Kommunale Sozialverwaltung
Prof. Dr. Rudolf Bieker
veröffentlicht am 27.05.2025
Kommunale Sozialverwaltung ist der Sammelbegriff für Organisationseinheiten der öffentlichen Verwaltung, die im lokalen und regionalen Raum sozialstaatliche, überwiegend durch das Sozialrecht geregelte Aufgaben wahrnehmen, soweit diese kommunalen Verwaltungsträgern obliegen.
Überblick
- 1 Zusammenfassung
- 2 Begriff
- 3 Träger der kommunalen Sozialverwaltung
- 4 Abgrenzungen
- 5 Organisationseinheiten auf der örtlichen Ebene
- 6 Aufgaben
- 7 Herausforderungen
- 8 Quellenangaben
1 Zusammenfassung
Träger der kommunalen Sozialverwaltung sind die kreisfreien Städte, (Land-)Kreise (einschließlich diesen vergleichbare Körperschaften) und die in einigen Bundesländern bestehenden höheren Kommunalverbände. Abzugrenzen sind die kommunalen Verwaltungsträger sowohl von staatlichen Verwaltungsträgern (unmittelbaren und mittelbaren Behörden des Bundes und des Landes) als auch von privaten Akteuren. Die Aufgaben der kommunalen Sozialverwaltung umfassen in ihrem Kernbereich die großen Felder der Kinder- und Jugendhilfe, der Sozialhilfe sowie mit der Eingliederungshilfe weite Teile der Leistungen für Menschen mit Behinderung. In einem erweiterten Verständnis gehören auch die Felder der Gesundheitshilfe und -förderung sowie die Wohnungspolitik zum Aufgabenbestand der kommunalen Sozialverwaltung.
Zuständig ist die kommunale Sozialverwaltung für die Gewährung von sozialen Leistungen (einschließlich der Bereitstellung bzw. Gewährleistung sozialer Dienste und Einrichtungen) und für die Planung einer bedarfsgerechten Angebotsstruktur (Sozialplanung). Ein wichtiges Aktionsfeld ist darüber hinaus der Schutz von Menschen im Hinblick auf ihr körperliches, geistiges und seelisches Wohl sowie der Schutz der Allgemeinheit vor Gefahren (Gefahrenabwehr).
2 Begriff
In ihrem Kern ist die kommunale Sozialverwaltung innerhalb einer kreisfreien Stadt oder eines (Land-)Kreises (örtliche Ebene) oder in einem darüber hinausgehenden regionalen Raum (überörtliche Ebene) ausführendes Organ für soziale Leistungen und andere (hoheitliche) Aufgaben nach dem Sozialrecht, soweit diese nach Landesrecht in die Zuständigkeit kommunaler Körperschaften fallen.
Zum Sozialrecht zählen die in den §§ 18–29 SGB I genannten Rechtsbereiche, die in den Sozialgesetzbüchern II bis XIV im Einzelnen operationalisiert werden. Rechtsgrundlage für das Handeln der kommunalen Sozialverwaltung sind im Wesentlichen folgende Sozialgesetzbücher:
- SGB II (Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitssuchende)
- SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe)
- SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen)
- SGB XII (Sozialhilfe)
- SGB XIV (soziale Entschädigung) sowie das
- SGB X (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz).
Relevante Rechtsgrundlagen der kommunalen Sozialverwaltung bilden darüber hinaus spezielle Gesetze, die nach § 68 Abs. 1 SGB I als besondere Teile des SGB gelten, z.B.
- das Bundesausbildungsförderungsgesetz
- das Wohngeldgesetz und
- das Unterhaltsvorschussgesetz.
Die weitreichende Bindung an das Sozialrecht und den ihm inhärenten Gesetzesvorbehalt führt zu einer starken Verrechtlichung des Handelns der Sozialverwaltung (Art, Inhalt und Qualitätsstandards sozialer Leistungen, Leistungsvoraussetzungen, Verfahrensstandards). Sozialleistungen können als Geld-, Sach- oder Dienstleistungen ausgestaltet sein. Im Unterschied zu Geldleistungen verfügt die kommunale Sozialverwaltung bei Dienst- und Sachleistungen über eigene Ausgestaltungsmöglichkeiten.
Wenn man die kommunale Sozialverwaltung unter analytischen und steuerungstheoretischen Aspekten als administratives Pendant der kommunalen Sozialpolitik versteht, macht es Sinn, den Begriff kommunale Sozialverwaltung nicht strikt aus ihren sozialrechtlichen Zuständigkeiten abzuleiten.
Kommunale Sozialpolitik geht über die Exekution sozialrechtlich verbindlicher Rechtsnormen hinaus.
- Zum einen, weil sie Handlungsfelder umfasst, die zum Teil außerhalb des formellen Sozialrechts geregelt sind (Gesundheit, Wohnen).
- Zum anderen, weil sie einen Bereich eigenständiger Gestaltungsoptionen einschließt, der weder durch das Sozialrecht noch durch andere Gesetzesmaterien, sondern ursprünglich durch das Recht der Selbstverwaltung nach Art. 28 Abs. 2 GG legitimiert ist. Dieses Recht gilt für alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft; zu diesen zählt grundsätzlich auch die soziale Daseinsvorsorge.
Insofern lässt sich unterscheiden zwischen
- der kommunalen Sozialverwaltung im engeren Sinne (Bezugspunkt: Sozialrecht) und
- der kommunalen Sozialverwaltung in einem erweiterten Verständnis (Bezugspunkt: Sozialpolitik).
3 Träger der kommunalen Sozialverwaltung
3.1 Örtliche Ebene
Träger der kommunalen Sozialverwaltung sind die kreisfreien Städte, (Land-)Kreise, besondere Körperschaften mit dem rechtlichen Status eines Kreises (z.B. die Städteregion Aachen) sowie die höheren Kommunalverbände (z.B. Kommunaler Sozialverband Mecklenburg-Vorpommern).
In der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) können anstelle der (Land-)Kreise auch (größere) kreisangehörige Gemeinden nach Landesrecht eigenständige Aufgabenträger sein.
