Unterstützung und Begleitung bei der Antragstellung, Verfolgung und Wahrnehmung dieser Leistungen. Auch dies erscheint plausibel. Allerdings ist das rechtliche Verhältnis des – zudem mit einem erheblichen personellen und administrativen Aufwand verbundenen – „Verfahrenslotsen“ zum Träger der öffentlichen Jugendhilfe noch näher zu klären. 

Alles wird schließlich davon abhängen, ob es bis zum Jahre 2028 zur dritten Stufe kommt (vgl. Art. 9 Abs. 2 bis 4 KJSG; Art. 1 § 10 Abs. 4 Satz 3 KJSG, § 108 SGB VIII) – und zuvor zur Verabschiedung eines weiteren Bundesgesetzes bis zum 01.01.2027 mit den konkreten Regelungen zum Übergang der Zuständigkeiten auch mit Blick auf die jungen Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung in die Kinder- und Jugendhilfe – und zu den komplizierten personellen, organisatorischen und finanziellen Konsequenzen; und dies mit Zustimmung der Länder, die mit ihren Kommunen die Kostenfolgen werden zu tragen haben und Zuständigkeiten verändern und teilweise (etwa in Bayern im Bereich der dortigen Bezirke) abgeben müssen.

11 Kinderschutz, Betriebserlaubnisverfahren und Aufsicht über Einrichtungen

Im KKG wurde – neben Änderungen auch der §§ 3 und 4 KKG – aufgrund von Art. 2 Nr. 3 KJSG eine neue Bestimmung angefügt: „§ 5 Mitteilungen an das Jugendamt“ (in einem Strafverfahren bei Bekanntwerden gewichtiger Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen). Die im Regierungsentwurf vorgesehenen und heftig kritisierten textlichen Umstellungen in § 4 KKG hat der Gesetzgeber nicht übernommen.

Im Bereich der §§ 45 ff. SGB VIII sind zahlreiche Neuerungen und Ergänzungen erfolgt, vielfach technischer, aber teilweise auch grundsätzlicher Natur. So ist (ähnlich wie im Gewerberecht) das Kriterium der „Zuverlässigkeit“ des Trägers einer Einrichtung an die Spitze der Anerkennungsvoraussetzungen nach § 45 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII gestellt worden. Auch darüber hinaus ist § 45 SGB VIII in zahlreichen Absätzen geändert worden. § 46 SGB VIII wurde u.a. dahingehend geändert, dass örtliche Prüfungen jederzeit unangemeldet erfolgen (§ 46 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII) können. In § 47 Abs. 2 und 3 SGB VIII sind teilweise neue Aufzeichnungs- und unverzügliche Informationsverpflichtungen statuiert worden.

Während Aspekte der Kontrolle konkretisiert und verschärft wurden, wurde die Beratungsfunktion des überörtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe leider nicht ausreichend in den Blick genommen. Dies hätte sich auch in den gesetzlichen Regelungen konkret widerspiegeln sollen – in § 45 SGB VIII oder einer separaten Vorschrift.

Mit dem neuen § 45a SGB VIII ist erstmals der Begriff der „Einrichtung“ definiert worden:

„§ 45a Einrichtung

Eine Einrichtung ist eine auf gewisse Dauer und unter der Verantwortung eines Trägers angelegte förmliche Verbindung ortsgebundener räumlicher, personeller und sachlicher Mittel mit dem Zweck der ganztägigen oder über einen Teil des Tages erfolgenden Betreuung oder Unterkunftsgewährung sowie Beaufsichtigung, Erziehung, Bildung, Ausbildung von Kindern und Jugendlichen außerhalb ihrer Familie. Familienähnliche Betreuungsformen der Unterbringung, bei denen der Bestand der Verbindung nicht unabhängig von bestimmten Kindern und Jugendlichen, den dort tätigen Personen und der Zuordnung bestimmter Kinder und Jugendlicher zu bestimmten dort tätigen Personen ist, sind nur dann Einrichtungen, wenn sie fachlich und organisatorisch in eine betriebserlaubnispflichtige Einrichtung eingebunden sind. Eine fachliche und organisatorische Einbindung der familienähnlichen Betreuungsform liegt insbesondere vor, wenn die betriebserlaubnispflichtige Einrichtung das Konzept, die fachliche Steuerung der Hilfen, die Qualitätssicherung, die Auswahl, Überwachung, Weiterbildung und Vertretung des Personals sowie die Außenvertretung gewährleistet. Landesrecht kann regeln, unter welchen Voraussetzungen auch familienähnliche Betreuungsformen Einrichtungen sind, die nicht fachlich und organisatorisch in eine betriebserlaubnispflichtige Einrichtung eingebunden sind.“

Dabei wurde im Wesentlichen auf die in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Kriterien insbesondere einer auf eine gewisse Dauer angelegten (förmlichen) Verbindung von ortsgebundenen räumlichen, sachlichen und personellen Mitteln zur Unterkunftsgewährung, Erziehung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen abgestellt (BVerwG vom 24.02.1994, 5 C 17.91, NDV 1994, S. 430, zum früheren Sozialhilferecht).

Nicht vollständig gelöst worden sind mit dieser Definition allerdings aktuelle Fragen im Zusammenhang mit zentralen und dezentralen Einrichtungen/Einrichtungsbestandteilen bei überregional tätigen Trägern und Verbundstrukturen an verschiedenen Standorten, die aber fachlich und organisatorisch einer gemeinsamen Leitung zugeordnet sind (Wabnitz 2016, S. 124–125). Allerdings soll gemäß § 45a Satz 4 SGB VIII Landesrecht regeln können, unter welchen Voraussetzungen auch familienähnliche Betreuungsformen Einrichtungen sind, die nicht fachlich und organisatorisch in eine betriebserlaubnispflichtige Einrichtung eingebunden sind.

