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New Work

Prof. (i.R.) Dr. Hans-Jürgen Balz

veröffentlicht am 09.02.2022

Etymologie: engl. new neu; work Arbeit

New Work ist ein Sammelbegriff für die kritische Analyse von Erwerbsarbeit und die Debatte um Wege zur Umstrukturierung der Arbeitsorganisation in kapitalistischen Industrieländern.

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Zum Ursprung des Konzepts
  3. 3 Praxisprojekte im Kontext von New Work
  4. 4 Aktuelle Debatte und verändertes Begriffsverständnis von New Work
  5. 5 Quellenangaben
  6. 6 Literaturhinweise

1 Zusammenfassung

In politischen Initiativen im Kontext von New Work wird eine Neubewertung der Inhalte von Erwerbsarbeit innerhalb und außerhalb von formalen Beschäftigungsverhältnissen gefordert. Für den innerbetrieblichen Kontext strebt New Work u.a. eine mitarbeitergerechte Führung, ein Mehr an betrieblicher Mitbestimmung und Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeitenden in der Arbeitsausführung sowie eine Flexibilisierung von Arbeitsabläufen an.

2 Zum Ursprung des Konzepts

Der Begriff New Work (Neue Arbeit) geht auf den Sozialphilosophen Frithjof Bergmann (1930–2021) zurück. Der Autor kritisiert bereits in den 1960er- und 1970er-Jahren die entfremdete Erwerbsarbeit in den entwickelten kapitalistischen Ländern und formuliert einen systemkritischen Gegenentwurf zum traditionellen Verständnis von Erwerbsarbeit und der Praxis fremdbestimmter und sinnentleerter Industriearbeit (Bergmann 1977; Bergmann und Friedmann 2004). Bergmann fordert für die Mitarbeitenden mehr Eigenverantwortlichkeit, einen größeren Gestaltungsspielraum, die Integration von Arbeit und Lernen sowie die ganzheitliche Berücksichtigung menschlicher Bedürfnisse in der Arbeitswelt. Seine Maxime für die Umgestaltung der Arbeitswelt lautet: „Das Finden der Arbeit, die wir wirklich wirklich wollen“ (Bergmann 2004, S. 323). Damit stellt er die Suche nach einer individuell sinnerfüllenden Tätigkeit in den Mittelpunkt menschlicher Existenz.

3 Praxisprojekte im Kontext von New Work

Frithjof Bergmann verbindet mit seinem Konzept nicht nur einen theoretischen Gegenentwurf zur kapitalistischen Arbeitsorganisation. Seine Ideen brachten Bergmann und seine Mitarbeiter*innen auch in zahlreichen Beschäftigungsinitiativen und Arbeitsprojekten ein. Zu den bekanntesten gehört das Projekt in Flint, einem großen Standort der amerikanischen Automobilindustrie. Hier gab es Anfang der 1980er-Jahre eine massive Rationalisierungswelle bei General Motors. Als Gegenentwurf zur drohenden Massenarbeitslosigkeit schlug Bergmann die 6:6 Lösung vor, d.h. 6 Monate Erwerbsarbeit unter den bestehenden Bedingungen der Fließbandarbeit und 6 Monate im Jahr die Beschäftigung mit für die Einzelnen sinnvollen Tätigkeiten, d.h. Eigenarbeit zur Selbstversorgung, Entwicklung von Arbeits- und Technologieprojekten, Bildung u.a. (Bergmann 2004, S. 127 ff.).

Seine Projekte waren an Schulen, Behörden, Stadtverwaltungen und in der Stadtteilarbeit mit besonderen Gruppen (Jugendliche, Senioren u.a.) angesiedelt. Im Sinne eines Beschäftigungsprojektes lässt sich seine Arbeit im Hochsicherheitsgefängnis in Detroit mit jungen Männern nennen. Nach zahlreichen misslungenen Versuchen, die Insassen für ein Dachgartenprojekt (analog zu einem laufenden Projekt in Detroit) zu begeistern, führte ihn der Zufall zu einer Firma der Motorradmontage, die in finanzielle Schieflage geraten war und dringend Mitarbeitende suchte. In diesem Kontext wurden die Insassen in einem Arbeitsprojekt eingebunden und zeigten auch längerfristig ein hohes persönliches Engagement (Bergmann 2004, S. 264 ff.). Zusammen mit Stella Friedmann lässt Bergmann in „Neue Arbeit kompakt“ Menschen mit ihren Ideen im Sinne der New Work und ihren Projekten (Beschäftigungsinitiativen, Transfergesellschaften, gemeinnützige Vereine, Unternehmen u.a.) insbesondere aus Deutschland und Österreich zu Wort kommen (Bergmann und Friedmann 2020).