Innerhalb der (Land-)Kreise wirken häufig auch die kreisangehörigen Gemeinden in einem begrenzten Umfang bei der Erfüllung sozialrechtlicher Pflichtaufgaben mit (z.B. Entgegennahme und Bearbeitung von Anträgen auf Grundsicherungsleistungen). Wie die kreisfreien Städte und (Land-)Kreise sind auch kreisangehörige Gemeinden als Träger von Selbstverwaltungsrechten grundsätzlich befugt, sich unter Beachtung und in Ergänzung der gesetzlichen Kreiszuständigkeiten freiwillig als Sozialverwaltung zu betätigen (z.B. Kita-Trägerschaft, Spielplätze, Ferienangebote, Betrieb einer Senioreneinrichtung).
Kreisangehörige Gemeinden, die einer Samt- bzw. Verbandsgemeinde oder einer Amtsverwaltung angehören, können die Durchführung eines freiwilligen sozialen Angebotes auf den jeweiligen Kommunalverband übertragen (zur Gliederung der öffentlichen Verwaltung unterhalb der [Land-]Kreisebene: Bieker 2016, S. 226 ff.).
3.2 Überörtliche Ebene
Oberhalb der örtlichen Ebene der (Land-)Kreise und kreisfreien Städte bestehen in zahlreichen Bundesländern überörtliche kommunale Träger der Sozialverwaltung mit landesrechtlich unterschiedlicher Aufgabenweite. In Betracht kommen Aufgaben vor allem auf den Gebieten der Jugend-, Sozial- und Behindertenhilfe sowie des sozialen Entschädigungsrechts, z.B.
- Aufgaben des Landesjugendamtes nach § 85 SGB VIII
- Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach den §§ 67–69 SGB XII
- Leistungen zur selbstbestimmten Lebensführung von Menschen mit Behinderung nach § 90 ff. SGB IX
- Integration schwerbehinderter Menschen in das Arbeitsleben nach § 151 ff. SGB IX
- Leistungen für Opfer von Gewalttaten nach § 13 ff. SGB XIV.
Die überörtlichen Träger führen unterschiedliche Bezeichnungen, z.B. Landeswohlfahrtsverband (Hessen) oder Bezirk (Bayern).
In Bundesländern ohne überörtliche kommunale Ebene sind die Länder mit ihren Landesbehörden Träger der ortsübergreifend wahrgenommen Aufgaben, z.B. das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung in Rheinland-Pfalz (ausführlich: Bieker 2016, S. 230 ff.).
4 Abgrenzungen
Sozialrechtlich geregelte Aufgaben werden in der öffentlichen Verwaltung nicht nur von der kommunalen Sozialverwaltung, sondern auch durch mittelbare oder unmittelbare staatliche Verwaltungsträger wahrgenommen, d.h. durch die Sozialversicherungen oder durch landeseigene Behörden, z.B. die Landesämter für Soziales. (s.o.)
Im Unterschied zu den Leistungen der Sozialversicherungen, die sich vorsorgend auf allgemeine Bedarfslagen wie Krankheit, vorübergehende Arbeitslosigkeit, Wegfall des Erwerbseinkommens im Alter etc. beziehen, befasst sich die kommunale Sozialverwaltung weitgehend mit besonderen individuellen Not- und Bedarfslagen, die von den Versicherungssystemen nicht oder nicht ausreichend erfasst werden oder aufgrund ihrer individuellen oder örtlichen Situationsabhängigkeit nicht sach- bzw. bedarfsgerecht bearbeitet werden könnten z.B. den Hilfen zur Erziehung, Wohnungslosigkeit, Drogenabhängigkeit, häusliche Gewalt, behinderungsbedingte Teilhabeeinschränkungen.
Während die Träger der kommunalen Sozialverwaltung ihre Aufgaben im Rahmen der jeweiligen Gesetze überwiegend eigenverantwortlich ausführen, agieren sie bei bestimmten Pflichtaufgaben nach Weisung des jeweiligen Bundeslandes. Seit der Föderalismusreform 2006 fallen Weisungsbefugnisse gegenüber kommunalen Verwaltungsträgern ausschließlich in die Kompetenz der Länder. Bei den weisungsgebundenen Pflichtaufgaben handelt es sich um Aufgaben, die vom Bund bzw. Land unmittelbar finanziert werden.
Bei diesen Leistungen ist die kommunale Sozialverwaltung weitgehend Dienstleisterin, die anstelle staatlicher (landeseigener) Behörden soziale Leistungen bereitstellt, z.B.
- Wohngeld
- Bundeselterngeld
- Unterhaltsvorschuss
- Geldleistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
- BAföG-Leistungen für Schüler und Schülerinnen.
Durch das Recht der Länder, die Behörden für die Ausführung von Bundesgesetzen zu bestimmen, können sich bei der Zuordnung von Behördenzuständigkeiten (staatlich oder kommunal) von Land zu Land unterschiedliche Lösungen ergeben.
Abzugrenzen ist die kommunale Sozialverwaltung schließlich von der Freien Wohlfahrtspflege. Diese nimmt zwar ebenfalls soziale Aufgaben im kommunalen Raum wahr, ist aber weder rechtlich noch organisatorisch noch wirtschaftlich Teil der kommunalen Sozialverwaltung. Die Träger der Freien Wohlfahrtspflege sind eigenständige, ohne rechtliche Verpflichtung tätige sozialpolitische Akteure. Gleichwohl ist die Freie Wohlfahrtspflege nicht nur weitgehend von öffentlicher Finanzierung abhängig, sie ist regelmäßig auch in die sozialpolitischen Willensbildungsorgane der kommunalen Körperschaften inkorporiert, z.B. durch Mitwirkung in den einschlägigen Ausschüssen. Zudem stellen die ihr angeschlossenen Vereinigungen auf den Gebieten der kommunalen Sozial- und Gesundheitspolitik überwiegend die Dienste und Einrichtungen bereit, die zur Ausführung sozialer Leistungen benötigt werden.
