Klientin, Klient
FH-Prof. Mag. Dr. Hubert Höllmüller
veröffentlicht am 14.10.2020
Als „Klient, Klientin“ wird in der Sozialen Arbeit traditionell ein Mitglied der jeweiligen Zielgruppen, die in den Konzepten definiert sind, bezeichnet.
Überblick
1 Geschichte
Der Begriff leitet sich aus dem Lateinischen ab und bezeichnet dort ein Abhängigkeits- und Schutzverhältnis zu einem Patron, einem Schutzherrn und Verteidiger, der dies aufgrund von ökonomischer, politischer und sozialer Stellung ausübt. Der Patron vertritt seine Klient*innen (sofern Frauen überhaupt zu dieser Rolle zugelassen werden) auch vor Gericht. Deshalb ist der Begriff auch bei Rechtsanwält*innen Standard.
In der Verselbstständigung der Sozialen Arbeit als Profession und Disziplin wurde der Klient*innenbegriff zuerst als Abgrenzung gegenüber der Medizin und dem Patient*innenbegriff gesetzt. Durch die Verankerung der Sozialen Arbeit als behördliche Tätigkeit hält sich der Begriff der Klient*in nach wie vor, obwohl inzwischen mehrere Diskurse versucht haben, einen den wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechenden Begriff einzuführen. Kurz gesagt geht es um eine Abkehr von einer bevormundenden, defizitbezogenen und expertokratischen Haltung hin zu einer Partizipation auf Augenhöhe, wo die involvierten Personen mit professioneller Unterstützung selbst die Antworten auf ihre Fragestellungen und die Lösungen für ihre Problemlagen entwickeln.
2 Theoretische Grundlage
Für die Wahl und Festlegung von Begriffen ist die Sprachphilosophie die zentrale theoretische Grundlage. Das Verhältnis von Begrifflichkeit und damit bezeichneter Realität wird so verstanden, dass die Verwendung eines Begriffes nicht nur eine eindeutige Realität bezeichnet (bezeichnen soll), sondern immer auch einen Zusammenhang (Kontext) mitformuliert, der mit dem Begriff selbst nicht ausgesprochen wird. Für „Klient, Klientin“ heißt das, dass die Beziehungsstruktur, eben bevormundende, defizitbezogene und expertokratische Aspekte, zwischen Professionellen und den jeweiligen Zielgruppen mitausgedrückt wird.
3 Alternativen und ihre Diskurse
3.1 Adressat*innen
In einer der neuen Perspektiven werden Arbeitsformen der sozialen Arbeit als „Angebote“ bezeichnet und die damit gemeinten Personen als „Zielgruppe/n“ bzw. „Adressat*innen“. Diese Perspektive betont die Freiwilligkeit und die damit verbundene Wahlmöglichkeit bzw. die zugelassene und erwünschte Eigensinnigkeit von Personen, selbst entscheiden zu können, ob sie ein Angebot annehmen oder nicht.
3.2 Kund*innen
Im Zuge der Ökonomisierung der psychosozialen Felder wurde der Kund*innenbegriff eingeführt, der ebenfalls darauf abzielt, die Eigensinnigkeit und Freiwilligkeit der involvierten Personen herauszustreichen. Im Unterschied zu „Adressat*innen“ drückt der Kund*innenbegriff eine bereits vollzogene Begegnung und einen damit verbundenen Austausch aus. „Zielgruppen“ müssen erst erreicht werden, „Kund*innen“ sind immer schon Realität. Im Kontext von „Kund*innen“ ist der Austausch von psychosozialen Leistungen immer auch mit einer Zahlung verbunden. In fast allen Feldern der Sozialen Arbeit sind aber diejenigen, die die psychosozialen Leistungen bezahlen nicht diejenigen, die sie konsumieren. Die Kund*innen sind Behörden, Kommunen, Gerichte oder Spenderorganisationen. Mit dem Auseinanderfallen dieser beiden Rollenaspekte tritt ein zentrales Thema der Sozialen Arbeit auf: Können in ökonomischen Feldern „Kund*innen“ über ihre Kaufentscheidung eine klare Rückmeldung über Qualität bzw. Nicht-Qualität von Leistungen („Produkten“ in ökonomischer Sprechweise) geben, so ist dies in der Sozialen Arbeit nicht möglich. Was der Kund*innenbegriff ebenfalls nicht berücksichtigt ist, dass Soziale Arbeit teilweise ohne Freiwilligkeit der involvierten Personen stattfindet. Sei es nun ausdrücklich über definierte Zwangskontexte, sei es strukturell über drohende negative Konsequenzen für involvierte Personen. Als drittes drückt der Kund*innenbegriff eine Wahlmöglichkeit aus, die in der Sozialen Arbeit nicht gegeben ist – die konkreten Professionist*innen stehen für die involvierten Personen sehr selten, und dann nur sehr beschränkt, zur Auswahl.
3.3 Nutzer*innen bzw. „service user“
Als Alternative wird nun seit einiger Zeit der Nutzer*innenbegriff vorgeschlagen, der einerseits den vollzogenen Austausch zwischen Professionellen und ihren Zielgruppen ausdrückt (als Vorteil gegenüber den Begriff der „Adressat*innen“) und zugleich die Zwangsdimension zulässt und nicht suggeriert, dass die involvierten Personen direkte Entscheidungsmöglichkeit über die Leistung hätten, so wie es der „Kund*innenbegriff“ macht. „Nutzer*innen“ sind diejenigen, die Unterstützungsprozesse tatsächlich in Anspruch nehmen, auch unter Zwang, auch ohne viel Gestaltungsmöglichkeiten eben dieser Unterstützungsprozesse: sie lassen sich beraten, schlafen in Unterkünften, lassen Professionelle in ihre Lebenswelten, fragen Informationen nach, gehen in Beziehung. Das bedeutet noch nicht, dass Ihnen das „Nützen“ viel oder wenig nützt. Dazu müssten sie während und nach den Unterstützungsprozessen (die zwar so heißen, aber deshalb nicht unterstützend sein müssen) befragt werden.
Im englischsprachigen Raum hat sich dementsprechend der Begriff „service user“ etabliert, der sehr ähnlich wie der Nutzer*innenbegriff fungiert, aber zusätzlich noch den Dienstleistungscharakter Sozialer Arbeit, auch wenn sie im behördlichen Kontext geschieht, zum Ausdruck bringt.
4 Literaturhinweise
Posselt, Gerald und Matthias Flatscher, 2016. Sprachphilosophie: Eine Einführung. Wien: facultas. ISBN 978-3-8252-4126-1
Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit e.V., 2014. Berufsehtik des DBSH: Ethik und Werte. In: Forum Sozial. 19(4). ISSN 1433-3945
Verfasst von
FH-Prof. Mag. Dr. Hubert Höllmüller
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Es gibt 3 Lexikonartikel von Hubert Höllmüller.
Zitiervorschlag
Höllmüller, Hubert,
2020.
Klientin, Klient [online]. socialnet Lexikon.
Bonn: socialnet, 14.10.2020 [Zugriff am: 11.09.2024].
Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/637
Link zur jeweils aktuellsten Version: https://www.socialnet.de/lexikon/Klientin-Klient
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