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Objektive Hermeneutik

Prof. Dr. em. Klaus Kraimer

veröffentlicht am 07.05.2025

Etymologie: lat. obiectum das Entgegengeworfene; gr. hermeneuein erklären, auslegen‚ übersetzen

Englisch: objective hermeneutics

Die „Objektive Hermeneutik“ ist ein wissenschaftliches Verfahren zur Untersuchung und Deutung von sozialem Handeln und menschlichen Äußerungen. Sie beansprucht, hinter dem offensichtlichen oder beabsichtigten Sinn von Handlungen und Aussagen deren tiefere, oft unbewusste Bedeutung zu entschlüsseln.

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Geschichte
  3. 3 Methodologie und Kunstlehre der objektiven Hermeneutik
  4. 4 Die Fallrekonstruktion der objektiven Hermeneutik
  5. 5 Sequenzanalyse der objektiven Hermeneutik
  6. 6 Theorie der Lebenspraxis
  7. 7 Professionalisierungstheorie: Bedeutung für die professionalisierte Praxis
  8. 8 Rekonstruktive Wissensbildung
  9. 9 Deutungsmuster
  10. 10 Quellenangaben
  11. 11 Literaturhinweise

1 Zusammenfassung

„Objektive Hermeneutik“ bezeichnet ein erfahrungswissenschaftliches Theorie- und Forschungsprogramm. Es bietet eine eigenständige Methodologie und eine Kunstlehre für die Fallrekonstruktion in der Forschungspraxis. Humane Handlungen werden als objektiv rekonstruierbare, textförmige Sinngebilde verstanden. Da Objektivität und Subjektivität sozialen Sinns in die Strukturen sozialer Sinnbildung eingebunden sind, ermöglicht die Sequenzanalyse, der methodische Kern des Verfahrens, das Allgemeine und das Besondere eines Falls, eines Phänomens oder eines Geschehens zu erfassen.

So kann die zentrale Bedeutung von Ereignissen, die für ein Individuum, ein Kollektiv oder eine Organisation historisch und aktuell wirksam sind – über Ausdruckgestalten des Sozialen – erkannt werden. Die Fallrekonstruktion (Oevermann 2000a) der objektiven Hermeneutik korrespondiert mit dem naturwüchsigen und kunstlehrehaften Fallverstehen einer professionalisierten Praxis. Damit trägt sie zur expliziten Begründung einer Berufspraxis ebenso bei, wie zur Autonomiebildung durch eine solche Praxis etwa in den Feldern der Pädagogik, der Sozialen Arbeit oder der Pflege.

Ein breites Spektrum an Informationen bietet die Arbeitsgruppe Objektive Hermeneutik. Forscherinnen und Forschern ermöglicht sie u.a. fach- und ortsübergreifende Kooperationsmöglichkeiten, informiert über Forschungsarbeiten und pflegt eine Literaturdatenbank zur Objektiven Hermeneutik (Arbeitsgemeinschaft Objektive Hermeneutik e.V. 2025). Die Vorlesung von Manuel Franzmann (2021) „Krisentheoretische Perspektiven auf Bildung und Transformation im Lebensverlauf“ bietet einen Überblick auf das sozialwissenschaftliche Programm der objektiven Hermeneutik (Universität Kiel im Wintersemester 2020/21)

2 Geschichte

Das Theorie- und Forschungsprogramm der objektiven Hermeneutik ist unverbrüchlich mit dem Lebenswerk von Ulrich Oevermann (1940–2021) verbunden (Gruschka 2021, Allert 2022, Kraimer 2022, 2023). Dies setzte mit dem Projekt „Elternhaus und Schule“ am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin ein und wurde als Fallrekonstruktion im Zuge der Sozialisationsforschung entwickelt:

Besonders Kinder, so Oevermann, geben

„naturgemäß in ihrer Beteiligung an sozialisatorischen Interaktionen Anlass zur Erzeugung von latenten Sinnstrukturen […], die das, was sie – die Kinder – mental, also kognitiv und emotiv, repräsentieren können, erst recht, was sie bewusst planen und antezipieren können, an Reichhaltigkeit und Strukturiertheit weit übersteigen, so dass man von daher als Forscher gezwungen wird, die Ebene dieser latenten Sinnstrukturen bzw. objektiven Bedeutungen zu betreten, die durch algorithmisch operierende generative Regeln der Sprache und des Sprechhandelns erzeugt werden […]

Angesichts dessen wird sofort evident, dass man methodologisch, um den subjektiv gemeinten Sinn eines Handelns erschließen zu können, zuvor den objektiven Sinn des Gesagten, der Ausdrucksgestalt bzw. des Protokolls dieses Handelns erschlossen haben muss“ (Oevermann 2008, S. 43).