5 Organisationseinheiten auf der örtlichen Ebene
Die Organisationseinheiten der kommunalen Sozialverwaltung werden üblicherweise als Ämter bezeichnet. Diese werden oft zu Fachbereichen gebündelt und/oder einem gemeinsamen Geschäftsbereich (Dezernat) zugeordnet. Innerhalb der Ämter kommen unterschiedliche Gliederungsmodelle in Betracht: Abteilungsgliederung mit klassischer Über-/Unterordnungsstruktur, Teamstrukturen, Mischformen.
Vor dem Hintergrund kommunaler Selbstverwaltungsrechte können sich die organisatorische Ausdifferenzierung und die Bezeichnung der Organisationseinheiten der kommunalen Sozialverwaltung von kreisfreier Stadt zu kreisfreier Stadt und von (Land-)Kreis zu (Land-)Kreis unterscheiden. So können einzelne Aufgabenfelder in spezialisierte Verwaltungseinheiten ausgegliedert sein (z.B. Leistungen nach dem SGB XII für hilfe- und pflegebedürftige alte Menschen in ein Amt für Altenhilfe). Ebenso kann die Durchführung der Aufgaben eher zentral oder eher dezentral (auf Stadtbezirks- oder Sozialraumebene) angesiedelt sein.
5.1 Jugend- und Sozialämter
Auf der örtlichen Ebene der kommunalen Sozialverwaltung werden sozialstaatliche Aufgaben in der Hauptsache von den Jugend- und Sozialämtern wahrgenommen. Das Aufgabenspektrum dieser Ämter ist breit gefächert. Im Unterschied zu den Sozialämtern weisen Jugendämter die Besonderheit auf, dass der Gesetzgeber anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe bedingte Mitwirkungsrechte eingeräumt hat und dadurch die Ausgestaltung der lokalen Jugendhilfeangebote zumindest in einem begrenzten Umfang der alleinigen Verantwortung durch Rat/Kreistag als den durch Wahl legitimierten Organen entzogen hat (Bieker 2016, S. 55; Bieker und Niemeyer 2022, S. 26).
5.2 Jobcenter
Mit der Zusammenlegung der „Hilfe zur Arbeit“ nach dem früheren Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und der „Arbeitslosenhilfe“ nach dem früheren Arbeitsförderungsgesetz (AFG) wurde das klassische Ämterduo von Sozial- und Jugendämtern ab dem Jahr 2005 durch eine dritte sozialrechtliche Säule erweitert: die Jobcenter. Allerdings sind diese nur ausnahmsweise ausschließlich kommunale Verwaltungsbehörden. Im Regelfall stellen die Jobcenter eigenständige Sozialverwaltungsbehörden im lokalen Raum dar, in denen kommunale Träger (kreisfreie Städte, [Land-]Kreise) mit staatlichen Verwaltungsträgern (Bundesagentur für Arbeit) in gesetzlich geregelter Aufgabenteilung zusammenwirken.
5.3 Gesundheits- und Wohnungsämter
Andere kommunale Ämter wie die Gesundheits- und Wohnungsämter der kreisfreien Städte und (Land-)Kreise lassen sich aus einer strikt sozialrechtlichen Sicht nur mit speziellen ihrer Aufgaben der kommunalen Sozialverwaltung zuordnen (z.B. Mitwirkung der Gesundheitsämter bei der Erstellung eines Gesamtplans nach § 121 Abs. 3 Nr. 3b SGB IX; Wohngeldbewilligung nach WoGG durch die Wohnungsämter). Die Rechtsgrundlagen und Aufgaben der Gesundheits- und Wohnungsämter sind überwiegend außerhalb des formellen Sozialrechts angesiedelt.
Dennoch verfolgen beide Ämter in einem nicht nur geringfügigen Umfang auch sozialstaatliche Zielsetzungen. Gesundheitsämter stellen Leistungen für Menschen mit besonderem gesundheitsbezogenen Beratungs- und Hilfebedarf bereit. Wohnungsämter kümmern sich mit einem differenzierten Instrumentarium um Bevölkerungsgruppen mit einkommensbedingter sozialer Benachteiligung beim Zugang zu Wohnraum. Im sozialpolitisch erweiterten Begriffsverständnis sind diese Ämter daher ebenfalls als Teil der Sozialverwaltung anzusehen, auch wenn sie – wie die Gesundheitsämter – auch weit darüber hinausgehende Aufgaben wahrnehmen (z.B. Seuchenbekämpfung, Apotheken- und Arzneimittelüberwachung, Schuleingangsuntersuchungen).
Für die Zuordnung zur Sozialverwaltung spricht auch, dass viele Menschen nicht nur Leistungen aus den Kernbereichen kommunaler Sozialstaatstätigkeit benötigen (Jugend-, Sozial- und Eingliederungshilfe), sondern zusätzliche weitere Leistungen. Deshalb werden die mit sozialstaatlichen Zielsetzungen arbeitenden Ämter (Jugend-, Sozial-, Gesundheits- und Wohnungsämter) häufig unter einer gemeinsamen Gesamtleitung (Dezernat) gebündelt.
Aufgabenbeispiele der Gesundheitsämter: Vorhaltung sozialpsychiatrischer Dienste, Konsumräume für Drogenabhängige, Förderung von gesundheitsbezogenen Selbsthilfegruppen, Gesundheitsförderung von Kindern und Jugendlichen, amtsärztliche Gutachten bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung (Amtshilfe).
Aufgabenbeispiele der Wohnungsämter: Zuteilung von Wohnberechtigungsscheinen, Ankauf von Belegungsrechten für Sozialwohnungen, Mieterberatung, Fachstellen zur Prävention von Wohnungslosigkeit, Förderung des sozialen Wohnungsbaus, Betrieb und Verwaltung von Unterkünften und Wohnungen für Flüchtlinge (Bieker 2016, S. 104).
