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Objektpermanenz

Dr. Erika Butzmann

veröffentlicht am 24.01.2022

Ähnlicher Begriff: Objektkonstanz

Etymologie: lat. obiectum Vorwurf, Ziel, Gegenstand, lat. permanere fortdauern

Englisch: object permanence

Geltungsbereich: Zentraler Begriff aus der Entwicklungspsychologie von Jean Piaget

Objektpermanenz bezeichnet in der Theorie von Jean Piaget den Prozess des Bewusstwerdens beim Kind, dass Objekte außerhalb seiner selbst existieren.

Der Prozess des Bewusstwerdens beginnt zum Ende des ersten Lebensjahres mit dem Suchen nach einem Gegenstand, dessen Verschwinden das Kind beobachtet hat. Die Wahrnehmung einer solchen Situation führt zu kurzen Erinnerungsspuren an den Gegenstand, das „Objekt bleibt jedoch abhängig von seinem Kontext und wird noch nicht als ein mit Permanenz ausgestatteter beweglicher Gegenstand isoliert“ (Piaget 1975, S. 70). Das Kind kann den Gegenstand nur als Gesamtbild mit dem wahrgenommenen Hintergrund erinnern.

Zu Beginn des zweiten Lebensjahres gelingt es dem Kind, Personen und Objekten Permanenz zuzuordnen, soweit es um eine sichtbare Verlagerung geht (Piaget 1975, S. 81). Seine Erinnerung an den Gegenstand umfasst damit die ersten dynamischen Bilder. In der Folge erfährt es durch die zunehmende senso-motorische Umwelterkundung und die ständige Nachahmung, dass es eine von den anderen und den Objekten getrennte Person ist. Das geschieht im gleichen Maße, wie das Kind Objekte als permanent wahrnimmt.

Gegen Ende des zweiten Lebensjahres kann das Kind bewegliche Objekte und Personen über die aktuelle Wahrnehmung hinaus als innere Bilder hervorrufen und erkennt sich selbst als Einzelwesen unter den anderen. Das geistige Bild als verinnerlichte Vorstellung und die Sprache führen jetzt zum Denken, das vom senso-motorischen Handeln losgelöst ist. Das Kind kann sich nun Personen und Objekte unabhängig von der aktuellen Situation vorstellen und erreicht damit Objekt- und Personenkonstanz. Dabei kommt dem Erreichen der Personenkonstanz eine besondere Bedeutung für die psychische Entwicklung des Kindes zu. Erst wenn bewegliche Bilder erinnert und innere Bilder der Eltern in Abwesenheit hervorgerufen werden können, sind zeitweise Trennungen für das Kind verträglich. In der Zeit vorher wird es von genetisch gesteuerten Trennungs- und Verlassenheitsängsten überflutet, die den höchsten Stress in dieser frühen Zeit verursachen (Roth 2001, S. 352). Auch später verschwinden die inneren Bilder von Personen und Objekten noch, wenn das Kind unter Stress steht.

Quellenangaben

Piaget, Jean, 1975. Der Aufbau der Wirklichkeit beim Kind. Stuttgart: Klett-Cotta ISBN 978-3-12-926310-5

Roth, Gerhard, 2001. Fühlen, Denken, Handeln: Wie das Gehirn unser Verhalten steuert. Frankfurt: Suhrkamp. ISBN 978-3-518-29278-5

Verfasst von
Dr. Erika Butzmann
Entwicklungspsychologin
Erziehungswissenschaftlerin
Elternbildung und -beratung
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Es gibt 6 Lexikonartikel von Erika Butzmann.

Zitiervorschlag
Butzmann, Erika, 2022. Objektpermanenz [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 24.01.2022 [Zugriff am: 08.10.2024]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/9943

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