Dabei bezeichnet der Begriff Ausdrucksgestalt alle Daten der erfahrbaren Welt, die als sinnstrukturierte menschliche Praxis erforschbar sind. Daran ist die Empirie von objektiven Bedeutungsstrukturen gebunden.

Im Kontext des Grunderklärungsproblems zur Entstehung des Neuen, von Emergenz, hat Oevermann grundlegende Operationen des Messens bzw. der Erzeugung theorierelevanter Daten ermöglicht und eine forschungslogische Grundlage für alle Erfahrungswissenschaften der sinnstrukturierten Welt bereitgestellt. Heute hat sich die objektive Hermeneutik als eigenständiges, krisentheoretisches Paradigma (Oevermann 2016) etabliert und ist in vielen Anwendungsbereichen und für viele Datentypen erprobt (z.B. Becker-Lenz et al. 2016, Franzmann et al. 2023).

3 Methodologie und Kunstlehre der objektiven Hermeneutik

Der Methodenansatz der objektiven Hermeneutik beinhaltet zwei Komponenten: Die theoretisch begründete Methodologie, auf der der theoriesprachliche Bezugsrahmen der Sozialwissenschaften angesiedelt ist. Theoretische Modelle wie die Theorie der Lebenspraxis oder der Professionalisierung korrespondieren mit der Kunstlehre der objektiven Hermeneutik, der zweiten Komponente.

Eine Kunstlehre zeichnet sich durch die Vermittlung von Wissen und Können, von Kenner- und Könnerschaft aus. Mit Kunstlehre wird das praktische Handwerk der objektiven Hermeneutik bezeichnet, also wie man die Methode konkret anwendet. Die Könnerschaft lässt sich nicht allein aus Büchern oder Texten erlernen, wie die Kennerschaft, sondern sie erfordert praktische Übung unter Anleitung erfahrener Forscher:innen, ähnlich wie man die Fähigkeiten eines Musikers nicht nur theoretisch erlernen kann.

Geeignet dazu sind Forschungspraktika oder Forschungswerkstätten, sofern diese selbst durch Personen getragen werden, die mit Demut vor dem Datenmaterial die darin enthaltenen Ausdrucksgestalten zum Sprechen bringen können. Wissenschaftliche Distanziertheit, Kenntnis von und notwendige Distanz zum Lehrbuchwissen, strenge Beachtung logischer, sprachlicher und methodischer Regeln sowie maximale Gründlichkeit in der Auswertung unter größter Offenheit und Neugier für die strukturelle Reichhaltigkeit einer detailliert zu rekonstruierenden Praxis: Neben der ebenfalls notwendigen Explikation von Theorien sind dies Strukturierungselemente angeleiteter Berufserfahrung.

Mit Bezug auf das Theorie- und Forschungsprogramm der objektiven Hermeneutik arbeitet Raven (2016) im Sinne rekonstruktiver Wissensbildung Abläufe in der Theoriebildung, in der Geltungsbegründung und in der Qualitätssicherung heraus, die für die Verwendung der objektiven Hermeneutik in der professionalisierten Praxis generell von Bedeutung sind:

  • „Als Verfahren für eine theoretische Generalisierung auf der Basis von Einzelfallstudien (Gewinnung von Evidenz).
  • Als Verfahren zur Entscheidungsfindung und der Klärung von Geltungsbedingungen (Klärung strittiger Fälle).
  • Als Verfahren zur methodischen Qualitätssicherung professionalisierter Praxis (exemplarische, regelmäßige Supervision).
  • Als Verfahren zur Erzeugung von Sensitivität für Klienten und eigentliche Interventionspraxis“ (Raven 2016, S. 120).