6 Aufgaben
Im Zentrum der kommunalen Sozialverwaltung der kreisfreien Städte und (Land-)Kreise stehen vier Aufgabenfelder:
- Bereitstellung sozialer Leistungen
- Beteiligungsmanagement und Förderung privater Akteure
- Sozialberichterstattung und Sozialplanung
- Gefahrenabwehrende Aufgaben
6.1 Bereitstellung sozialer Leistungen
Als einer der sozialstaatlichen Hauptakteure erbringen die Kommunen eine Vielzahl von sozialen Leistungen für ihre Einwohner:innen. Soziale Leistungen in Gestalt von Dienst-, Sach- und Geldleistungen dienen der Verwirklichung der sozialen Rechte der Einwohner:innen (§§ 3–10 SGB I). Die sozialen Rechte des Sozialgesetzbuchs folgen dem Sozialstaatsauftrag des Grundgesetzes und den ihn stützenden Grundrechtsnormen, wie Recht auf Menschenwürde, freie Entfaltung der Persönlichkeit, Recht der freien Berufswahl (Frings und Schweigler 2021, S. 16 ff.).
Zu den in den §§ 18–29, 68 SGB I im einzelnen genannten Leistungen, die in die Zuständigkeit der kreisfreien Städte und (Land-)Kreise als örtlich verpflichteten Sozialleistungsträgern fallen, gehören u.a.
- Kinder- und Jugendhilfe (Jugendarbeit, Schulsozialarbeit, erzieherischer Kinder- und Jugendschutz, Beratung in Fragen der Partnerschaft, Trennung und Scheidung, Förderung in Tageseinrichtungen, Hilfen zur Erziehung u.v.m.)
- Sozialhilfe (Hilfe zum Lebensunterhalt, Bildungs- und Teilhabeleistungen, Grundsicherung im Alter, Förderung der freien Wohlfahrtspflege u.v.m.)
- Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung (z.B. Leistungen der Eingliederungshilfe, Beratung von beschäftigungspflichtigen Arbeitgebern und Mitwirkung beim Kündigungsschutz)
- Leistungen für Arbeitssuchende im Rechtskreis des SGB II (z.B. Schuldnerberatung, psychosoziale Betreuung, Kostenübernahme für Unterkunft und Heizung, soweit nicht vom Bund gedeckt, Erstausstattung der Wohnung, bei kommunalen Jobcentern auch Auszahlung des Bürgergeldes)
- Leistungen im staatlichen Auftrag (z.B. Wohngeld, Elterngeld, Ausbildungsförderung für Schüler:innen).
Hinzu kommen die außerhalb des Sozialgesetzbuchs geregelten
- Leistungen für Asylbewerber:innen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und die
- Leistungen für die Unterbringung und soziale Betreuung von Geflüchteten nach den Flüchtlingsaufnahmegesetzen der Länder.
Auf viele der in den Sozialgesetzbüchern genannten Leistungen besteht ein individueller Rechtsanspruch, wenn die Voraussetzungen für den Leistungsbezug vorliegen. Neben den einzelfallbezogenen Sozialleistungen (soziale Leistungen im engeren Sinne) bestehen allgemeine gesetzliche Pflichtleistungen (soziale Leistungen im weiteren Sinne), die einem allgemein bestimmten Personenkreis zugutekommen sollen, aber in ihrer Ausgestaltung nach Inhalt und Volumen individuell nicht eingeklagt werden können, wie z.B. Jugendarbeit und/oder bestimmte Angebote für alte Menschen. Entsprechend ihren Leistungspflichten haben die kreisfreien Städte und (Land-)Kreise dafür zu sorgen, dass die erforderlichen Dienste und Einrichtungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 SGB I).
Ergänzt wird das kommunale Angebotsrepertoire durch freiwillige Leistungen, z.B. Beratungsstellen für Drogenabhängige, Ferienspielaktionen, sozialkulturelle Zentren, Förderung von Selbsthilfegruppen. Freiwillige Leistungen setzen allerdings neben der Bereitschaft der politischen Entscheidungsträger finanzielle Ressourcen voraus, die den kommunalen Trägern der Sozialverwaltung nach Erfüllung der vielfältigen Pflichtaufgaben nur noch sehr begrenzt zur Verfügung stehen.
Die Gestaltbarkeit mancher Pflichtleistungen und das Recht zu einer die staatlichen Leistungen ergänzenden Daseinsvorsorge sprechen dafür, die Kommunen auf sozialstaatlichem Gebiet nicht nur als vollziehende, sondern auch als politisch (mit-)gestaltende Verwaltungsträger einzuordnen. Durch ihre tagtägliche Befassung mit sozialen Problemen, ihre fachliche Expertise und ihre entscheidungsvorbereitenden Funktionen hat die kommunale Sozialverwaltung einen nicht unerheblichen Einfluss auf sozialpolitische Entscheidungen der zuständigen kommunalen Gremien (Rat, Kreistag, Ausschüsse).
6.2 Beteiligungsmanagement und Förderung privater Akteure
Viele sozialrechtliche Leistungen – mit Ausnahme von Geldleistungen – werden nicht unmittelbar durch die kommunale Sozialverwaltung angeboten, sondern durch soziale Dienste und Einrichtungen privater, insbesondere freigemeinnütziger Träger. Grundlage dafür ist das im Sozialrecht verankerte Subsidiaritätsprinzip, das nicht-öffentlichen Trägern unter bestimmten Voraussetzungen einen Vorrang bei der Bereitstellung von Diensten und Einrichtungen einräumt (Bieker und Niemeyer 2022, S. 50). Gibt es einen privaten Träger, der zur Leistungserbringung geeignet und bereit ist, soll sich der öffentliche Träger selbst Zurückhaltung auferlegen. In der Jugend- und Sozialhilfe werden allerdings nur die freigemeinnützigen Träger durch das Subsidiaritätsprinzip privilegiert.
Die kommunale Sozialverwaltung tritt mit dem gesetzlichen Zurückhaltungsgebot in die Rolle einer Gewährleisterin, die ihren Leistungsverpflichtungen gegenüber den Anspruchsberechtigten nicht unmittelbar selbst, sondern über die Beteiligung Dritter nachkommt. Zu diesem Zweck schließt sie mit den begünstigten Trägern Leistungsverträge bzw. Leistungsvereinbarungen ab (z.B. §§ 77, 78a ff. SGB VIII). Durch die Beteiligung privater Leistungserbringer beschränkt sich die Zuständigkeit der kommunalen Sozialverwaltung gegenüber den Berechtigten in vielen Fällen auf die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen, auf die Leistungsbewilligung und Kostenübernahme sowie auf die Beobachtung des Hilfeverlaufs (z.B. bei einer sozialpädagogischen Familienhilfe).
