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Kostengemeinschaft

Thomas von Holt

veröffentlicht am 01.02.2021

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Rechtlicher Disclaimer: Herausgeberin und Autor:innen haften nicht für die Richtigkeit der Angaben. Beiträge zu Rechtsfragen können aufgrund geänderter Rechtslage schnell veralten. Sie ersetzen keine individuelle Beratung.

Fassung: Überarbeitung

Bei der Kostengemeinschaft für gemeinwohlorientierte Dienstleistungen gemäß der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) unterliegen Leistungen der Verbundleitung an die Mitglieder des Verbundes nicht der Mehrwertsteuer (= Umsatzsteuer). Dies kann z.B. für verbandsinterne Leistungen eine deutliche Kostenersparnis darstellen.

Die Kostengemeinschaft, aufgrund ihrer Auswirkungen auch als „kleine Organschaft“ bezeichnet, kann im Gegensatz zur umsatzsteuerlichen Organschaft nur von solchen Organisationen gebildet werden, die gemeinwohlorientierte Leistungen erbringen. (EuGH, Urteil v. 21.09.2017, C-326/15, DNB Banika; EuGH, Urteil v. 21.09.2017, C-605/15, Aviva). Als gemeinwohlorientierte Leistungen gelten die in Art. 132 MwStSystRL aufgeführten Tätigkeiten (Heilbehandlungen, Pflege, Jugendhilfe, Aus- und Fortbildung, Sozialfürsorge etc.). Im deutschen Recht wurde diese Umsatzsteuerbefreiung nur teilweise umgesetzt (§ 4 Nr. 29 UStG). Dadurch Benachteiligte können sich vor deutschen Gerichten unmittelbar auf die weitergehende Befreiung nach der MwStSystRL berufen.

Nach Art. 132 Abs. 1 lit. f MwStSystRL sind die gemeinwohlorientierten Dienstleistungen

  • selbstständiger Zusammenschlüsse von Personen umsatzsteuerfrei, soweit
  • diese Personen eine Tätigkeit im ideellen Bereich ausüben oder mit ihren Leistungen von der Umsatzsteuer befreit sind und
  • die Dienstleistungen an ihre Mitglieder für unmittelbare Zwecke der Ausübung dieser Tätigkeit
  • gegen Selbstkostenerstattung erbringen,
  • solange die Befreiung nicht zu übermäßigen Wettbewerbsverzerrungen führt.

Bei der Rechtsform des mitgliedschaftlichen Verbundes (Zusammenschluss) kann es sich um eine Personengesellschaft oder eine juristische Person handeln. Denn eine unterschiedliche Behandlung zwischen Personengesellschaften und juristischen Personen würde nach der Rechtsprechung des EuGH den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verletzen (EuGH, Urteil v. 16.07.2015, C-108/14 und C-109/14, Larentia + Minerva). Mitglieder eines solchen Zusammenschlusses können daher nicht nur Mitglieder eines Vereins, sondern auch Gesellschafter oder Genossen sein. Der Zusammenschluss muss aber Unternehmerqualität haben (nur Tätigkeiten von Unternehmern werden in der MwStSystRL geregelt). Ein Vertragsverhältnis z.B. als Konsortium, welches noch nicht einmal die Anforderungen an eine GbR (Gesellschaft bürgerlichen Rechts) erfüllt, genügt daher nicht.

Als selbstständige Zusammenschlüsse kommen insbesondere Vereine, gGmbHs mit mehreren Gesellschaftern, Genossenschaften (BFH, Urteil v. 23.04.2009 – V R 5/07; FG Düsseldorf, Urteil v. 04.04.2012 – 5 K 3139/09 U; FG Münster, Urteil v. 14.02.2017 – 15 K 33/14 U) und GbRs (FG Münster, Urteil v. 12.01.2017 – 5 K 23/15 U), aber auch öffentlichrechtliche Zweckverbände in Betracht. Der Zusammenschluss muss durch mindestens zwei Beteiligte zu einem Verbund – bestehend aus diesem und seinen beiden Beteiligten – gebildet sein; eine GmbH mit nur einem Alleingesellschafter reicht mangels „Zusammenschluss“ von Mitgliedern unter einer Verbundleitung nicht aus (vgl. BFH, Urteil v. 02.12.2015 – V R 67/14).