Gegenstand, Forschungspraxis und Fallrekonstruktion lassen sich wie folgt kennzeichnen:

  1. „Gegenstand der Sinnauslegung in der objektiven Hermeneutik sind – bezogen auf einzelne Äußerungen oder Handlungen – objektive Bedeutungsstrukturen bzw. – bezogen auf Sequenzen von Handlungen oder Äußerungen – latente Sinnstrukturen“ […]
  2. „Im Zentrum der objektiv hermeneutisch verfahrenden Forschungspraxis steht die Operation der Sequenzanalyse“ […]
  3. „Fallrekonstruktionen kristallisieren Fallstrukturgesetzlichkeiten aus den sequenzanalytisch explizierten latenten Sinnstrukturen von Protokollen von Äußerungen oder Handlungen einer je konkreten Lebenspraxis aus“ (Oevermann 2003, S. 28 ff., Hervorh. im Original).

Als sinnerschließendes Verfahren ermöglicht die objektive Hermeneutik damit generell eine Rekonstruktion von Bedeutungsmöglichkeiten über subjektiv vermeinte Bedeutungen hinaus. Die jeweils in einer Handlungssequenz gewählte Option kann im Kontrast zu ebenfalls möglichen Alternativen erkannt werden. Charakteristisch ist die konsequente Orientierung am Fall, wobei sich das Verhältnis von Allgemeinem und Besonderem am jeweiligen Forschungsgegenstand (Fall) zeigt.

Beispiele finden sich in der kriminalistischen (Oevermann und Simm 1985) oder in der Unterrichtsforschung (Twardella 2016, 2019, 2023; Wernet 2023), in der die in-situ-Forschung (Oevermann 2019) beispielsweise zur Entschlüsselung von Ausdrucksgestalten, die zugleich Protokolle von Tarnhandlungen sein können, bedeutsam ist.

Zentrale Fragen sind in diesen Kontexten z.B.:

  • wie kann ein Spurentext entschlüsselt werden?
  • wie lässt sich der Symptomtext einer Krankheit erschließen?
  • wie lässt sich eine Tarnhandlung in der Fälschung eines Kunstwerkes entziffern?

Weitere Anwendungsfelder der objektiven Hermeneutik liegen in der Bildungsforschung (Zizek 2022), in der Erforschung professionalisierten Handelns in der Medizin (Oevermann und Rychner 2018), der Pflege (Hülsken-Giesler et al. 2016) oder der Sozialen Arbeit (Becker-Lenz und Müller-Hermann 2013). Ein markantes Unterscheidungsmerkmal zu sog. qualitativen Verfahren ist der systematische Einbezug objektiver Daten.

Objektive Daten (beispielsweise Geburtsdatum und -ort, Ausbildung, Wohnort, Beruf, Einwohnerzahl) dienen der Bestimmung über „objektive“, in ihrer Geltung überprüfbare Merkmale einer Praxis. So lassen sich etwa biografische, historische oder sozialräumliche Bedingungen klären und in ihrer Bedeutung für einen zu untersuchenden Fall oder ein Geschehen bestimmen. Dazu hat sich die möglichst vollständige, chronologisch geordnete Dokumentation der objektiven Daten und deren sequenzielle Interpretation bewährt (Garz 2022; Münte 2023).

4 Die Fallrekonstruktion der objektiven Hermeneutik

Fallrekonstruktionen haben im Unterschied zu Fallstudien keinen beschreibenden, subsumtionslogischen Charakter (Unterordnung unter klassifikatorische Begriffe), sondern einen rekonstruktionslogischen. Die Fallrekonstruktion der objektiven Hermeneutik arbeitet im Sinne einer Erkenntnisoperation, die durch die Sequenzanalyse methodisch grundgelegt wird (Oevermann 2000a).

Das methodische Vorgehen hält dazu an, von Anfang bis zum Ende einer Untersuchung „stur empirisch“ zu arbeiten. Im Forschungsprozess sind Prozeduren der Datenerhebung von denen der Datenauswertung zu unterscheiden, was sich nicht in die simple Unterscheidung von „Quantitativ“ oder „Qualitativ“ einfügt. Für die Vorgänge der nicht-standardisierten Datenerhebung ist ein sorgfältiges soziales Arrangement notwendig; es gilt, geeignete Techniken der Protokollierung zu wählen.