Die freigemeinnützigen privaten Träger sind allerdings nicht nur Leistungserbringer, die anstelle der kommunalen Sozialverwaltung soziale Leistungen ausführen, sie gelten auch als eigenständige Akteure im Sozialstaat, deren Tätigkeit durch die kommunale Sozialverwaltung gefördert werden soll. Sowohl das Jugendhilfe- als auch das Grundsicherungsrecht räumt den freigemeinnützigen privaten Trägern einen grundsätzlichen Anspruch auf Förderung und Unterstützung ein (§ 4 Abs. 3 SGB VIII, § 5 Abs. 3 Satz 2 SGB XII, § 17 Abs. 1 SGB II), der über ihre Funktion als vertraglich gebundene Leistungserbringer hinausgeht.
Die Förderung kann immateriell (z.B. durch Beratung) oder materiell erfolgen. Überwiegend ist sie materieller Art (Zuschüsse zu bestimmten Angeboten und Veranstaltungen, Überlassung von Räumlichkeiten, Zuschüsse zu Geschäftskosten). Finanzielle Förderungen (Subventionen) setzen voraus, dass die Angebote der freigemeinnützigen Träger im öffentlichen Interesse liegen. Vielfach handelt es sich um Angebote, die die kommunale Sozialverwaltung außerhalb ihrer gesetzlichen Pflichtaufgaben auch selbst erbringen könnte (zu den Finanzierungsformen ausführlich Bieker 2012; Bernzen et al. 2018; Wabnitz 2024).
6.3 Sozialberichterstattung und Sozialplanung
Die Verpflichtung, die zur Verwirklichung der Sozialen Rechte benötigten Dienste und Einrichtungen „rechtzeitig und ausreichend“ zur Verfügung zu stellen, erfordert es, die Bedarfsgerechtigkeit der sozialen Infrastruktur vor dem Hintergrund des vorhandenen Bestandes fortlaufend zu prüfen und die nötigen Anpassungsmaßnahmen zeitgerecht in die Wege zu leiten. Auf welche Weise und in welcher Intensität die Kommunen dieser Verpflichtung nachkommen, überlässt der Gesetzgeber weitgehend ihrer Eigenverantwortung als Selbstverwaltungskörperschaften.
Lediglich in der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) hat er Qualitätsziele definiert, denen die Kommunen bei der weiteren Ausgestaltung der Infrastruktur Rechnung tragen müssen (z.B. der Inklusivität der Angebote, § 80 Abs. 2 SGB VIII). Überdies müssen sie die anerkannten freien Träger der Jugendhilfe (freigemeinnützige Träger) an dem Gestaltungsprozess beteiligen (§ 80 SGB VIII).
Wichtige Instrumente einer aktiven und vorausschauenden Gestaltung der sozialen Leistungsangebote im lokalen Raum sind die Sozialberichterstattung und die Sozialplanung (Böhmer 2014; MAIS 2019; Nutz und Schubert 2019). Eine kodifizierte Planungspflicht besteht bisher nur in der Kinder- und Jugendhilfe (§ 80 SGB VIII; zur Jugendhilfeplanung Daigler 2020).
Bezugspunkt von Sozialberichterstattung und Sozialplanung sind die Bedarfe der vielfältigen Adressat:innen kommunaler Sozialpolitik (z.B. Kinder und Familien, alte und behinderte Menschen, drogenabhängige oder geflüchtete Menschen) und die sozialen Probleme, die im kommunalen Raum sichtbar sind bzw. die bisher von der Kommunalpolitik womöglich noch unzureichend wahrgenommen werden (z.B. wachsende häusliche Gewalt, defizitäre Versorgung mit Wohnraum, Obdachlosigkeit, Einsamkeit, Elternschaft psychisch kranker Menschen).
Sozialberichterstattung und Sozialplanung müssen ineinandergreifen. Um die Ziele für die Sozialplanung bedarfsgerecht entwickeln zu können, müssen die Sozialberichte
- Informationen über die objektive Lebenslage der Einwohner:innen liefern, möglichst an Sozialräumen oder Stadtteilen als den späteren Gestaltungsräumen orientiert;
- in Beteiligungsverfahren die subjektiven Bedürfnisse und Wünsche der adressierten Problembetroffenen ermitteln sowie
- im Zusammenwirken mit den gemeinnützigen und gewerblichen Trägern eine Evaluation des vorhandenen Bestandes an Diensten und Einrichtungen vornehmen.
Aufbauend auf der Sozialberichterstattung obliegt es der Sozialplanung, die erforderlichen und geeigneten Maßnahmen im Einzelnen zu konzipieren (Inhalt, Qualität, Kosten, räumliche Platzierung, Trägerschaft). Dies trägt dazu bei, die chronisch knappen Ressourcen der Kommune bedarfs- und zielgerichtet auszurichten.
Sozialplanung ist von ambivalenter Natur; sie kann auch mit einem konflikthaften Abbau von Angeboten einhergehen. Nahe liegt, dass Kommunen in der Sozialberichterstattung und Sozialplanung auch das Risiko sehen, finanziell nicht umsetzbare Begehrlichkeiten zu wecken, die auch nach Erreichen einer weiteren Ausbaustufe der sozialen Infrastruktur nicht erledigt sind. Eine umfassend angelegte Sozialberichterstattung kostet außerdem Geld. Die Sozialplanung der Kommunen ist daher häufig schwach aufgestellt, segmentiert und eher kurz- als mittelfristig bzw. langfristig ausgerichtet.
6.4 Gefahrenabwehrende Aufgaben
Die kommunale Sozialverwaltung erbringt nicht nur soziale Leistungen für ihre Einwohner:innen (Leistungsverwaltung), sie ist auch „Schutzmacht“, die Gefahren für das Wohl ihrer Adressat:innen und der Allgemeinheit abwenden und beseitigen soll (Ordnungs- und Eingriffsverwaltung):
- Ordnungsverwaltung ist sie z.B. durch Erlaubnisvorbehalte (Betrieb einer Kindertagesstätte etc.) und Aufsichtsrechte.
