Konfliktmoderation
Prof. Dr. Thomas Trenczek
veröffentlicht am 13.04.2023
Konfliktmoderation bezeichnet eine früher u.a. gegenüber der Schlichtung als eigenständig bezeichnete Art der Konfliktvermittlung, wobei der Begriff aufgrund der Regelungen des Mediationsgesetzes mittlerweile unter dem Begriff Mediation subsumiert werden kann.
Überblick
- 1 Ursprünge und Entwicklung des Begriffs
- 2 Kennzeichen der (Konflikt-)Moderation
- 3 Abgrenzungen
- 4 Quellenangaben
1 Ursprünge und Entwicklung des Begriffs
Vor allem im Bereich der systemischen Organisationsberatung versuchte man im deutschen Sprachraum in den frühen 1980er-Jahren im Hinblick auf die Konfliktvermittlung mit der Kombination aus den Begriffen Konflikt und Moderation einen (insb. in Abgrenzung zur Schlichtung, s.u. 3) eigenständigen Interventionsansatz zu definieren (Redlich 2007 und 2019; Seifert 2018). Ziel war vorrangig eine Beziehungs- und Konfliktklärung zwischen den Konfliktbeteiligten als Voraussetzung für die im Anschluss an eine Konfliktmoderation von den Parteien (selbst) zu findenden Lösungsansätze und Vereinbarungen.
2 Kennzeichen der (Konflikt-)Moderation
Der Begriff Moderation (lat. moderare = mäßigen, steuern, lenken) bezeichnet ein Verfahren (keine Methode; hierzu Kreft und Müller 2008, S. 134 ff.), welches im Wesentlichen auf der strukturierenden Unterstützung der beteiligten Personen (insb. in Gruppenprozessen) im Hinblick auf gemeinsame Arbeitsergebnisse bzw. Entscheidungen basiert. Kennzeichen der Moderation sind vor allem die Sammlung und Strukturierung der zu klärenden Themen sowie das Steuern der Diskussion durch die Moderator:innen insb. durch Gesprächsleitung, Visualisierung und andere (Moderations-)Techniken (z.B. Meta-Plan/​Kartenabfrage, Cluster-Plakat, Stimmungsbarometer und andere Bewertungsfragen, Anleitung von Kleingruppenarbeit, Maßnahmeplan). Moderator:innen haben die Aufgabe, den Arbeitsprozess der Beteiligten (insb. von Gruppen) zu fördern, indem sie die Beteiligten dabei unterstützen, gemeinsame (Arbeits-)Ziele zu formulieren, die offenen Fragen zu identifizieren und zu analysieren sowie die Vor- und Nachteile einer Regelung bzw. Lösung abzuwägen und möglichst einer einvernehmlichen Klärung zuzuführen – ohne sich dabei selbst inhaltlich in die Sache einzubringen.
Es lag deshalb nahe, in der Kombination mit dem Begriff „Konflikt“ die (Konflikt-)Moderation auch explizit als Bezeichnung auf Verfahren anzuwenden, um Streitigkeiten möglichst frühzeitig zu bearbeiten und möglichst (präventiv) vor der Eskalation zu bewahren. Kennzeichen sind mithin ein strukturierter Ablaufplan (sog. Moderationszyklus), insb. die Visualisierung von Verlauf und Inhalt des Prozesses, vereinbarte Gesprächsregeln sowie ein prozessorientiertes, lösungsorientiert auf zukünftiges Verhalten gerichtetes Vorgehen der Moderator:innen, um unterschiedliche Positionen möglichst zu einem Ausgleich zu bringen. Die Moderator:innen sind unparteiisch und gegenüber den Anliegen der Konfliktbeteiligten neutral eingestellt. Die Konfliktmoderator:innen verstehen sich nicht als Problemlöser, vielmehr wollen sie den Rahmen schaffen, in dem die Beteiligten die ihnen wichtigen Themen konstruktiv bearbeiten und zu einer Lösung führen können. Konfliktmoderation sei wie eine Führung durch schwieriges Gelände, in dem der Reisegruppe bestimmte Gefahren drohen, die nur der konfliktkundige Moderator kenne und bewältigen könne (Redlich 2007, S. 3).