Das Prozedere der Datensammlung und die Methoden der Datenerhebung variieren in Abhängigkeit vom Untersuchungsgegenstand. Im Kern ist jedes Ausdrucksmaterial durch die Sequenzanalyse erschließbar, um die „hinter“ dem subjektiv Vermeinten sich verbergende objektive Realität zum Vorschein zu bringen. Generell zu beachten ist die Unterscheidung zwischen dem Protokoll von Wirklichkeit (jedes erfahrungswissenschaftliche Datum der sinnstrukturierten Welt als Ausdrucksmaterial) und der protokollierten Wirklichkeit, die als Operation der Lebenspraxis selbst der Vergangenheit angehört. Die methodischen Schritte folgen dem realen Prozess, der untersucht werden soll und nicht artifiziell zerlegt wird. Wissen und Erfahrung sind dabei kategorial zu trennen, um neue Erfahrungen gewinnen zu können. Dies erfordert Unvoreingenommenheit und die Orientierung an methodischen Regeln der Kunstlehre für die Forschungspraxis.

Diese gelten von der ersten Berührung mit dem, was an Spuren übrig oder an Ausdrucksmaterial gegeben ist, bis zu deren fallrekonstruktiver Dechiffrierung. Um die Erhebung, Analyse und Deutung von Daten unvoreingenommen vorzunehmen, ist die Einnahme der Perspektive einer „künstlichen Naivität“ erforderlich. Jegliche Verwendung von schon vorhandenem Kontextwissen über den Analysegegenstand hinaus wird vermieden:

„Statt wie sonst üblich das schon vorhandene kumulierte Wissen an das konkrete Datenmaterial heranzutragen und dessen Besonderheiten entsprechend durch Subsumtion unter dieses Wissen einschließlich seiner theoretischen Aufarbeitung mehr oder weniger klassifikatorisch ‚aufzuschließen‘ und sich dann über Auffälligkeiten zu beugen, die sich dieser Subsumtion nicht glatt fügen, wird hier genau umgekehrt vorgegangen:

Es wird rein immanent durch Rekonstruktion in der ‚Sprache des Falles selbst‘ die latente Sinnstruktur der vorliegenden Ausdrucksgestalt aufgeschlossen“ (Oevermann 2008, S. 44).

Dabei gilt es, von der naheliegendsten Hypothese zugunsten der klaren Formulierung einer Suchhypothese abzusehen, sodass die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass der reale Prozess in den Bedeutungen, die untersucht werden, gleichsam durch einen solchen „Suchscheinwerfer“ läuft. In dessen Licht kann das Gesuchte schließlich in Gestalt einer Fallstrukturhypothese festgehalten werden (Oevermann 2019).

Unabdingbar ist die Unterwerfung unter die Logik des besseren Argumentes im Sinne eines kritischen Aufklärungsinteresses mit dem Ziel der Formulierung weitreichender professions-, bildungs-, oder gesellschaftstheoretischer Schlüsse. Ein Musterbeispiel für eine abgeschlossene Fallrekonstruktion bildet Oevermanns Monografie zur Überprüfung seiner Professionalisierungstheorie (2003). Darin liegt eine vollständige Sequenzanalyse vor, die detailliert, ausgehend von der initialen Interaktionssequenz, durchgeführt wurde.

5 Sequenzanalyse der objektiven Hermeneutik

Die Sequenzanalyse dient der Rekonstruktion von Sinnzusammenhängen bzw. von Zusammenhangserschließungen, da alle Erscheinungsformen von Lebenspraxis durch Sequenziertheit strukturiert bzw. konstituiert sind (Oevermann 2000a). Soll eine Sequenz in ihrem realen Verlauf rekonstruiert werden, sind zwei elementare, kategorial verschiedene Parameter zu beachten (Oevermann 2004):

  1. Erzeugungsregeln (bedeutungserzeugende Regeln), die sequenziell Anschlussmöglichkeiten ermöglichen
  2. Auswahlprinzipien als Ensemble von Dispositionsfaktoren, die Entscheidungen einer Lebenspraxis (z.B. Person, Gruppe, Organisation) bedingen. Daraus ergibt sich die Fallstruktur, wenn die Rekonstruktion einer Lebenspraxis wiederkehrende Entscheidungen erkennen lässt.

Dies ist im Zusammenhang des Modells von Krise und Routine in der Konstitution von Lebenspraxis zu verstehen (Oevermann 2004, 2016).

So könnte etwa ein Lehrer, der einen Schüler mit den Worten „Das hast du aber schön gemacht!“ lobt, je nach Kontext, Tonfall und anderen Faktoren tatsächlich Ironie ausdrücken, ehrliche Anerkennung zeigen oder auch übertrieben reagieren. Die Sequenzanalyse würde alle möglichen Bedeutungen dieser Aussage systematisch untersuchen.