Es ist nicht erforderlich, dass alle Mitglieder des Zusammenschlusses im gleichen Umfang Leistungen beziehen. Es ist sogar ausreichend, dass nur einige oder eines der Mitglieder im Geschäftsjahr von der Verbundleitung Leistungen bezieht (EuGH, Urteil v. 11.12.2008, C-407/07, Stichting …).

Der Steuerfreiheit der Leistungen nach Art. 132 Abs. 1 lit. f MwStSystRL steht es nicht entgegen, wenn die Verbundleitung neben diesen steuerfreien Leistungen auch weitere, anders geartete Leistungen erbringt.

Die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 lit. f MwStSystRL ist nicht auf Zusammenschlüsse von Mitgliedern mit ausschließlich ideellen oder steuerfreien Tätigkeiten beschränkt; vielmehr sind die Leistungen auch dann steuerfrei, wenn Mitglieder außer den genannten Tätigkeiten noch andere (steuerpflichtige) Tätigkeiten ausüben (EuGH, Urteil v. 04.05.2017, C-274/15, Kommission/​Luxemburg). In diesem Fall ist aber nach der Leistungsverwendung durch das Mitglied zu differenzieren. Wenn das Mitglied die Leistungen des Zusammenschlusses für steuerpflichtige Tätigkeiten verwendet, ist auch sein Leistungsbezug vom Zusammenschluss steuerpflichtig. Dem Verbund müssen aber alle Organisationen als Mitglied angehören, denen die Umsatzsteuerbefreiung der Leistungen des Verbundes unmittelbar zugutekommen. Die Befreiungsvorschrift greift daher nur für Verbundstrukturen, bei denen alle dadurch Begünstigten dem Verbund als Mitglied angehören, bei umsatzsteuerlichen Organschaften müssen daher sowohl der Organträger wie alle begünstigten Organgesellschaften dem Verbund als Mitglied angehören (EuGH, Urteil v. 18.11.2020, C-77/19, Kaplan Internat. College, Rz. 50: „alle Mitglieder der Mehrwertsteuergruppe“). Hierauf ist bei umsatzsteuerlichen Organschaften zu achten.

Die Rechtsgrundlage des Leistungsbezugs muss sich nicht aus dem Gesellschaftsvertrag oder dem Statut ergeben, sondern darf auch ergänzender schuldrechtlicher Natur sein.

Die Befreiung erfasst nach dem Wortlaut nur solche Leistungen, die unmittelbar für ideelle oder steuerfreie Tätigkeiten verwendet werden. Die deutsche Finanzverwaltung will hierzu eine restriktive Sichtweise vertreten unter Berufung auf die EuGH-Rechtsprechung, nach der Steuerbefreiungstatbestände angeblich „eng“ auszulegen wären. Sie verkennt hierbei, wie die meisten Fachautoren und bisher auch der BFH, dass der EuGH unter „enger“ Auslegung eine genau am Schutzzweck der Richtlinienbestimmung orientierte Auslegung versteht (so z.B. der englische Wortlaut der Urteile, z.B. EuGH v. 21.09.2017 C-616/15, Kommission, Rz. 49 – englische Fassung – : „interpreted strictly“). Der EuGH stellt daher darauf ab, ob die Leistungen des Zusammenschlusses unmittelbar zur Ausübung solcher Tätigkeiten beitragen, die in Art. 132 MwStSystRL aufgeführt sind (EuGH, Urteil v. 21.09.2017, C-616/15, Kommission/​Deutschland). Daher werden alle Leistungen der Zusammenschlüsse an Mitglieder befreit sein, die bei den Mitgliedern zu den Einzelkosten der ideellen oder steuerfreien Tätigkeiten des Mitglieds gehören. Fraglich ist damit die Steuerbefreiung von solchen Leistungen nach Art. 132 Abs. 1 lit. f MwStSystRL des Zusammenschlusses an Mitglieder, die bei diesen zu den Gemeinkosten gehören, wenn das Mitglied nicht nur ideelle oder steuerfreie Tätigkeiten ausübt.

Die Befreiungsvorschrift kann daher bei vielen gemeinnützigen Organisationen greifen, da diese häufig im ideellen Bereich tätig sind oder umsatzsteuerfreie Leistungen erbringen.