3 Abgrenzungen
Der Begriff Konfliktmoderation entstand einerseits in Abgrenzung zum Begriff der Schlichtung, in der die Dritten über ein mitunter bindendes Vorschlagsrecht in der Sache verfügen (hierzu Trenczek et al. 2017, Kap. 1.1., S. 38 f. und 60), andererseits in Abgrenzung zu dem angelsächsisch geprägten und in der englischen Sprache ohne ergänzende Adjektive (evaluative, facilitative, settlement bzw. transformative mediation) inhaltsleeren Mediationsbegriff (hierzu Trenczek et al. 2017, Kap. 1.1.3.3, S. 58 ff.). Dabei wird mitunter Wert gelegt auf eine Abgrenzung vom sog. Harvard-Konzept des sachorientierten Verhandelns, welches von Fischer und Ury (1981) an der Harvard Law School entwickelt wurde, wobei die immanente Gleichsetzung von (nicht selten als zu ökonomisch diskreditierten) Harvard-Konzept und Mediation viel zu kurz greift (Trenczek et al. 2017, Kap. 1.1.3.1, S. 42 ff., Kap. 7.2, S. 683). Ziel der Konfliktmoderation sei vorrangig eine Beziehungs- und Konfliktklärung zwischen den Beteiligten als Voraussetzung für die im Anschluss an eine Konfliktmoderation von den Parteien (selbst) zu findenden Lösungsansätze und Vereinbarungen. Mitunter wird dabei übersehen, dass die Mediation (ebenso wie das für die Konfliktmoderation deklariert wird) ein ergebnisoffenes Vermittlungsverfahren darstellt, ungeachtet des im Konkreten von den Parteien zu definierenden Ziels, eigenverantwortlich (ohne Rat- und Vorschläge der Dritten) eine einvernehmliche Beilegung des Konflikts zu erreichen.
Machte die Abgrenzung zum Schlichtungsbegriff auch handlungsmethodisch Sinn, sind mittlerweile die begrifflichen Unterschiede im Hinblick auf den in Deutschland seit 2012 gesetzlich definierten Mediationsbegriff überholt. Unter Berücksichtigung der normativ definierten Wesensmerkmale des Mediationsverfahrens (Trenczek et al. 2017, Kap. 1.1.3.2, S. 46 ff.) eignet sich keines der o.g. (s. 2.) Merkmale der Konfliktmoderation dazu, diese gegenüber der Mediation als eigenständiges Verfahren bzw. Vermittlungskonzept anzusehen, zumal auch unter der normativen Ägide des Mediationsbegriffs durchaus unterschiedliche Ausrichtungen und Schwerpunktlegungen möglich sind. Mögen manche (in Anlehnung an das Harvard-Modell) vor allem ökonomisch-spieltheoretisch orientierte Praxismodelle tendenziell der Lösung von Sachkonflikten Vorrang geben (ohne freilich den in jedem Konflikt vorhandenen Beziehungsaspekt zu negieren), ist das primäre Ziel der sog. transformativen Mediation die Beziehungsklärung. Sichtbar werden damit allenfalls idealtypisch, nicht selten verzerrt dargestellte Ausprägungen, die solange unschädlich sind, solange die entsprechende Vermittlungspraxis die fachlichen Mindeststandards des Mediationsgesetzes einhält.
Das, was u.a. von Redlich et al. als Konfliktmoderation entwickelt wurde, entspricht heute in Deutschland nicht nur begrifflich, sondern auch im Ablauf und den Phasen des Verfahrens und Vorgehen des Dritten (hierzu Redlich 2007, S. 14 ff.; Trenczek et al. 2017, Kap. 3.2, S. 291 ff.) im Wesentlichen der (in der englischen Sprache als „facilitative“ bezeichneten, d.h. fördernden, interessensbasierenden) Mediation, wie sie in § 1 MediationsG definiert ist. Von Bedeutung ist insoweit, dass die Vorschriften des deutschen Mediationsgesetzes funktional an die Tätigkeit der/des Dritten anknüpfen. Danach ist Mediation ein vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem Parteien mithilfe eines oder mehrerer Mediator:innen freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben (§ 1 Abs. 1 MediationsG). Mediator:in ist eine unabhängige und neutrale Person, die die Parteien durch die Mediation führt (§ 1 Abs. 2 MediationsG). Maßgebend ist insoweit allein der mit den (Konflikt-)Parteien vereinbarte Auftrag (Greger et al. 2016, MediationsG, § 1 Rn 11; Trenczek 2022, 28). Wurde vereinbart, dass die Parteien in der (Streit-)Sache selbst (eigenverantwortlich) eine Regelung bzw. Lösung erarbeiten und die Dritten in der Streitsache ohne Entscheidungsbefugnis in der Streitsache vermitteln, dann handelt es sich um eine Mediation i.S.d. § 1 Abs. 1 MediationsG. Mithin ist jede Person, die eine Mediation im Sinne des § 1 Abs. 1 MediationsG in der Streitsache durchführt, Mediator:in im Sinne von § 1 Abs. 2 MediationsG (funktionaler Mediatorenbegriff) und unterliegt damit den normativ-fachlichen Standards des Mediationsgesetzes, unabhängig davon, ob das Verfahren bzw. das Vorgehen der Dritten als „Mediation“, (Konflikt-)„Moderation“, „Klärungshilfe“, „Schlichtung“, Organisationsberatung, „Workshop“ oder was auch immer bezeichnet wird (hierzu ausführlich Trenczek 2022, S. 26 ff.).