6 Theorie der Lebenspraxis

Die „Theorie der Lebenspraxis“ betrachtet, wie Menschen im Alltag Entscheidungen treffen und diese begründen. Jeder Mensch steht regelmäßig vor Situationen, in denen er handeln muss, ohne alle Folgen überblicken zu können. Gleichzeitig muss er sein Handeln vor sich und anderen rechtfertigen können. Diese Balance zwischen Entscheidungszwang und Begründungsverpflichtung kennzeichnet nach Oevermann das menschliche Leben (Oevermann 1995, 2001).

Dabei lässt die Sequenzanalyse der objektiven Hermeneutik typische Bewährungskarrieren in Familie, Beruf und Staatsbürgerschaft erkennen. Ebenso können Traumatisierungskrisen (die die Konstitution von Natur- und Leiberfahrung bedeuten), Entscheidungskrisen (die die Bewährung in der Lebenspraxis bedeuten) und Krisen durch Muße (die ästhetische Erfahrung bedeuten) identifiziert werden. Das Bewährungsgeschehen kann mittels Fallrekonstruktion im Verhältnis von Krise und Routine in der Konstitution von Lebenspraxis herausgearbeitet und im Kontext der „nicht stillstellbaren Bewährungsdynamik“ als Fallstruktur bestimmt werden.

7 Professionalisierungstheorie: Bedeutung für die professionalisierte Praxis

Die Bedeutung der objektiven Hermeneutik für die professionalisierte Praxis wird in der revidierten Professionalisierungstheorie Oevermanns deutlich (z.B. Oevermann 2000b, 2002, 2013). Diese begreift professionelles Handeln im Kern als eine Vollzugsrealität: Was die Praxis selbst in der Krisenhaftigkeit und Offenheit ihrer Tätigkeit vollbracht hat, kann nur nachträglich rekonstruierend erschlossen werden.

Professionalisiertes Handeln besteht wesentlich in der Vermittlung von Theorie und Praxis, in der Respektierung und Wiederherstellung von Formen der beschädigten Autonomie. Im Zentrum steht das Modell der stellvertretenden Krisenbewältigung (ursprünglich von Oevermann als stellvertretende Deutung bezeichnet). Dies ist durch ein Arbeitsbündnis gekennzeichnet, in dem die Beteiligten nicht in einem Rollenausschnitt, sondern als ganze Menschen thematisch sind.

Im Zentrum der revidierten Professionalisierungstheorie steht „die schlichte These, wonach alle professionalisierungsbedürftigen Berufspraxen im Kern mit der Aufgabe der stellvertretenden Krisenbewältigung für einen Klienten auf der Basis eines explizit methodisierten Wissens beschäftigt sind und die manifeste Professionalisiertheit dieser Berufe an die Bedingung der bewussten Wahrnehmung dieser stellvertretenden Krisenbewältigung gebunden ist“ (Oevermann 2013, S. 119, Hervorh. i. O.).

Im Kern werden drei Komplexe unterschieden:

  1. Gewährleistung leiblicher und psycho-sozialer Integrität der individuellen Lebenspraxis (therapeutischer Komplex)
  2. Sicherung eines hinreichenden Konsensus kollektiver Ordnungsvorstellungen (rechtspflegerischer Komplex)
  3. Methodisch kontrollierte, erkenntnismäßige Explikation von Geltungsgründen (Komplex von Wissenschaft und Kunst).

8 Rekonstruktive Wissensbildung

Rekonstruktive Wissensbildung steht in der Tradition der objektiven Hermeneutik. Eine professionalisierte Praxis gilt dabei als Ausgangspunkt einer eigenständigen Theoriebildung und einer „rollenden Reform“, in der fallrekonstruktiv gewonnene Erkenntnisse in die Praxis über Habitusbildung zurückfließen. Markant ist die konsequente Orientierung am Fall.

Im Zentrum der rekonstruktiven Wissensbildung steht die Füllung beruflicher Ausbildungsinhalte mit rekonstruktiv gewonnenem Wissen. Diese sind auf Praxis bezogen, dienen aber nicht dem unmittelbarem „Erwerb“ von Wissen und Können im Sinne eines Anwendungsfeldes. Vielmehr wird „Praxis“ als Erkenntnisfeld verstanden, das neue Einsichten für berufliche Qualifikationen per Habitus-Bildung ermöglicht.