- Eingriffsverwaltung ist sie, insofern sie bei Eingriffen in die Rechte von Menschen (z.B. Aufenthaltsbestimmung) entweder mitwirkt oder bei dringender Gefahr solche Eingriffe unmittelbar selbst durchführt bzw. veranlasst.
Typisch für Gefahren abwehrende Aufgaben ist, dass die adressierte Person von Handlungen betroffen wird, für die es auf ihrer Seite kein manifestes subjektives Bedürfnis gibt. Der Handlungskontext ist mehr oder weniger fremdbestimmt; dementsprechend kann sich die betroffene Person der staatlichen Intervention nicht ohne Weiteres entziehen (Zwangskontext).
Die Gefahrenabwehr obliegt z.T. der örtlichen Ebene der Sozialverwaltung (den Jugend- und Sozialämtern der kreisfreien Städte und Kreise), z.T. hat der Gesetzgeber sie der überörtlichen Ebene zugeordnet (höhere Kommunalverbände oder Land).
Nach den Adressat:innen der jeweiligen Vorschriften kann zwischen personenbezogenen und träger- bzw. akteurbezogenen Maßnahmen und Interventionen unterschieden werden.
6.4.1 Personenbezogene Gefahrenabwehr
Bei den personenbezogenen Interventionen (Kinder, Eltern, behinderte und pflegebedürftige Menschen, psychisch kranke Menschen) geht es u.a. um die Zuständigkeiten der kommunalen Sozialverwaltung
- bei Kindeswohlgefährdung,
- bei der Straffälligkeit von Jugendlichen,
- bei der rechtlichen Betreuung Erwachsener und
- bei der Selbst- oder Fremdgefährdung psychisch kranker Menschen.
Bestehen im Einzelfall gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung, muss das Jugendamt als zuständige Organisationseinheit der Sozialverwaltung tätig werden (§ 1 Abs. 3 Nr. 4 SGB VIII, § 8a SGB VIII); zum Begriff und zu den Formen der Kindeswohlgefährdung: (Maywald 2020; Schäfer-Pichula 2021). Im Zusammenwirken mit mehreren Fachkräften hat es zunächst das Ausmaß der Gefährdung einzuschätzen. Sind die Eltern z.B. nicht bereit, notwendige Hilfen anzunehmen, hat das Jugendamt das Familiengericht anzurufen, das nach § 1666 Abs. 1 BGB die Maßnahmen trifft, „die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind“. Dazu können als Ultima Ratio auch der Eingriff in das Aufenthaltsbestimmungsrecht und der Entzug des elterlichen Sorgerechts gehören.
Wenn die Entscheidung des Gerichts nicht abgewartet werden kann, jedoch eine dringende Gefahr für das Kindeswohl vorliegt, kann das Jugendamt das Kind auch ohne richterlichen Beschluss in Obhut nehmen (§ 42 SGB VIII). Vorrangig wird das Jugendamt sein Wächteramt durch frühzeitige Information, Beratungs- und Hilfeangebote wahrzunehmen versuchen, z.B. durch frühe Hilfen nach dem Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG). Zielgruppen sind neben Eltern auch werdende Mütter und Väter (§ 1 Abs. 4 KKG).
Jugendhilfe im Strafverfahren (Jugendgerichtshilfe)Die Jugendhilfe im Strafverfahren wirkt als unabhängige Beteiligte im Strafprozess nach dem JGG mit. Strafrecht ist auf Gefahrenabwehr ausgelegt. Die Gefahr liegt in der Straffälligkeit, die nicht nur eine Missachtung der Rechtsordnung darstellt, sondern auch anzeigt, dass die Entwicklung des Jugendlichen zu einer „gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ gefährdet sein kann (§ 1 Abs. 1 SGB VIII). Das Tätigwerden von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht ist grundsätzlich eingriffsorientiert.
Die Mitwirkung der Jugendhilfe in diesem Prozess ist ein Indiz dafür, dass neben der nach dem Jugendstrafrecht möglichen Bestrafung des Täters auch andere Mittel der Verhaltensbeeinflussung in Erwägung gezogen werden sollen. Dementsprechend kommt das in § 52 Abs. 2 SGB VIII verankerte Handlungsverständnis der „Jugendgerichtshilfe“ (so die überkommene Bezeichnung in § 38 JGG) u.a. in der Verpflichtung zum Ausdruck, „frühzeitig zu prüfen, ob für den Jugendlichen oder den jungen Volljährigen Leistungen der Jugendhilfe oder anderer Sozialleistungsträger in Betracht kommen.“ Angesprochen sind damit insbesondere pädagogische Leistungen zur Förderung der Persönlichkeit und des Sozialverhaltens des Jugendlichen einschließlich der Beratung und Unterstützung der Eltern (pädagogische Gefahrenabwehr).