12 Vorlage von Hilfeplänen an das Familiengericht durch das Jugendamt

In § 50 SGB VIII (Mitwirkung in Verfahren vor den Familiengerichten) in der Fassung des Regierungsentwurfs sollte Abs. 2 (nur) um die folgenden Sätze ergänzt werden:

„In Verfahren nach den §§ 1631b, 1632 Absatz 4, §§ 1666 und 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie in Verfahren, die die Abänderung, Verlängerung oder Aufhebung von nach diesen Vorschriften getroffenen Maßnahmen betreffen, legt das Jugendamt dem Familiengericht den Hilfeplan nach § 36 Absatz 2 Satz 2 vor. In anderen die Person des Kindes betreffenden Kindschaftssachen legt das Jugendamt den Hilfeplan auf Anforderung des Familiengerichts vor.“

Die ursprünglich vorgesehene Gesetzesänderung ist kritisiert worden, hätte sie doch den unterschiedlichen Zielsetzungen des Hilfeplanverfahrens als einem längerfristigen kommunikativen Prozess auf der einen Seite und des familiengerichtlichen Verfahrens zur Abwendung einer konkreten Gefährdungssituation auf der anderen Seite nicht hinreichend Rechnung getragen. Die vorgesehenen Vorlagepflichten hätten erheblich negative Auswirkungen auf den Ablauf und die Dokumentation der einzelnen Beiträge und Vereinbarungen im Hilfeplan zeitigen oder dazu führen können, dass im Hilfeplan wichtige Informationen nicht festgehalten würden. Auch hätten entsprechende Vorlagepflichten geeignet sein können, das Vertrauensverhältnis zwischen Leistungsadressaten und Fachkräften als Basis für einen erfolgreichen Hilfeprozess zu belasten.

Deshalb ist im Gesetzgebungsverfahren richtigerweise auch der folgende einschränkende Satz 4 in den neu gefassten § 50 Abs. 2 SGB VIII eingefügt worden:

„Dieses Dokument beinhaltet ausschließlich das Ergebnis der Bedarfsfeststellung, die vereinbarte Art der Hilfegewährung einschließlich der hiervon umfassten Leistungen sowie das Ergebnis etwaiger Überprüfungen dieser Feststellungen.“

13 Quellenangaben

Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ), 2020. Was lange währt, wird endlich gut: Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen [online]. Berlin: AGJ, 12.10.2020 [Zugriff am: 14.11.2023]. Verfügbar unter: https://www.agj.de/fileadmin/​files/​positionen/2020/AGJ-Stellungnahme_zum_KJSG-RefE_2020_01.pdf

Bundesregierung, 2018. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 19. Legislaturperiode, 2018 [online]. Berlin: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung [Zugriff am: 10.11.2023]. Verfügbar unter: www.bundesregierung.de/breg-de/​service/​archiv/​alt-inhalte/​koalitionsvertrag-zwischen-cdu-csu-und-spd-195906

Deutscher Bundestag, 2013. 14. Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. BT-Drucks. 17/12200 vom 30.01.2013. Berlin

Wabnitz, Reinhard Joachim, 2005. Rechtsansprüche gegenüber Trägern der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII). Berlin: Eigenverlag der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ). ISBN 978-3-922975-77-9

Wabnitz, Reinhard Joachim, 2015. 25 Jahre SGB VIII: Die Geschichte des Achten Buches Sozialgesetzbuch von 1990 bis 2015. Berlin, Eigenverlag der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ). ISBN 978-3-943847-15-4

Wabnitz, Reinhard Joachim, 2016. Einheitliche Betriebserlaubnis und einheitliche örtliche Zuständigkeit nach § 78e Abs. 1 Satz 1 SGB VIII bei dezentral organisierten Trägern der freien Jugendhilfe. In: Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe. 13(4), S. 124–125. ISSN 1861-6631

Wabnitz, Reinhard Joachim, 2021. Das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG). In: Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe. 16(7), S. 262–268. ISSN 1861-6631

Wabnitz, Reinhard Joachim, 2022a. Einleitung. In: Reinhard Joachim Wabnitz, Hrsg. Gemeinschaftskommentar SGB VIII/GK-SGB VIII. 1. Band. Köln: Luchterhand, S. 12 ff. ISBN 978-3-472-03165-9 [Rezension bei socialnet]

Wabnitz, Reinhard Joachim, 2022b. Das SGB VIII in kontinuierlicher Weiterentwicklung: die Geschichte des Achten Buches Sozialgesetzbuch von 2015–2021. Berlin: Eigenverlag der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ), ISBN 978-3-943847-15-4

Verfasst von
Prof. Dr. jur. Dr. phil. Reinhard Joachim Wabnitz
Assessor jur., Magister rer. publ., Ministerialdirektor a. D.
Er war Professor für Kinder- und Jugendhilferecht und Familienrecht an der Hochschule RheinMain, Wiesbaden. Zuvor war er u.a. Leiter der Abteilung Kinder und Jugend im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Vorsitzender der Sachverständigenkommission für den 14. Kinder- und Jugendbericht sowie Schiedsstellenvorsitzender. Er ist Autor von ca. 500 wissenschaftlichen Abhandlungen und Fachveröffentlichungen, darunter 51 Buchpublikationen, sowie Lehrbeauftragter an mehreren Hochschulen und Fachbereichen für Soziale Arbeit.
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Zitiervorschlag
Wabnitz, Reinhard Joachim, 2023. Kinder- und Jugendstärkungsgesetz [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 17.11.2023 [Zugriff am: 08.09.2024]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/29861

Link zur jeweils aktuellsten Version: https://www.socialnet.de/lexikon/Kinder-und-Jugendstaerkungsgesetz

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