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Konfrontative Pädagogik

Prof. Dr. Jens Weidner, Prof. (em.) Dr. Rainer Kilb

veröffentlicht am 03.05.2023

Abkürzung: KP

Englisch: confrontational pedagogy

Konfrontative Pädagogik umschreibt verschiedene konfrontativ angelegte Methoden und Ansätze im Umgang mit gewalttätigen jungen Menschen, wie etwa das Anti-Aggressivitäts- und das Coolness-Training.

Überblick

  1. 1 Allgemeine Erläuterungen und Einordnung
  2. 2 Professionelle Haltung und methodische Eckpfeiler
  3. 3 Evaluation
  4. 4 Quellenangaben
  5. 5 Hinweise im Internet

1 Allgemeine Erläuterungen und Einordnung

Die „Konfrontative Pädagogik“ ist keine in sich geschlossene pädagogische Theorie, sondern sie bezeichnet einen sozialpädagogischen Handlungsstil sowie ein methodisches Verfahren, das auf die Förderung von Selbstverantwortung der Adressat:innen abzielt. Hinter diesem Handlungsstil steht die Haltung der intervenierenden Pädagog:innen, eine Missachtung sozial-kommunikativer Gruppenbezüge oder eine Verletzungen individueller Freiheitsrechte nicht zu akzeptieren, „sondern die Regelverletzer mit einer von ihnen begangenen Verletzung oder Regelüberschreitung selbst bzw. mit der/den hiervon betroffenen Person/en möglichst rasch und direkt zu konfrontieren. Gleichzeitig gilt es dabei, die regelverletzende Person innerhalb der pädagogischen Beziehung ernst zu nehmen und damit auf der personalen Ebene zu respektieren“ (Weidner und Kilb 2011, S. 1).

Das Anti-Aggressivitäts-Training wurde in Deutschland im Jahre 1987 im Rahmen einer interdisziplinären Arbeitsgruppe der niedersächsischen Justiz konzipiert, um delinquente Aggressive mit dem Unrecht ihrer Taten und dem verursachten Opferleid zu konfrontieren und ihnen die Normen und Gesetze zu vermitteln. Voraussetzung für die Konfrontation mit der Tat ist die Interventionserlaubnis der Täter:innen. Die KP folgt dem Leitsatz, die Täter:innen und ihre herausfordernden Biografien zu verstehen, nicht aber mit ihren Taten einverstanden zu sein. Die KP ist viktimologisch ausgerichtet und strebt im Sinne einer tertiären Prävention das Ziel an, zukünftige Opfer durch die Behandlung der Täter:innen zu vermeiden. Sie findet ihre häufigste praktische Anwendung in den eigens entwickelten Anti-Aggressivitäts- (Justiz) und Coolness-Trainings (Jugendhilfe, Schulen).

2 Professionelle Haltung und methodische Eckpfeiler

Die KP favorisiert im Umgang mit aggressiven Menschen ein professionelles, selbstbewusstes, aber nicht machtverliebtes Auftreten. Dieses professionelle Selbstverständnis soll zu 80 % einfühlsam, verständnisvoll, verzeihend und non-direktiv sein, aber durch 20 % Durchsetzungs-, Konflikt- und Grenzziehungsbereitschaft ergänzt werden.

Die KP orientiert sich methodisch – wie bei zahlreichen sozialen Trainingsprogrammen üblich – am lerntheoretisch-kognitiven Paradigma. Sie sieht sich in der Tradition der geisteswissenschaftlichen Pädagogik und ihrem Erziehungsanspruch. Folgende Eckpfeiler sind für das Verständnis dieses Ansatzes zentral:

  1. Die KP versteht sich als Erziehungs-Ultima Ratio, als letztes Mittel, wenn akzeptierendes Begleiten nicht mehr ausreicht, um Schädigungen Dritter zu vermeiden.
  2. Die KP ist interventionistisch, das heißt, um die Betroffenen wird aktiv geworben und sie werden zur Veränderung motiviert.
  3. Die KP ist in ihrer Kommunikation direkt, konfrontativ, normativ und Grenzen ziehend.
  4. Sie ist ein delikt- und defizitspezifischer Ansatz, der von einem optimistischen Menschenbild geprägt ist.
  5. Die KP ist ein Behandlungsansatz, der die primäre (Eigenmotivation) und sekundäre (äußerer Druck durch Polizei, Justiz, Schulleitung) Veränderungsmotivation akzeptiert.
  6. Die KP setzt auf den pädagogischen Bezug und favorisiert folgende Erziehungsziele: die Förderung prosozialen Verhaltens, die Steigerung moralischen Bewusstseins und die Erweiterung der Handlungskompetenz der Betroffenen, damit sie zukünftige Konflikte nicht mehr mit Gewalt lösen.