Diese ist – wie schon die Studie von Seek und Ackermann (2000) zeigt – kaum durch das bisher verbreitete Studium möglich. Vielfach erfüllt dieses lediglich die Funktion des berufsbiografischen Aufstiegs. Vorgängige Deutungsmuster von Studienbeginnern wie etwa das des „pragmatischen Idealisten“ ändern sich nicht. Auch mittels Erfahrung gewonnene Fachlichkeit der „Alten Hasen“, etwa sog. Quereinsteigern kann so nicht ergänzt oder innoviert werden – daran scheint sich bis heute wenig geändert zu haben.

Beispiele für die Ausgestaltung rekonstruktiver Wissensbildung finden sich für die Pflege (Hülsken-Giesler et al. 2016) und für die Soziale Arbeit bei Hoff et al. (2019), Bromberg und Kraimer (2022), um eine maximale Gewährleistung lebenspraktischer Autonomie durch die professionalisierte Praxis sicherzustellen und um Klarheit über das Verhältnis von Autonomie und Handlungsfähigkeit auf der einen und von Fremdbestimmung in der Organisation von Hilfe auf der anderen Seite zu gewinnen.

9 Deutungsmuster

Das Deutungsmuster-Konzept Oevermanns (Oevermann 2001a, b) ist vor allem aus dem Unbehagen an der Einstellungsmessung und der Umfrageforschung entstanden. Deutungsmuster lassen sich als relativ zeitstabile „Theorien“ verstehen, die ein Deutungs-Reservoir enthalten, das individuell der Orientierung und Rechtfertigung dient. Lebenspraktisch steht der Einzelne ständig vor objektiven, krisenträchtigen Problemstellungen: Vor allem der Bewährung angesichts der Endlichkeit des Lebens. Dafür wird auf voreingerichtete Interpretationsmuster, auf einen Grundstock von Überzeugungen zurückgegriffen, um von vornherein eine Krise gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Deutungsmuster sind – im Unterschied zu anderen Wissens- oder Bewusstseinsformationen wie Einstellungen, Ideologien, Meinungen – krisenbewältigende Routinen, die sich durch Tradition erhalten. Sie wirken, ohne dass ihre Geltung neu bedacht werden muss. Charakteristische Bestandteile von Deutungsmustern sind Perspektivität, Plausibilität, Latenz, Reduktion von Komplexität, Kontinuität, Konsistenz, Persistenz früherer Erfahrungen, gesellschaftliche Vermitteltheit und relative Flexibilität.

Deutungsmuster sind prinzipiell in jedem Datenmaterial zu entdecken, sofern es rekonstruktionslogisch in der Auswertung aller Details einer Ausdrucksgestalt bearbeitet wird.

10 Quellenangaben

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Garz, Detlef, 2022. Dem Phänomen der Verbindung von objektiven Daten und autobiografischer Erzählung auf der rekonstruktiven Spur. In: Kirstin Bromberg und Klaus Kraimer, Hrsg. Dem Phänomen auf der Spur: Forschendes Lehren und Studieren, Rekonstruktive Forschung, Erzeugung neuen Wissens. Wiesbaden: Springer VS, S. 45–65. ISBN 978-3-658-36495-3

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Hülsken-Giesler, Manfred, Susanne Kreuzer und Nadin Dütthorn, Hrsg., 2016. Rekonstruktive Fallarbeit in der Pflege: Methodologische Reflexionen und praktische Relevanz für Pflegewissenschaft, Pflegebildung und die direkte Pflege. Göttingen: V & R unipress, Universitätsverlag Osnabrück. ISBN 978-3-8471-0508-4

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Raven, Uwe, 2016. Objektive Hermeneutik. Ein Paradigma für Pflegeforschung und Pflegepraxis? In: Hülsken-Giesler Manfred, Susanne Kreuzer und Nadin Dütthorn, Hrsg. Rekonstruktive Fallarbeit in der Pflege: Methodologische Reflexionen und praktische Relevanz für Pflegewissenschaft, Pflegebildung und die direkte Pflege. Göttingen: V & R unipress, Universitätsverlag Osnabrück, S. 103–130. ISBN 978-3-8471-0508-4