Mitwirkung bei der rechtlichen Betreuung Erwachsener (§§ 1814 BGB)Die rechtliche Betreuung soll Menschen schützen, die ihre Angelegenheiten aufgrund einer Krankheit oder Behinderung ganz oder teilweise rechtlich nicht besorgen können (§ 1814 Abs. 1 BGB). Mit der Anordnung einer Betreuung können erhebliche Eingriffe in die Lebensführung der betreuten Person verbunden sein. Anordnung und Bestellung einer Betreuungsperson ist zwar Sache des Betreuungsgerichts, die kommunale Sozialverwaltung der kreisfreien Städte und (Land-)Kreise wirkt als örtliche Betreuungsbehörde (§§ 5 ff. BtOG [Betreuungsorganisationsgesetz]) bei der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben jedoch mit:
- Erstellung eines Sozialberichts gegenüber dem Gericht über die persönliche, gesundheitliche und soziale Situation der betroffenen Person
- Vorschlag einer Betreuungsperson
- Unterbreiten von Hilfeangeboten anstelle einer Betreuung
- Förderung der Übernahme einer Betreuung
- ersatzweise Übernahme einer Betreuung
Hilfen und eingreifende Maßnahmen nach den Psychisch-Kranken-Gesetzen der Länder dienen sowohl dem Schutz der Betroffenen als auch dem Schutz der Allgemeinheit vor Gefahren, die von psychisch kranken Menschen in einer krisenhaft zugespitzten Situation ausgehen können (akute Selbst- oder Fremdgefährdung). Zuständig sind die Gesundheitsämter der kreisfreien Städte und (Land-)Kreise als „untere Gesundheitsbehörden“. Sie verfügen auch über eingreifende Mittel, z.B. die die Aufforderung an den Betroffenen, in der Sprechstunde des Sozialpsychiatrischen Dienstes zu erscheinen. Betroffene können auch zu Hause aufgesucht und dort durch einen Arzt des Gesundheitsamtes untersucht werden (§ 9 Abs. 2 PsychKG NRW). Bei Gefahr im Verzug kann der Sozialpsychiatrische Dienst die Wohnung des Betroffenen ohne dessen Einwilligung betreten (§ 9 Abs. 7 PsychKG NRW) und ein Einweisungsverfahren in Gang setzen.
6.4.2 Träger- und akteurbezogene Gefahrenabwehr
Menschen, die in bestimmten Bedarfslagen Leistungen von sozialen Diensten und Einrichtungen oder durch Privatpersonen (z.B. einer Pflegeperson oder einer Betreuungsperson nach dem Betreuungsrecht) benötigen, müssen sich darauf verlassen können, dass sie während der Inanspruchnahme in dem Betreuungsverhältnis geschützt sind. Zwar ist ein vollkommener Schutz (etwa vor sexuellem Missbrauch durch Mitarbeiter:innen) nicht möglich; die Risiken, durch Dienste, Einrichtungen oder Personen geschädigt zu werden, können aber zumindest eingrenzt werden.
Diesem Zweck dienen besondere gesetzliche Instrumente, wie
- Beratungsangebote für die Einrichtungsträger
- Erlaubnisvorbehalte für den Betrieb einer Einrichtung
- Prüfungsrechte der Behörden
- Entwicklung von Schutzkonzepten
- Mitbestimmungs- und Beschwerderechte der Nutzer:innen
- Mitteilungsrechte und -pflichten
- Offenlegungspflichten und
- Ausstattungsvorgaben
(z.B. §§ 43 SGB VIII; vertiefend: Schone und Tenhaken 2015; Oppermann und Winter 2018; Grewers 2024).
Im Kinder- und Jugendhilfebereich sind zudem verbindliche Netzwerkstrukturen zwischen allen Akteuren, die zum Schutz von Kindern und Jugendlichen beitragen können, gesetzlich verankert (§ 3 KKG). Bestimmte Berufsgruppen (z.B. Ärzt:innen, Jugend- und Suchtberater:innen) sind ggf. berechtigt und verpflichtet, das Jugendamt einzuschalten, um ein Kind wirksam zu schützen (§ 4 KKG).
7 Herausforderungen
Das Handeln der kommunalen Sozialverwaltung wird vorrangig nicht von den Prioritätensetzungen der kommunalen Sozialpolitik, sondern von gesetzlichen Vorgaben (Pflichtaufgaben) und der Finanzsituation der Kommunen bestimmt.
Die Finanzsituation der Kommunen ist kritisch. Einnahmen- und Ausgabeschätzungen des Deutschen Städtetags gehen für die kommenden Jahre von hohen Milliardendefiziten aus (Deutscher Städtetag 2023, S. 7). Für die Jahre 2025 bis 2026 rechnet der Städtetag wie in vielen Jahren zuvor mit einem Anstieg der Aufwendungen für Soziale Leistungen von durchschnittlich 4,7 Prozent jährlich. Hinzuzurechnen sind die erforderlichen Personal-, Sach- und Investitionskosten (Brettschneider 2019, S. 19). Die im selben Zeitraum erwarteten Einnahmenzuwächse (3,9 %) können das steigende Ausgabenvolumen nicht kompensieren.
Der kontinuierliche Ausgabenanstieg hat in NRW dazu geführt, dass sich die Sozialausgaben seit 2009 verdoppelt haben (Deutscher Städte- und Gemeindebund 2024). Nicht absehbar ist, wie sich die soziale Leistungsfähigkeit der Kommunen vor dem Hintergrund neuer verteidigungspolitischer Herausforderungen und der sich hierdurch verengenden Verteilungsspielräume von Bund und Ländern entwickeln.
Schon seit vielen Jahren beklagen die Kommunen, dass Aufgabenzuweisung und Finanzausstattung in einem Missverhältnis stehen, obwohl der Bund sein finanzielles Engagement in der Vergangenheit bereits deutlich ausgeweitet hat. Auch wenn die finanzielle Lage der Kommunen innerhalb und zwischen den Bundesländern zum Teil sehr unterschiedlich ausfällt, ist die Lage insgesamt prekär. Der Haushalt zahlreicher Kommunen steht bereits unter staatlicher Aufsicht oder rückt dieser näher; laufende Ausgaben werden immer mehr kreditfinanziert, die Verschuldung der Kommunen wächst.
Vor dem Hintergrund der sich wieder verschärfenden Finanzlage steht auch die kommunale Sozialverwaltung unter erheblichem Druck, ihren Ausgabenzuwachs zu begrenzen. Immerhin stellen die Sozialausgaben in den kommunalen Haushalten einen der größten Posten dar, dessen Zuwachsraten über denen anderer kommunaler Aufgabenfelder liegen (Brettschneider 2019, S. 21).