Neben der Demokratisierung der Arbeitswelt lässt sich das Konzept New Work auch als stadtteilbezogene Arbeit in sozialen Brennpunkten bzw. mit Menschen in prekären Lebenslagen verstehen. Hier gilt es, sinnvolle Tätigkeiten, die zur Selbstversorgung, zur persönlichen Bildung und zur Einkommensverbesserung dienen, gemeinsam mit den beteiligten Menschen zu finden und dadurch neue Tätigkeits- und Organisationsstrukturen zu entwickeln.

4 Aktuelle Debatte und verändertes Begriffsverständnis von New Work

Damit ist das ursprüngliche Konzept New Work auch an aktuelle Debatten zur Weiterentwicklung der Arbeitswelt anschlussfähig, d.h. an Themen wie das Lebenslange Lernen, den Lebensphasenbezug von Arbeitszeitmodellen, der Partizipation von Mitarbeitenden am Arbeitsplatz und die Suche nach einer verbesserten Work-Life-Balance (Väth 2016).

Das ursprüngliche Konzept Bergmanns weist dennoch eine große konzeptionelle Differenz zur heutigen Diskussion um die Neue Arbeit auf. Die aktuelle Debatte wird häufig von Unternehmensleitungen, -berater*innen und Organisationsentwickler*innen geführt (z.B. Hackl et al. 2017). In ihr geht es innerhalb der bestehenden Unternehmen um die Prozessoptimierung, -flexibilisierung, die Weiterentwicklung von Organisationsformen, den Abbau von Hierarchieebenen und die effektivere Nutzung der Ressourcen von Mitarbeitenden (Wörkwag und Cloots 2018; Väth 2016). Diesbezügliche Maßnahmen zielen insbesondere auf die Erhöhung der Attraktivität der Arbeitsumgebung, die Stärkung der Beteiligung von Mitarbeitenden und die Vereinfachung von Arbeitsabläufen ab, um die Mitarbeiter*innen an das Unternehmen zu binden und ihre Arbeitszufriedenheit zu erhöhen. So stellen Unternehmen wie Google und Facebook beispielsweise in ihren Arbeitsräumen gemütliche Sofas und Kicker auf und bieten Getränke und Pausensnacks an.

Die Aufgabenstruktur, -inhalte und der Wertschöpfungsprozess insbesondere bei hoch qualifizierten Fachkräften versperren sich einer traditionellen Prozessüberwachung beispielsweise in Industriebetrieben durch Vorgesetzte. Fremdüberwachung wird insofern durch Selbstführung sowie eine eigenständige Prozess- und Qualitätsüberwachung ersetzt (siehe Selbstmanagement). Damit ergeben sich für qualifizierte Mitarbeiter*innen neue Anforderungen der oft dezentralen Arbeitsorganisation, Karriereplanung und der Selbstvermarktung. Veränderungsimpulse ergeben sich auch aus dem Wertewandel der Arbeit (Väth 2016).

Neue Spielräume für betriebliche Innovationen in entwickelten kapitalistischen Ländern ergeben sich aus der Transformation von der Industrie- zur Wissensgesellschaft, verbunden mit globalisierten und digitalisierten Strukturen in der Arbeitswelt. Dadurch lässt sich die zeitliche, räumliche und organisatorische Struktur der Arbeit leichter flexibilisieren. Die beobachtbaren und noch verstärkt zu erwartenden Strukturveränderungen werden auch unter dem Begriff Arbeitswelt 4.0 gebündelt, in dem die insbesondere mit der Digitalisierung und Automatisierung der Arbeitswelt verbundenen oranisationsstrukturellen und inhaltlichen Entwicklungsperspektiven beschrieben werden (Werther und Bruckner 2018).

Eine kritische Analyse heutiger betrieblicher Organisationsformen liefert Frederic Laloux (2015). Er entwirft ein Modell der Meilensteine bisheriger Organisationsveränderungen, die er beginnend bei der „tribunal impulsiven Organisation“ bis heute zu den sich herausbildenden und in der Zukunft verstärkt zu beobachtenden „integralen evolutionären Organisationsformen“ beschreibt. Frühe Formen der Arbeitsorganisation sind gekennzeichnet durch ständige Machtausübung, Befehlsstrukturen und die Annahme, nur durch Angst, Überwachung und Bestrafung sei die Arbeitsbereitschaft der Mitarbeitenden zu erreichen. Demgegenüber findet sich in integralen evolutionären Organisationen eine auf Selbstführung, ganzheitliche Entwicklung der Mitarbeitenden, Selbstorganisation von Teams sowie auf kleinere dezentrale Organisationseinheiten ausgerichtete Organisationsstruktur. Diese Veränderung ist eng verbunden mit der Veränderung unserer Weltsicht, dem menschlichen Bewusstsein und den verstärkten Wünschen nach Selbstverwirklichung (Laloux 2015, S. 12 f.).