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Twardella, Johannes, 2016. Objektive Hermeneutik in der Unterrichtsforschung. Ein Erfahrungsbericht. In: Roland Becker-Lenz, Andreas Franzmann, Axel Jansen und Matthias Jung, Hrsg. Die Methodenschule der Objektiven Hermeneutik: Eine Bestandsaufnahme. Wiesbaden: Springer VS, S. 159–177. ISBN 978-3-658-00767-6

Twardella, Johannes, 2023. Lehrmittel. In: Andreas Franzmann, Marianne Rychner, Claudia Scheid und Johannes Twardella, Hrsg. Objektive Hermeneutik: Handbuch zur Methodik in ihren Anwendungsfeldern. Opladen: Barbara Budrich, S. 180–196. ISBN 978-3-8252-5944-0

Twardella. Johannes, 2019. Über die Arbeit an einer Strukturtheorie des Unterrichts und der dabei auftretenden methodologischen Probleme. In: Dorett Funcke und Thomas Loer, Hrsg. Vom Fall zur Theorie: Auf dem Pfad der rekonstruktiven Sozialforschung. Wiesbaden: Springer, S. 289–327. ISBN 978-3-658-22543-8

Wernet, Andreas, 2023. Interaktion im Unterricht. In: Andreas Franzmann, Marianne Rychner, Claudia Scheid und Johannes Twardella, Hrsg. Objektive Hermeneutik: Handbuch zur Methodik in ihren Anwendungsfeldern. Opladen: Barbara Budrich, S. 105–122. ISBN 978-3-8252-5944-0

Zizek, Boris, 2022. Rekonstruktive Bildungs- und Erziehungsforschung. In: Ulrich Bauer, Uwe H. Bittlingmayer und Scherr, Albert, Hrsg. Handbuch Bildungs- und Erziehungssoziologie. 2. Auflage. Wiesbaden: Springer VS, S. 661–678. ISBN 978-3-658-30902-2

11 Literaturhinweise

Garz, Detlef und Wiebke Lohfeld, 2022. Objektive Hermeneutik – Ein Versuch, sich zu sich selbst zu verhalten. In: Zeitschrift für Qualitative Forschung. 23(1), S. 7–21. ISSN 2196-2138
Dieser Artikel ist ein Beitrag zur selbstkritischen Betrachtung qualitativ-rekonstruktiver (Bildungs-) Forschung. Zentrale Aussagen der Objektiven Hermeneutik und deren Leistungsfähigkeit werden an einem biografischen Forschungsgegenstand und am Beispiel der Fotoanalyse aufgezeigt, wobei der Frage nachgegangen wird wie sich Protagonist*innen eines Forschungsprogramms zu ihrem Forschungsgegenstand verhalten.

Kraimer, Klaus, 2023. Annotationen zum Theorie- und Forschungsprogramm der Objektiven Hermeneutik Ulrich Oevermanns. In: BIOS – Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen. 34(2), S. 210–230 [Zugriff am: 02.05.2025]. ISSN 2196-243X. doi:10.3224/bios.v34i2.04
Der Beitrag ermöglicht eine Übersicht zu zentralen Inhalten und zur Bedeutung der objektiven Hermeneutik für die Biographieforschung mit Hinweisen zur Biographie Oevermanns.

Oevermann, Ulrich, 2016. „Krise und Routine“ als analytisches Paradigma in den Sozialwissenschaften. In: Roland Becker-Lenz, Andreas Franzmann, Axel Jansen und Matthias Jung, Hrsg. Die Methodenschule der Objektiven Hermeneutik: eine Bestandsaufnahme. Wiesbaden: Springer VS, S. 43–114. ISBN 978-3-658-00767-6
Der Beitrag Oevermanns im Kontext eines Sammelbandes zur Bedeutung hermeneutisch rekonstruktiver Sozialforschung und zu den Möglichkeiten von Weiterbildungskursen für die Berufspraxis ist eine überarbeitete Version seiner Abschiedsvorlesung im April 2008 an der Universität Frankfurt. Er bietet eine Art Wegweisung, um auf dem Pfade fallrekonstruktiver Forschung sicher zu gehen. Leitender Gesichtspunkt ist das Verhältnis von Krise und Routine, das aus seinen unterschiedlichen Forschungen markant herausgetreten ist.

Wernet, Andreas, 2021. Einladung zur Objektiven Hermeneutik. Opladen: Barbara Budrich. ISBN 978-3-8252-5601-2 [Rezension bei socialnet]
Das Lehr- und Studienbuch von Wernet bietet eine Orientierung für Studierende und eignet sich zugleich für weiterführende Studien etwa für die Konzeptualisierung von Forschungsprojekten oder Dissertationen.