Konfliktmoderation und Mediation im Sinne des Mediationsgesetzes sind mithin Synonyme, wobei es im Hinblick auf die (gesetzlich normierten) fachlichen Mindeststandards zu mehr Klarheit führt, auch in der (Beratungs- und Vermittlungs-)Praxis den gesetzlich normierten Mediationsbegriff zu verwenden. Soweit der Begriff Konfliktmoderation als spezifisches Verfahren für die Bearbeitung Gruppenkonflikten (in Organisationen) Verwendung findet, mag das Element der Gruppe zwar als Hinweis auf die Komplexität des Konflikts und die (methodischen, konfliktdynamischen) Herausforderungen für die Bearbeitung des Konflikts hilfreich sein, es ist aber im Hinblick auf das MediationsG kein geeignetes Abgrenzungsmerkmal zwischen Mediation und Konfliktmoderation.
Mitunter wird der Begriff Konfliktmoderation (ebenso wie Organisationsberatung oder gar Teamworkshop etc.) aber auch deshalb (immer noch) gern verwendet, weil man den Mediationsbegriff nicht für marktfähig hält (zumal er früher auch falsche Assoziationen auslöste, z.B. „Meditation“) bzw. der Begriff Mediation angeblich eine erhöhte Eskalationsstufe des Konflikts suggeriere, der die Beteiligten eher abschrecke und Widerstand gegen dessen Bearbeitung auslöse. Der Begriff Konfliktmoderation sei niedrigschwelliger und eigne sich vor allem dann, wenn die Beteiligten (einer Gruppe) den Konflikt nicht (unbedingt) lösen (weil manchmal auch nicht wahrhaben) wollen. Problematisch ist die Verwendung des Begriffs Konfliktmoderation bzw. die Vermeidung des Mediationsbegriff (bzw. eine begriffliche Beliebigkeit) allerdings dann, wenn man meint, sich auf diese Weise dem Geltungsbereich des Mediationsgesetzes entziehen zu können (hierzu Trenczek 2022, S. 16 ff.).
Selbstverständlich moderiert auch ein:e Mediator:in das Gespräch zwischen den Konfliktparteien, beschränkt sich aber nicht auf eine die Verfahrenskontrolle (Starten, Führen und Leiten durch die spezifischen Phasen des Mediationsverfahrens, Agenda-Setting und Strukturgebung) und Gesprächsmoderation (Neugestaltung und Steuern der Kommunikation, aktives Zuhören und Fragekunst), sondern unterstützt die Parteien – wie es im Übrigen auch die Konfliktmoderator:innen für sich in Anspruch nehmen (Redlich 2007, S. 15 ff.) – durch Einsatz von prozess- und lösungsorientierten Interventionstechniken im Sinne einer Klärungshilfe (zur Rolle und den Aufgaben von Mediator:innen s. Trenczek et al. 2017, Kap. 2.12, S. 182 ff.). Die bloße (Gesprächs-)Moderation allein stößt in eskalierten bzw. komplexen Konflikten recht schnell an ihre Grenzen. Wenn man es denn in einer Kurzformel ausdrücken mag, ist eine Mediation stets Moderation plus Klärungshilfe bzw. anders formuliert: Konfliktmoderation ist stets Teil eines fachgerechten Mediationsverfahrens.
4 Quellenangaben
Fisher, Roger und William Ury, 1981. Getting to Yes. Boston: Houghton Mifflin. ISBN 978-0-395-31757-0
Greger, Reinhard, Hannes Unberath und Felix Steffek, 2016. Recht der alternativen Konfliktlösung: Mediationsgesetz, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz: Kommentar. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. München: C.H. Beck. ISBN 978-3-406-67689-5
Kreft, Dieter und C. Wolfgang Müller, 2008. Konzepte, Methoden, Verfahren und Techniken in der Sozialen Arbeit. In: Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit. 59(2), 2008, S. 134–142. ISSN 0342-2275
Redlich, Alexander, 2007. Konfliktmoderationen in Gruppen. Hamburg: Universität Hamburg. ISBN 978-3-939945-06-2 [Rezension bei socialnet]
Redlich, Alexander, 2019. Konfliktmoderation mit Gruppen. 8. Auflage. Hamburg: Windmühle, Edition bei Feldhaus. ISBN 978-3-86451-059-5
Seifert, Josef W., 2018. Konfliktmoderation – Ein Leitfaden zur Konfliktklärung. 3. überarbeitete Auflage. Offenbach: GABAL. ISBN 978-3-86936-840-5
Trenczek, Thomas, 2022. „Flucht in die Begrifflichkeiten – Zum funktionalen Mediatorenbegriff und einer teilweise rechtswidrigen Beratungspraxis“. In: Zeitschrift für Konfliktmanagement. 25(1), S. 26–29. ISSN 1439-2127
Trenczek, Thomas, Detlev Berning, Cristina Lenz und Hans-Dieter Will, Hrsg. 2017. Mediation und Konfliktmanagement: Handbuch. 2. Auflage. Baden-Baden: Nomos. ISBN 978-3-8487-2948-7 [Rezension bei socialnet]
Verfasst von
Prof. Dr. Thomas Trenczek
M.A.
eingetragener Mediator (BMJ, Wien; NMAS); Lehrtrainer (BMWA), SIMK Hannover
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