Strukturelle Veränderungen der Arbeitsorganisation und der Arbeitsbeziehungen richten sich zusammenfassend auf folgende Prozesse:

  1. Partizipation und Selbstführung, d.h. die Einbeziehung der Mitarbeitenden bei betrieblichen Entscheidungen und Innovationsprozessen (z.B. durch Befragungen von Mitarbeitenden, Meetings, Qualitätszirkeln, Personalentwicklungsprogramme), die Schaffung selbstorganisierter Arbeitsgruppen und Projekte,
  2. Flexibilisierung der Arbeitsorganisation hinsichtlich der Prozessabläufe, der Arbeitszeiten, -orte und -inhalte,
  3. Veränderung der Führungskonzepte in Richtung beteiligungs- und ressourcenorientierter sowie rollenflexibler und adressatenorientierter Führungskonzepte,
  4. Ressourcensensibilität, d.h. die Mitarbeiter*innen werden stärker unter dem Gesichtspunkt ihrer Kompetenzen, ihres Wissens, ihrer Motivation und ihrer persönlichen Entwicklungspotenziale bzw. -wünsche betrachtet, 
  5. Kontextsensibilität, d.h. die verstärkte Aufmerksamkeit für die relevanten Umwelten, ihre Wertemuster und Anschlussfähigkeit in ihrer Relevanz für die Organisation und dem Einfluss auf innerorganisatorische Prozesse.

Insbesondere die Zunahme von beruflichen Belastungen, psychischen Erkrankungen und Burnout-Risiken – zugespitzt durch die Corona-Pandemie – fordert ein Umdenken in unserem beruflichen Wertesystem und dem auf Effektivität ausgerichteten Wirtschaftssystem. Zwar liegen bereits zahlreiche Alternativkonzepte vor und betriebliche Best-Practice-Modelle sind erprobt, die Umgestaltung zahlreicher Organisationsfelder (z.B. Öffentliche Verwaltung, Gesundheitswesen, Schulen) erweist sich dennoch als sehr herausfordernd.

5 Quellenangaben

Bergmann, Frithjof, 1977. On being free. London: Notre Dame. ISBN 978-0-268-01492-6

Bergmann, Frithjof, 2004. Neue Arbeit, Neue Kultur. Freiamt: Arbor. ISBN 978-3-924195-96-0 [Rezension bei socialnet]

Bergmann, Frithjof und Stella Friedmann, 2020. Neue Arbeit kompakt. Freiamt: Abor. ISBN 978-3-86781-201-6

Hackl, Benedikt, Marc Wagner, Lars Attmer und Dominik Baumann, 2017. New Work: Auf dem Weg zu einer neuen Arbeitswelt. Wiesbaden: Springer Gabler. ISBN 978-3-658-16265-8 [Rezension bei socialnet]

Laloux, Frederic, 2015. Reinventing Organizations: Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. München: Vahlen. ISBN 978-3-8006-4913-6 [Rezension bei socialnet]

Väth, Markus, 2016. Arbeit – die schönste Nebensache der Welt: Wie New Work unsere Arbeitswelt verändert. Offenbach: Gabal. ISBN 978-3-95623-387-6

Werther, Simon und Laura Bruckner, Hrsg., 2018. Arbeit 4.0 gestalten: Die Zukunft der Arbeit zwischen Agilität, People Analytics und Digitalisierung. Wiesbaden: Springer. ISBN 978-3-662-53884-5 [Rezension bei socialnet]

Wörwag, Sebastian und Alexandra Cloots, 2018. Gut zu wissen: was uns in der New Work erwartet. In: Sebastian Wörwag und Alexandra Cloots, Hrsg. Zukunft der Arbeit: Perspektive Mensch. S. 3–29. Wiesbaden: Springer Gabler. ISBN 978-3-658-22098-3

6 Literaturhinweise

Bergmann, Frithjof und Stella Friedmann, 2020. Neue Arbeit kompakt. Freiamt: Abor. ISBN 978-3-86781-201-6

Laloux, Frederic, 2015. Reinventing Organizations: Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. München: Vahlen. ISBN 978-3-8006-4913-6 [Rezension bei socialnet]

Verfasst von
Prof. (i.R.) Dr. Hans-Jürgen Balz
von 2002 bis 2023 Dozent für Psychologie (Schwerpunkte Diagnostik und Beratung) an der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum
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Es gibt 9 Lexikonartikel von Hans-Jürgen Balz.

Zitiervorschlag
Balz, Hans-Jürgen, 2022. New Work [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 09.02.2022 [Zugriff am: 11.09.2024]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/29217

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