Die Spielräume für Kosteneinsparungen werden allerdings dadurch begrenzt, dass es sich bei den kommunalen Sozialleistungen überwiegend um gesetzliche Pflichtleistungen handelt, die unabhängig von der Haushaltslage zu erfüllen sind. Viele der Pflichtleistungen unterliegen aber einer fall- bzw. situationsabhängigen Beurteilung, sodass Ausgabeentscheidungen in den Behörden zunehmend einem Rechtfertigungszwang ausgesetzt sind. Dies kann dazu führen, dass die Bedarfsangemessenheit von Leistungen, selbst wenn ihnen ein individueller Rechtsanspruch zugrunde liegt, in Schieflage gerät (z.B. bei einer Hilfe zur Erziehung) und gesetzliche Ansprüche mehr und mehr ausgehöhlt werden. Besonders gefährdet sind freiwillige soziale Leistungen (z.B. Ferienfreizeiten für Kinder, Beratungsangebote für Menschen in prekären Wohnverhältnissen, frauenspezifische Angebote).
Die chronische Unterfinanzierung der Kommunen legt es nahe zu prüfen, inwieweit die vorhandenen Mittel zielorientiert eingesetzt werden. Dies verlangt in Leistungsbereichen, die Dispositions- bzw. Ermessensspielräume bieten, ein fortlaufendes Monitoring. Gefragt werden kann z.B.
- Werden die Adressat:innen der jeweiligen Angebote erreicht?
- In welchem Umfang werden Angebote genutzt?
- Lässt sich von einer weniger kostenintensiven Leistungsgestaltung unter Beachtung der individuellen Bedarfsgerechtigkeit und nicht hintergehbarer Rechtsansprüche eine vergleichbare Wirksamkeit erwarten?
- Schöpfen die erbrachten Leistungen ihr Potenzial aus, Menschen wieder unabhängig von Sozialleistungen zu machen?
- Was machen andere Kommunen womöglich besser?
Ziel dieser Prüfstrategie ist es, Effizienzreserven zu erkennen, die in dem Missverhältnis zwischen Aufwand (Geld, Personal) und Ertrag (Bedarfsgerechtigkeit und Wirksamkeit der Leistungen) liegen können. Es geht darum, die knappen Mittel möglichst zielgenau und bedarfsgerecht einzusetzen, sie gleichwohl sparsam zu verwenden und den Bedarf der Berechtigten und Nutzer:innen an weiteren bzw. längerfristigen sozialen Leistungen zu verringern. Prioritäres Ziel ist, den Wirkungsgrad von Leistungen zu verbessern, d.h. mit denselben Mitteln mehr zu erreichen.
Um den finanzierungsbedingten Herausforderungen der kommunalen Sozialverwaltung zu begegnen, sind weitere Maßnahmen zu erwägen, z.B.
- sozialräumlicher Auf- und Ausbau von niederschwelligen Beratungsangeboten und Treffpunkten (Familienzentren, Stadtteilbüros, Ansprechbarkeit von Sozialarbeiter:innen auf der Straße oder im Einkaufszentrum). Zielvorstellung: Belastungssituationen von Menschen frühzeitig(er) erkennen, um fachlich geeignete Hilfen vermitteln zu können, bevor Bedarfssituationen eskalieren (z.B. Beratung bei Mietzahlungsschwierigkeiten; Familienberatung, Schuldnerberatung).
- Bündelung und Vernetzung aller Akteure vor Ort, um ein aufeinander abgestimmtes Angebot an Hilfen vorhalten zu können (Lückenschließung, Vermeidung von Mehrfachangeboten) und kooperative, unbürokratische und einfache Hilfezugänge zu erleichtern.
- Stärkung und systematische Förderung von bürgerschaftlichem Engagement und Selbsthilfeinitiativen (in der Jugendarbeit, Arbeit mit älteren und behinderten Menschen, zur Unterstützung Alleinerziehender im Alltag, Aufbau von Seniorennetzwerken).
- Förderung von sozialen Beziehungen im Wohnumfeld, die der Vereinzelung entgegenwirken und soziale Anerkennung, wechselseitigen Informationsaustausch sowie Unterstützung in alltäglichen Belastungssituationen bieten können.
Von herausragender Bedeutung wird die Stärkung und Entlastung von Familien sein, die aufgrund von sozialer Benachteiligung in den Bereichen Wohnen, Arbeit, Bildung, soziale Integration und personaler Befähigung besonderen Herausforderungen in der Lebensbewältigung gegenüberstehen. Es gilt die Chance zu nutzen, dass die nachwachsende Generation nicht (ebenfalls) in eine langfristige Abhängigkeit von sozialen Leistungen oder gar behördlichen Interventionen gerät. Hier wird es darauf ankommen, vorhandene Angebote, insbesondere
- Krippen- und Kitaplätze
- frühe Hilfen
- Elterncafés
- sozialpädagogische Familienhilfe und
- OGS-Plätze
auszubauen und verlässlicher zu machen, damit Eltern auch ihren Lebensunterhalt möglichst selbst beschaffen können. Eine enge Zusammenarbeit ist mit verwaltungsinternen und ‑externen Stellen erforderlich, die auf die Lebenslage der Menschen vor Ort Einfluss haben (z.B. Wohnungsbau, Wirtschaftsförderung).
Das hauptsächliche, auf kommunaler Ebene allein nicht lösbare Problem liegt darin, dass eine mittel- bis längerfristig wirksame, hohe Sozialausgaben und deren kontinuierliches Wachstum begrenzende kommunale Strategie nicht zum Nulltarif zu haben ist.
Das Dilemma, dass längerfristige Kostenbegrenzungen mit Investitionen verbunden sind, für die gegenwärtig keine ausreichenden Eigenmittel zur Verfügung stehen, lässt sich nur lösen, wenn Bund und Länder die Finanzkraft der Kommunen nachhaltig stärken und gegen das beständige Risiko des haushaltsbedingten Rückbaus sozialer Infrastruktur absichern. Die kommunale Sozialverwaltung könnte unter auskömmlichen Rahmenbedingungen ihr stark reaktiv geprägtes Handlungsmuster, das pflichtgemäß auf die Bearbeitung von Rechtsansprüchen und somit bereits entstandener Notlagen ausgerichtet ist, verlassen, in der Erwartung, dass Investitionen in Prävention sich am Ende amortisieren werden.
8 Quellenangaben
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Verfasst von
Prof. Dr. Rudolf Bieker
Hochschule Niederrhein/Fachbereich Sozialwesen
Lehrgebiet: Theorie und Strukturen Sozialer Dienste/Sozialverwaltung
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