3 Evaluation

Es gibt seit 1990 eine Vielzahl von Evaluationen zu den sozialen Trainingsprogrammen der Konfrontativen Pädagogik, speziell zum Anti-Aggressivitäts-Training und zum Coolness-Training. Zusammenfassend wird in diesen Studien (Deutsches Institut für Konfrontative Pädagogik 2023) belegt, dass die Trainingsprogramme zu einer quantitativen und qualitativen Reduzierung von aggressiven Handlungen bei den Proband:innen führen.

Die neueste Studie stammt vom Amt für Bildung der Hamburger Behörde für Berufs- und Schulbildung, das an 47 Schulen 1772 auffällige, aggressive Schüler:innen mit dem Coolness-Training (Cool-in School) behandelt hat. Das Ergebnis:

„96 Prozent der Trainer:innen geben an, dass bei den teilnehmenden Schüler:innen die prosozialen Verhaltensweisen gefördert wurden. 100 Prozent der Schulleitungen bestätigen ebenfalls diese Aussage. 69 Prozent der Trainer:innen geben an, dass die Teilnehmer:innen Empathie für die Geschädigten entwickelt haben. Bestätigt wird dies auch durch die Aussage der Schüler:innen, dass ‚es ihnen nicht egal ist, wenn sie andere absichtlich verletzten‘. […] 83 Prozent der Schüler:innen bestätigen nach Teilnahme an den Trainings, dass sie durch die Teilnahme an Cool in School Möglichkeiten kennengelernt haben, ‚was sie statt Schlagen tun können‘. […] Daraus kann unter anderem geschlossen werden, dass Cool in School von den Schulen zielgerecht eingesetzt wird“ (Amt für Bildung Hamburg 2022, S. 2).

Entsprechend formuliert der Kriminologe Dieter Rössner: „Wenn die Regeln der Gewaltfreiheit überschritten werden, ist konfrontative Pädagogik gefragt. Die Grenzen müssen klar sein. Schon wer verbale Gewalt ausübt, muss in die Schranken gewiesen werden, und zwar von allen […] und zwar durchaus in einem konstruktiven Sinn mit der Botschaft: Wir setzen uns mit dir auseinander, weil du uns wichtig bist. In differenzierender Weise ein klares Nein zur Gewalt, aber auch ein Ja zur Person“ (Bannenberg und Rössner 2006, S. 1).

Entsprechend resümieren der Hirnforscher Markowitsch und Siefer (2007, S. 200): „Das Coolness Training ist in seiner Idee und theoretischen Fundierung sehr begrüßenswert. Es setzt auf positive Emotionen, basiert auf vielfältigen – bewussten wie unbewussten – Lernprozessen und ebnet somit die Bereitschaft, gewaltlos zu handeln.“

4 Quellenangaben

Amt für Bildung Hamburg, 2022. Cool in School®: Fortschreibung der Evaluation: Ergebnisse des achten Evaluationsdurchgangs Schuljahr 2021/2022 [online]. Schreiben vom 01.12.2022 der Behörde für Schule und Berufsbildung der Freien und Hansestadt Hamburg. Hamburg: Freie und Hansestadt Hamburg [Zugriff am: 29.04.2023]. Verfügbar unter: https://www.hamburg.de/contentblob/?16745012/?3491e39b850dd847ca95f2e67675416f/data/pdf-evaluation-cool-in-school-21-22.pdf

Bannenberg, Britta und Dieter Rössner, 2006. Erfolgreich gegen Gewalt in Kindergärten und Schulen. München: Beck. ISBN 978-3-406-54140-7 [Rezension bei socialnet]

Deutsches Institut für Konfrontative Pädagogik, 2023. Forschung [online]. Hamburg: Deutsches Institut für Konfrontative Pädagogik, 2023 [Zugriff am: 20.03.2023]. Verfügbar unter: https://www.konfrontative-paedagogik.de/forschung

Markowitsch‚ Hans J. und Werner Siefer, 2007. Tatort Gehirn. Frankfurt am Main: Campus. ISBN 978-3-593-40328-1

Weidner, Jens und Rainer Kilb, Hrsg., 2011. Handbuch der Konfrontativen Pädagogik. Weinheim: Beltz-Juventa. ISBN 978-3-7799-0796-1

5 Hinweise im Internet

Verfasst von
Prof. Dr. Jens Weidner
Professor für Kriminologie und Erziehungswissenschaften an der Fakultät Wirtschaft und Soziales der Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Hamburg
Mitinhaber des Deutschen Instituts für Konfrontative Pädagogik
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Prof. (em.) Dr. Rainer Kilb
Lehrbeauftragter HS Mannheim
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Es gibt 1 Lexikonartikel von Jens Weidner.
Es gibt 1 Lexikonartikel von Rainer Kilb.

Zitiervorschlag
Weidner, Jens und Rainer Kilb, 2023. Konfrontative Pädagogik [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 03.05.2023 [Zugriff am: 13.10.2024]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/659

Link zur jeweils aktuellsten Version: https://www.socialnet.de/lexikon/Konfrontative-Paedagogik

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