Nach der Richtlinienbestimmung ist die Befreiung nur anwendbar, soweit sie nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führt. Da Leistungen an Mitgliedsorganisationen grundsätzlich immer auch kommerziell erbracht werden können, hätte die Befreiungsvorschrift bei einer zu weitgehenden Berücksichtigung des Wettbewerbs keinen Anwendungsbereich. In Fortführung dieser Überlegung darf eine Einschränkung aus Gründen des Wettbewerbs nach der Rechtsprechung des EuGH zur insoweit vergleichbaren Richtlinienbestimmung des Art. 133 nicht zu einem weitgehenden Anwendungsausschluss der Befreiung führen (Kernbereichslehre, z.B. EuGH v. 19.12.2013 – C-495/12 – Bridport, Rz. 35–37), sodass der Begriff der Wettbewerbsverzerrung nach dieser Maßgabe und damit unter Abwägung der Zielsetzung der Befreiungsvorschrift und der einhergehenden konkreten (EuGH v. 20.11.2003 – C-8/01 – Taksatorringen, Rz. 65) Wettbewerbsintensität auszulegen ist (Relativität des Neutralitätsgrundsatzes, hierzu Holt 2019, Rn 20.8). Hier gilt: je spezifischer die Leistungen auf die Mitglieder abgestimmt sind, desto sicherer ist eine Wettbewerbsverzerrung zu verneinen. Wegen dieser Rechtsunsicherheit und da in einer Kostengemeinschaft nur die Umsätze an die Mitglieder bzw. Gesellschafter befreit sind, ist die Inanspruchnahme der Umsatzsteuerbefreiung einer Kostengemeinschaft als Gestaltungsalternative zur umsatzsteuerlichen Organschaft in Deutschland noch nicht sehr verbreitet.

Nachdem der EuGH die unzureichende Umsetzung dieses Befreiungstatbestandes im deutschen Recht festgestellt und damit zugleich einen relevanten Anwendungsspielraum der Befreiungsvorschrift angedeutet hat (EuGH, Urteil v. 21.09.2017, C-616/15, Kommission/​Deutschland), war der deutsche Gesetzgeber zur Umsetzung dieser Befreiungsvorschrift in § 4 Nr. 29 UStG gezwungen und wird diese Gestaltungsvariante künftig wesentlich häufiger genutzt werden. Die Finanzverwaltung erlässt zu der Befreiungsvorschrift nach ihrem eigenen Bekunden möglichst restriktiv gefasste Anwendungsbestimmungen im Umsatzsteueranwendungserlass (UStAE). Unabhängig vom Ausmaß der Umsetzung dieser Befreiungsvorschrift im deutschen Recht können sich Betroffene unmittelbar auf die von Art. 132 Abs. 1 lit. f MwStSystRL gewährte Umsatzsteuerbefreiung berufen. Während die Finanzverwaltung herauf in der Regel restriktiv reagiert, wurde die vollumfängliche unmittelbare Anwendbarkeit der Befreiung von den deutschen Finanzgerichten bejaht (z.B. BFH, Urteil v. 23.04.2009 – V R 5/07; FG Düsseldorf, Urteil v. 04.04.2012 – 5 K 3139/09 U; FG Münster, Urteil v. 14.02.2017 – 15 K 33/14 U, Urteil v. 12.01.2017 – 5 K 23/15 U).

Quellenangaben

Holt, Thomas von, 2019. Rn 20.8. In: Birgit Weitemeyer, Stephan Schauhoff und Markus Achatz, Hrsg. Umsatzsteuerrecht für den Nonprofitsektor. Köln: Otto Schmidt. ISBN 978-3-504-24008-0

Verfasst von
Thomas von Holt
Rechtsanwalt und Steuerberater
Tätigkeitsschwerpunkt Recht und Steuerrecht der Nonprofit-Organisationen
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  1. 01.02.2021 Thomas von Holt [aktuelle Fassung]
  2. 29.01.2018 Thomas von Holt

Zitiervorschlag
von Holt, Thomas, 2021. Kostengemeinschaft [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 01.02.2021 [Zugriff am: 14.01.2025]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/29590

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