Becker-Lenz, Roland, Andreas Franzmann, Axel Jansen und Matthias Jung, Hrsg., 2016. Die Methodenschule der Objektiven Hermeneutik: Eine Bestandsaufnahme. Wiesbaden: Springer VS. ISBN 978-3-658-00767-6
Der Sammelband bietet einen Überblick über Entstehungskontexte, Entwicklungsphasen und Anwendungsmöglichkeiten. Beispiele: Unterrichtsforschung, historische Forschung, Polizei, Ressortforschung. Mit einem Originaltext von Ulrich Oevermann (Abschiedsvorlesung), der die Art und Weise des Vorgehens der objektiven Hermeneutik und seine Abgrenzung vom mainstream aufzeigt.

Franzmann, Andreas, Marianne Rychner, Claudia Scheid und Johannes Twardella, Hrsg., 2023. Objektive Hermeneutik: Handbuch zur Methodik in ihren Anwendungsfeldern. Opladen: Barbara Budrich. ISBN 978-3-8252-5944-0
Das Buch bietet neben einem Grundlagentext von Oevermann zum Thema Fallrekonstruktion und Strukturgeneralisierung eine Übersicht über den methodologisch-paradigmatischen Gesamtansatz der objektiven Hermeneutik in den Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften und zeigt an face-to-face-Kommunikation, edierten und nichtedierten schriftsprachlichen Texten, nichtsprachlichen Texten, objektiven Daten, Konstellationen und Verläufen Möglichkeiten der Erschließung von in der Praxis verborgenen Zusammenhängen auf. Eingeführt wird z.B. in Forschungsinterviews, in die Analyse von Kinderzeichnungen, von Gemälden, von Photographien, von Luftbildern oder Videos.

Oevermann, Ulrich, 2019. Die Erzählung von Ulrich Oevermann. In: Detlef Garz, Klaus Kraimer und Gerhard Riemann, Hrsg. Im Gespräch mit Ulrich Oevermann und Fritz Schütze: Einblicke in die biographischen Voraussetzungen, die Entstehungsgeschichte und die Gestalt rekonstruktiver Forschungsansätze. Studien zur rekonstruktiven Sozialforschung. Dritter Band. Opladen: Barbara Budrich, S. 15–100. ISBN 978-3-8474-0656-3 [Rezension bei socialnet]
Oevermann erzählt seine Lebensgeschichte von der Kindheit bis zur akademischen Karriere, vor allem wie es zur Entwicklung der objektiven Hermeneutik gekommen ist, über sein Verhältnis zu Jürgen Habermas, zu den Bedingungen am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und über die in situ Forschung, die ganz entscheidend ist, um einen Prozess real zu untersuchen und diesen nicht subsumtionslogisch zu zerlegen, artifiziell in Variablengruppen. Er begründet die Notwendigkeit Wissen und Erfahrung kategorial klar zu trennen und beschreibt das faktische Vorgehen als Kunstlehre.

Garz, Detlef und Uwe Raven, 2015. Theorie der Lebenspraxis. Wiesbaden: Springer VS. ISBN 978-3-658-07307-7
Das Buch bietet eine anschauliche, mit Beispielen versehene Einführung in die Theorie der Lebenspraxis Oevermanns.

Becker-Lenz, Roland, Stefan Busse, Gudrun Ehlert und Silke Müller-Hermann, Hrsg., 2013. Professionalität in der Sozialen Arbeit. Standpunkte, Kontroversen, Perspektiven. 3. Auflage. Wiesbaden: Springer VS. ISBN 978-3-531-19880-4
Das Buch bietet eine Übersicht über Entwicklungslinien und theoretische Fundierungen von Professionalität in der Sozialen Arbeit. Es zeigt die Notwendigkeit wissenschaftlichen Wissens auf und deren Aneignung als Habitus-Bildung im Kontext von Authentizität und Berufsethik.

Verfasst von
Prof. Dr. em. Klaus Kraimer
Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes. University of Applied Sciences
Professor für Theorie, Praxis und Empirie Sozialer Arbeit an der Fakultät für Sozialwissenschaften
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Lothar Böhnisch, Heide Funk: Verantwortung - Soziologische und pädagogische Perspektiven. transcript (Bielefeld) 2023.
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